12.04

Bundesrat Sebastian Kolland (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesgesetz über die Absicherung des österreichisch-jüdischen Kulturerbes um­fasst zwei Seiten und sechs Paragrafen. Das Gesetz, das wir heute hier diskutieren, ist ein kurzes Gesetz, aber die Bedeutung dieses Gesetzes geht weit über den Textumfang hinaus. Es sagt nämlich sehr viel über uns als Gesellschaft aus, wie wir mit dem jüdi­schen Erbe in unserem Land umgehen.

Die Geschichte des Judentums in Europa ist ganz eng auch mit der Geschichte unseres Landes verknüpft. Ganz vieles, auf das wir heute in Österreich in vielen Bereichen – in der Kunst, in der Kultur, in der Wissenschaft – stolz sind, trägt die Handschrift der jüdi­schen Gemeinde in Österreich. Eigentlich sollte man der Meinung sein, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass eine Gemeinschaft, die auch so viele Beiträge in unse­rem Land geleistet hat, sicher und frei in diesem Land leben kann.

Das war aber in der Vergangenheit nicht so, und es ist leider auch heute nicht so, weil das Gift des Antisemitismus nicht kleinzukriegen ist, nicht in Österreich und nicht in Eu­ropa. Lange Zeit bestand vor allem eine glaubensbedingte Feindschaft gegenüber dem Judentum, und auch die katholische Kirche hat sich in diesem Zusammenhang oftmals nicht rühmlich verhalten, wie man sagen muss, und hat Fehler gemacht. So ist es, und auch heute gibt es, parallel zur gesellschaftlichen Fragmentierung, vielfältige Formen des Antisemitismus aus vielen Richtungen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Im Antisemitismusbericht der Parlamentsdirektion wurde das sehr genau beleuchtet und dieses Problem aufgezeigt. Es gibt einen Antisemitismus aus dem muslimisch-arabi­schen Bereich, sehr stark genährt vom Palästinakonflikt. Es gibt einen linksextremen Antisemitismus, ebenfalls oftmals verschnitten mit dem Palästinakonflikt, aber dieser nimmt auch finanz- und kapitalismuskritische Töne mit hinein. Außerdem gibt es einen rechtsextremen Antisemitismus, der ganz stark darauf setzt, die Gräueltaten des NS-Regimes zu relativieren, sie herunterzuspielen oder sie vielleicht auch gänzlich zu leugnen.

Die sozialen Medien sind für all diese Extremismen quasi ein Brandbeschleuniger. Auch das bescheinigen alle Studien. Die sprachliche Radikalisierung und die Polarisierung, die wir alle auch beobachten, bleiben aber nicht im Internet. Sie machen nicht halt im digitalen Raum, sondern sie schwappen in die reale Welt über. Wie evident das ist, das haben wir auch am Wochenende bei der Demonstration gesehen. (Ruf bei der FPÖ: Was?)

Etwas ist mir ganz wichtig, und ich möchte das auch sofort klarstellen: Ich differenziere sehr genau zwischen jenen Menschen, die Angst haben und sich Sorgen – um ihren Arbeitsplatz, um ihr Unternehmen beziehungsweise um die Bildung ihrer Kinder – ma­chen, und jenen, denen es nur darum geht, Chaos zu säen, die Gesellschaft zu spalten und aufzuwiegeln. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wenn nämlich jemand mit der Reichsflagge in der Hand durch Wien marschiert oder bei der Kundgebung „Sieg Heil!“ brüllt – und all diese Dinge sind an diesem Wochenende geschehen –, dann kann mir auch Herr Kickl nicht einreden, dass diese Bürger mit sol­chen Aktionen nur ihren Sorgen Ausdruck verleihen wollen. (Zwischenruf des Bundesra­tes Schennach.)

Es ist auch kein Zufall, dass dort immer dieselben Personen auftreten, wie etwa der Neonazi Gottfried Küssel oder die rechtsextremen Identitären. (Zwischenrufe des Bun­desrates Leinfellner.) Auch Generalsekretär Schnedlitz hat kürzlich in Richtung der Identitären festgehalten, dass die Zeit des Distanzierens vorbei ist. Außerdem ist es ebenfalls kein Zufall, dass Aktivisten der deutschen AfD, der Schwesterpartei der FPÖ, dort waren. Einer von denen hat – das muss man sich vorstellen! – im Vorfeld der Demo vor dem KZ Mauthausen ein Video aufgenommen, in dem er Zyklon B, das Gift, mit dem Millionen von Juden ermordet worden sind, mit dem Coronaimpfstoff verglichen hat. Und seit heute wissen wir, dass Herbert Kickl dem auch ein Interview gegeben hat. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Schumann.)

Auch ist es nicht normal, dass Leute gegen die Coronamaßnahmen protestieren, indem sie sich den Judenstern auf die Brust heften. Und leider ist es auch kein Zufall, dass Herbert Kickl bei dieser Demo in der Rede, die er dort gehalten hat, minutenlang gegen Israel gehetzt hat. (Bundesrat Steiner: Gegen die Regierung!) Das ist kein Zufall – das ist Berechnung und Kalkül! (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Ich sage euch: Solange eine Partei glaubt, dass sie mit dem Spielen auf diesem Klavier politisches Kleingeld wechseln kann, so lange sind alle anderen gefordert, klar dagegen aufzustehen und die Brandmauer dagegen zu verteidigen. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Bernard.)

Abschließend noch etwas: Lassen wir uns von niemandem einreden, dass solche Vor­kommnisse normal sind! (Lebhafte Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das sind sie nämlich nicht. Vielmehr ist das radikal und extrem und gefährdet das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft, und jeder, der das leugnet und sich weigert, das auch klar zu benennen und das zurückzuweisen, tut dies ebenso. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

12.09

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Daniela Gruber-Pruner. Ich erteile es ihr. – Bitte.