11.00

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Als ich Kollegen Schilchegger bei seiner Rede zugehört habe, hatte ich zwei Déjà-vu-Erlebnisse:

Erstens habe ich mich an die ganze Debatte über den Vertrag von Lissabon und das Argument, dass Österreich zu existieren aufhören würde, sollte es den Lissabonvertrag ratifizieren, Anfang der 2000er-Jahre erinnert. In Wirklichkeit hat er die EU demokrati­scher gemacht, mehr auf eine Verfassung gestellt als vorher und letztlich durch die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EU-Ausschuss die größte Reform des Bundesrates nach sich gezogen, womit der Bundesrat in EU-Angelegen­heiten dem Nationalrat gleichgestellt ist. Noch nie hatten wir so eine Reform!

Zweitens: Herr Kollege Schilchegger, manchmal predigt man Wasser und trinkt heim­lich Wein. Ich muss einmal ganz kurz aus einer Laune der Natur heraus die Türkisen in Schutz nehmen (Ruf bei der ÖVP: Das war noch nie ...!), denn Ihre direktdemo­kra­tischen Möglichkeiten hatten Sie vor Kurzem in der Regierung, was Sie aber geflis­sentlich negiert haben. Ich erinnere nur an die fast eine Million Unterschriften des Don’t-smoke-Volksbegehrens. Wenn Sie in der Regierung sind, vergessen Sie das, was Sie fordern; kaum sind Sie wieder in der Opposition, sind Sie die Helden der direkten Demokratie. Das heißt, Wasser predigen und Wein trinken. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Dann nimm dich einmal bei der eigenen Nase!) – Ja, ja, das tue ich sowieso und jeden Tag, liebe Frau Mühlwerth! (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, aber heute so und morgen so, das könnt ihr auch ganz gut!) Das wäre eigentlich das Prinzip von jedem, der in der Politik ist: sich in den Spiegel zu schauen und sich einmal bei der Nase zu nehmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Im Moment vielleicht nicht an der Nase, sondern an den Ohren!) Das sollten wir im Sinne der Reflexion immer tun.

Nun kommen wir zur Europäischen Bürgerinitiative, die ein Produkt und ein Konstrukt des Vertrags von Lissabon ist. Der kleine Unterschied und das Missverständnis basiert auf dem Namen, denn die Europäische Bürgerinitiative ist ein Zwitterwesen: Es ist mehr eine Petition als ein Volksbegehren, wie wir es zum Beispiel in Österreich ken­nen. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Schönheitsfehler: Der, den wir heute be­seitigen, betrifft die Partizipation, der andere Schönheitsfehler liegt aber auf der anderen Seite, nämlich dass eine Bürgerinitiative registriert werden muss.

Ein Drittel aller Versuche, eine Bürgerinitiative durchzuführen, wurde von der Kom­mission, also von der Regierung, abgelehnt. Jetzt stellen wir uns das einmal bildlich vor: Die FPÖ plant wieder einmal ein Volksbegehren und geht zur Regierung und fragt: Dürfen wir das Volksbegehren machen? – Jede kluge Regierung wird wahrscheinlich sagen: Nein, nein, das brauchen wir jetzt wirklich nicht!, oder so ähnlich. – So schaut das aus!

Da brauchen wir ein viel höheres direktdemokratisches beziehungsweise demokra­tisches Verständnis im Rahmen der EU-Kommission, weil sich nämlich schon Folgen­des gezeigt hat: Nehmen wir die drei besten Europäischen Bürgerinitiativen: Eine hat über drei Millionen Unterschriften gebracht – Sie werden dafür unterschrieben haben, wir haben auch unterschrieben –, das war die gegen TTIP und Ceta. Und was ist herausgekommen? – Die Kommission hat es nicht zugelassen. Damit ging aber die Bürgerinitiative zum Europäischen Gerichtshof, und der Europäische Gerichtshof hat die rechtliche Position der Kommission für nichtig erklärt. Das heißt, in dem Moment hätte die Kommission eigentlich nachdenken und sich denken müssen: Hallo, guten Morgen! Wir haben ein Problem mit der Demokratie!

Nehmen wir das zweitbeste Ergebnis her! Was ich ja sensationell finde, ist, dass die Initiative betreffend Stammzellenforschung in Europa 1 720 000 Unterschriften bekom­men hat. Da war die Kommission klug, hat das angenommen und arbeitet daran.

Jetzt kommen wir aber zu etwas, was auch wir hier im Bundesrat ganz stark the­matisiert haben, das ist die Right-to-Water-Initiative beziehungsweise die sogenannte Trinkwasserinitiative. Und jetzt kommt es: 1,7 Millionen Menschen, darunter ganz viele aus Österreich, haben sie unterschrieben. Was hat die Kommission dann gemacht? – Sie hat sich für nicht zuständig erklärt – sie sei nicht zuständig für das Trinkwasser –; gleichzeitig hat man aber – Sie erinnern sich alle – durch die Wettbewerbsrichtlinie und die Konzessionsrichtlinie versucht, die Gemeinden zu zwingen, das Trinkwasser zu privatisieren. Ist man jetzt also zuständig oder ist man nicht zuständig?

Da kommt manchmal die Realpolitik herein, weil die 1,7 Millionen Unterschriften beim Trinkwasser Highspeedunterschriften waren: So schnell kam man innerhalb der EU noch nie auf eine solche Anzahl von Unterschriften. Das hat dann die Kommission dazu bewegt, sie zwar nicht zu akzeptieren, aber das Signal zu verstehen. Das Signal zu verstehen heißt in dem Fall, dass man den Druck auf die Städte und Gemeinden, das Trinkwasser künftig zu privatisieren, privaten Anbietern zu überlassen, zurückge­zogen hat – genauer gesagt betrifft das die Wettbewerbs- und die Konzessionsricht­linie.

So schaut es aus bei den Erfolgreichen. Ein Drittel wurden nicht zugelassen, ein weiteres Drittel wurde vorzeitig abgebrochen oder hat am Ende die notwendige Zahl an Unterschriften nicht erreicht.

Was Frau Kollegin Grossmann gesagt hat, ist völlig richtig: Es fällt ein ganz großer Mitgliedstaat aus. Wir machen jetzt eine Reform, eine Erleichterung, aber die Hürde von einer Million Unterschriften muss heruntergesetzt werden. Das muss in Richtung 900 000 gehen, wenn man die Bevölkerungszahl von Großbritannien in Betracht zieht.

Lässt man seinen Blick ein bisschen über die 70 Initiativen schweifen, fällt einem auf, dass da sehr vieles im Bereich des Sozialen angesiedelt ist. Übrigens, nur so neben­bei, aber für Österreich interessant: Wissen Sie, welche Bürgerinitiative als erste von der Kommission als nicht zulässig zurückgewiesen wurde? – Das war die Bürger­initiative gegen die Nutzung der Atomenergie in Europa. Es ist meiner Meinung nach bedenklich, dass man das zurückwirft. Möglicherweise sollte man bei diesen Dingen auch mehr das Europäische Parlament befassen.

Da gibt es ein ganzes Kapitel. Ich schaue Silvester (der Redner blickt in Richtung Bun­desrat Gfrerer) an: Alles, was mit Tierschutz, Tierqual und so weiter und Artenvielfalt zu tun hat, ist ein ganz wichtiger Bereich, aber auch der Sozialbereich ist ein ganz wichtiger Bereich. Dazu gehören zum Beispiel auch Forderungen wie jene nach einem – wie soll ich das sagen? – Grundeinkommen, nach Inklusion von Menschen mit Behinderung, nach Teilhabe von Kindern und Erwachsenen an der Bildung und so weiter, nach Minderheitenschutz, nach der europäischen Staatsbürgerschaft bis hin zu Forderungen nach Medienpluralismus, nach Beendigung von Scheinfirmen in Europa – also ganz interessante Sachen.

Bei solch einer Debatte sollte man vielleicht auch anmerken, dass es derzeit möglich ist, für acht Bürgerinitiativen zu unterschreiben – acht sind offen. Dazu zählen – im Bereich des Artenschutzes – „Rettet die Bienen! Schutz der Artenvielfalt [...]“, aber auch Anliegen wie das Ende der Steuerfreiheit für Flugkerosin, die Einführung eines Mindesteinkommens, die inklusive Bildung für Kinder und Menschen mit Behinderung, der soziale Wohnbau – „Housing for All“ –, „Klimawandel [...] stoppen“ und eine Kohä­sionspolitik, die eine Gleichstellung der Regionen nach sich zieht.

Das ist alles offen. Vielleicht hören uns einige Menschen zu, vielleicht wollen auch die Kollegen und Kolleginnen das weitervermitteln: Da wäre es heute noch möglich, sich zu beteiligen, und es wäre wichtig, das zu tun!

In diesem Sinne: Wir stimmen diesen Veränderungen gerne zu, hoffen aber auch, dass die erforderliche Mindestzahl von einer Million aufgrund des – leider! – erfolgten Aus­tritts des Vereinigten Königreiches herabgesetzt wird. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.11

Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bun­desministerin Karoline Edtstadler, die ich auch recht herzlich bei uns begrüße. – Bitte.