16.10

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Meine geschätzten Damen und Herren auf der Galerie und via ORF III! Ich darf bei der heutigen Debatte über das Bundespflegegeldgesetz daran erinnern, dass dies ganz sicherlich eines der sozialpolitischen Jahrhundertgesetze war und ist.

Bei dieser Gelegenheit sei auch an Herrn Bundesminister Josef „Jolly“ Hesoun erin­nert, der mit seinen MitstreiterInnen zu diesem Thema, wie ich denke, einen Meilen­stein gesetzt hat und dieses Gesetz seinerzeit initiiert hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Inzwischen gibt es aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, und das haben ja schon die VorrednerInnen gesagt, einigen Anpassungsbedarf. Das Pflegegeld hat heute im Durchschnitt über alle Pflegestufen um rund 30 Prozent weniger Kaufkraft als bei seiner Einführung im Juli 1993. Daher ist eine Valorisierung der Pflegestufen 1 bis 7, man kann es sagen, ein Gebot der Zeit.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch die wichtigsten aktuellen pflege­politi­schen Herausforderungen nennen! Einige, wie zum Beispiel die demografische Ent­wick­lung, sind ja schon genannt worden. Wir freuen uns natürlich darüber, aber es ist eine Tatsache, dass in unserer Republik heute über 300 000 80-Jährige wohnen. 2050, auch diese Zahl wurde schon genannt, werden in etwa 1,1 Millionen Menschen in Österreich über 80 Jahre alt sein. Aktuell, und auch diese Zahl wurde schon erwähnt, gibt es knapp 460 000 Menschen, die Pflegegeld beziehen, und bis 2050 werden es über 750 000 Menschen sein.

Es ist natürlich ganz klar, dass in der politischen Debatte immer wieder die Finan­zierung thematisiert und natürlich auch diskutiert wird. Ich möchte zu diesem Thema auch ganz kurz eine Studie des Wifo zitieren, in der Folgendes festgestellt wird: Es wird mit steigenden Kosten für Bund und Länder für Pflegegeld und Sachleistungen gerechnet, das heißt mit einer Steigerung von heute rund 4,7 Milliarden Euro auf 5,7 Milliarden Euro im Jahr 2025 und auf 6,9 Milliarden Euro im Jahr 2030. Es ist mit einer Steigerung der Ausgaben von rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 1,65 Prozent im Jahr 2030 zu rechnen.

Meine Damen und Herren, keine Sorge: damit sind wir im europäischen Vergleich gerade einmal im Mittelfeld angesiedelt. Etliche Länder, wie zum Beispiel die nordi­schen Länder, die Schweiz oder Belgien, investieren mehr als 2 Prozent ihrer Ausga­ben in die Langzeitpflege. Österreich kann sich also, und das möchte ich hier schon anmerken, deutliche Mehrausgaben in der Langzeitpflege leisten.

Zur nachhaltigen Finanzierung braucht es aus meiner Sicht einen nationalen Schul­ter­schluss aller relevanten politischen Kräfte. Konzepte und Vorschläge, einige wurden ja heute schon genannt, gibt es aus meiner Sicht sehr viele und genug. Jetzt geht es darum, dass alle relevanten politischen Akteure ein gemeinsames Zukunftskonzept er­ar­beiten.

Meine Damen und Herren, beim politischen Thema Pflege – das ist kein Formel-1-Rennen, bei dem es darum geht, wer der Schnellste ist – ist es wichtig, dass es als eines der großen Themen der Zeit gemeinsam und nicht einsam, von einigen wenigen gestaltet wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist deshalb von Relevanz, weil neben der demografischen Entwicklung auch noch andere essenzielle Punkte anzusprechen sind, wie zum Beispiel, das hat meine Kol­legin Kahofer schon gesagt, die Frage der Sicherung von ausreichendem und qualitativ hochwertigem Betreuungs- und Pflegeangebot. Das heißt, es geht um den Ausbau leistbarer flächendeckender Angebote, insbesondere der mobilen Dienste, teilstatio­närer Angebote, zum Beispiel Tageszentren, oder altersgerechter Wohnformen, aber auch der stationären Langzeitpflege, Stichwort Pflegeheime.

Der zweite Punkt, den ich gerne in diesem Zusammenhang ansprechen möchte, ist natürlich die Sicherung von ausreichend vielen und gut qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Langzeitpflege. Es geht vor allen Dingen um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Meine Damen und Herren, Sie wissen ja, der Zeitdruck ist in den Pflegeeinrichtungen oft sehr groß. Es geht um Maßnahmen gegen die Arbeits­verdichtung, es geht aber auch um faire Entlohnung und es geht schlussendlich um lebbare Arbeitszeitmodelle, das heißt längere Freizeitblöcke, weil Pflege ja keine einfache Tätigkeit ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Und es geht um den Ausbau der Ausbildungen für Gesundheits- und Sozialberufe. Etwas, was mir auch besonders wichtig ist, ist natürlich auch ein Thema der Arbeits­marktpolitik: Es geht um mehr Fachkräftestipendien, es geht um Selbsterhalter­stipen­dien auch für Menschen im Alter von über 35 Jahren, weil es nicht nur ein Thema ist, junge Menschen für die Pflege zu begeistern, sondern vor allen Dingen auch ältere Arbeitskräfte. Und, was ganz wichtig ist: Es geht auch um die Entwicklung einer be­darfsgerechten Personalberechnung für die Langzeitpflege.

Meine Damen und Herren! In der Schlussrunde möchte ich auch noch auf die Organi­sation und zielgerechte Steuerung des Langzeitpflegesystems eingehen. Das heißt, wenn man den Pflegefonds zu einem fixen Pflegegarantiefonds ausbaut, alle öffent­lichen Gelder in einem Fonds bündelt, kann eine gemeinsame Steuerung und Finan­zierung ohne sofortige Neuordnung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen der Gebietskörperschaften ermöglicht werden.

Es geht vor allen Dingen auch – es geht ja natürlich immer um die Praxis – um die Entwicklung eines Mechanismus, der die unbürokratische Verlegung des Wohnortes von Menschen mit Pflegebedarf in ein anderes Bundesland ermöglicht, denn ich glaube, daran scheitert es, und diesbezüglich sind wir als Länderkammer, denke ich, doch auch aufgerufen, für eine Initialzündung zu sorgen.

Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Die ausreichende Dotierung des Pflegegeldes ist natürlich eine ganz, ganz wichtige Maßnahme. Ich denke aber auch, wir alle sind uns darin einig, dass wir das System ganzheitlich betrachten müssen. Daher sind die vorher genannten Maßnahmen und Aspekte genauso wichtig und genauso zu berück­sichtigen wie das Pflegegeld. Die Finanzierung ist natürlich insgesamt ein Thema. Ich denke, das sind wichtige Mosaiksteine, aber entscheidend ist doch das Gesamtbild, das sich da ergibt, und an diesem Gesamtbild müssen wir arbeiten. Wir müssen an dieser Reform des Pflegesystems in Österreich arbeiten, um diesbezüglich eine Ge­samtstruktur zu ermöglichen, weil es eben ein sehr komplexes Thema ist.

Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Gehen wir es gemeinsam an! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

16.19