16.02
Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Staatssekretärin! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Diese Anfragebesprechung ist notwendig geworden, weil es um etwas geht, was uns allen, die wir hier im Bundesrat als Bundesrätinnen und Bundesräte tätig sind, so sehr am Herzen liegt. Es geht um unsere Demokratie und es geht um den Erhalt der Demokratie. Darum zu kämpfen und sich dafür einzusetzen, das ist unser aller Ziel. Ich denke, dass nicht nur wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit großer Bestürzung im April erfahren haben, dass das internationale V-Dem Institute der Uni Göteborg im Demokratiereport 2022 Österreich beschieden hat, dass unser Land von einer liberalen Demokratie zu einer Wahldemokratie abgestiegen ist.
Ich denke, die Bestürzung bei allen war sehr groß, denn Fakt ist, da passiert etwas in einem Land, worauf man in keiner Weise stolz sein kann, sondern etwas, was uns allen große Sorgen machen muss. Anscheinend macht es dieser Bundesregierung aber nicht wirklich Sorgen, aber ich darf vielleicht darauf hinweisen, was es bedeutet.
Eine liberale Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass es eine unabhängige Kontrolle durch die Justiz gibt, die maximale Möglichkeit für die Kontrolle durch die Opposition und dass es freie Medien gibt. Das haben wir verlassen. Wir sind jetzt nur mehr eine Wahldemokratie, das heißt, bei uns finden freie und faire Wahlen statt. In diesem Abstieg sind wir gemeinsam mit Ghana, Trinidad und Tobago. Ich denke schon, all das sollte mehr als alarmierend sein. Darum haben wir eine Anfrage an den Kanzler gestellt, nicht nur an den Kanzler, auch an den Vizekanzler und auch an die Ministerin für EU und Verfassung.
Besonders die Antwort, die wir vom Kanzler bekommen haben, hat uns schon mit einem gewissen Erstaunen, wenn nicht sogar mit einer Bestürzung erfüllt, weil er sinngemäß geschrieben hat: Es tut mir leid, da bin ich nicht zuständig, das ist nicht mein vom Bundesministeriengesetz zugeschriebener Auftrag. Nein, da beantworte ich nichts.
Na gut, darauf kann man sich zurückziehen, aber wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen schon, wenn sich der Bundeskanzler einer Republik nicht den Fragen stellt, warum ein Land wie Österreich, das immer so stolz darauf war, ein starkes, gutes und demokratisches Land zu sein, im Ranking abstürzt, und die Fragen nicht beantwortet: Na bitte, das ist aber mehr als beschämend, und darum gibt es heute diese Anfragebesprechung. (Beifall bei der SPÖ.)
Es ist um die Demokratie zu kämpfen. Es ist nicht ausreichend, eine Wahldemokratie zu sein. Es genügt nicht, zu sagen, ist ja egal, wurscht, macht ja nichts. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es nicht gleichgültig, und zwar in keiner Weise, denn um die Demokratie gilt es zu kämpfen. Heute wurde schon gesagt, die Demokratie ist ein feines Pflänzchen, das gepflegt und geschützt werden will.
Jetzt ist die Frage, was man denn tut, damit wir in diesem Ranking nicht in dieser Wahldemokratiesituation bleiben, sondern wie wir in die Situation kommen, dass wir wieder eine liberale Demokratie sind. Diese Fragen müssen beantwortet werden, und wir sind, noch einmal gesagt, mehr als bestürzt, dass der Kanzler dieser Republik die Fragen nicht beantwortet hat. Da geht es nicht darum, zu sagen, ich ziehe mich zurück, da bin ich nicht zuständig, sondern da geht es um unser Land. Auch die Beantwortung des Vizekanzlers war mehr als dürftig, auch da waren zwei lapidare Sätze, sozusagen: Redet es uns in ein Sackerl und stellt es mir vor die Tür! – Uninteressiert, ganz, ganz schlimm! (Beifall bei der SPÖ.)
Die Frau Bundesministerin für EU und Verfassung hat sehr wortreich nicht geantwortet, vieles über die EU und überhaupt geschrieben, aber nicht wirklich geantwortet. Auch das macht Sorge. Ich weiß, auch in ihrer Beantwortung war die Argumentation, es waren so schwere pandemische Zeiten, da kann es schon einmal passieren, dass die Demokratie abrutscht. Nein, es kann nicht passieren! Andere Länder waren auch von der Pandemie betroffen, genauso schwer wie Österreich. Deutschland ist immer noch eine liberale Demokratie, wir sind es nicht mehr. (Bundesrat Preineder: Linksliberal!)
Jetzt ist schon die Frage, was denn getan wird. Was muss man denn jetzt an Handlungsschritten setzen? Bevor man diese Frage stellt, kann man sich schon auch die Frage stellen, wie es denn so weit gekommen ist, dass wir im Ranking abgerutscht sind. Wir stehen fast schon wöchentlich vor der Situation, dass es schwere Korruptionsvorwürfe in diesem Land gibt. (Bundesrat Preineder: Vorwürfe, ja! Vermuten tun Sie es!) Das macht uns mehr als Sorgen. Einen nach dem anderen! Die Justiz ermittelt in vielen Fällen. Wir stehen vor der Tatsache, dass die Justiz größten Angriffen ausgesetzt wurde, besonders von der ÖVP in einem Ausmaß, dass es beschämend ist. Alles das trägt dazu bei, dass unsere Demokratie beschädigt ist. (Bundesrat Bader: Aber dass so viele Verfahren eingestellt werden?)
Wir wissen, dass wir im Pressefreiheitsranking ganz wesentlich abgesunken sind. Alles das macht uns keine Sorgen? Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten macht es Sorgen. Es gibt genug Vorwürfe und auch berechtigte Vorwürfe, dass Finanzmittel besonders im Finanzministerium dafür genützt worden sind, um sich positive Berichterstattung zu erkaufen. Ich nenne nur das Beinschab-Tool, es ist eines von vielen. Es steht im Raum, dass man sich Vorteile und Posten erkauft hat. Das sind schwere Vorwürfe. Wir alle sind noch von dem bestürzt, was in den Chats geschrieben wurde, wie über Menschen gedacht wird, in welchem Auftrag sich die ÖVP gegenüber den Reichen sieht. (Ruf bei der ÖVP: Gebt eure Chats einmal her!) Alles das macht mehr als Sorgen. Wir sind im Demokratieranking abgerutscht, und das ist in keiner Weise gleichgültig. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir alle müssen darum kämpfen, dass die Demokratie erhalten bleibt. Wenn wir uns darüber freuen – das tun alle Bundesrätinnen und Bundesräte –, dass Schulklassen zu uns kommen – jetzt sind keine mehr hier, weil es zu spät ist –, dann sagen wir: Super, ihr seid hier! Bitte seht die Demokratie, lernt, wie wichtig der Parlamentarismus ist, wie wichtig es ist, auch Kompromisse zu schließen, wie wichtig all das ist! Und dann müssen wir sagen: Ihr wisst aber schon, wir sind im Demokratieranking leider auf eine Wahldemokratie herabgestuft worden? Freie, faire Wahlen: Das ist das, was uns noch auszeichnet, und das ist zu wenig.
Darum hoffen wir heute ganz, ganz dringend: Wir bedauern, dass der Herr Bundeskanzler nicht da ist, aber wir sind ganz sicher, dass die Frau Staatssekretärin alle Fragen, die wir gestellt haben, beantworten wird. Das sind wesentliche Fragen, das sind nicht nur Fragen, mit denen sich halt die Opposition wieder wichtigmacht – nein, nein, nein, da geht es um die Demokratie, und es sind die Fragen: Wie wird man zukünftig vorgehen und wie kann man sicherstellen, dass besonders junge Menschen eine Demokratiebildung bekommen und auch dagegen kämpfen werden, dass wir im Ranking weiter absinken? Wie können wir es gemeinsam erreichen und welche Anstrengungen kann auch diese Bundesregierung setzen, damit wir wieder in das Ranking einer liberalen Demokratie kommen?
Wir freuen uns auf Ihre Beantwortung. Es ist nichts Leichtfertiges, es ist ein wichtiges Thema: Es geht um nichts weniger als um unsere Demokratie, um die wir gemeinsam kämpfen sollten. Ich hoffe auf eine umfassende und zukunftsgerichtete Beantwortung. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
16.11
Vizepräsident Günther Novak: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Staatssekretärin Claudia Plakolm zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.