9.11
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! An einem Tag der Eruption in Österreich – wenn man heute in die europäischen Zeitungen und Zeitschriften schaut, sieht man, dass die Fassungslosigkeit von der „Süddeutschen“ über die „Neue Zürcher“ bis zur „Frankfurter Allgemeinen“ geht – diskutieren wir: „gemeinsam Europa verändern für Österreich“. Seien wir einmal froh, dass Europa auf Werte und Grundwerte und Rechte Wert legt und auch immer wieder Staaten, die diesen europäischen Werten und diesen Rechten nicht gerecht werden, in die Schranken weist! Ich spreche hier von Polen, von Ungarn, von Rumänien.
Was aber erleben wir? – Sie, Frau Bundesministerin, haben als eine der Ersten angefangen, unsere Justiz zu kritisieren, zu destabilisieren. Sie selbst waren eine der Ersten, ich meine, später ist ein durchgeknallter Hinterbänkler dazugekommen, der von „linken Zellen“ in der Staatsanwaltschaft gesprochen hat. Sie selbst haben angefangen, diesen Rechtsstaat durch Kritik zu unterminieren (Beifall bei der SPÖ) – noch dazu als Richterin und als Angehörige jener Staatsanwaltschaft, die Sie durch Kritik ins Wanken bringen wollten.
Das, was gestern passiert ist, ist aber nicht nur eine Sache der Staatsanwaltschaft – Frau Bundesministerin, das wissen auch Sie –, denn man kann nur dann Hausdurchsuchungen machen, wenn ein Gericht sie anordnet und wenn ein Gericht Fakten prüft. Kein Gericht würde einfach so Hausdurchsuchungen in so sensiblen Bereichen, wie etwa dem Bundeskanzleramt oder der ÖVP-Zentrale, zulassen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Sind eh vorher informiert worden!) Ja, das ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, um die es hier geht, und Rechtsstaatlichkeit ist jener Wert, für den die Europäische Union immer und immer wieder eintritt.
Auch dann, wenn sich Staatschefs plötzlich in den Pandorapapers wiederfinden, stellt sich die EU dieser Frage, denn eines der ganz großen Ziele der EU ist es, die Korruption zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit hochzuhalten. Greco schaut sich in seinen Jahresberichten Rechtsstaatlichkeit und Korruption an und findet betreffend Österreich dahin gehend immer wieder und nicht wenig Kritik.
Kollege Köck hat gesagt: Schauen wir nach Südostasien! – Im Augenblick müssen wir einmal in unser Land schauen. In erster Linie müssen wir jetzt einmal in unserem Land wieder Recht und Ordnung schaffen. Die Frage ist, welche Entwicklung Österreich nimmt. Wie findet Österreich wieder zu europäischen Grundwerten und -rechten zurück und kann auch die Hilfen nützen, die ihm die Europäische Union anbietet? Wir hätten in Österreich im Augenblick deutlich andere Sorgen: Es gibt nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit; es sind nach wie vor die Kosten der Pandemie zu tragen; vor allem ist der Klimawandel anzugehen.
Jetzt wurde uns eine sogenannte ökosoziale Steuerreform vorgelegt: Na schauen wir einmal! Morgen wird sie in Stams von den Ländern näher betrachtet. Wir hören ja, dass das, was da vorgelegt wurde, im Wesentlichen von einem gewissen Löger mit einem gewissen Fuchs ausgehandelt wurde – neu, liebe Grüne, scheint daran also nicht sehr viel zu sein. Ihr habt ein türkis-blaues Papier abgenickt, das merkt man auch an gewissen Inhalten.
Eines muss man natürlich schon sagen, wenn man so eine Steuerreform macht und sagt, dass man das den Wienerinnen und Wienern um die Ohren knallt: So geht das nicht! Auch die Sozialversicherung wird wahrscheinlich den Weg zum Verfassungsgerichtshof gehen – davon gehe ich aus –, um Fehlentwicklungen, die in dieser sogenannten ökosozialen Steuerreform drinnen sind, entgegenzuwirken. Man hat gesagt, man habe sich an Deutschland orientiert – in Deutschland sind ja derzeit Koalitionsverhandlungen –, aber der Preis von 30 Euro wird in Deutschland mit Sicherheit verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden. Das heißt, wir machen jetzt ein Papier, das in wenigen Wochen, wenn die deutsche Bundesregierung steht – wie immer sie aussehen wird –, auf jeden Fall so was von überholt und eigentlich lächerlich sein wird.
Frau Bundesministerin! Am Sonntag ist meine Mutter verstorben. Sie wurde 104 Jahre alt, ist also im Ersten Weltkrieg geboren, hat die ganz schwierige Zeit des Zweiten Weltkriegs überlebt und sich immer damit befasst, was in diesem Land los ist. Im August war ich lange bei ihr, und sie hat gefragt: Stefan, warum ist diese Regierung so herzlos und geschichtslos? – Ich habe gefragt: Mutter, was meinst du damit? – Sie sagt: Wieso haben wir, obwohl Innsbruck – das liegt ihr als Tirolerin näher –, Wien und andere Städte und Gemeinden gesagt haben, sie nehmen Kinder von den Inseln auf, kein Kind aufgenommen? Haben die denn vergessen, dass das arme, kleine Portugal nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Kinder aus Österreich aufgenommen hat, um diese Kinder über einen längeren Zeitraum zu ernähren?
Diese Herzlosigkeit und Geschichtslosigkeit in diesen Fragen ist irgendwie ein Kennzeichen dieser Regierung. Da sollten und können wir froh sein, dass Europa uns – hoffentlich – verändert, dass Europa uns etwa die Afghanistanfrage erklärt. Dort zittern Frauen um ihr Leben, die wie Sie Richterinnen waren, die Bürgermeisterinnen waren, die Frauenanwältinnen waren, die zum ersten Mal gespürt haben, was es bedeutet, als Frau ein selbstbestimmtes Leben zu führen und in der Gesellschaft mitzuwirken. Wir sind gemeinsam mit Ihrem früheren Parteifreund Orbán aber die Einzigen, die sagen: Njet, wir nehmen niemanden! – Das kann einfach nicht wahr sein.
Die Klarheit dessen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Europa durchzusetzen ist und nicht illegale Pushbacks, wie es sie an manchen unserer Grenzen gibt – auch das garantiert Europa und mahnt uns Europa zu tun. Deshalb: Es ist wichtiger, dass wir uns mehr durch Europa verändern lassen, als dass wir Europa österreichisch werden lassen. Das, denke ich mir, ist eines der wichtigen Dinge.
Natürlich gibt es auch an Europa vieles zu kritisieren und vieles zu ändern, aber wir haben eine Bundesregierung, die derzeit nicht handlungsfähig ist, die derzeit in erster Linie versuchen muss, die Vorhalte der Bestechung, der Bestechlichkeit und der Untreue abzuwehren, und seit gestern ist die Unabhängigkeit der Medien in diesem Land eine ganz, ganz zentrale Frage – einer der zentralen Bausteine der Demokratie ist die Unabhängigkeit der Medien. All das werden wir zu diskutieren haben. In keinem anderen europäischen Land wäre der Bundeskanzler heute noch im Dienst – in Österreich ist er im Dienst, was sehr bedauerlich ist; er hat jetzt anderes zu tun.
Ja, verändern wir Europa, arbeiten wir an diesem Europa mit, aber nicht in die falsche Richtung! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)
9.21
Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Johannes Hübner. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.