19.56

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An einem Tag wie heute, an dem wir alle in Gedanken noch bei diesem entsetzlichen Terroranschlag vom Montag sind, ist es fast ein bisschen eigenartig bis ironisch, den Sicherheitsbericht von 2018 zu diskutieren, aber so ist eben unsere Tagesordnung.

Der Bericht gibt uns Gelegenheit, einen analytischen Blick auf unser Sicherheitswesen zu werfen, aber natürlich auch Schlussfolgerungen für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Der Bericht zeichnet, ja, ein durchwachsenes Bild; es gibt auch durchaus positive Aspekte, aber es lohnt sich schon, genauer hinzusehen. Ja, die Anzeigen und Verurteilungen sind zurückgegangen, vor allem die Einbruchsdiebstähle, Kfz-Diebstähle, Ladendiebstähle sind rückläufig. Großteils ist das aber auch den besseren Sicherungs­systemen geschuldet, natürlich auch der Vorsicht, vielleicht der gestiegenen Vorsicht der Bevölkerung. Da dürften auch Präventionsprogramme gegriffen haben. Es sind auch Verkehrsunfälle mit schweren Verletzungen erfreulicherweise etwas zurückgegangen.

Stark gestiegen aber ist die Internetkriminalität. Überhaupt ist sichtbar, dass sich die Kriminalität zunehmend ins Netz verlagert. Da sieht man schon, dass die rechtliche Entwicklung der technologischen oft hinterherhinkt und nicht Schritt hält. Die Verfolgung von Hass im Netz, ja auch von Verhetzung – das ist ja oft der Nährboden für Radikalisie­rung und eben für unerwünschte Tendenzen in der Gesellschaft – muss intensiver durch­geführt werden. Da ändert sich zwar langsam der Rechtsrahmen, aber es braucht natür­lich auch ausreichend qualifiziertes Personal, um den Anzeigen tatsächlich nachzuge­hen und um die Daten auch effektiv zu verfolgen.

Im Berichtszeitraum wurden 21 300 Gewaltstraftaten angezeigt, und da ist schon bemer­kenswert, dass beim Großteil der Taten ein Naheverhältnis zwischen Opfer und Täter bestand, oft sogar eine Haushaltsgemeinschaft. Negativer Höhepunkt sind 41 Morde an Frauen und 32 an Männern, das muss uns natürlich aufrütteln. Es gab auch 14,6 Prozent mehr Anzeigen wegen Vergewaltigungen. Das alles zeigt uns, dass der gefährlichste Ort vor allem für Frauen immer noch das eigene persönliche Umfeld ist. Der gefährlichste Ort, und das ist besonders dramatisch für Frauen, ist die eigene Familie. Das wird immer noch stark unterschätzt. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe schon sehr oft viele Frauenorganisationen darauf hingewiesen, dass auch eine Haft ausgesprochen werden muss, wenn ein Haftgrund – sprich eine Tatbegehungsge­fahr, Wiederholungsgefahr – gegeben ist.

Da ist eine Wegweisung zu wenig – und wenn eine Wegweisung ausgesprochen wird, dann muss der Täter auch entsprechend beobachtet und natürlich auch betreut werden, und das Opfer muss beschützt werden. Opferschutz und Schutz der Gesellschaft müs­sen immer Vorrang haben. Dieser Grundsatz muss immer vorangestellt werden. Und ja, die Qualität der Gefährlichkeitsprognosen ist auch etwas, das man sich näher anschau­en muss.

Was man sich aber ganz intensiv anschauen muss, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Situation in den Haftanstalten – das ist auch ein wesentlicher Sicherheits­aspekt. Die Gefängnisse sind randvoll, das geht auch aus diesem Bericht von 2018 her­vor. Eine Resozialisierung ist bei dem Personalstand so gut wie unmöglich, und das kommt auch in der Biographie des Attentäters vom Montag dramatisch ans Licht der Öf­fentlichkeit.

Wir haben nun schmerzvoll zur Kenntnis nehmen müssen, was wir immer wieder erfah­ren müssen: Haftanstalten sind keine Besserungsanstalten mehr, sondern sie sind sehr oft Brutstätten für Radikalisierung und Gewalt. Das wurde in zahlreichen Interviews mit Expertinnen und Experten deutlich. Auch das ist aber nichts Neues. Das wissen wir schon lange, und darauf weist die Personalvertretung der Justizwachebeamtinnen und -be­amten immer wieder hin, schon seit Jahren, wird aber systematisch ignoriert, das möchte ich hier auch erwähnen. (Beifall bei der SPÖ.) Es fehlen viele Planstellen, und das Dra­matische ist: Selbst von den genehmigten Planstellen sind 200 unbesetzt. Da kann ge­rade einmal – wenn überhaupt – eine bloße Überwachung aufrechterhalten werden, aber sicher keine Resozialisierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß, Sie werden keine Haftanstalt von innen kennen. Ich kenne sie aus meiner beruflichen Vergangenheit im Zuge meiner Aus­bildung. Auch an den Haftanstalten des Straflandesgerichts Graz sieht man: Sie sind räumlich gut ausgestattet, sie haben Werkstätten, es gibt Ausbildungsstätten. Da soll den Häftlingen die Möglichkeit geboten werden, eine Berufsausbildung nachzuholen, eine Tischlerausbildung oder was auch immer, aber diese Ausbildungsstätten sind groß­teils leer, weil einfach kein Personal da ist, um sie zu betreuen.

Justizwachebeamtinnen und -beamte kommen ja aus handwerklichen Berufen. Sie haben ganz andere berufliche Hintergründe – eben auch mit dem Ziel, den Häftlingen etwas weiterzugeben und vielleicht auch handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln. Das können sie aber überhaupt nicht umsetzen, weil sie bereits mit der reinen Überwa­chungstätigkeit überlastet sind. Selbst das ist wirklich nur durch Einsatz bis zum Rande der Erschöpfung möglich und kann nicht in erforderlicher Qualität gewährleistet werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt, weil ich da im mittleren Sektor ein Nicken wahrnehme (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), nicht unerwähnt las­sen, dass das schon auch eine Nachwirkung von Schwarz-Blau ist, denn da hat sich beim Personalschlüssel und bei der personellen Ausstattung gerade für den Justiz­bereich einiges zum Nachteil geändert. (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Zuvor hat es immer eine Art Aufteilungsschlüssel gegeben, nach dem 10 Prozent der Planstel­len bei der Polizei sozusagen den Planstellen bei der Justiz entsprochen haben. Das heißt, da hat es immer ein Verhältnis gegeben: Ist man bei den Polizeibeamten personell nach oben gegangen, hat man diesem Verhältnisschlüssel entsprechend auch bei den Justizwachebeamtinnen und -beamten nachjustiert. Das ist aber seit Langem nicht mehr passiert.

Etwas muss man auch betonen: Hätten wir noch den Jugendgerichtshof, wäre der Attentäter wahrscheinlich dort gesessen, und dort hätte man in der damals gewohnten Qualität entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen setzen können. Den Jugendge­richtshof gibt es seit Langem nicht mehr. Ihn zu zerschlagen war ein großer politischer Fehler. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wenn man über Reformen nachdenkt, sollte man auch darüber nachdenken, diese bewährte Insti­tution wieder einzuführen, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn da zu sparen können wir uns nicht leisten. Der Preis, den die Gesellschaft jetzt dafür zahlen muss, ist viel zu hoch, meine sehr geehrten Damen und Herren. – Ich danke für Ihre Aufmerksam­keit. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Na, das ist aber jetzt wirklich ein Blödsinn, was Sie ...! – Weiterer Zwischenruf bei der FPÖ.)

20.05

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.