16.45
Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste hier im Haus! Werte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ja, in der Dringlichen Anfrage geht es natürlich darum, Fragen zu stellen und Antworten darauf zu bekommen. Herr Minister, ich glaube aber, dass das, dem Sie sich wirklich stellen müssen, die Fragen, die Sorgen und die Probleme der Menschen sind, und was es wirklich braucht, ist, dass Sie etwas tun. Die größte Frage, die sich die Menschen da draußen stellen ist: Wann gedenken Sie etwas zu tun, um der Bevölkerung ein leistbares Leben zu ermöglichen? (Bundesrat Raggl: 4 Milliarden Euro!)
Wann hat die Regierung neben Ministerwechsel, Regierungsumbildungen, Inseratenaffären und Skandalen (Bundesrat Preineder: ... Anpatzen!) endlich einmal den Kopf dafür, ihre Arbeit zu machen, sich um die Menschen in diesem Land zu kümmern und das zu tun, was ihre Pflicht ist, nämlich Verantwortung zu übernehmen? (Bundesrat Gfrerer: 18 Milliarden ...!) Regieren bedeutet nicht Macht zu haben, regieren bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Herr Minister, ich gebe Ihnen vollkommen recht, wenn Sie sagen, dass es für diese Aufgaben einen kühlen Kopf braucht. Was es aber bestimmt nicht braucht, ist soziale Kälte, und wir haben schon bald sibirische Kälte! (Beifall bei der SPÖ.)
Die Fragen, die Ihnen von den Menschen gestellt werden, kommen aus allen Bevölkerungsschichten und sie kommen von allen Altersgruppen. Denn die Teuerungen betreffen alle und sie sind für fast alle ein immenses Problem, nicht mehr nur für die GeringverdienerInnen, nicht mehr nur für einzelne Gruppen. (Bundesrat Steiner: Mittelstand!) Nein, es fragen sich schon sehr, sehr viele Menschen, wie sie ihr Leben sicher, gesund und mit Wohlbefinden gestalten können. (Zwischenruf der Bundesrätin Kittl.)
Ich habe gestern eine Nachricht von einer Dame bekommen – leider habe ich mein Handy jetzt am Platz liegen lassen –, deren Gasvorauszahlung sich aufgrund der Abrechnung verdreifacht hat, von annähernd 200 Euro auf über 600 Euro. Das ist nicht mehr nichts! Sie können jetzt natürlich sagen: Na, sie soll ihre Heizung umbauen, damit sie nicht so viel Gas braucht! Aber die Förderungen, die man für die Heizungsumstellung braucht, kommen ja erst im Nachhinein. Zuerst muss man die gesamte Summe zahlen. Und wissen Sie, was eine Wärmepumpe für ein kleines Haus kostet? – 20 000 Euro! Diese müssen Sie vorher voll bezahlen, um sich dann die Förderung zu holen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Kittl.)
Wer kann sich denn das leisten? Die Mindestpensionistin für das alte Haus, die sich nicht einmal einen Kredit aufnehmen kann? Wie soll das funktionieren? (Bundesrat Preineder: Auf das Haus kann man sich schon einen Kredit nehmen!) – Eine Mindestpensionistin bekommt den Kredit nicht. Aber wenn Ihnen das gelingt, Herr Preineder, bitte, dann können Sie da intervenieren! (Bundesrat Preineder: Das Haus kann man belasten! – Bundesrat Steiner: Das Haus soll sie belasten, hat er gesagt!)
Und wissen Sie, wo der Differenzbetrag den Menschen fehlt? – Dieser Differenzbetrag fehlt dort, wo man den Kindern ein gesundes Essen ermöglichen soll. Da geht es nämlich nicht um die Butter am Brot, da geht es um das Brot selber. Da geht es um die Bildungschancen, da geht es um den Musikunterricht, um die Sprachförderung und es geht letztlich auch um ein soziales Miteinander in Form von Freizeitmöglichkeiten. (Beifall bei der SPÖ.)
Es geht nicht um den teuren Luxusurlaub in der Karibik. Nein, es geht um den Freibadbesuch bei 7 Euro Tageseintritt mit vier Kindern.
Versuchen Sie, sich das leisten zu können! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)
Es geht um den Vereinsbeitrag, wenn die Kinder Fußball spielen, wenn sie Handball spielen. Da geht es auch darum, dass Vereine, die eh schon keinen Nachwuchs mehr haben, auch den verlieren werden, den sie haben, denn es kann sich keiner mit Kindern diese Mitgliedsbeiträge mehr leisten.
Das Geld fehlt im Börserl, wenn es um die warme Dusche geht. Tragisch wird es, wenn es um gesundheitsfördernde Maßnahmen geht. Es gibt Menschen in Österreich, die sich ihre Medikamente nicht abholen, weil die Rezeptgebühr nicht leistbar ist. Es gibt Menschen, es gibt UnternehmerInnen in diesem Land, die nicht zum Arzt gehen, weil der Selbstbehalt für sie nicht drinnen ist, und es gibt Menschen – ja, stellen Sie sich das vor! –, die haben das Geld für den Wahlarzt – dort, wo der Kassenarzt nicht mehr da ist – nicht. Sie können es nicht zahlen, bis sie es zurückbekommen. (Beifall bei der SPÖ.)
Es gibt Menschen, die tun sich schwer damit, sich ihren Arbeitsweg leisten zu können. Ja, und dann kommt da wieder die Geschichte mit der ach so tollen Pendlerpauschale, die dann ja auch erst im Nachhinein wirksam wird, und die – wenn man schon so viel Wert auf soziale Gerechtigkeit legt – ja auch dann wesentlich höher ist, wenn man mehr verdient. Nur: Beim Tanken gibt es keinen Unterschied. Ich habe die Tanksäule noch nicht gefunden, an der der Sprit für den Wenigverdiener billiger ist. Ich habe auch noch kein Auto gesehen, bei dem das Tanken oder der Verbrauch niedriger ist, nur, weil man ein geringes Einkommen hat. An mir ist das bisher spurlos vorübergegangen.
Und zu dem, dass eine Steuersenkung auf Treibstoff nicht EU-konform sei: Das haben uns andere Länder bewiesen, dass das geht. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Sie haben sich bei der Anpassung der Kinderbeihilfe an den Ort, wo die Kinder leben, auch nicht darum gekümmert, ob das EU-konform ist. Da haben Sie die Strafe in Kauf genommen! Sie kümmern sich auch beim Familienbonus nicht darum, wie sozial gerecht das ist, und ob es bei den Richtigen ankommt. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ.)
Wie passt das alles zusammen? Auf jeden Fall passt es nicht für die Menschen. Der Energiebonus, der Scheck, der jetzt für den Strom kommt: Ja, im nächsten Jahr wird er bei den meisten wirksam – 150 Euro –, aber die müssen sich dann auch noch gut überlegen, ob sie sollen, dürfen, müssen, doch nicht sollen, können oder wie auch immer – also ganz so optimal ist das nicht. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir haben heute auch schon über die Pflege gesprochen. Wissen Sie, wie sehr diese Teuerungen die mobilen Dienste belasten? Wissen Sie, wie da die Kosten steigen? Sollen diese Kosten dann an die KundInnen weitergegeben werden? Ist das das Rezept? Schieben wir die Probleme weiter, und den letzten in der Kette beißen dann die Hunde, der soll es zahlen? Ist das das Rezept?
Die PensionistInnen können sich das nicht mehr lange leisten: 1,8 Prozent Pensionserhöhung gegenüber 7,2 Prozent Inflation. Die 24-Stunden-Pflege daheim geht sich, wie Kollegin Grossmann gesagt hat, schon jetzt bei Weitem nicht aus, und jetzt steigen die Kosten auch noch. Die PflegerInnen, die im Haus sind, brauchen auch Wärme, brauchen auch warmes Wasser und sie brauchen etwas zum Essen. Ja, wie soll das noch leistbar sein?
Neben den Einzelpersonen, neben den Familien sind es natürlich auch die Betriebe, die vor enormen Problemen stehen, und viele von ihnen warten noch immer auf die Coronahilfen. Wir haben 100 000 anstehende Insolvenzen. Ich habe hier eine Zeitschrift der Wirtschaftskammer – nur, um zu zeigen, was die Betriebe zu leisten haben (aus der genannten Zeitschrift vorlesend): Der Bäcker hat mit „Steigerung der Herstellkosten von 30 bis 60 %“ zu kämpfen; Metallbaubetriebe durch die Energiekosten „bei Gas“: „+300 %“; ein Taxiunternehmen: „Dieselpreissteigerungen zwischen 55 und 65 %“; der Hotelier hat Zusatzkosten im Spa-Bereich, im Wellnessbereich, in der Verpflegung, schon allein beim Frühstücksbuffet – wo soll das hinführen?
Es ist höchste Zeit, zu handeln und sich nicht auf ein Entlastungspaket in Millionenhöhe oder Milliardenhöhe rauszureden, denn da sind Dinge drinnen, die erst im nächsten Jahr schlagend werden. Da werden Entlastungen gerechnet, die es noch gar nicht gegeben hat. Was es hätte geben sollen, was ausgesetzt worden ist, wird als Entlastung verkauft. Das kann so nicht funktionieren.
Wenn diese Regierung keinen Kopf für die dringlichen Probleme der Menschen und der Wirtschaft hat und anscheinend auch nicht den Willen und nicht die Kompetenz hat, jetzt gegen die Teuerung etwas zu unternehmen, dann kann es nicht sein, dass das die Bevölkerung ausbaden muss – und noch dazu im kalten Wasser, denn ein warmes Bad wird für sie bald nicht mehr drinnen sein. Es ist genug evaluiert, es ist genug hingeschaut, es ist Zeit, zu handeln!
In Niederösterreich gab es heute eine Sondersitzung des Landtages, in der die SPÖ mit der FPÖ klare Forderungen gestellt hat, und nicht nur Forderungen gestellt hat, sondern mit jeder Forderung die genaue Ausfinanzierung dazugegeben hat. Da geht es um den Teuerungsausgleich, darum, den Heizkostenzuschuss – und zwar rückwirkend – zu verdoppeln. Da geht es darum, dass gefordert wird, eine Gebührenbremse für die Gemeinden einzuführen, die aber nicht die Gemeinden finanzieren sollen, sondern die refundiert wird, es geht um Spritpreisdeckelungen, um ein Top-Jugendticket für alle unter 26 in Ausbildung Stehende und natürlich um die Senkung der Steuer auf Lebensmittel – die muss ausgesetzt werden. Das Argument der sozialen Gerechtigkeit zählt da nicht, denn sozial gerecht ist es, wenn die Menschen, die es dringend brauchen, sich Brot, Butter und Milch leisten können. Das ist sozial gerecht. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)
Deshalb bringe ich folgenden Antrag ein:
Entschließungsantrag
der BundesrätInnen Andrea Kahofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Umsatzsteuer auf Lebensmittel aussetzen“
Der Bundesrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefordert, dem Nationalrat sowie dem Bundesrat umgehend eine Gesetzesvorlage zuzuleiten, mit der Lebensmittel für alle leistbar bleiben. Die exorbitanten Preissteigerungen im Supermarkt sollen durch eine befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs abgefangen werden. Die preisgesetzlichen Vorschriften sind durch umfassendes Monitoring und empfindliche Strafen für Unternehmen, bei Nichtweitergabe der Steuersenkungen an die Konsument*innen, durchzusetzen.“
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Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
16.58
Vizepräsident Günther Novak: Der von Bundesrätin Andrea Kahofer, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Umsatzsteuer auf Lebensmittel aussetzen“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl. Ich erteile ihr das Wort.