16.57

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei die­sem Tagesordnungspunkt beschäftigen wir uns mit Gang und Lage des Wirtschafts­standorts Europa und mit den Herausforderungen, die auf die europäische Wirtschaft und auf den europäischen Wirtschaftsstandort zukommen.

Da das Ganze sehr dynamisch in der Entwicklung ist, verändern sich diese Herausfor­derungen auch entsprechend dynamisch. Wären wir ein Wirtschaftsunternehmen, wür­den wir eine Swot-Analyse anstellen. Wir würden Strengths und Weaknesses, Oppor­tunities und Threats diskutieren, also Stärken und Schwächen, Herausforderungen und Chancen. Diese Herausforderungen, auf die ich eingangs eingehen möchte, verändern sich eben sehr, sehr dynamisch und sind verschiedenen Ereignissen geschuldet.

Bevor man auf einzelne Maßnahmen eingeht, die in diesem Bericht auch erwähnt sind, ist es wichtig, glaube ich, noch einmal die Gesamtsicht zu haben. Es ist zum einen die geopolitische Herausforderung – wir haben heute den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine bereits besprochen –, aber mit diesem Krieg ist auch die geopolitische Lage und damit der Wirtschaftsstandort Europa und damit der Wirtschaftsstandort Österreich ganz besonders betroffen.

Wir wissen, dass die Versorgungssicherheit für die privaten Haushalte, aber natürlich auch für die Unternehmungen ein wichtiges Thema ist, und wir wissen, dass die ak­tuellen Preisanstiege im Energiebereich eine besondere Herausforderung für die Unter­nehmungen darstellen. Mit Blick auf den produzierenden Bereich – ich bin Kollegin Schu­mann dankbar, sie hat es heute in ihren Ausführungen auch schon erwähnt – spielt es für einzelne Branchen eine ganz besondere Rolle, wenn es zu Unterbrechungen in der Energieversorgung kommt. Die Branchen von Glas über Papier, Chemie, Stahl, Nicht­eisenmetalle, Stein, Keramik bis zu Nahrungsmitteln sind kritisch, und bereits vor dem Ukrainekrieg bestehende Schwierigkeiten in den Lieferketten intensivieren sich dadurch natürlich. Die Rohstoffversorgung ist ein großes Thema, ebenso die Belieferung mit Vorprodukten, etwa Halbleiter, Mikrochips, und unsere Automobilindustrie und unsere zuliefernde Automobilindustrie leiden bereits darunter. Erste Maßnahmen waren ja in Form von Kurzarbeit auch schon spürbar.

Also die geopolitische Lage wirkt auf den europäischen Wirtschaftsstandort ein. Die Fol­gen und die Wirkungen der Pandemie sind noch nicht überstanden und natürlich auch eine Herausforderung, insbesondere was beispielsweise in Form der Reindustrialisie­rung auch den pharmazeutischen Sektor betrifft. Die Inflationserwartungen sind durch­aus wachstumsdämpfend. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, ich weiß es zumindest nicht, ob es zu einer Zinserhöhung kommt oder nicht, aber morgen tagt die Europäische Zen­tralbank, und dort wird wieder einmal die Frage der Inflation gewürdigt werden. Jeden­falls hat es nicht nur für die privaten Haushalte Auswirkungen, sondern auch für die öf­fentlichen und wird damit eine zusätzliche Herausforderung darstellen.

Was mich persönlich sehr nachdenklich stimmt, ist die Meinung kompetenter Wirt­schaftsforscher, die immer mehr am Horizont auch das Orakel einer Stagflation sehen, also einer Stagnation und Inflation. Das bedeutet nichts Gutes für den Wirtschafts­standort Europa.

Dazu kommt, nicht nur in unserem Land, aber auch in Österreich, eine demografische Entwicklung einer älter werdenden Bevölkerung, was einen enormen Druck auch auf die Mobilisierung der Arbeitskräfte im Land ausübt, insbesondere auf die Fachkräfte. Das spüren alle Wirtschaftsunternehmungen, von den kleinen über die mittelgroßen bis zu den Industriebetrieben. Es sind daher enorme Herausforderungen auf den Wirtschafts­standort Europa zukommend.

Es ist ein umfangreicher Bericht, den die Troika für die nächsten 18 Monate vorhat. Ich hatte gestern die Gelegenheit, mich persönlich noch einmal mit dem französischen Bot­schafter Gilles Pécout auszutauschen. Die französische Ratspräsidentschaft hat ein en­gagiertes Programm vor, in einem Jahr, wo es Präsidentschaftswahlen in Frankreich gibt. Mal sehen, was im europäischen Konzert in diesen Monaten leistbar ist.

Jedenfalls zielen alle diese Maßnahmen darauf ab, „Wachstum“ in Europa möglich zu machen – ich muss das mittlerweile unter Anführungszeichen setzen, weil der geopoliti­sche Rahmen und die Entwicklungen auf den Energiemärkten ein großes Fragezeichen dazu setzen –, jedenfalls aber haben sie die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsstandortes im Auge.

Ich persönlich begrüße außerordentlich, dass größte Anstrengungen unternommen wer­den, eine Reindustrialisierung in einzelnen Wirtschaftsbereichen des Wirtschaftsstand­ortes Europa und damit auch des Wirtschaftsstandortes Österreich vorzunehmen. Das spielt im Bereich Batterien eine Rolle, das spielt im Bereich Mikrochips eine Rolle, das spielt im Bereich Pharmazie eine Rolle. Da hat Europa Möglichkeiten im Globalisie­rungsprozess aufgegeben, und es wird schwer genug werden, diese Möglichkeiten wieder zurückzuholen. Es wird aber notwendig sein, auch in Kenntnis, dass manche Rohstoffe nicht in Europa in dem Ausmaß vorhanden sind, das wir brauchen, und wir damit immer auch internationalem Einfluss ausgesetzt sind.

Ich möchte darauf hinweisen, dass in diesem Bericht auch ein Projekt erwähnt wird, das ich für sehr klug halte, nämlich die Important Projects of Common European Interest. Das geht in Richtung der Industriestrategie, das geht eben in Richtung dieser Wirt­schaftszweige, womit wir die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit des Wirtschafts­standortes Europa stärken wollen.

Wenn ich über Wirtschaft rede, ist in Österreich natürlich ein Faktum, dass wir einen großen Teil unserer Wertschöpfung aus dem Export generieren und damit auch die Si­cherung unserer Arbeitsplätze. Das ist in Zeiten geopolitischer Verwerfungen eine be­sondere Herausforderung. Es bedeutet aber auch, dass wir größten Wert darauf legen müssen, ein regelbasiertes internationales, multilaterales Welthandelssystem zu haben, und ich unterstütze daher alle Maßnahmen der WTO, die in diese Richtung gehen. Es gibt große Einflussbereiche dieser Welt, die unilateral gerne diese Verträge abschließen. Ich freue mich, dass mit Amerika da auch in den vergangenen Quartalen Erfolge erzielt werden konnten, dass man wieder stärker auf WTO und Multilateralität setzt. Das ist auch für unsere Betriebe, insbesondere die großen, exportorientierten, ein wichtiges Faktum, um Sicherheit zu generieren, um zu wissen: Im internationalen Handel wird fair miteinander umgegangen.

Ich schließe und sage: Das Wirtschaftsministerium hat auch einen Prozess für eine neue Standortstrategie gestartet. Ich war selbst in Graz dabei, als die Wirtschaftsministerin diese Standortstrategie mit Stakeholdern diskutiert hat, der Rollout findet ja in allen Bun­desländern statt. Stakeholder sind die Wirtschaft und die Industrie, auf der anderen Seite aber auch unsere Universitäten und unsere außeruniversitären Forschungseinrichtun­gen. Ich glaube, es ist wichtig hervorzuheben, dass wir ganz besonders auf das Thema der Innovation als einen ständigen Prozess der Erneuerung unserer Wirtschaft setzen müssen, denn dann ist halbwegs sichergestellt, dass wirtschaftliche Entwicklung möglich ist, dass Entwicklung bei den Arbeitskräften möglich ist und damit wir unseren Wohl­stand, der in den vergangenen Jahren entstanden ist, auch erhalten können. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

17.07

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ste­fan Schennach. – Ich erteile dieses.