9.12
Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Vizekanzler Mag. Werner Kogler: Frau Präsidentin! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Ich möchte eingangs vorausschicken, dass ich mit Sicherheit das Bemühen habe, die ganze Debatte hier herinnen zu verfolgen, ich weiß aber von einem Termin, für den ich einmal 20, 30 Minuten nicht hier im Saal sein kann. Ich bitte, das wirklich zu entschuldigen, weil mir gerade die parlamentarischen Debatten ja ein Anliegen sind und ich auch heute hier wieder eine sehr breite Debatte erwarte.
Jetzt einmal zum Anlass: Ich möchte mich noch einmal bei den ausgeschiedenen Regierungsmitgliedern bedanken, gleichzeitig aber schon die Neuen auf der Regierungsbank mit all ihren Aufgabenbereichen – der Bundeskanzler hat sie angedeutet – begrüßen.
Ich glaube, die Aufgaben sind in allen Bereichen herausfordernd – wir werden sicher darüber debattieren, welche Krisen alle gleichzeitig zu bewältigen sind –, und deshalb noch einmal ein herzliches Willkommen Norbert Totschnig, Susanne Kraus-Winkler, Florian Tursky und Martin Kocher, der als Arbeitsminister nun noch ein weiteres breites Aufgabenfeld dazubekommen hat!
Aber lassen Sie mich gleich einsteigen, da ist das Stichwort Wirtschaft wahrscheinlich eh das richtige, und sagen, in welcher Problemlage wir uns befinden und wie hier die Analyse meinerseits ausschaut.
Bundeskanzler Scholz hat von einer Zeitenwende gesprochen – das ist jetzt auch schon wieder einige Wochen her –, und tatsächlich, es ist eine Zeitenwende, allein schon wegen der kriegerischen Ereignisse in der Ukraine, des völlig völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Putins gegen die Ukraine. Seit dem 24.2. ist es schon eine andere Welt, mit vielfältigen Auswirkungen, gerade eben auch in der Wirtschaft. Wenn aber die Welt eine andere ist, dann muss auch die Politik eine andere werden und sich diesen neuen Problemen und Phänomen zuwenden, so gut sie kann, so gut wir das in Österreich können. Wenn wir die multiplen, die sich überlagernden Krisen betrachten, so führt das natürlich zu großen wirtschaftlichen und sozialen Fragen, und wir haben alles zu tun, um soziale Schwierigkeiten und Verwerfungen hintanzuhalten.
Ich möchte nur einmal dafür plädieren, dass wir uns hier vielleicht auf einen gemeinsamen Rahmen verständigen, der damit beginnt, dass wir erkennen müssen, dass die weltweiten Auswirkungen der Pandemie ja schon ganz viele wirtschaftliche Einschläge gebracht haben, insbesondere schon mit den Lieferkettenunterbrechungen, mit dem Ausfall bei bestimmten Rohstoffen, mit der Nichttransportmöglichkeit über den Globus, mit der Anfälligkeit der globalen Wirtschaft, wie wir sie kennen, wo ja in der Vergangenheit viele Dividenden gezogen wurden. Man hat jetzt aber auch gesehen, dass besondere Risken schlagend werden, und der Krieg in der Ukraine wirkt da im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal als Brandbeschleuniger und wirft eigene Probleme und Fragen auf, hinsichtlich derer wir zumindest versuchen sollten, sie teilweise zu beantworten. Es muss aber, glaube ich, schon klar sein, dass die Einschläge in die Wirtschaft in Europa aufgrund dieses Krieges enorm sind.
Das betrifft die Energieknappheiten, die entstanden sind, und insbesondere die Preissprünge, ich will sagen: die Preisexplosionen – diese ja sowieso. Es entstehen aber auch physische Knappheiten an anderer Stelle, die mindestens so dramatisch sind. Einige von uns haben ja schon Ende Februar, Anfang März darauf hingewiesen, dass im Lebensmittelbereich besondere Verwerfungen drohen, am ganzen Globus. Wenn wahr ist – und es ist wahr! –, dass die Ukraine die Kornkammer der Welt ist und zu Recht als solche bezeichnet wird, dann können wir uns vorstellen, was da droht.
Es wird jetzt unter dem Nutzen aller Möglichkeiten daran gearbeitet – im Übrigen auch mit österreichischer Beteiligung –, dass man Getreide noch von dort rausbringt, insbesondere Weizen, es droht aber natürlich eine Verknappung, die dazu führen kann, dass wir etwa in Afrika große Hungersnöte zu gewärtigen haben (Zwischenruf des Bundesrates Spanring), und die Weltgemeinschaft ist gefordert, da dagegenzuarbeiten, wie es nur geht.
Eines ist aber auch jetzt schon klar – und darauf haben wir auch schon frühzeitig hingewiesen –: dass es bei einer derartigen Verknappung auch und gerade, wie ich meine, jedenfalls im allersensibelsten Bereich des Lebens, bei den Lebensmitteln – die heißen ja nun einmal schon so –, zu weiteren Verteuerungen kommt. Nicht nur, dass sich dort die Energiepreise schon niederschlagen – das auch, gerade bei Lebensmitteln, wegen der Transporte und der Produktion –, sondern es drohen auch Verknappungen. Deshalb sollten wir, glaube ich, so ehrlich sein und einmal sagen, dass, wenn am Globus derartige Einschläge mit derartigen Auswirkungen auf Österreich und Europa passieren, die Botschaft nicht sein kann, dass für alle alles gleich bleiben kann.
Ich hielte das nicht für seriös, ich hielte das für unehrlich, und deshalb stellen sich ja die Fragen in die Richtung, wie vorübergehende Wohlstandsverluste – ich meine, vorübergehende –, wenn wir solche zu erwarten haben, verteilt werden. Wie können wir die Lasten dieser vielfältigen Krisen in den nächsten ein, zwei Jahren verteilen? Das ist doch die relevante Frage, und wir sollten nicht so tun, als könnten wir die Inflation von 6, 7, 8 Prozent, die jetzt einmal monatelang bleiben wird – davon dürfen wir unglücklicherweise ausgehen –, einfach wegzaubern oder daschlogn oder sonst etwas.
Umgekehrt ist das aber natürlich eine dramatische Auswirkung für viele Menschen, und es stellt sich daher die Frage, wie wir die Folgen abmildern können. Da und dort kann man die Inflation selbst beeinflussen, da gibt es unterschiedliche Maßnahmen und, ich weiß es ja, unterschiedliche Wege. Ich will ja alle respektieren, es wird aber nicht möglich sein, in einer kleinen, offenen Gesellschaft und Volkswirtschaft wie Österreich dieses Phänomen wegzukriegen oder zu daschlogn oder sonst irgendetwas. Das ist doch das, worum es geht, und deshalb ist es so wichtig, zu schauen, wie die Lastentragung verteilt wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass jene, die mehr tragen können, auch mehr tragen sollen, damit es für die anderen, die es eh jetzt schon so schwer haben, nicht untragbar wird. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
Ich weiß, dass uns das noch lange beschäftigen wird, und deshalb bitte ich um eine Verständigung über die Ziele, so gut es geht, auch hier, im demokratischen Rahmen, und ja, über die Maßnahmen kann trefflich gestritten werden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir am dritten Entlastungspaket arbeiten. Das wird sicher noch vor dem Sommer fertig werden, und deshalb wird auch dann wieder Gelegenheit sein, diese Debatte zu führen. Wichtig ist aber, dass wir die Möglichkeiten anerkennen, die wir in Österreich haben. In diesem Möglichkeitsraum sollten wir uns bewegen, aber nicht so tun, als ob wir Möglichkeiten hätten, die es gar nicht gibt. Darüber, was der Rahmen ist, kann man natürlich auch streiten, aber dass es irgendwo eine solche Rahmensetzung braucht, ist völlig klar.
Ja, ich möchte noch ansprechen, dass ich selber in der Hitze dieses Gefechts völlig verfehlte und falsche Begriffe gewählt habe, wie etwa den Begriff Hysterie. Das ist in diesem Kontext ein unsinniger Begriff, weil er auch das Falsche ausdrückt, nämlich das Gegenteil von dem, was ich meine und gesagt habe, eine andere Intention hat.
Es ist nämlich so: Wenn man die Vielzahl der Maßnahmen in das Körbchen schmeißt, dann wird man leicht so tun können, als ob das alles weg wäre. Alles gleichzeitig wird nicht gehen. Beispielsweise – auch das war ein Ringen – haben wir in Österreich es bevorzugt, und zwar jetzt einmal mit Hunderten Millionen Euro, also fast einer halben Milliarde Euro, die Pendlerinnen und Pendler zu entlasten und nicht an der Mineralölsteuerschraube zu drehen. Ich weiß, dass manche Länder es anders versuchen, wir haben diesen Weg gewählt. Wovor ich aber warne und auch warnen wollte, ist, dass wir alles gleichzeitig machen – das wäre völlig unfinanzierbar, und am Schluss würden wir um viele Milliarden Euro mehr Zinsen zahlen, weil uns dann keiner mehr für ein wirtschaftspolitisch seriöses Land halten würde – und dann noch den Eindruck verstärken, als ob eh alles gleich bleiben könnte. – Nein, das ist es nicht.
Wir müssen vor allem jene im Auge haben und so gut wie möglich unterstützen, für die es jetzt schon am schwierigsten ist, die am wenigsten Einkommen haben, aus welchen Titeln heraus immer, ja, auch Erwerbstätige. Das geht mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. (Bundesrat Steiner: Das ist mittlerweile der Mittelstand, Herr Kollege!) Das ist völlig richtig, und deshalb geht es darum, dass wir uns einigen müssen: Machen wir sehr viel über diese indirekten Steuern, Mehrwertsteuer, andere Abgaben, oder machen wir sehr viel über die (Bundesrat Steiner: CO2-Steuer!) Entlastungen bei den Menschen selbst (Bundesrat Steiner: ... CO2-Steuerbelastung!), indem entweder da oder dort die Sozialleistungen erhöht werden (Bundesrat Steiner: CO2-Steuerbelastung!), oder über andere Maßnahmen, etwa solche, bei denen weniger persönliche Steuern zu zahlen sind?
Da kann man auch über einen Maßnahmenmix reden, aber das ist doch die Aufgabe, die wir zu lösen haben. (Bundesrat Steiner: Was ist mit der CO2-Steuerbelastung? Die zahlt auch der Mittelstand! – Bundesrätin Zwazl – in Richtung Bundesrat Steiner –: Wart ein bissel! – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Ja, Sie werden eh noch Stellung nehmen können, ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, dass dieses Steuerkonzept erstens einmal gar keine Steuer ist, wie Sie vielleicht den parlamentarischen Unterlagen entnehmen können, und zweitens aus diesen Einnahmen der Klimabonus folgt (Bundesrat Bernard: Der auch nicht ausbezahlt wird!), der ja von oben nach unten umverteilt.
Natürlich ist aber auch das eine legitime Debatte. Sie wird ja geführt werden, ich plädiere nur dafür, dass man nicht schon vom Start weg alles durcheinanderbringt. (Bundesrat Steiner: Bleiben wir vielleicht bei der Wahrheit!) – Ja, die Wahrheit ist in der Politik ein gefährlicher Begriff (Bundesrat Steiner: Na ja, bei der Regierung sowieso, ja!), das sollten Sie vielleicht auch beherzigen. Unter dem Titel der Wahrheit ist mehr Unglück als Glück geschaffen worden, davon bin ich jedenfalls überzeugt.
Man kann – ja, das ist völlig richtig – überhaupt die ganze Steuerreform, von der ich meine, dass sie eine große war, die da und dort jetzt erst so richtig zu greifen beginnt, kritisieren, man kann das alles ganz anders sehen, wir sind aber trotzdem von diesem Weg überzeugt. Es geht doch in Zukunft darum, dass wir uns den großen Phänomenen, die da anstehen, und den damit verbundenen Problemen zuwenden. Dazu wollen wir Sie natürlich auch herzlich einladen.
Ich möchte noch einmal dafür plädieren, darauf zu schauen – ja, das wird nicht alles bleiben, das ist völlig richtig –, dass schon Maßnahmen geschehen sind, die diese Idee zum Teil verfolgt haben. Der 300-Euro-Teuerungsausgleich für die, die ganz, ganz wenig haben, ist nicht nichts. Ich bitte, das zu berücksichtigen. Auch bei den indirekten Abgaben – da sind sie, die indirekten Abgaben –, bei den Ökostrompauschalen und Förderbeiträgen, bei der Elektrizitätsabgabe, bei der Gasabgabe, sind wir auf das unterste Niveau gegangen, das in Europa möglich ist – und europarechtskonform, denke ich, sollten wir schon bleiben. Das macht für Haushalte, in denen zwei Geringverdiener oder zwei Mindestpensionistinnen oder Mindestpensionisten leben, wenn wir das alles zusammenzählen, viele Hundert Euro aus, beziehungsweise kommt man da schon auch einmal über 1 000 Euro, wenn man alle Maßnahmen zusammenzählt.
Trotzdem: Ja, wir werden weitere Maßnahmen setzen, aber so, dass die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit und die budgetäre Kraft Österreichs erhalten bleiben, weil wir sonst alles nur mit massiv höheren Zinsen – dann aber für alle Milliarden Euro an Schulden, die wir haben – in die Zukunft transformieren. Das wollen wir, glaube ich, auch nicht. Es muss schon in einem seriösen Finanzrahmen bleiben, aber wir müssen innerhalb der Spielräume, die eröffnet werden können, zielgerichtet vorgehen. Das ist die Aufgabe und das nehmen wir uns vor.
Natürlich wird es Sie nicht wundern, wenn ich darauf hinweise, dass wir bei der Klimakrise und der Lösung derselben, die ja, glaube ich, in ihren Maßnahmen auch sehr viele Chancen bietet, wenn man nämlich modernen Klimaschutz betreibt – das sind ganz große Chancen für die europäische und erst recht für die österreichische Wirtschaft und die Betriebe –, jetzt noch schneller hineinkommen müssen, so schnell es möglich ist, weil das nämlich die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduziert. Was wir jetzt haben, ist in allererster Linie eine Inflation bei den Preisen für fossile Energien, die sich bis zu den Lebensmittelpreisen vorfrisst. Deshalb ist es doch so wichtig, zu beschleunigen, dass wir jetzt in die Erneuerbaren so schnell und so umfänglich wie möglich hineinkommen. Da sind wirklich ganz, ganz viele Chancen drinnen, und die sollten wir sehen und auch nutzen. Das wird am Schluss dazu führen, dass wir genau um das, was wir da schneller sind, die Abhängigkeit von russischem Gas verringern.
Das ist in Österreich besonders schwierig – da kann man jetzt leicht reden. Ich verzichte heute auch darauf, die Ursachen und diejenigen, die dafür in der Vergangenheit – phasenweise fahrlässig, wie ich meine – die Verantwortung getragen haben, zu adressieren und das hier im Bundesrat weiter zu analysieren.
Natürlich stellt sich für die gegenwärtige Regierung jetzt die Aufgabe, genau Folgendes zu machen: erstens – weil man nie weiß, was passiert, aus welchen Gründen immer zu wenig Gas kommen kann – für die notwendige Energielenkung Vorsorge zu treffen. Das passiert auch, es ist nur nicht so einfach, dass man sagt: In der Variante A ist es der Betrieb XYZ, und genau in dieser Reihenfolge!, sondern das hängt dann von den Umständen ab. Natürlich ist uns und vor allem auch der E-Control und dem Klimaschutzministerium das aber bekannt, und das wird dort gemacht.
Viel wesentlicher ist aber: Das, was man jetzt schon tun kann, sind der Aufbau und die maximale Befüllung der Gasspeicher, weil das das Problem, das ich vorhin beschrieben habe, genau in dem gleichen Ausmaß, in dem es gelingt, reduzieren wird. Da geht viel voran. Wir werden die europäischen Ziele, die nicht gering sind – da haben wir zunächst ganz schön gekiefelt – aller Voraussicht nach im September oder Oktober erreichen, vielleicht sogar noch übertreffen. Das ist dieses.
Das Dritte ist, dass auch bei der Befüllung dieser Gasspeicher jetzt schon nicht mehr nur russisches Gas hineinkommen soll, weil diese 80-Prozent-Abhängigkeit natürlich ein komplettes Drama ist – darüber brauchen wir doch überhaupt nicht zu reden. Bei dieser Auffüllung gelingt es aber schon, zunehmend auch andere Bezugsquellen heranzuziehen. Auch das ist keine leichte Aufgabe. Das beginnt schon bei den Rechten, die man hat, bei den Einkaufsmöglichkeiten und erst recht bei den Gasleitungskapazitäten, weil man die nämlich auch freikaufen muss. Dieses alles passiert.
Am Schluss können wir doch sagen, dass diese Zeitenwende auch eine Wende in manch altem Denken bewirken und eine Energiewende beschleunigen und befeuern soll, die ja ohnehin auch aus vielen anderen Gründen notwendig ist. Deshalb ist es ganz gut, wenn bei aller Schwierigkeit, die wir haben, auch noch Zuversicht mit einer gewissen Entschlossenheit, mit der wir da herangehen, und jedenfalls auch eine Perspektive bestehen. Das muss es doch sein: dass auch in schwierigen Situationen eine Perspektive für die Zukunft besteht.
Ich bin schon gespannt auf die Debatte und Ihre diesbezüglichen Vorschläge. Vielen Dank bis jetzt einmal. Ich werde – so gut, wie es geht – die ganze Zeit hier sein, irgendwann wird das aber 20, 30 Minuten lang für mich nicht möglich sein. Ich bitte jetzt schon, das zu entschuldigen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)
9.30
Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausführungen.
Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Mag. Dr. Martin Kocher. Ich erteile dieses.