16.07

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Die Dringlichkeit dieser Anfrage erklärt sich mehr als deutlich aus der derzeit unglaublich dramatischen Situation am Arbeitsmarkt, die höchste Arbeitslosigkeit seit 1946, fast 600 000 Menschen ohne Arbeit bedingt durch die Coronakrise. Eine Zeitung titelt heute: „Hiobsbotschaft vom AMS“, das heißt, eine Unglücksbotschaft und eine Botschaft, die gehört werden muss und die die Regierung auffordert, zu handeln.

Diese Krise führte im März zu einem massiven Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen. Allein am 15. März und am darauffolgenden Montag, dem Tag, an dem der Shutdown in Kraft trat, wurden bereits mehr als 35 000 Arbeitsverhältnisse beendet. Als den wesentlichen Rettungsschritt für viele Arbeitsplätze stellten die Sozialpartner das Modell der Coronakurzarbeit in wenigen Stunden auf die Beine, ein sehr erfolgreiches Modell, das bisher 1,25 Millionen Menschen den Arbeitsplatz erhalten hat. Es gibt aber keine Garantie, nein, dass es nicht trotzdem zu einer weiteren Kündigungswelle kommt. Da braucht es einen Plan, wie Existenzen gesichert werden können. Die Men­schen brauchen einen Job, von dem sie leben können, und die fast 600 000 Ar­beits­losen brauchen weitere Unterstützung.

Frau Bundesministerin, erhöhen Sie bitte das Arbeitslosengeld! Das ist ein Gebot der Stunde. Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent der Nettoersatzrate muss endlich umgesetzt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht um die Absicherung für die vielen unverschuldet in Arbeitslosigkeit gekom­menen Menschen – es sind immer Einzelschicksale. Sie müssen ihre Miete zahlen, die laufenden Haushaltskosten stehen an und das Essen muss gekauft werden. Viele Kinder sind da ebenso mitbetroffen. Besonders Kinderarmut muss verhindert und bekämpft werden.

Wir wollen mittels dieser Dringlichen Anfrage genau erfahren, wie die tagesaktuellen Zahlen zur Arbeitsmarksituation aussehen, zum Beispiel: Wie viele Frauen und Männer sind betroffen?, denn gerade Frauen leisten jetzt, in der Krise, Enormes zur Sicherung der Gesellschaft. Frauen arbeiten in der ersten Reihe, um den Handel, die Bankfilialen, die Produktion, das Gesundheitssystem, alles am Laufen zu halten. Frauen arbeiten im Homeoffice, noch dazu leisten sie die Kinderbetreuung und lernen mit den Schul­kin­dern.

Die Wirtschaft fährt wieder hoch, und viele Eltern – und besonders Frauen – wissen nicht, wie sie Kinderbetreuung und Job jetzt unter einen Hut bekommen. Wir Sozial­demokratinnen und Sozialdemokraten haben uns vehement für eine Verbesserung bei der Sonderbetreuungszeit eingesetzt, aber das hat die Regierung leider nicht um­gesetzt: kein Rechtsanspruch, keine Übernahme des Einkommens der betroffenen Eltern durch den Bund. – So macht man Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern das Leben in der Krise noch schwerer.

Wir wollen nicht, dass Frauen durch die Krise vom Arbeitsmarkt gedrängt werden. Das veraltete Rollenbild der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts ist nicht das Frauen­bild der Sozialdemokratie. (Beifall bei der SPÖ.)

Frauen haben ein Recht auf ein eigenständiges Leben und ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, wie sie es gestalten wollen. Finanzielle Unabhängigkeit ist eines der we­sentlichen Präventionsmittel gegen häusliche Gewalt, daher auch die Forderung, wie­der 50 Prozent der AMS-Mittel für Frauen zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht die Arbeitsmarktsituation für junge Menschen jetzt und dann nach der Krise aus? Können sie ihre Lehrausbildung beenden, oder haben sie ihre Lehrstelle vielleicht schon verloren? Wie wird es im Herbst mit den Ausbildungsplätzen ausschauen? Es geht um die Zukunftschancen für junge Menschen. Es geht um ihre dringend notwen­digen Arbeitsplätze, damit sie sich eine Existenz aufbauen können.

Die Zukunft der Facharbeit steht da genauso im Fokus. Wollen die Unternehmen näm­lich auch in Zukunft erfolgreich sein, brauchen sie gut ausgebildete Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Dass diese Facharbeiterinnen und Facharbeiter zur Verfügung ste­hen, muss garantiert werden. Das heißt, es wird ab September ein verstärktes Angebot im Rahmen der überbetrieblichen Lehrausbildung geben müssen.

Eine weitere Gruppe liegt uns am Herzen: die älteren ArbeitnehmerInnen. Sie waren schon vor der Krise jene, deren Anteil an den Langzeitarbeitslosen am höchsten war. Wie wirkt sich jetzt die Krise auf sie aus? – Bei einer derart angespannten Arbeits­marktlage wird es für ältere Arbeitslose noch schwieriger werden, wieder Arbeit zu finden. Daher braucht es dringend eine Wiederaufnahme der Aktion 20 000, und das in einem wesentlich größeren Umfang. Perspektiven auch für ältere ArbeitnehmerInnen und ein Ankämpfen gegen die Gefahr der Altersarmut – dafür stehen wir. Wir Sozial­demokratinnen und Sozialdemokraten lassen niemanden zurück.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine weitere Bemerkung: Es ist schon be­stürzend, wenn eine der renommiertesten Traditionskonditoreien zwar MitarbeiterInnen in Kurzarbeit schickt, sich aber gleichzeitig von langjährigen MitarbeiterInnen verab­schiedet und sie zur Kündigung anmeldet. So geht man mit bewährten Kräften sicher nicht um. (Beifall bei der SPÖ.)

Niemanden vergessen – das ist uns wichtig! Auch die Arbeitsmarktsituation für Men­schen mit Behinderung ist noch schwieriger geworden. Für sie braucht es Arbeits­markt­förderungsprogramme, um ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt verstärkt zu ermöglichen.

Ich darf von ganzem Herzen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des AMS Danke sagen. Sie leisten jetzt wirklich mit unglaublichem Einsatz großartige Arbeit. Da stellen wir die Frage: Wann wird endlich die Zusage der Regierung betreffend 500 zusätzliche Planstellen für das AMS umgesetzt? – Dazu gibt es Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates. Wie werden die AMS-MitarbeiterInnen für ihre große Leistung belohnt?

Apropos Belohnung: Es wurde für die Heldinnen und Helden der Arbeit geklatscht und ihnen mit blumigen Worten gedankt. Jetzt ist es an der Zeit, dass sie ihre finanzielle Anerkennung erhalten. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Der Österreichische Gewerkschaftsbund fordert den Coronatausender für genau diese ArbeitnehmerInnen, die uns geholfen haben, unsere Versorgung sicherzustellen. Inner­halb von wenigen Tagen haben 126 000 Menschen die Petition des ÖGB dafür unter­stützt. Die Regierung wird aufgerufen, nun die finanzielle Anerkennung unserer Heldin­nen und Helden wirklich umzusetzen. Sie haben es sich verdient.

Es gibt 600 000 Arbeitslose und 1,25 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Wir wissen noch nicht genau, wie sich die Arbeitsmarktlage weiter entwickeln wird, aber wir blicken mit großer Besorgnis in den Herbst. Wie viele Klein- und Mittelbetriebe werden die Krise überstehen? – Es gilt, alles zu tun, um ihnen und damit auch den Arbeitsplätzen, die sie bereitstellen, ein Überleben zu ermöglichen.

Frau Bundesministerin, die Zahlen sind nicht tatenlos zur Kenntnis zu nehmen, werden Sie bitte aktiv! Die Betroffenen warten schon dringend auf Antworten und Perspektiven. Familien stehen vor den Scherben dessen, was sie sich mühsam aufgebaut haben. Es braucht Konjunkturpakete mit der Zielrichtung, Arbeitsplätze zu schaffen. Was es nicht braucht, sind Sparpakete, denn es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Kosten dieser Krise tragen müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die öffentliche Hand und ihre Investitionen sind gefragt. Es braucht einen Ausbau der Infrastruktur, besonders auch im ländlichen Raum. Die Gemeindefinanzen müssen ge­sichert werden, damit besonders auf regionaler Ebene auch die Möglichkeit besteht, den jetzt so wichtigen Unterstützungsleistungen in den Regionen wie zum Beispiel dem Ausbau der Kinderbetreuung Anschub zu geben.

Die Gemeinden stehen finanziell durch die Einnahmenausfälle unter unglaublichem Druck. Sie brauchen dringend das Geld vom Bund. Es darf nicht sein, dass man in Gemeinden MitarbeiterInnen kündigen muss, weil das Geld fehlt. Die Menschen in den Gemeinden brauchen die bestmögliche öffentliche Versorgung. Mir ist es ganz ehrlich unerklärlich, wie ÖVP und Grüne bei der letzten Sitzung gegen unseren Antrag zur Absicherung der Gemeindefinanzen stimmen konnten. Das ist unerklärlich für eine Föderalismuspartei und eine Partei, die sich die Stärkung der regionalen Strukturen auf die Fahnen geschrieben hat. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Jetzt gilt es, umgehend Konjunkturpakete auf die Beine zu stellen, die Arbeitsplätze schaffen, immer auch mit der Vorgabe und dem Blick darauf, die Klimaziele noch rascher zu erreichen. Große Arbeitsmarktpakete müssen umgesetzt werden, um Hoff­nung auf den Aufbruch zu schaffen und für die Wirtschaft und die ArbeitnehmerInnen eine Gegenantwort auf das erwartete Stimmungstief zu geben.

Wann gehen die AMS-Schulungsmaßnahmen wieder in vollem Umfang los? Wie schaut es mit Bildungskarenz und Fachkräftestipendium aus? Warum verabschiedet sich das AMS nicht endgültig vom System des Algorithmus, sondern setzt ihn nur aus? Pamas ist kein Instrument, das für die Bewältigung einer Krise geeignet ist.

Wird es eine Joboffensive des AMS für den Bereich Pflege geben, einen Bereich, dessen Bedeutung – wir haben es ja heute schon gehört – gerade jetzt noch deutlicher hervortritt?

Welche Qualifizierungsmaßnahmen werden geboten, um die Menschen gut zu unter­stützen, damit sie bereit sind, mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzu­gehen? Die Krise hat – das steht außer Zweifel – einen Turbo in der Frage des digitalen Wandels gezündet. Davon, dass Homeoffice künftig noch breiter als Arbeits­form genützt werden wird, ist auszugehen, aber wie wird es, auch im Interesse der ArbeitnehmerInnen, geregelt?

Aus der Krise lernen wir. Die digitale Infrastruktur muss in ganz Österreich verbessert werden. Arbeitsplätze sind zu schaffen, koste es, was es wolle! Arbeitsmarkt­program­me sind jetzt aufzusetzen, um einer neuen Welle der Arbeitslosigkeit begegnen zu können!

Es wird sich auch die Verteilungsfrage noch stärker als bisher stellen. Die Frage, wie Millionäre und Millionärinnen ihren Beitrag leisten können, gilt es nicht beiseite­zu­schieben, sondern offen anzugehen, denn starke Schultern müssen mehr tragen und können auch mehr tragen, besonders in der Krise. Ich war schon sehr erstaunt über das Interview mit Vizekanzler Kogler, der in dieser Frage einen großen Rückzieher gemacht hat, sicher zur Freude der ÖVP.

Auch die Frage der Verteilung von Arbeit stellt sich. Arbeitszeitverkürzung ist da eine der notwendigsten Antworten. Wir wollen nicht, dass die Kluft zwischen jenen, die Arbeit haben und rund um die Uhr arbeiten, und jenen, die keine Chance auf Arbeit haben, durch die Coronakrise noch weiter aufgeht. Arbeit und Existenzsicherung für alle! Wir lassen niemanden zurück.

Frau Bundesministerin, bitte helfen Sie den schwangeren Frauen! Ermöglichen Sie ihnen den Weg in den vorzeitigen Mutterschutz – auch das haben wir heute schon angesprochen –, nämlich genau dann, wenn sie keine Chance haben, von zu Hause aus zu arbeiten. Wir wissen über das Virus zu wenig, und wir wissen nicht, wie sich das Virus auf die Schwangere und auf ihre Kinder auswirkt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Anfragen und Bitten der Frauen wir erhalten haben, uns hierfür einzusetzen. Es ist schon viel Zeit verstrichen, und es wäre extrem notwendig, das im Interesse der betroffenen Frauen zu regeln.

Um Menschen wieder in Arbeit zu bringen oder ihren Arbeitsplatz zu sichern und damit einen Absturz in die Armut zu verhindern, braucht es sofort starke, klare und trans­parente Konzepte. Nicht mehr abwarten, nicht die Zahlen beobachten, sondern han­deln! Es braucht eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die den Menschen Perspek­tiven gibt.

Frau Bundesministerin, bitte handeln Sie! Jeder Tag, der ohne zukunftsgerichtete Ant­worten für die ArbeitnehmerInnen und die arbeitslosen Menschen verstreicht, ist ein verlorener Tag. Die Tür zur Unterstützung muss jetzt weit offen stehen und allen den Zugang zu einem guten Leben ermöglichen. Dafür stehen wir. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

16.19

Vizepräsident Michael Wanner: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat sich Frau Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Christine Aschbacher zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr.