Ansprache des Präsidenten anlässlich 900. Sitzung des Bundesrates

Präsident Robert Seeber: 900 Sitzungen – die heutige mitgezählt – hat der Bundesrat seit 1945 abgehalten, 900 Sitzungen im Verlauf der 27 054 Tage, die seit dem 19. De­zember 1945 vergangen sind.

Der 19. Dezember 1945 ist ein Datum, welches sich unauslöschlich in die Geschichte der Republik Österreich eingeschrieben hat: Am Vormittag ist der Nationalrat, am Nach­mittag der Bundesrat zu seiner ersten Sitzung in der Zweiten Republik zusammen­ge­treten. Der Beschluss des Bundesrates, gegen den Beschluss des Nationalrates be­treffend das Verfassungs-Übergangsgesetz 1945 keinen Einspruch zu erheben, war als Voraussetzung für dessen unverzügliches Inkrafttreten gedacht. Damit ist die Republik Österreich wieder auf den verfassungsrechtlichen Boden des Bundes-Verfassungs­gesetzes 1920 in der Fassung von 1929 zurückgekehrt.

Wie sehr, meine Damen und Herren, hat sich Österreich in diesen 27 054 Tagen be­ziehungsweise fast 75 Jahren verändert? – Aus einem vom Krieg zerstörten Land ist ein blühendes, wirtschaftlich erfolgreiches Land geworden. Aus einem von den vier alliierten Mächten besetzten und in der Welt isolierten Staat ist ein freies Mitglied der Europäischen Union geworden. Österreich hat damit heute teil an der europäischen Integration, die als Antwort Europas auf den selbstzerstörerischen Nationalismus gesehen werden muss, welcher zwei Weltkriege ausgelöst hat.

Wie sehr aber hat sich auch der Bundesrat der Republik Österreich im gleichen Zeit­raum verändert? – Ich nehme damit nicht nur Bezug auf die Erweiterung seiner Befug­nisse insbesondere durch die Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes 1984, welche dem Bundesrat wichtige Zustimmungsrechte, wie sie auch beim heute zu be­schließen­den Ölkesseleinbauverbotsgesetz zum Tragen kommen, eingeräumt hat. Ich beziehe mich vor allem auf die Veränderung im Selbstverständnis des Bundesrates, der sich über seine Funktion als Länderkammer hinaus immer mehr als Europakammer ver­steht. Damit stellt sich der Bundesrat bewusst den Herausforderungen, welche die europäische Integration an die nationalen Parlamente richtet, und er macht syste­matisch Gebrauch sowohl von den ihm durch die Novelle des Bundes-Verfassungs­gesetzes 1984 eingeräumten Kompetenzen als auch von jenen Rechten, welche die nationalen Parlamente mit dem Vertrag von Lissabon erhalten haben.

Der Bundesrat bezieht somit Position sowohl zur jeweiligen österreichischen Haltung zu Vorhaben im Rahmen der EU als auch zu den Rechtsaktentwürfen der Kommission in der frühen Phase der Entwicklung solcher Vorhaben. Weil gerade dies nur in einer mit anderen nationalen Parlamenten akkordierten Vorgehensweise Erfolg versprechend ist, pflegt der Bundesrat auch regelmäßig seine Kontakte mit anderen Parlamenten, insbesondere natürlich mit jenen, die ein Zweikammersystem haben.

Der Bundesrat schlägt somit eine Brücke zwischen jener angestrebten Bürgernähe der Politik, die auch im Konzept eines Europa der Regionen Ausdruck findet, einerseits und den großen politischen Herausforderungen unserer Zeit andererseits, denen nur auf einer übernationalen, europäischen Ebene begegnet werden kann.

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Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Bundesregierung, das war jetzt noch nicht meine Antrittsrede, denn diese werde ich wie ursprünglich vorgesehen am 13. Februar im Zusammenhang mit der Erklärung des Herrn Landeshauptmannes von Oberösterreich halten. – So viel zur Klarstellung.