9.43

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Es könnte, glaube ich, kein besserer Zeitpunkt für diese Diskussion auch hier im Bundesrat unter dem Titel „Nationaler Kraftakt Energiewende“ sein, denn der ab­scheuliche Angriff Russlands auf die Ukraine hat uns in den letzten Wochen eines schmerzlich vor Augen geführt, nämlich was unsere Abhängigkeit von russischem Gas für uns bedeutet, was unsere Abhängigkeit von fossilen Energien für uns bedeutet. Das hat auch der UN-Generalsekretär gestern in Wien gerade wieder sehr, sehr deutlich for­muliert.

Diese Abhängigkeit hat uns vor Augen geführt, wie erpressbar wir sind. Wir haben uns – so ehrlich und so offen muss man sein – als Land in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehenden Auges in die Fesseln eines Autokraten begeben. Wir haben immer mehr billi­ges Gas, immer mehr Gas aus Russland gekauft. Die Devise hat über lange Jahre ge­lautet, immer noch einen Vertrag, immer noch einen Freundschaftsvertrag, immer noch mehr Gas, noch mehr Abhängigkeit, anstatt sie zu reduzieren.

Jetzt müssen wir in dieser Situation erkennen, uns aus dieser Abhängigkeit angesichts dieses Krieges zu befreien, das werden wir nicht von heute auf morgen machen kön­nen – das ist schlicht nicht möglich. Auch wenn sich viele Menschen – auch in unserem Land – wünschen, auch aus moralischen Gründen – wenn man die Bilder aus Butscha sieht –, dass wir sagen, wir müssen sofort auf russisches Erdgas verzichten, dann müs­sen wir leider hier stehen und sagen: Nein, diesem Wunsch, dieser Forderung können wir derzeit nicht entsprechen, die Konsequenzen für unser Land, für unsere Wirtschaft wären zu groß. – Das ist der Boden der Realität, auf dem wir in Österreich angelangt sind, und wir müssen dieser Realität einfach ins Auge sehen. Wir schaffen das nicht von heute auf morgen.

Unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas ist eine Realität, die schwer zu ertragen ist, weil wir uns da, wie ich gesagt habe, sehenden Auges hineinbegeben haben, in un­serem Land bewusst Entscheidungen getroffen haben, die die Abhängigkeit immer wei­ter vergrößert haben. Wir haben erst vor wenigen Jahren weitere Lieferverträge mit Gaz­prom unterzeichnet, sie wieder verlängert, uns noch länger abhängig gemacht. 2016 hat die damalige Bundesregierung großen Druck auf die OMV ausgeübt, Gasfelder in Nor­wegen gegen Gasfelder in Russland zu tauschen. Österreich war das erste Land der Europäischen Union, das 2014, nach der Annexion der Krim, Wladimir Putin wieder willkommen geheißen hat. Diese Fehler zu bekennen und zu benennen halte ich für un­erlässlich, denn nur dann können wir auch daraus lernen – alle gemeinsam – und dafür Sorge tragen, dass sie uns nicht wieder passieren. Auch das sehe ich als meine Verant­wortung in dieser Situation. Die Verantwortung und wie wichtig sie ist, das hat uns dieser Krieg auch gezeigt und zeigt uns dieser Krieg jeden Tag wieder aufs Neue.

Das heißt, die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu beenden – das steht außer Frage. Das ist die einzige Antwort, die die Europäi­sche Union konsequenterweise und angemessenerweise auf diesen Krieg geben kann. Das heißt, wir müssen jetzt über das Wie sprechen, und da kommen wir zu diesem na­tionalen Kraftakt – Sie haben dieses Thema ja nicht zufällig genau heute zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht. Vor uns steht ein nationaler Kraftakt Energiewende, ein nationaler Kraftakt Ausstieg aus russischem Erdgas. Wir müssen es geplant tun, wir müssen es vernünftig tun und gleichzeitig so schnell wie nur irgendwie möglich tun, ohne – auch das ist wichtig – uns selbst dabei mehr zu schaden als Russland.

Wir können diesen Kraftakt bis 2027 stemmen, wenn wir sofort damit beginnen, wenn alle in unserem Land die Verantwortung übernehmen, die es dafür braucht. Dafür braucht es drei Säulen, auf die ich hier auch kurz eingehen möchte, nämlich erstens: den Gasverbrauch zu reduzieren, zweitens: die eigene Produktion zu erhöhen, und drit­tens: die Lieferländer zu diversifizieren.

Unabhängigkeit von Russland heißt, wir müssen mit dem Gasverbrauch herunterkom­men. Jeder Kubikmeter Gas, den wir einsparen, ist ein Beitrag dazu. Bis 2030 – Kollege Gross hat es vorhin schon erwähnt – müssen wir unseren Gasverbrauch – ich formuliere es so herum – um rund 29 Terawattstunden reduzieren, damit wir den Ausstieg aus rus­sischem Erdgas bis 2027 schaffen.

Das ist enorm ambitioniert, das ist richtig viel, aber es geht, das zeigen uns die Daten, das zeigen uns die Potenziale, die wir haben: wenn wir in unserem Land die Gasheizun­gen ausbauen und durch bessere erneuerbare Alternativen ersetzen, wenn wir mit gut gedämmten Häusern Gas sparen – das spart mit effizienten Energiebetrieben by the way auch Betriebskosten –, wenn wir in der Energieversorgung in den Häusern, in vielen Betrieben auf erneuerbare Alternativen umsteigen und deswegen auch die Erzeugung dieser erneuerbaren Alternativen aus Sonne, aus Wind, aus Wasser, aus Biomasse aus­bauen, damit wir eben Schritt für Schritt, Kubikmeter für Kubikmeter den Gasverbrauch reduzieren.

Deswegen sind es gute Neuigkeiten, dass wir die Investitionsförderung, wie Kollege No­vak gerade erwähnt hat, heuer noch einmal im Vergleich zu dem, was geplant war, deut­lich vervielfacht haben. Deswegen sind es gute Neuigkeiten, dass wir so viele Anträge wie überhaupt noch nie zuvor in diesem Land haben. Deswegen sind es gute Neuigkei­ten, dass 2022 ein Rekordjahr für den Windkraft- und den Fotovoltaikausbau wird. Wir brauchen die Menschen in unserem Land nämlich für diesen Kraftakt, den wir vor uns haben.

Zweitens: Unabhängigkeit von russischem Erdgas bedeutet auch, die eigene Produktion auszubauen, in Österreich Gas, Biomethan, grünen Wasserstoff zu produzieren. Es gibt in Österreich eine Erdgasförderung, die rund 10 Prozent unseres Verbrauchs abdeckt – auch die müssen wir weiterführen. Österreich hat aber großes Potenzial gerade in der Biogasproduktion, in der Biomethanproduktion. Es gibt engagierte Unternehmen, es gibt engagierte Menschen. Wenn wir mehr Biogas einspeisen, dann haben wir hier in der Zukunft, bis 2027 deutliches Potenzial, um russisches Erdgas zu ersetzen.

Die dritte Säule heißt: Ja, wir müssen diversifizieren. Wir können nicht länger in einem derartig ungesunden Ausmaß von einem Partner abhängig sein, sondern wir müssen auch den Gaseinkauf auf ein stabiles Fundament stellen. Diese Freiheit fehlt uns derzeit, das spüren wir gerade. Genau aus diesem Grund müssen wir darangehen, auch vielfäl­tiger in den Lieferländern zu werden. Schon jetzt bezieht Österreich einen Teil seiner Gaslieferungen aus Norwegen. Diesen Anteil müssen wir deutlich erhöhen, sonst wird sich das nicht ausgehen. Wir brauchen aber auch Lieferungen über andere Pipelines, etwa aus Nordafrika. Wir beteiligen uns intensiv am gemeinsamen Vorhaben der Euro­päischen Kommission, Gas gemeinsam einzukaufen, um unsere Kraft auch am Welt­markt zu bündeln. Wir werden dazu auch Flüssiggaseinkäufe machen müssen, weil wir andere Lieferländer außer Russland brauchen.

Ich sage es auch hier – die Europäische Kommission meint das ernst mit 2027 –: Der Ausstieg aus russischem Erdgas ist unausweichlich. Russland führt Krieg, Russland be­geht Kriegsverbrechen. Auf Russland können wir uns – das sehen wir gerade in der Be­richterstattung der letzten Tage – als stabilen Energielieferanten nicht verlassen.

Das heißt, wir müssen auch das Szenario – und auch das ist in den Reden ja schon angeklungen – im Blick haben, dass wir plötzlich einer dramatischen Situation gegen­überstehen, nämlich: Was passiert, wenn Russland die Gaslieferungen beendet? Auch darauf sind wir vorbereitet, dafür wurden Notfallpläne entwickelt, aufbauend auf dem Energielenkungsgesetz. Das Energielenkungsgesetz gibt da einen ganz klaren Rahmen vor, geschützte KundInnen, Haushalte, soziale Dienste, Krankenhäuser, systemrelevan­te Bereiche zu priorisieren, die Stromerzeugung, die zum Teil noch mit Gas betrieben wird, die Lebensmittelproduktion, die kritische Infrastruktur. Wir haben das ja schon öfter auch in diesem Rahmen diskutiert.

Aber ganz egal, wie gut wir vorbereitet sind, Russland ist der größte Erdgasexporteur weltweit. Wenn Russland von einem Tag auf den anderen kein Gas mehr liefert, dann gibt es für ganz Europa, von Italien bis Deutschland, von Ungarn bis Österreich, eine Antwort, und die heißt, großen Energieverbrauchern die Versorgung zu reduzieren, ins­besondere in der Industrie, damit die Haushalte auf Basis der Energielenkung auch weiter geschützt sein können. Die ganze Bundesregierung setzt auf allen Ebenen alles daran, dieses Szenario zu verhindern, denn das ist ein Szenario weitreichender Konse­quenzen. Wenn Russland von heute auf morgen für Europa als Energielieferant ausfällt, dann bedeutet das Produktionsausfälle, dann bedeutet das Arbeitslosigkeit, dann ist das eine Situation, die wir in vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten noch nie hatten.

Ich würde jetzt gerne hier stehen und sagen, dass sich diese Tatsache einfach abwen­den lässt, aber das wäre unehrlich. Das wäre unehrlich. Österreich ist abhängig, Öster­reich ist zu abhängig. Ich hatte am Freitag den Chef der Internationalen Energieagentur zu Besuch, der auch noch einmal bestätigt hat, dass wir in Europa in einer wirklich au­ßergewöhnlich exponierten Situation sind: 80 Prozent, ein Binnenland, abhängig von Pipelinelieferungen. Deswegen müssen wir die Abhängigkeit beenden und vorsorgen, so gut es geht, auch für alle anderen Situationen. Deswegen speichern wir ein. Wir legen Gasreserven an. Wir haben ein Gesetz für die strategische Gasreserve in Rekordzeit – danke, auch hier im Bundesrat – beschlossen. Die Ausschreibung ist seit gestern drau­ßen. Der Staat kauft erstmals selbst Gas ein.

Wir haben im Finanzausschuss des Nationalrates noch eine Versorgungssicherheit be­schlossen, die es uns ermöglicht, Energieversorger zu beauftragen, auch physisch ein­zuspeichern, angelehnt an das deutsche Modell. Das wird auch bald bei Ihnen im Bun­desrat sein und ich darf hier schon um breite Unterstützung werben. Wir haben eine Lösung für die Industrie auf den Weg gebracht, um der Industrie Sicherheit zu geben, wenn sie vorsorgt und selbst physisch einspeichert.

Wir sorgen dafür, dass die Speicher in unserem Land bis zum Beginn der Heizsaison zu 80 Prozent gefüllt sind, nehmen dafür auch Geld in die Hand, bis zu 6,6 Milliarden Euro, aber ja: Wenn die Gasversorgung von einem Tag auf den anderen ausfällt, kann das im schlimmsten Fall immer noch zu wenig sein.

Deswegen tragen wir gemeinsam – und dieser Appell an die Gemeinsamkeit ist ja in vielen Reden schon vorgekommen – in solch einer Situation eine weitreichende Verant­wortung. Auch ich habe eine weitreichende Verantwortung, ich stehe auch zu dieser Verantwortung und sage: Je schneller wir den Ausstieg aus russischem Erdgas schaffen, desto geringer wird unsere Abhängigkeit, desto schwieriger kann man uns erpressen. Jedes bisschen Gas, das wir uns aus den Lieferungen aus Russland ersparen, ist ein bisschen mehr Unabhängigkeit, und dafür brauchen wir alle in ganz Österreich, jeden Betrieb, jedes Unternehmen, jedes Bundesland, jeden Bürgermeister, jede Bürgermeis­terin, jeden und jede Einzelne/n von uns und Ihnen in der politischen Verantwortung, denn wenn wir diesen Kraftakt als Österreich gemeinsam annehmen, dann können wir ihn auch gemeinsam stemmen.

Dafür bitte ich auch Sie um Ihre Unterstützung und sage herzlichen Dank, dass Sie sich diesem wichtigen Thema heute auch widmen. – Danke sehr. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Novak.)

9.55

Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Ich danke der Frau Bundesministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. Ich erteile ihm dieses.