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Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht noch einmal eine Erklärung, worum es geht: Der Nationalfonds, der beim Nationalrat angesiedelt ist, wird einen Preis vergeben, der nach Simon Wiesenthal benannt wird. Es wird einen Hauptpreis im Wert von 15 000 Euro und zwei zusätzliche Preise im Wert von jeweils 7 500 Euro geben. Die Preise sollen an zivilgesellschaftliche Projekte gehen, sollen für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über die Schoah verliehen werden. Das ist begrüßenswert und das müssen wir unterstützen.

In einem hat Frau Kollegin Mühlwerth ja durchaus recht: Der Antisemitismus hat sehr viele Gesichter. – Manchmal zeigt er sich feindselig und offen, manchmal zeigt er sich durchaus versteckt und ist nur schwer identifizierbar, aber er ist vorhanden. Umso wichtiger ist es, dass wir Projekte, die darüber aufklären, unterstützen. Dieser Preis wird ganz vehement dazu beitragen.

Ich möchte diese Gesichter des Antisemitismus hier überhaupt nicht verstecken, weil manches, was heute gesagt wurde, ja auch stimmt. Eines der wichtigsten Gesichter, meine Vorrednerin hat es auch schon gesagt, ist eindeutig die völkisch-rassistische Fratze des Antisemitismus, weswegen die meisten Übergriffe, Überfälle – und ja, auch die Zerstörung der Bilder vor dem Heldenplatz und dergleichen – aus dieser Ecke kommen. Wir kennen die Liederbücher der Burschenschaften, wir kennen diese häss­liche Fratze des Antisemitismus, eine der Ideologien des Antisemitismus. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ein Generalverdacht, der jeder Grundlage entbehrt! Es hat jüdische Burschenschaften gegeben, du Ignorant!)

Historisch gesehen gibt es natürlich auch einen religiösen Antisemitismus (Bundesrätin Mühlwerth: Aber Burschenschaft ist gleich rechtsextrem, weil es den Herrschaften so passt!), den gab es schon im Mittelalter. Sehen Sie sich zum Beispiel die Kathedrale von Straßburg an: Am Portal am Eingang werden Ecclesia und Synagoge dargestellt; die Synagoge mit verbundenen Augen und einer gebrochenen Lanze und daneben die triumphierende Ecclesia. Wir können natürlich erfreulicherweise sagen, dass es da auch eine historische Auseinandersetzung gab und mittlerweile eindeutige Worte gegen diesen frühen Antisemitismus von kirchlicher Seite gefunden wurden.

Es gibt diesen religiösen Antisemitismus nicht im gesamten Islam, sondern in manchen Denkschulen des Islam. (Bundesrat Steiner: Ich speibe gleich!) Das ist natürlich ein Problem, mit dem wir konfrontiert sind und mit dem umzugehen wir zu lernen haben.

Wenn am Al-Kuds-Tag in Wien die Vernichtung Israels gefeiert oder der Wunsch nach der Vernichtung Israels demonstriert wird oder wenn in der Charta der Hamas nicht steht, Israel zu vernichten, sondern: Es ist die heilige Pflicht jedes Muslimen, den Juden, der sich hinter dem Busch versteckt, zu töten!, dann ist das Antisemitismus. Wenn in den Straßen vieler arabischer Länder, aber nicht nur, das antisemitische Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – das übrigens in Russland erfunden wurde – verkauft wird, dann sind wir immer noch in einer antisemitischen Tradition, die wir abzulehnen haben.

So mancher versteckter Antisemitismus ist auch in der sogenannten Israelkritik zu finden. Wenn einseitig verurteilt wird oder wenn man grundsätzliche Dinge an Israel kritisiert, das aber bei anderen Ländern nicht macht, dann muss man auch in diesem Fall von Antisemitismus sprechen. Dazu gibt es den berühmten 3-D-Test: Delegitimie­rung, Dämonisierung und Doppelstandards. Es ist unsere Aufgabe, darauf zu achten und da zu mahnen. Der Staat Israel existiert im Übrigen ja auch, weil es den Holocaust gab, weil es diesen Staat brauchte, der Schutz versprach.

Zuletzt noch der Hinweis, dass auch so manche Kritik am Kapitalismus antisemitisch formuliert wird, wenn zum Beispiel anstelle von Systemkritik plötzlich jüdische Namen stehen. Auch diesen Antisemitismus gibt es und auch der ist abzulehnen.

Neben all dieser Geschichten des Antisemitismus gibt es eine jüdische Gemeinde, die bei uns lebt, deren Mitglieder unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sind. Es ist die vierte jüdische Gemeinde, die bei uns lebt. Allein der Begriff vierte jüdische Gemeinde sagt uns ja schon, dass es Gemeinden gab, die ausgelöscht oder verjagt worden sind.

Als Wiener Mandatar muss ich hier auch an die Wiener Geschichte des Antisemitismus erinnern. Der erste Jude, den wir in Wien kannten, lebte im 12. Jahrhundert. Vermutlich gab es schon viel früher Juden in Wien, aber das ist der erste, den wir namentlich kennen. Es war ein gewisser Schlomo, und er war der Münzmeister der Babenberger, die damals noch gar nicht Babenberger hießen, sondern Popponen.

Sie können am Judenplatz in Wien, wenn sie die Dependance des Jüdischen Museums besuchen, unterirdisch die alte Synagoge sehen, die unterhalb des Schoahdenkmals zu finden ist, und Einblicke in das Leben dieser ersten jüdischen Gemeinde, dieser mittel­alterlichen jüdischen Gemeinde, bekommen. 1421 wurde diese Gemeinde aus Wien verjagt – die meisten Juden und Jüdinnen wurden verbrannt, auch in der Synagoge. Wenn Sie einmal beim Schoahdenkmal am Judenplatz stehen und gegenüber auf das schöne Jordanhaus schauen – ein schönes gotisches Haus –, dann achten Sie auf eine Tafel mit einer Darstellung der Taufe Jesu. Darunter steht in gotischen Lettern aus dem 15. Jahrhundert: Wir haben mit Feuer die Hebräerhunde vernichtet. – Das ist eine Geschichte des Antisemitismus, die in Wien zu finden ist.

Die zweite jüdische Gemeinde, die bis 1670 in Wien gelebt hat und von einem Habs­burger namens Leopold verjagt worden ist, lebte auf der Mazzesinsel – damals mäan­derte die Donau ja noch ganz anders durch Wien und im heutigen 2. und 9. Bezirk war die Mazzesinsel, wo die meisten Juden lebten. Auch sie wurden vertrieben.

Und dann, nach und nach – vor allem dank Joseph II. und seinem Toleranzpatent –, hat sich langsam eine dritte jüdische Gemeinde gefunden. Deren Spuren können Sie zum Beispiel am jüdischen Friedhof in Währing sehen. Dort engagiere ich mich nun schon seit 2006 intensiv, führe dort auch und habe sehr viel Engagement an den Tag gelegt. Die Spuren des Lebens dieser Gemeinde können Sie dort sehr gut sehen. Diese Ge­meinde hat zum allerersten Mal die Bürgerrechte in Österreich bekommen, mit dem Staatsgrundgesetz 1867. Diese dritte jüdische Gemeinde, diese reiche jüdische Gemeinde, die uns im Fin de Siècle so viel Kultur gegeben hat, die uns so viel geschenkt hat, wurde 1938 im Holocaust vernichtet. Nur wenige Überlebende und einige, die zugewandert sind – auch aufgrund von antisemitischen Akten, insbesondere aus der Sowjetunion –, machen die vierte jüdische Gemeinde aus, deren Mitglieder heute bei uns leben und Österreicherinnen und Österreicher sind, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Es ist unsere Pflicht, da ein Signal zu senden. Es ist unsere Pflicht, daran zu erinnern, was damals geschehen ist. Es ist unsere Pflicht, auch den Mann zu ehren, der wie kein anderer für Gerechtigkeit gesorgt hat, Österreicher und Jude war, nämlich Simon Wiesenthal.

Ich möchte mich bei Hannah Lessing und dem gesamten Nationalfonds herzlich für ihre Arbeit bedanken. Ich möchte mich bei Nationalratspräsident Sobotka dafür bedanken, dass er diesen Preis initiiert hat. Wir vom Bundesrat sollten das mittragen, und wer gegen diesen Preis stimmt: Ich kann es nicht anders interpretieren, als dass er es sich mit Antisemiten nicht verscherzen will. (Heiterkeit der Bundesrätin Mühlwerth.) – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP. Bundesrat Rösch: Das war richtig dumm! – Bundesrätin Mühlwerth: Das musste ja sein!)

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