9.06

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Guten Morgen! Ich bin ein biss­chen überrascht, dass ich gleich die Erste bin. Ich freue mich.

Geschätzte, liebe Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! In den letzten Sitzun­gen habe ich schon viel über Gewaltschutzmaßnahmen erzählt, die Sie, Frau Justizmi­nisterin, gesetzt haben, jetzt zähle ich sie trotzdem noch einmal auf, damit wir ein Gefühl dafür bekommen, wie viele es sind und was alles mit uns Grünen in der Regierung getan wird, ja, was alles in den letzten eineinhalb Jahren aufgeholt wurde.

Ich erwähne nicht das erhöhte Frauenbudget, denn es bildet nicht ab, welche Maßnah­men für den Einsatz gegen Gewalt an Frauen gesetzt werden und wie viele Ressourcen zum Beispiel eben die Justiz in die Hände nimmt, um hier verantwortlich tätig zu werden.

Was ist nun schon beschlossen worden? – Das Hass-im-Netz-Paket mit erleichterter und schnellerer Vorgehensweise, um Hasspostings, Obszönitäten, Stalking oder sexuelle Anpöbelungen leichter löschen zu können. Dazu kommt eine Verringerung der Gerichts­gebühren für die entsprechenden Anträge auf Löschung.

Weiters: die Einbringung von einstweiligen Verfügungen durch die Opferschutzeinrich­tungen in Vertretung der von Gewalt betroffenen Frauen zum Schutz vor ihren Partne­rInnen oder Ex-PartnerInnen – Ex-Partnern, Verzeihung, ich bin noch ein bisschen ver­wirrt. (Bundesrat Steiner: Vor lauter gendern kriegt man einen leichten Genderwahn­sinn! ElterIn und ElterInnen! – Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) – Ich bin noch ein bisschen müde. Nein, nein, das ist kein Genderwahnsinn, ganz im Gegenteil, aber hören Sie jetzt lieber zu, was noch alles umgesetzt wurde!

Also: eine bessere Ausbildung und regelmäßige Fortbildung von StaatsanwältInnen und RichterInnen im Umgang mit von Gewalt und sexueller Gewalt Betroffenen für einen schonenden Umgang mit diesen, für die Vermeidung von Retraumatisierungen und eine bessere Aufklärung der Fälle – hoffentlich auch ein Ausbildungsmonat bei Opferschutz­einrichtungen.

Weiters: 60 Prozent mehr an besonders geschulten PolizeibeamtInnen für die Beratung und Einvernahme von von Gewalt betroffenen Frauen auf jeder Polizeiinspektion – das natürlich gemeinsam mit dem Innenminister –; die Wiederbelebung der Hochrisikofall­konferenzen von Polizei, Justiz und Gewaltschutzeinrichtungen, um für die Beurteilung der weiteren Vorgehensweise betreffend einen Gewalttäter alle vorhandenen Daten nut­zen zu können – eine wichtige Maßnahme in der Prävention von Femiziden, wo fast jeder mutmaßliche Mörder der Polizei oder entsprechenden Einrichtungen schon vorher bekannt war.

Es kommen noch weitere Maßnahmen hinzu, auf die wir uns sehr freuen, das sind: vor Gericht die Einvernahme der von sexualisierter Gewalt Betroffenen per Video, um das Zusammentreffen mit dem Täter zu verhindern und eine freie und schonende Einvernah­me zu fördern; nach einer Anzeige wegen Stalking wie bei Wegweisung oder ähnlichen polizeilichen Maßnahmen die Berechtigung der Polizei, die Daten der Betroffenen an Gewaltschutzeinrichtungen weiterzuleiten, um mit ihnen in Kontakt zu treten; das Setzen der Maßnahmen von Antigewalt- und Affektkontrolltrainings auch in Außerstreitverfahren und bei bedingter Freiheitsstrafe, denn viele Verfahren wegen Gewalt oder sexualisierter Gewalt an Frauen enden mit einem Freispruch oder einer Diversion aufgrund schlechter Beweislagen; Maßnahmen im Strafvollzug und bei bedingter Entlassung, bei denen sich Täter mit ihren eigenen Rollenbildern auseinandersetzen sollen – das hilft ihnen, die Ur­sachen für das Verlangen, Gewalt auszuüben, zu erkennen. Wenn allein die letzte Maß­nahme gelingt, sind das große Schritte zur Gewaltvermeidung.

Wir begrüßen natürlich auch die Entscheidung der Regierung, weitere 26 Millionen Euro für Gewaltprävention zur Verfügung zu stellen. Geplant ist, sie für folgende Dinge auszu­geben: für die Stärkung der Gewaltschutzeinrichtungen, für den Ausbau der Familienbe­ratungsstellen und Kinderschutzzentren, für Beratungs- und Informationsangebote zur Stärkung der Selbstbestimmung von Frauen mit Migrationshintergrund, für eine bessere Ausstattung der Familiengerichtshilfe, für die Stärkung und Verbreitung des Wissens über juristische und psychosoziale Prozessbegleitung – ein sehr wesentlicher Punkt –, für den Fokus auf opferschutzorientierte, männerspezifische Täterarbeit, für Kampagnen gegen Männergewalt, das bedeutet auch mehr Geld für Männerberatungsstellen, mehr Geld für die Sensibilisierung von Buben und Burschen, mehr Geld für Antigewalt- und Affektkontrolltrainings. Auf diesen letzten Punkt – und ich bin sehr froh, dass das auch ins Zentrum gerückt wird – wird später noch mein Kollege Adi Gross eingehen.

Auf eine Maßnahme aber, die nicht nur im institutionellen Opferschutzbereich und vor den Gerichten wirken und angewendet werden soll, sondern auch im Umgang mitein­ander, möchte ich noch kurz eingehen: Für die Aufklärung von Fällen und vor allem für das Wiedererlangen von Selbstsicherheit und den Umgang mit Verletzungen derer, die von Gewalt betroffen sind und waren, ist die Beratung und psychosoziale Prozessbeglei­tung durch Frauenschutzeinrichtungen immens wichtig. Darüber hinaus ist sie auch deshalb wichtig, weil sie den von Gewalt betroffenen Frauen oder auch Kindern Sicher­heit vermittelt, angst- und vorurteilsfrei alles sagen zu dürfen, was sie erfahren haben, denn darüber zu reden ist oft nicht leicht.

Warum? – Wir alle kennen den Gedanken der Täter-Opfer-Umkehr, das Victim Blaming, den Vorwurf gegenüber verletzten oder vergewaltigten Frauen oder Kindern, selbst an der Gewalt schuld zu sein, weil sie die Gewalt angeblich provoziert haben – weil Frauen oder Mädchen sich nicht richtig angezogen haben, weil sie zu nett waren, weil sie sich zu wenig gewehrt haben, weil sie die Beziehung nicht beendet haben, weil sie den Vater ihrer Kinder oder ihren Ehemann oder Partner nicht angezeigt haben, bis dahin, dass sie den Täter sogar verstehen und mit ihm fühlen, ja, sogar mit ihm Mitleid haben, oder schlicht, weil sie nichts anderes kennen.

Dazu erzählte uns eine Beraterin von Tamar, das ist eine Beratungsstelle im 20. Bezirk für Opfer von sexuellem Missbrauch, dass sie das letzte Mal mit einem Mädchen gespro­chen hat, das erst im Sexualunterricht in der Schule draufgekommen ist, dass das, was ihr Vater mit ihr macht, nicht in Ordnung ist.

Von Gewalt und vor allem von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen und Kinder sind aber nie schuld an dieser Gewalt, weder in dem Moment, in dem wir uns um sie kümmern wollen, noch in dem Moment, in dem wir ihnen helfen wollen, noch wenn sie sonst nicht aus dieser Situation herauskommen. Gewalt ist nicht rechtfertigbar und schon gar nicht sexuelle Gewalt! Da geht es nicht um juristische Betrachtungen, sondern es geht um Opferschutz, und dieser Blick muss immer parteiergreifend sein, er muss immer auf der Seite der Betroffenen stehen, und das müssen wir alle, nicht nur die Beamtinnen und Beamten, lernen, wenn wir Frauen und Kindern helfen wollen, über ihre Erfahrung angst­frei und offen zu reden, wenn wir weitere Gewalt oder sexuelle Gewalt an Frauen und Kindern vermeiden wollen – denn das stärkt diese Frauen und Kinder, wenn sie wissen, dass die Gesellschaft nicht akzeptiert, was ihnen angetan wird, und sie nicht schuld an dieser Gewalt sind. Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Bundesrä­tInnen der SPÖ.)

9.13

Präsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Johanna Mie­senberger. – Bitte, Frau Bundesrätin.