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Bundesminister für Finanzen Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Die französische Ratspräsidentschaft hat sich sehr ehrgeizige, wichtige Ziele gesetzt, insbesondere natürlich auch, wie wir im Anschluss an die Coronapandemie künftiges Wachstum wieder finanzieren können und auch finanzieren wollen.
Frau Kollegin Hahn, es stimmt schon, dass durch den russischen Einmarsch in die Ukraine die ursprünglich geplanten Schwerpunkte natürlich ein bisschen in den Hintergrund geraten sind. Da haben Sie durchaus recht. Eine rasche Reaktion der Europäischen Union war aber aus meiner Sicht absolut notwendig. Wir können es einfach nicht akzeptieren, dass es in Europa wieder Krieg gibt. – Vielleicht kann ich Ihnen, Frau Kollegin Hahn, da eine etwas aktuellere Fassung bringen, weil gerade in den letzten drei Wochen zwei Räte stattgefunden haben und auch die Eurogruppe wieder getagt hat. Wir haben im Ecofin-Rat natürlich die Sanktionen gegen Russland und deren wirtschaftliche Folgen – sowohl für Russland als auch für die Europäische Union und natürlich für uns in Österreich – als zentrales Thema behandelt.
Ich wiederhole noch einmal, dass die Sanktionen uns nicht mehr treffen sollten als die Russische Föderation. Wir hatten gerade erst vorgestern beim letzten Ecofin-Rat die Möglichkeit, mit dem ukrainischen Finanzminister per Videokonferenz zu sprechen. Er hat die schwierige Lage in seiner Heimat dargelegt, nämlich was die Menschenrechtssituation und die Kriegssituation betrifft, und natürlich mit uns auch die finanziellen Auswirkungen und wie sich die Ukraine einen entsprechenden Wiederaufbau vorstellt, erörtert. Die Menschen in der Ukraine erleiden momentan Unglaubliches, und daher gibt es selbstverständlich auch seitens der Europäischen Union uneingeschränkte Unterstützung. (Präsidentin Schwarz-Fuchs übernimmt den Vorsitz.)
Es ist aber klar, Sie haben recht: Die Prioritäten auch der Ratspräsidentschaft insgesamt haben sich in den letzten Wochen verändert. Das Programm wird aber nicht abgeändert, sondern es werden sich die Prioritätensetzungen verändern. Diese sind andere geworden. Die Verteidigungspolitik ist natürlich wichtiger geworden, und auch das Thema Energieunabhängigkeit wird beschleunigt behandelt. Das ist das Positive daran: Eine neue Weltordnung, wie sie momentan gerade aufbricht – so dramatisch wird man das wohl sagen müssen –, braucht in diesem Bereich auch ganz neue Schwerpunkte. Wenn man einen positiven Aspekt betrachtet, dann ist es sicherlich die Tatsache, dass die Europäische Union insgesamt sozusagen in ihren Worten und auch in ihren Taten näher zusammengerückt ist und dadurch, wie ich glaube, sicherlich gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.
Natürlich wird das Wirtschaftswachstum – wie es Kollege Hübner angesprochen hat – in Europa durch den Krieg und durch die Sanktionen zurückgehen, das ist klar. Für Österreich rechnen wir mit circa 1,5 Prozent weniger Wachstum, als uns von den Wirtschaftsforschern attestiert worden war. Wir haben ja mit über 5 Prozent Wachstum gerechnet, jetzt liegen wir um 1,5 Prozent darunter. Für Russland allerdings werden die wirtschaftlichen Auswirkungen ungleich dramatischer sein. Russlands Wirtschaft wird im heurigen Jahr um rund 10 Prozent einbrechen.
Ich möchte gerne noch auf ein paar Punkte eingehen, die schon angesprochen wurden, und damit vielleicht auch ein bisschen zu einer Klarstellung der österreichischen Position beitragen. Ich werde also, wie gewünscht, diese aktualisierte Wahrnehmung darstellen.
Wir haben unterschiedliche Bereiche behandelt, sowohl in der Eurogruppe auf der einen Seite als auch im Ecofin-Rat auf der anderen Seite. In der Eurogruppe ist die Vervollständigung der Bankenunion auch ein ganz entscheidendes Thema. Bis zum Europäischen Rat im Juni haben wir einen detaillierten Arbeitsplan, der vorgestellt worden wird. In diesem Zusammenhang gibt es noch ein paar offene und strittige Punkte und auch ein paar offene Fragen.
Wir behandeln in der Eurogruppe aber auch die Fragestellungen der internationalen Rolle des Euro und auch des digitalen Euro, den Sie angesprochen haben, Frau Kollegin. Wir befürworten diesen digitalen Euro auch in Anbetracht aller Fragen, die im Konsumentenschutzbereich und in allen anderen Bereichen auf uns zukommen werden. Wir setzen uns sehr dafür ein, diesen digitalen Euro einzuführen, jedoch immer auch mit der Betonung vonseiten Österreichs, dass das natürlich nichts mit einer Abschaffung des Bargelds zu tun haben wird. Auch dafür setzen wir uns auf europäischer Ebene sehr ein. Man kann in diesem Zusammenhang natürlich über die Grenzwerte sprechen, in Europa reden wir von einer 10 000-Euro-Grenze. – Ich komme mir eigentlich immer ein bisschen blöd vor, wenn ich über eine 10 000-Euro-Bargeld-Grenze sprechen muss, denn wer von uns hat denn 10 000 Euro Bargeld in der Hand? Das Thema Bargeld und Erhalt des Bargelds wird aber natürlich weiterhin eine Rolle spielen. Wir setzen uns da sehr dafür ein, obwohl das jetzt nicht wirklich ein großes Negativthema ist.
Bei den Steuern, die Sie angesprochen haben, liegt der Schwerpunkt auf dem von der Europäischen Kommission im Dezember vorgelegten Richtlinienvorschlag. Wir sind vorgestern im Europäischen Rat wesentliche Schritte weitergekommen, was die Mindestbesteuerung betrifft. Die 15 Prozent sind sowieso klar, dagegen hat ja, glaube ich, niemand mehr etwas. Bei der ersten Säule gibt es aber noch Herausforderungen und Fragestellungen. Wir haben jetzt Schweden, Litauen und ein paar andere kritische Staaten – sogar Ungarn – so weit, dass sie bei beiden Säulen zustimmen. Es gibt aber leider noch einen Staat, der sich dagegen wehrt, nämlich Polen. Polen ist weiterhin dagegen, vorgestern wurde noch einmal die Gegnerschaft bekannt gegeben. Das ist insofern interessant, als keine inhaltlichen Gründe mehr vorgebracht werden konnten, weil man auf gewisse Fragestellungen Schwedens, Litauens und auch Polens eingegangen ist. Das hängt offenbar rein mit dem Einfrieren der RRF-Gelder gegenüber Polen zusammen, weil gewisse Rechtsstaatlichkeitskriterien nicht eingehalten werden. Das verknüpft Polen jetzt leider mit der Zustimmung für die digitale Mindestbesteuerung.
Ein weiterer Punkt ist natürlich auch die Umsetzung des Fit-for-55-Paketes. In diesem Zusammenhang wurde von Kollegin Mag. Kittl auch schon der CBAM erwähnt. Das geht immer ein bisschen unter, aber die Europäische Union hat hier tatsächlich einen gewaltigen Kraftakt vorgenommen. Das ist auch beschlossen, der CBAM ist in Kraft. Das ist wichtig für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union beziehungsweise der Regionen auf der Welt, die für Klimaschutz mehr tun als andere. Das war, glaube ich, bereits ein ganz wichtiger und entscheidender Schritt des vorletzten Ecofin-Rates, bei dem das beschlossen worden ist.
Was die fiskalische Situation auf europäischer Ebene betrifft, war und ist es, wie ich glaube, wichtig, dass wir in der Pandemie auch fiskalisch gegengesteuert haben. Das war aber nur möglich, weil wir in besseren Zeiten entsprechend gespart haben. Wenn in diesem Zusammenhang über geänderte Fiskalregeln gesprochen wird, dann muss klar sein, dass alle Veränderungen – meinetwegen auch Verbesserungen – vor allem die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen gewährleisten müssen. Das steht bei allen Regeln, die wir diskutieren, ganz im Zentrum.
Es hat jetzt bei der Covid-Pandemie einmalige Ausnahmesituationen gegeben, und da kann ja dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt durchaus auch – wie es derzeit der Fall ist – ausgesetzt werden. In der Kommission überlegt man sich jetzt bis Mai, ob eine weitere Aussetzung im Sinne dieser General Escapeclause dann auch vorgenommen werden kann. Man muss allerdings immer im Auge behalten: Solche Ausnahmen für bestimmte Investitionen können zwar durchaus verführerisch klingen, beispielsweise wenn wir über grüne Investitionen gegen den Klimawandel sprechen. Dabei stellt sich jedoch immer die Frage: Wer definiert, was grün ist? – Sie haben das eh auch angesprochen: Wir haben die Situation, dass in der Taxonomieverordnung Nuklearenergie auch als grün eingestuft wird. Man muss da also wirklich vorsichtig sein, wenn wir über solche Ausnahmen, beispielsweise bei grünen Investitionen, sprechen, und auch entsprechend dagegenhalten.
Ich habe immer vorgeschlagen, dass man die Taxonomie zweiteilen könnte, in eine wirklich grüne Taxonomie und eventuell in eine Übergangstaxonomie, wo Gas eine Rolle spielen kann. Für uns ist aber Nuklearenergie natürlich auf jeden Fall ausgeschlossen.
Ich hoffe, ich habe Ihnen hiermit etwas mehr Klarheit über den momentanen Stand der Diskussion auf europäischer Ebene geben können. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
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