20.13
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesminister! Hintergrund der vorliegenden und einer Reihe bereits umgesetzter Gesetzesvorhaben ist eine mögliche Verknappung der Erdgasversorgung durch einen Lieferstopp seitens Russlands – seitens der EU ist das ja nicht zu befürchten. Ich halte einen Lieferstopp seitens Russlands übrigens für realistisch. Russland ist es gelungen, die Gaspreise in einzigartige Höhen zu treiben: je höher die Gaspreise, desto höher die Einnahmen für das russische Regime, desto mehr Geld für den Vernichtungskrieg in der Ukraine, der leider immer weiter aus der Wahrnehmung rutscht, aber jeden Tag werden da unzählige Fleischwunden in junge Körper gerissen, jeden Tag werden Gesichter zerfetzt, jeden Tag werden Frauen vergewaltigt und jeden Tag werden Seelen traumatisiert. Da verstehe ich Sie, Herr Kollege Bernard, und die FPÖ nicht: Ist Ihnen das wurscht?
Natürlich braucht es Sanktionen, natürlich darf sich Europa das nicht gefallen lassen. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) Selbstverständlich ist es so, dass Sanktionen, die wirken, die in Russland wirken, Rückwirkungen auf uns haben – no na –, aber das ist ja nun keine Überraschung. Das werden wir aushalten müssen, und es ist überhaupt keine Relation zu dem, was dort passiert, was die Menschen dort aushalten müssen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Richtig weh tun mir dann so manche Postings in den sogenannten sozialen Medien, die meinen – ich habe mehrere solcher Postings in meinem Briefkasten –: Was kümmert mich die Ukraine? Ich habe keinen Bock, wegen denen nächsten Winter einen Pullover anzuziehen oder weniger Auto zu fahren! – Da ist es, ganz ehrlich, nicht leicht, ruhig zu bleiben, solche Debatten mit Blick auf die menschlichen Katastrophen, die ein paar Hundert Kilometer von hier passieren, zu führen. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.)
Aber zurück: Putin wird – meine Prognose! – bis in den Herbst unfassbar viel Geld durch den Gasverkauf gehortet haben. Er setzt weiters alle Energie dafür ein, möglichst viel der fossilen Energie Russlands woanders zu verkaufen. Mithin: Er ist gerüstet. Er wird mit Vergnügen zusehen, wie Europa Notmaßnahmen setzt und mit einem Wirtschaftseinbruch konfrontiert sein wird, wenn er kommenden Winter mit einem siegessicheren Grinsen am Ventil drehen wird. Das ist meine Prognose. Er übersteht den Winter ohne Probleme, er hat genug Geld.
Ein Indiz dafür, warum dafür die Wahrscheinlichkeit hoch ist, ist die strategische Nichtbefüllung der Gasspeicher in Europa durch russische Gasunternehmen. (Unruhe im Saal.) – Ihr Schwätzen ist schon ein bisschen anstrengend. Ich meine, Sie dürfen das, aber es ist anstrengend. – Ein Indiz ist die strategische Nichtbefüllung der Gasspeicher in Europa durch russische Gasunternehmen. Das war übrigens bereits letztes Jahr so. In ganz Europa wurden russische Speicherkontingente nicht befüllt, und selbstverständlich war das kein Zufall. (Unruhe im Saal.)
Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Entschuldigung, darf ich um etwas Aufmerksamkeit im Raum bitten! (Bundesrat Steiner – erheitert –: Hat nichts mit der Rede zu tun!) – Der Geräuschpegel ist ziemlich hoch, ich bitte also um Ruhe.
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (fortsetzend): Und es hat funktioniert. Genau das hat maßgeblich zur Preishausse und zum Milliardenfluss entgegen der Gasströmungsrichtung beigetragen.
In Österreich ist der Speicher Haidach – den kennen, denke ich, inzwischen alle – betroffen. Ausgerechnet dieser ist mit Abstand der größte Speicher in Österreich und sogar einer der größten in ganz Europa. Damit sind wir mitten im wichtigsten Inhalt der diskutierten Gaswirtschaftsgesetz-Novelle: Der Speicher wird ans österreichische Netz angeschlossen. Bislang wird er physikalisch im Wesentlichen von Deutschland aus bewirtschaftet, und dessen Teilbewirtschaftung kann und wird den Russen nun entzogen werden und dem österreichischen beziehungsweise europäischen Markt verfügbar gemacht werden. Das ist richtig so.
Die Detailinhalte haben wir jetzt mehrfach gehört, darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein. Ich möchte aber einen Aspekt, nämlich den bereits kurz erwähnten europäischen, noch herausheben. Es ist nämlich wirklich essenziell, dass Europa in der Krise solidarisch handelt. Wenn jedes Land jetzt hergeht und beginnt, egoistisch zu agieren und anderen Ländern dringende Zugänge zu Gas verweigert, wird das geradewegs ins Fiasko führen und in kaum wiedergutzumachende Verwerfungen des europäischen Gefüges.
Grundvoraussetzung muss sein, dass man sich gegenseitig hilft, um zumindest in allen europäischen Ländern die Versorgung der geschützten Kunden aufrechtzuerhalten: Das sind die Haushalte, das ist die ganze Grundversorgung. Zu diesem Zweck ist es eben unter anderem wichtig, europaweit die Speicher – und das ist auch das jetzt noch einmal vom Europäischen Rat bestätigte Ziel – bis im November zu 80 Prozent gefüllt zu haben.
Wie schon mehrfach gesagt, gibt es einen logischen Ablauf im Krisenmanagement oder besser eigentlich in der Verhinderung einer Krise, und das sind die in den letzten Wochen viel diskutierten Notfallpläne. Die sind sehr weit gediehen beziehungsweise ist Österreich da sehr gut vorbereitet. Da gehört die Speicherfüllung dazu. Gerade auch in der letzten Sitzung haben wir zum Beispiel die Möglichkeit besprochen, dass Unternehmen jetzt auch Eigenvorsorge in der Speicherung von Erdgas durchführen können.
Das Zweite ist die Diversifizierung. Was heißt das eigentlich? – Das hat ja mehrere Aspekte: Das heißt einerseits, den Lieferanten zu wechseln – also weg von russischem Gas hin zu anderen Gasbezugsoptionen. Die sind allerdings beschränkt und auch nicht immer mit den freundlichsten Demokraten abzuschließen. Keinesfalls aber sind sie, das muss man halt sagen, billiger. Andererseits heißt Diversifizierung, andere fossile Energieträger in bestehenden Anlagen – alles andere dauert ohnehin zu lange – einzusetzen. Da geht es um Kohle, da geht es um Öl in Industriebetrieben.
Um die höheren Preise, die damit verbunden sind, abzufangen, beschließen wir heute das Gasdiversifizierungsgesetz. Das bildet einen Förderrahmen – wir haben es gehört – zur Finanzierung erhöhter Transportkosten durch andere Lieferoptionen oder zur Finanzierung des Umstiegs auf andere Energieträger.
Einen wichtigen Aspekt dabei möchte ich schon herausheben: dass nämlich genau damit verhindert werden soll, dass die höheren Kosten an die Kunden weitergegeben werden – sei es direkt über Energiepreise, sei es indirekt über höhere Produktkosten –, oder jedenfalls, dass dieser Effekt gedämpft wird. Es ist sicher die bessere Lösung, als das – wie es in anderen Ländern angedacht wird – etwa auf die Netztarife umzulegen, weil dann die Preise für alle wieder steigen.
Ja, leider ist das so, dass wir derzeit klimapolitisch, sozial- und wirtschaftspolitisch in einer sehr unangenehmen Situation sind. Das ist unerfreulich. – Wissen Sie, warum das so ist? – Ich sage es jedes Mal und ich sage es heute noch einmal: Es ist schlicht und einfach die verschuldete Abhängigkeit unserer Gesellschaft von fossilen Energieträgern. Das ist eine Sucht, die krank macht, und darum zum wiederholten Mal: Das Allerwichtigste ist, aus der Abhängigkeit herauszukommen, keinen Kubikmeter Gas, keinen Liter Öl und sowieso kein Kilo Kohle mehr zu verbrennen – egal, woher es kommt.
Die Entzugsnotwendigkeit aus der fossilen Droge hat noch einen anderen und aus meiner Sicht absolut zentralen Grund, und das ist die Klimakrise, die eigentliche Megakrise, die wissentliche Verbrennung der Erde. Die sozialen und wirtschaftspolitischen Folgen der aktuellen Preisentwicklung können mit den skizzierten Krisenmaßnahmen abgefedert werden, die Klimakrise aber nicht.
Leider ist die öffentliche klimapolitische Debatte – nicht nur bei uns – ein weiteres Mal in den Hintergrund geraten. Dabei ist die Klimakrise sehr, sehr präsent. Sehen Sie beispielsweise nur nach Italien: Jahrhundertdürre, Wassermangel, Wasserrationierung. Schauen Sie nach Kärnten, nach Salzburg: die Unwetter, die gerade stattgefunden haben. Schauen Sie nach Skandinavien, in der aktuellen Meldung: um 20 Grad über der Normaltemperatur. 20 Grad über Normaltemperatur!
Die Klimawissenschaft bestätigt das und untermauert das: Extremereignisse mit ihren verheerenden Folgen nehmen zu. Es darf also kein Zögern mehr geben im Setzen von klaren Rahmenbedingungen für den Klimaschutz. Es darf kein Zögern geben bei der Definition des planbaren Ausstiegs aus fossilen Energieträgern. Es darf kein Zögern geben beim verbindlichen Rahmen für die Reduktion des Energieverbrauchs – gerade jetzt.
Es geht um strukturelle Maßnahmen. Der Umbau der Energieversorgung geht nicht in drei Jahren, geht nicht in fünf Jahren, geht nicht in zehn Jahren. Das braucht Zeit und damit langfristige Sicherheit und langfristige Planbarkeit. Das ist ein Punkt, der oft schwer verstanden zu werden scheint. Jedenfalls lernt das zumindest jede TechnikerIn, jede NaturwissenschafterIn: Bei einem System, das langsam reagiert – also bei einem System, das träge ist –, ist es unerlässlich, sofort gegenzusteuern. Das Energiesystem ist kein Schnellboot, bei dem man das Ruder herumreißen kann.
Ich sage es jetzt ganz offen mit einer gewissen Sorge: Genau die notwendige sofortige Setzung der Bedingungen für den Ausstieg sehe ich durch zahlreiche Widerstände durchaus in Gefahr, weil einfach noch nicht hinreichend klar geworden ist, dass es essenzieller Teil der Verhinderung künftiger Krisen – auch Energiekrisen und Preiskrisen – ist, mutig und klar auszusteigen.
Ich möchte noch eine ganz kleine Geschichte erzählen. Gestern, als ich über meine heutige Rede nachdachte, setzte ich mich in den Innenhof des kleinen Hotels, in dem ich immer bin. Da kam der Eigentümer vorbei und wir begannen ein Gespräch – no na – zum Thema Energiekosten und deren Folgen. Er erzählte mir, dass sich laut Prognosen seine gesamten Energiekosten, auch dadurch verursacht, dass er neue Verträge abschließen muss, im nächsten Jahr fast verdreifachen werden.
Da stellt sich natürlich die Frage: Ja was mache ich jetzt? – Natürlich ist ihm klar, dass die einzige zukunftsfähige Möglichkeit darin besteht, seinen Verbrauch zu reduzieren. Allerdings, sagt er – und das ist für mich nachvollziehbar –, hat er jetzt das Problem, dass die aktuell hohen Energiekosten – diese zu schnelle Steigerung der Energiekosten – einen Gutteil seiner Liquidität auffressen. Er hat Sorgen, dass das eine Reihe seiner Kollegen nicht aushalten wird.
Kein Problem wäre es gewesen, wenn man vor zig Jahren, als man die Notwendigkeit des Klimaschutzes schon erkannte und die Fatalität, die Abhängigkeit von den Fossilen sehen musste (Bundesrat Steiner: Zurück in die Kohle, oder? ... Kohle ...!), langfristige planbare Bedingungen mit kalkulierbarer Preisentwicklung eben über ansteigende CO2-Bepreisung verankert hätte. Wir predigen das ja schon 30 Jahre.
Das sieht übrigens auch mein Hotelier so. Genau das, sagt er, wäre das, was sie brauchen, um in Ruhe zu investieren. Das wäre ja nicht so schwer zu verstehen. Jedenfalls wird er – Klimaschutz ist ihm auch sonst ein Anliegen – den Architekten kommen lassen und ein Sanierungskonzept für die thermische Sanierung ausarbeiten lassen. Das wird allerdings auch bei bestem Willen Jahre dauern.
Was ist die Botschaft? Warum erzähle ich das? – Ja und Mut zu einem breiteren Verständnis des Krisenmanagements! So, wie die kurzfristige Entwicklung selbstverständlich einem Krisenmodus unterworfen gehört, ist es auch für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und für den Klimaschutz erforderlich, ebenso klare Rahmenbedingungen zu setzen.
Das richte ich natürlich nicht an die, die sich darum mit aller Kraft bemühen und mehr als jemals bisher in der Klimapolitik in dieser Republik geschafft haben, und das beobachte ich jetzt schon wirklich hinreichend lange. (Bundesrat Steiner: Ja, das Kohlekraftwerk wieder aufsperren! ... Prima!) Ich erinnere nur beispielsweise an das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz, das in Europa seinesgleichen suchen wird. (Bundesrätin Schumann: Wer war denn Umweltminister über Jahrzehnte? – Die ÖVP!) Ich erinnere daran: Gerade heute ist die Marktprämienverordnung in Begutachtung gegangen – klar, es ist für die Energiewende noch viel zu tun.
Ich richte das an jene, die meinen: Klimaschutz machen wir übermorgen!, beziehungsweise an jene, die meinen: Da machen wir gar nichts, das überlassen wir dem Markt, der richtet das ganz von selbst! – Da kann ich nur sagen: Welch ein Irrtum! – Tun wir das Notwendige, um die Zukunftschancen der nächsten Generationen zu sichern!
Einen Satz noch zum Antrag der SPÖ: Kollege Novak, der Einbaustopp von Gasheizungen im Neubau ist im EWG drin, das wird auch halten. Das ist ein Teil, der ist unbestritten, das ist eigentlich so der Stand der Debatte. (Bundesrätin Schumann: Da bin ich aber gespannt! – Na dann stimmt mit, wenn es Stand der Debatte ist! Bitte mitstimmen!)
Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal, da ich ja quasi formal – außer der Ministerin natürlich – der letzte Redner bin, auch im Namen unserer Fraktion meinem Kollegen Andreas Lackner alles Gute wünschen. Für uns ist das sachlich und persönlich ein herber Verlust. Es geht ein exzellenter Bundesrat und es geht ein guter Freund. – Alles Gute, Andreas! (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)
20.28
Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Leonore Gewessler. – Bitte sehr.