16.45

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsi­dent! Werter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren zu Hause via Livestream! Herr Minister, zuerst einmal eine Frage an Sie: Wissen Sie, was Schule für Familien eigentlich so das ganze Jahr über kostet? Wissen Sie, wie viel Geld Eltern für ein Kind in einem Schuljahr eigentlich aufbringen müssen? (Bundesminister Polaschek: Wissen Sie es?) – Ich weiß es, ich habe nämlich auch für Sie, wenn Sie es nachlesen wollen (Bundesminister Polaschek: Gerne!), eine sehr inter­essante Lektüre mit (ein Schriftstück in die Höhe haltend), die AK-Schulkostenstudie hat das ausgerechnet. Angefangen von der Schultasche, von Schreib-, Zeichengeräten, von Schulbüchern, dem Taschenrechner über Ausgaben für Wandertage, für Exkursionen, für Kopierbeiträge, Schwimmbeiträge, fürs Mittagessen und die Nachmittagsbetreuung und, und, und entstehen in der Schule Kosten über Kosten. Die AK hat einen Durch­schnitt errechnet, der – und jetzt muss man sich eigentlich schon fast festhalten – für das letzte Schuljahr 2 132 Euro ausmachte. (Bundesrat Steiner: Das ist der Tagesge­halt vom Minister!) Alleine für die Teilnahme am Distancelearning zum Beispiel, das, wie wir gerade gehört haben, aufgrund der Coronakrise notwendig war, haben viele Familien zu Hause auch die technische Ausrüstung aufrüsten müssen, Drucker gekauft, die Inter­netkapazität aufgerüstet, Kopfhörer und so weiter angeschafft, und da sind im vergange­nen Jahr zusätzlich noch einmal sage und schreibe 458 Euro pro Kind mehr angefallen. Das sind wohlgemerkt nur Durchschnittswerte, das heißt, unter Umständen waren die Kosten, die da angefallen sind, noch viel höher. Jetzt kommt eben auch noch dieser Eigenanteil für die digitalen Endgeräte dazu.

Man hört jetzt von den verschiedensten Vertreterinnen und Vertretern von Türkis und Grün immer wieder: Was nichts kostet, ist nichts wert!, oder auch: Sind ja eh nur 100 Euro, das wird es den Eltern doch hoffentlich wert sein! – Also nicht böse sein, aber das ist, glaube ich, an Überheblichkeit und Abgehobenheit nicht zu überbieten, denn das entspricht ganz und gar nicht der Lebensrealität vieler Menschen und vieler Familien in unserem Land – muss man leider sagen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesra­tes Leinfellner.)

Österreich ist aber nicht umsonst – wie wir alle wissen, und das wissen Sie genauso gut wie ich – jenes Land, in dem die Bildung am allerallermeisten vererbt wird. Ja, hier in Österreich macht sich die Chancenungleichheit ganz besonders deutlich bemerkbar. Schauen wir uns diese Summen, die ich Ihnen gerade genannt habe, in Relation an (Zwischenruf bei der ÖVP): Haushalte mit einem hohen Einkommen brauchen also „nur“ – unter Anführungszeichen – 5 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Schulkos­ten, während Haushalte mit einem niedrigen Einkommen, also bis ungefähr 2 000 Euro, mindestens 14 Prozent oder sogar ein Sechstel ihres gesamten Haushaltseinkommens für Schule, für die Bildung ihrer Kinder aufwenden müssen. Das ist eine Ungleichheit, die ihresgleichen sucht, wenn man so möchte.

Das heißt also, kurz zusammengefasst: Bildung und vor allen Dingen auch die Bildungs­möglichkeiten in Österreich hängen davon ab, wie groß und wie dick das Geldbörsel der Eltern ist. Das ist ein Faktum, das kann man nicht leugnen – jetzt ist er zwar beschäftigt, der Herr Bundesminister (Bundesminister Polaschek spricht mit einem Mitarbeiter) –, aber die Frage ist: Ist das wirklich Gerechtigkeit in unserem Land? – Ich sehe es nicht so. Ist es wirklich Gerechtigkeit, wenn es Schüler gibt – und ich kann Ihnen bestätigen, dass es diese Schüler gibt –, die immer, wenn gerade ein Wandertag oder eine Exkur­sion ist, „zufällig“ – unter Anführungszeichen – krank sind, weil sich die Eltern tragischer­weise auch die 10 oder vielleicht 20 Euro für diese Exkursion nicht mehr leisten können?

Von der psychischen Belastung für diese betroffenen Kinder ganz zu schweigen: Man kann es sich vorstellen, es ist ganz besonders unangenehm für die Kinder selbst, wenn man weiß, man kann dort und dort nicht mitfahren, aber alle anderen es sehr wohl können, wenn immer nur die anderen den Skikurs, die Sprachwoche machen können, aber man selbst nie dabei sein kann, weil eben die Eltern das Geld dafür nicht aufbringen können.

Daher ganz klar und ganz deutlich: Nein, es sind nicht einfach nur 100 Euro, die da auf­gebracht werden müssen, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich muss also sagen: Ja, wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, keine Frage, und es ist positiv, dass der Minister zumindest erkannt hat, dass es da zusätzlichen Förderbedarf gibt. Positiv ist auch, dass der Kreis der zu fördernden Familien nun um jene erweitert wird, die einen Zuschuss zum Fernmeldeentgelt erhalten, aber nicht von der Rundfunk­gebühr befreit sind. Positiv ist außerdem, dass SchülerInnen in Mehrstufenklassen nun in den Kreis der Begünstigten aufgenommen werden sollen. So weit, so gut.

Ich muss jedoch schon ganz offen und ehrlich sagen: Das alles sind kleine, ja kleinste Schritte, aber leider nicht mehr. Aus eigener Erfahrung im Schulbereich kann ich sagen, dass wirkliche Chancengerechtigkeit anders ausschaut. Ich weiß, Sie hören es nicht gern – viele in der ersten Reihe hier im Plenum ebenso wenig –, aber Kreisky hat es damals sehr wohl vorgemacht, wie es geht, wie echte Chancengerechtigkeit hergestellt wird. Das sind zum Beispiel die Einführung der Schülerfreifahrt, die Einführung der kos­tenlosen Schulbücher für alle und vieles, vieles mehr.

Wenn ich mich hier so umsehe, denke ich, dass auch in unseren Reihen viele dabei sind, die von genau diesen Maßnahmen massiv profitiert haben und auch heute noch profi­tieren. Ich denke, das war die entsprechende Weitsicht, die uns heute fehlt.

Heute, im Jahr 2022, geht es immer und überall um Digitalisierung, Kollege Hirczy hat es gerade angesprochen. Die Bedeutung von Digital Skills wird immer wieder betont, und da sollte es eigentlich überhaupt keine Diskussion mehr sein: Jeder Schülerin, je­dem Schüler ihr beziehungsweise sein eigener Laptop, Tablet oder was auch immer. Das wäre ganz einfach und das wäre weitsichtig.

Ich denke, was an Coronahilfsmaßnahmen für Großkonzerne auf der einen Seite da war, müsste auf der anderen Seite doch eigentlich auch locker für die Bildung da sein – oder etwa nicht? Irgendwie fehlt mir da etwas in der Rechnung. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein kleines, nicht ganz uninteressantes Bonmot am Rande: Das aktuelle Schuljahr ist mittlerweile doch einigermaßen fortgeschritten, wir haben knapp drei Viertel des Schul­jahres hinter uns, und es gibt immer noch Schulen, die bis heute – nach fast eineinhalb Jahren, trotz immer wieder beteuerter Versprechen – noch kein einziges digitales End­gerät aus dieser Aktion erhalten haben; kein SchülerInnengerät, kein LehrerInnengerät, nicht einmal ein Gerät für die KustodInnen, damit diese sich das Gerät vorab einmal anschauen könnten.

Ich glaube, so kommen wir der Digitalisierung, wie Kollege Hirczy sie gerade angespro­chen hat, nicht wirklich näher. Es ist schön und gut für die 80 oder 85 Prozent, die schon ein Gerät haben – ich kann es nicht verifizieren –, aber für die anderen 15 Prozent, die immer noch darauf warten, kann ich da nur sagen: Na ja! – Ich persönlich komme aus solch einer Schule, und wir werden in Wahrheit seit Monaten hingehalten; zuerst wegen der Ausschreibung, die nicht funktioniert hat, dann beeinsprucht wurde und neu durchge­führt werden musste, jetzt heißt es – man höre und staune –: Die Geräte, die geliefert wurden, sind nicht für den Unterricht geeignet. Das finde ich großartig, absurder kann es ja nicht mehr werden! Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, ein Schildbürgerstreich!

Die Ungleichheit zwischen den unterschiedlichen Schularten muss man auch noch be­achten: In den Bundesschulen bekommt in den teilnehmenden Klassen jede Lehrerin, jeder Lehrer ein Gerät – bei den Pflichtschulen nur drei Lehrer pro Klasse! Jetzt kann ich also würfeln, die einen kriegen ein Gerät, die anderen nicht. Ich weiß nicht, vielleicht müssen wir Roulette spielen, wer eines bekommt und wer sich selber eines kaufen muss – also Fairness sieht anders aus.

Zum Glück, muss man sagen, unterstützen uns da die Schulerhalter, und in meinem Fall auch unsere Gemeinde, die da ganz massiv für die Versäumnisse des Bundesministe­riums einspringt. Vielen Dank dafür an dieser Stelle, wir können uns immer auf Unter­stützung unserer Gemeinde – Zwentendorf in diesem Fall – verlassen.

Lassen Sie mich noch ein weiteres Thema ansprechen, das – ich glaube, Sie haben es bemerkt – die Gemüter im Bildungsbereich einigermaßen erhitzt hat, und das zu Recht, wie ich finde! Sie haben ja vorgestern in einem Brief an die DirektorInnen angekündigt, ihnen einen 500-Euro-Bonus zukommen zu lassen. Das wirkt auf den ersten Blick posi­tiv, gar keine Frage, ich möchte da aber besonders auf das Kleingedruckte hinweisen, auf das Sie selbst nämlich geflissentlich vergessen – wollen wir es einmal so sagen.

Erstens sagen Sie mit keinem Wort dazu, dass dieser Bonus über die Besoldung ganz normal versteuert werden muss. Das heißt, somit sind es in Wahrheit keine 500 Euro, für die Sie sich da gerade feiern lassen, sondern wesentlich weniger.

Zweitens, und das ist die große Frage, die ich mir als Personalvertreterin im Pflichtschul­bereich stelle: Was ist mit den Pädagoginnen und Pädagogen, den Lehrerinnen und Lehrern? Was ist mit den ElementarpädagogInnen, die in dieser Zeit mindestens genau­so Großartiges geleistet haben? Was ist mit den FreizeitpädagogInnen? Was ist mit dem Stützpersonal? Was ist beispielsweise mit den SchulwartInnen, die sich um die Infra­struktur kümmern mussten? Was ist mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kin­der- und Jugendhilfe?

Es gibt noch viele andere, ich brauche sie jetzt gar nicht alle aufzuzählen, die in den letzten beiden Jahren sicher wesentlich mehr Aufwand als sonst hatten, im Bereich Ge­sundheit und Pflege, aber auch etwa bei der Polizei. All diese Personen müssen jetzt offensichtlich zwei Jahre lang Urlaub gehabt haben, ich weiß es nicht, aber ich kann mir diese Art der Ungleichbehandlung eigentlich nicht erklären.

Konkret zur Situation in den Schulen – wir haben das hier schon öfter angesprochen und diskutiert, aber ich möchte es trotzdem noch einmal wiederholen, damit wir es wieder ins Bewusstsein bekommen –: Wir haben gleichzeitig Distancelearning und Präsenzunter­richt gemacht, wir haben Lernpakete für jene Kinder, die in Betreuung oder zu Hause waren, zusammengestellt, wir haben Livestreaming gemacht. Wir hatten also einen exor­bitanten Mehraufwand für Vor- und Nachbereitung, den ich auch selbst erleben durfte, wenn ich das so formulieren darf. Wir hatten also eine Mehrbelastung in ganz vielen Bereichen – im Unterrichtsbereich, aber genauso im administrativen Bereich –, die sich gewaschen hat. Dazu kommt noch, dass wir Kinder betreuen, die psychisch teils ganz immens unter dieser Krise gelitten haben und immer noch leiden. Dazu kommen auch die Verordnungen und Erlässe, die oft sehr unklar formuliert werden und erst in allerletz­ter Sekunde eingetrudelt sind, diese mussten wir umsetzen.

Was mich eigentlich am meisten geärgert hat, ist dieses angeblich engmaschige Testsi­cherheitsnetz, das Sie so oft hervorheben, das in Wahrheit monatelang keines war. Erst seit ein paar Wochen funktioniert das nämlich tatsächlich so halbwegs, und dadurch wa­ren und sind SchülerInnen wie LehrerInnen gleichermaßen einem immer noch unnötigen Infektionsrisiko ausgesetzt – und nach den Osterferien gibt es die Pandemie dann of­fensichtlich nicht mehr; na gut.

Jetzt kommt aufgrund des Kriegs auch noch dazu, dass wir immer mehr ukrainische Kinder in unseren Schulen aufnehmen und schauen, dass sie bestmöglich am Unterricht teilnehmen können. Das ist wichtig und richtig, gar keine Frage, denn gerade für die Psyche der Kinder ist es wichtig, ein wenig Alltag zu haben. Dazu kann natürlich auch die Schule ihren Beitrag leisten, aber das bedeutet wieder zusätzliche Herausforde­rungen für die Pädagoginnen und Pädagogen. Wir erbringen also zwei Jahre lang schon Höchstleistungen, und kurzum - -

Vizepräsident Günther Novak: Frau Kollegin, bitte, das waren jetzt schon 12 Minuten.

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): Ich werde mich bemühen. Dieser Bonus ist bestenfalls – ich formuliere es jetzt wirklich so, wie ich es mir denke – ein klei­nes Leckerli, das Sie quasi Ihrem Hund vor die Beine werfen, damit er kurzfristig ruhig­gestellt ist und nicht mehr bellt.

Ich glaube, wir wissen aber alle, was das Bildungssystem tatsächlich braucht: Was die dort Tätigen – sprich die Pädagoginnen und Pädagogen, die Direktorinnen und Direkto­ren, aber auch die Schülerinnen und Schüler – letztendlich brauchen, ist der Chancenin­dex, sind finanzielle Ressourcen für jene Schulen, die besondere Herausforderungen zu bewältigen haben, das sind mehr Unterstützungspersonal und Doppelbesetzungen in der Schuleingangsphase. Wir brauchen SchulsozialarbeiterInnen, wir brauchen flächen­deckend SchulpsychologInnen, administratives Unterstützungspersonal und vieles an­dere mehr.

Ich weiß nicht, ob Ihnen klar war, was Sie mit der Ankündigung dieses einzelnen Bonus auslösen, Fakt ist aber: Wertschätzung für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Schulen sieht definitiv anders aus!

Ich möchte Sie an dieser Stelle dringend einladen und auffordern, mit dem Finanzminis­ter in Verhandlungen zu treten, denn wenn es einen Bonus gibt, dann auch wirklich richtig und für alle; einen Bonus für all jene, die unser Land während der letzten zwei Jahre, während der Krise getragen haben, aufrechterhalten haben und weiter tragen. Wir dürfen nämlich eines nicht vergessen: Es waren die Lehrerinnen und Lehrer, die die Schülerinnen und Schüler durch diese Krise geführt haben, und sie sind es, die sie auch weiter durch diese nach wie vor schwierige Situation führen werden!

Ich höre in Niederösterreich immer wieder den Satz: Leistung müsse sich lohnen! – Ja, ganz genau, diese Leistung muss endlich auch finanziell entsprechend abgegolten werden!

Ich bitte Sie daher: Seien Sie ehrlich, seien Sie mutig und treten Sie mit dem Finanzmi­nister in Verhandlung! Ich glaube, Leistung muss tatsächlich belohnt werden, ein Danke­schön und Klatschen alleine werden nicht reichen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.59

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Josef Ofner. Ich erteile ihm das Wort.