17.39

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Mit­glieder des Bundesrates! Danke für die Gelegenheit, zu den tatsächlich wichtigen Themenfeldern, die der Bundesrat in seiner Rede angesprochen hat, aus Sicht der Bundesregierung Stellung zu nehmen.

Es ist tatsächlich wahr: Wir befinden uns im dritten Jahr der Pandemie. Es wird Sie nicht weiter überraschen, dass die Haltung der Bundesregierung zum Thema Pandemiebekämpfung natürlich eine gänzlich andere ist als die der Bundesräte der Freiheitlichen Partei hier. Das ist in einer Demokratie auch gut so; Meinungsvielfalt ist im Kern des Wesens der Demokratie. Gleich­zeitig, Herr Bundesrat, wünsche ich Ihnen, nie in so eine Situation zu kommen, wie die, in der ich damals als Innenminister gemeinsam mit dem Bundes­kanzler und dem Gesundheitsminister war.

Wenn Sie ein wenig Ihre Erinnerung bemühen, werden Sie wissen, dass noch beim ersten Lockdown die Freiheitliche Partei (Bundesrat Steiner: Waren wir mit dabei!) einer der schärfsten Forderer des Lockdowns (Bundesrat Steiner: Richtig!) und auch der Grenzschließungen war. (Bundesrat Spanring: Und das habt ihr verschlafen!)

Was mich tatsächlich bis heute prägt, ist die Frage: Wie gehen wir mit Meldungen um, wie sie damals aus Norditalien kamen, den Tausenden Toten, den sich stapelnden Särgen? Es gab eine massive Ungewissheit, was das Virus an sich mit sich bringt, wie es bekämpft werden kann, und man muss be­denken, dass wir 2020 weder Impfung noch Schutzmasken in ausreichender Zahl hatten, dass wir in ganz Europa und der Welt Maßnahmen erlebt haben, von denen davor keiner gedacht hat, dass sie jemals Wirklichkeit werden.

Ich kann das als Innenminister sagen: Wenn man Innenminister wird, weiß man, dass die Brennergrenze zu einer der sensibelsten Grenzen europaweit gehört, nicht nur wegen uns, auch wegen unserer Verantwortung für Südtirol. Plötzlich war es selbstverständlich, wegen der Pandemie auch diese Grenze zu schließen.

Was ich damit sagen will, ist: Als ich Bundeskanzler geworden bin, habe ich im­mer gesagt, ich bin ein lernender Kanzler und verstecke mich auch nicht dahinter. Was wir alle mitsamt lernen mussten, ist der Umgang mit einem Virus, das zu Beginn mehr als heimtückisch war, auf der Welt Hunderttausende Menschenleben gekostet hat.

Wenn Sie mit dem Pflegepersonal der Intensivstationen sprechen – ich kann Ihnen das nur nahelegen, Herr Bundesrat; ich habe das letztes Jahr zu Weihnachten getan (Bundesrat Ofner: Wir auch!) –, dann werden Sie sehen, dass eine Intensivpflegerin Ihren Ausführungen nicht wird folgen können.

Das schlimmste Erlebnis, das ich hatte, war neben den Intensivstationen die Covid-Normalstation. Auf der Covid-Normalstation – ich weiß nicht, ob Sie das wissen, Herr Bundesrat – wird mit den Familienangehörigen die Entscheidung getroffen, ob eine lebenserhaltende Maßnahme weiter fortgesetzt wird oder nicht und ob die betreffende Person auf die Intensivstation verlegt wird (Bundesrat Spanring: 82,5 Jahre!), auf die sogenannte Covid-Intensivstation. Das ist eine der schwersten Entscheidungen, die das Pflegepersonal mit den Ärzten und der Familie zu treffen hat. (Bundesrat Steiner: Die habe ich bei meinem Papa treffen müssen!) Wenn Sie mit den Menschen sprechen, dann werden die Ihren Ausführungen (Bundesrat Steiner: Diese Entscheidung habe ich bei mei­nem Vater treffen müssen! Ich weiß schon, was das ist!) nicht folgen können (Bundesrat Steiner: Ich habe diese Entscheidung bei meinem Vater getroffen!), dass die Krankheit unterschätzt werden kann oder dass die Dramatik in irgend­einer Weise von der Bundesregierung unterschätzt worden ist. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Steiner: ... habe ich schon treffen müssen bei meinem Vater, diese Entscheidung!)

Wenn wir schon diese Coronapandemie und die Handlungsweisen der Bundesregierung besprechen, dann muss man sagen, es war so, dass wir auch die Entscheidung hatten: Wie gehen wir damit um, dass die Wissenschaft etwas zustande gebracht hat, das ihr keiner zugetraut hat? Wenn wir ehrlich sind und in die Rückschau gehen – es ist immer leichter, ex post zu betrachten, also nachher, und nicht in der Krisensituation verantwortlich zu sein (Bundesrat Steiner: Wir haben es ja mitten in der Krise schon gesagt!) –: Damals hat es niemand für möglich gehalten, dass wir schon viel früher Impfstoffe bekommen. Und tatsächlich ist es möglich geworden.

Herr Bundesrat, ich muss Ihnen in Ihren Ausführungen widersprechen, denn Ihre Ausführungen mögen jetzt für die Omikronvariante eine Bedeutung haben, aber für die Deltavariante, Herr Bundesrat, haben sie das nicht. (Bundesrat Stei­ner: Doch! ... für Delta!) Den Impfstoff gab es bei der Deltavariante.

Wir erinnern uns zurück, meine sehr geehrten Damen und Herren – und ich sage das in dieser Nachdrücklichkeit, weil ich finde, dass es uns allen immer gut ansteht, wenn man über Krisen urteilt, sie auch tatsächlich in ihrer ganzen Band­breite zu beurteilen –: Als die Deltavariante des Coronavirus ihr Unwesen getrieben hat, waren die Intensivstationen in Salzburg und Oberösterreich an der totalen Kapazitätsgrenze. Beide Bundesländer haben den Notstand ausge­rufen (Bundesrat Spanring: Das hat es vorher noch nie gegeben! – Bundesrat Steiner: Aber warum?), die anderen Bundesländer - - (Bundesrat Spanring: Das hat es vorher noch nie gegeben! Das erst Mal! Corona! – Zwischenruf der Bundesrätin Stei­ner-Wieser.) – Herr Präsident! (Bundesrat Bader – in Richtung FPÖ –: Habt ihr ein bisschen einen Anstand? Lasst den Herrn Bundeskanzler einmal ausreden! Dem Ofner hat auch jeder zugehört!)

Vizepräsident Günther Novak: Entschuldigung, wäre es bitte möglich, zu­zuhören? Der Herr Bundeskanzler hat Herrn Ofner bei seiner Rede auch nicht unterbrochen. Bitte lassen Sie den Herrn Bundeskanzler seine Ausführungen machen! – Bitte, Herr Bundeskanzler, fahren Sie fort.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc (fortsetzend): Vielen Dank, Herr Präsident!

Worum es mir geht, ist, aufzuzeigen, dass ich damals – und das ist noch nicht einmal lange her – in einem Lockdown Bundeskanzler geworden bin, der ausgerufen worden war, weil diese zwei Bundesländer einen Totalnotstand er­lebt haben und die anderen Bundesländer gemeldet haben, auf ihren Intensivstationen nicht mehr ausreichend Kapazitäten zu haben, um den Über­lauf zu gewährleisten: Aus dieser Erkenntnis der Gefährlichkeit der Deltava­riante und der Nützlichkeit des Impfstoffs beim Bekämpfen des Coronavirus he­raus ist überhaupt die Diskussion um die Impfpflicht entstanden, weil es das Gebot war, einen weiteren Lockdown zu verhindern.

Was Sie, Herr Bundesrat, bei Ihren Ausführungen dann zu vervollständigen vergessen, ist, dass die Deltavariante von der Omikronvariante abgelöst worden ist. Ich kann mich selbst noch daran erinnern, denn im Gegensatz zu Ihnen war ich in Entscheidungsfunktion: Expertinnen und Experten haben vorausge­sagt, dass die Omikronvariante in den Auswirkungen dramatisch wird, die Republik lahmlegen wird, die kritische Infrastruktur angreifen wird, dass Strom, Wasser und Sicherheitsversorgung zusammenbrechen werden. Das waren damals die Vorhersagen bei der Omikronvariante. Gott sei Dank sind sie nicht eingetroffen, aber es war nicht vorhersehbar.

Deswegen sage ich auch – und deswegen ist es für mich kein Ausdruck von, wie Sie sagen, Feigheit oder Zurückhaltung, sondern von klarem Bekenntnis (Bundesrat Ofner: Nein, nein, Versehen!) –: Ich habe immer einen hohen Respekt vor der Wirkung des Virus gehabt, vor der Brutalität, auch vor der Gefährlichkeit und auch vor der Tatsache, dass es unglaublich flexibel ist und sich verändert.

Die Omikronvariante gibt uns jetzt neue Handlungsspielräume. Ja, und ich sage Ihnen noch etwas: Ich stehe mir sozusagen überhaupt nicht irgendwie im Wege, zu sagen, die Impfpflicht hat nicht das ausgelöst, was wir wollten, denn im Gegensatz zu Ihnen, die daraus eine Freiheitsdiskussion machen (Bundesrat Of­ner: Ist es ja auch! – Bundesrätin Steiner-Wieser: Wir sind ja eingesperrt wor­den!), wollten wir die Freiheit der Menschen bewahren, indem es keinen weite­ren Lockdown gibt. Die Deltavariante hat das nämlich damals notwendig gemacht. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: Wer hat denn diese Rede geschrieben? – Bundesrat Steiner: „Alkohol oder Psychopharmaka!“ – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Weil ich als Bundeskanzler angetreten bin, möchte ich auch Folgendes dazu sagen: Man muss auch dann Maßnahmen verändern, wenn man sieht, dass sie die Wirkung nicht erreichen, sondern im Gegenteil sogar die Gesellschaft spalten (Bundesrat Ofner: Wer hat denn gespalten?) oder dass diese Spaltung ausgenutzt wird, um die Krise noch mehr in die Gesellschaft hineinzutreiben. Deshalb war es daraus resultierend richtig, die Impfpflicht auch wieder wegzunehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen. – Bundesrat Ofner: Wer hat denn gespalten?)

Darüber hinaus umfassen Ihre Fragen sehr viele Bereiche, die sich dramatisch dargestellt haben, besonders auch jetzt im Fokus der Öffentlichkeit seit dem 24.2., dem Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine und – davon ausgelöst – einer Energieversorgungskrise, einer Energiekostenkrise, einer Inflation und einer Teuerung.

Ja, Sie haben recht, Herr Bundesrat, es stimmt, die Ursachen dafür liegen nicht alleine im Krieg. (Bundesrat Ofner: Ja!) Herr Bundesrat, gestatten Sie mir aber eine klare Stellungnahme zu Ihren Ausführungen betreffend die Sanktionen: Sanktionen sind das friedlichste Mittel, das zur Verfügung steht, um gegen Krieg zu protestieren. Keiner von denen, die die Sanktionen beschlossen haben, war so naiv, zu denken, dass der Krieg dadurch unmittelbar enden kann. Ich verstehe die Ungeduld, aber es ist wichtig, dass der Angriffskrieg der Russischen Föderation nicht einfach zur Kenntnis genommen wird. Es darf nicht sein, dass wir es heute in einem Europa mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Welt­krieg noch einmal zulassen oder tolerieren, dass Grenzverschiebungen mit Waffengewalt stattfinden. In Europa haben wir die Verpflichtung, darauf zu ach­ten, dass das nicht passiert. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Ofner: Da können wir ja den Verbinder anbieten, nicht den Kriegstreiber!)

Die Frage ist: Wie trete ich gegen Waffengewalt, Granaten und Bomben auf? (Bundesrat Ofner: Ja mit der Nato?) Die Tausenden zivilen Toten, Verletzten, die jetzt dieser Krieg bereits hervorbringt, sind neben den gefallenen und ver­wundeten Soldaten Tragödie genug. (Bundesrat Ofner: Mit der Nato?) – Herr Bundesrat, im Gegensatz zu Ihnen war ich in Kiew (Bundesrat Ofner: Ja mit der Nato?) und ich war am Massengrab von Butscha. (Bundesrat Ofner: Ja!) Ich habe die Perversität und die Brutalität des Krieges direkt vor Augen gehabt, und ich sage Ihnen: Es ist unsere Pflicht als demokratisches Land in der Mitte Europas, auch unsere Pflicht als neutrales Land, gegen Krieg aufzutreten und uns mit einem Land solidarisch zu zeigen, das von einem anderen überfallen wird. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Egger-Kranzinger. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Es gibt eine Erzählung, die die Freiheitliche Partei begonnen hat, dass für das Unheil in unserem Land die Sanktionen verantwortlich sind. Herr Bundesrat, ich sage Ihnen ganz klar: Für das Unheil, dass wir derzeit auf der Welt und in Europa erleben, ist ausschließlich der Krieg verantwortlich, und nicht die Sank­tionen. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Ofner: Trifft es Russland? – Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Es ist auch ganz einfach zu argumen­tieren, Frau Bundesrätin: ohne Krieg keine Sanktionen. Der Krieg ist das Unheil.

Im Gegensatz zu Ihnen war ich beim russischen Präsidenten und habe mich für den Frieden eingesetzt. (Bundesrat Steiner: Das hat gut funktioniert!) Der russische Präsident hat angeführt, dass es für ihn Verletzungen vonseiten der Ukraine gegen die russische Minderheit gibt, dass es Grenzverletzungen gegeben hat, all diese Punkte. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Ich sage Ihnen, es sind ernste Punkte, die man tatsächlich bewerten muss. Nur wissen Sie, was ich dem russischen Präsidenten gesagt habe? – In dem Moment, als die rus­sische Armee die Grenze überschritten hat, in dem Moment, als die Artillerie Russlands gesprochen hat, in dem Moment, wenn Raketen zivile Infrastruktur angreifen, gibt es keine differenzierte Diskussion mehr, denn zuerst muss der Krieg enden, zuerst müssen die Waffen schweigen. Dass Sie dabei den Kopf schütteln, Herr Bundesrat (Bundesrat Ofner: Da müssen wir als Verbinder sein als neutrales Land! Wir sind neutral, oder?), empört mich mehr als Ihre inhaltlichen Ausführungen zu diesem Thema. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Ofner: Neutrales Land!)

Auch dazu ein klares Wort – Sie haben es in Ihrer Rede nicht angeführt, aber ich gebe Ihnen gerne darauf eine Antwort –: Wenn Sie die Geschichte Ös­terreichs sehen, wissen Sie, dass wir am 26. Oktober das Neutralitätsgesetz be­schlossen haben. (Bundesrat Kornhäusl: Das weiß er nicht!) Und wissen Sie, was wir im Dezember 1955 beschlossen haben? Wissen Sie, was wir im Dezem­ber 1955 beschlossen haben? (Bundesrat Ofner: Sie werden es sagen!) – Den Beitritt zu den Vereinten Nationen – im Gegensatz zu der damals ebenfalls neu­tralen Schweiz. Wissen Sie, was das bedeutet? – Dass sich Österreich da­mals schon, 1955, gerade frei geworden, dazu bekannt hat, in der Weltgemein­schaft eine Meinung zu haben, sich nicht dort zu verschweigen, wo Unrecht geschieht. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Österreich entsendet seit Jahren und bis heute Tausende Soldaten in Friedenseinsätze – das sieht man, wenn man in der Geschichte zurückgeht. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischen­rufe bei der FPÖ.)

Warum sage ich das? – Die Neutralität ist tatsächlich eine Chance, aber unsere Form der Neutralität mit dem Beitritt zur Europäischen Union, zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist eine differenzierte, ist eine solidarische zur Staatengemeinschaft. Wann immer auch ein Mandat auftritt, haben wir dem Mandat auch zu folgen. (Bundesrat Ofner: Sie wollten sie aufs Spiel setzen! Sie wollten sie aufs Spiel setzen!) So ist die österreichische Neutralität. Der Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine ist Unrecht, und ein neutrales Land hat sehr wohl das Recht und auch die menschliche Verpflichtung, Unrecht zu benennen.

Selbst die Schweiz, die die Neutralität in ihrer Geschichte deutlich vorsichtiger als Österreich interpretiert (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser), hat bisher alle Sanktionen mitgetragen, die gegen die Russische Föderation ausgesprochen wurden. So falsch können wir in der Auslegung unserer Neutralität also nicht liegen. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Ich finde, es steht uns aber gut an, in einer kritischen Diskussion eben diffe­renziert zu argumentieren. Ja, Sie haben recht, die Ursachen dessen, was wir heu­te erleben, liegen nicht ausschließlich im Krieg. (Bundesrat Ofner: Ja!) Wir ha­ben erlebt, dass durch die Pandemie und all die Maßnahmen, die weltweit und europaweit getroffen worden sind – erinnern Sie sich! – die Konjunktur 2020 brutal eingebrochen ist, und die Wirtschaftsforscher haben damals, 2020, vorausgesagt, dass mit dem Einbruch und der drohenden Rezession erst langsam wieder eine Erholung stattfinden wird und die Wirtschaftswachstums­kurve dann flach ansteigen wird.

Gott sei Dank ist 2021 und 2022 das Gegenteil der Fall gewesen. Aus dem rasanten Absturz ist nach einer Spitze ein rasch ansteigendes V geworden. Das Wirtschaftswachstum hat nicht nur in Österreich, sondern europaweit und weltweit angezogen. Wenn wir über Europa und Österreich sprechen: Das Wirt­schaftswachstum war 2021 immerhin 4 Prozent und 2022 – ohne Krieg und den daraus resultierenden Konsequenzen – über 4,5 Prozent. Da war auch der Energiebedarf plötzlich größer.

Was ist davor passiert? – Da muss man tatsächlich im Detail hinschauen. Davor hat sich der Energiemarkt in Europa neu zu ordnen begonnen: der Atom­ausstieg der Bundesrepublik Deutschland, andere Energiepolitik, plötzlich mehr Energienachfrage. Und jetzt sind wir in einer Situation, in der wir den Krieg haben, die Abhängigkeit eines Teiles von Europa – nicht von ganz Europa – von russischem Erdgas, in Kombination mit der Situation, dass Westeuropa mas­siv auf Atomenergie gesetzt hat – siehe Frankreich: 60 Atomreaktoren. In Frankreich resultiert daraus: Die Masse der Heizungen ist elektrisch, wegen des Wassermangels im Sommer plus der Inspektionswartungsrate der Reaktoren ist aber von den Atomkraftwerken nur die Hälfte am Netz.

Plötzlich bringt die Kombination von vielem die Situation, von der Sie jetzt sprechen, die nicht alleine im Krieg begründet ist. – Aber Achtung! Was wir nicht übersehen dürfen, ist: Der Krieg ist ein teuflischer Verbündeter der Spekula­tion. Er treibt die Spekulation, und die Russische Föderation hat schon letztes Jahr in der Kriegsvorbereitung begonnen, die Einspeicherung von Gas zu­rückzufahren.

Wir denken immer an unseren Speicher Haidach: Weit über 20 Terawattstunden können dort eingespeichert werden – eine Terawattstunde sind 100 Millionen Kubikmeter Gas; nur damit man ein Gefühl dafür bekommt, wie viel das ist –, al­so ein bedeutender Speicher. Gazprom hat den völlig entspeichert, daher war auch plötzlich dann die Situation bei Kriegsausbruch: Es war nur mehr wenig Gas in den europäischen Speichern, und dann perpetuiert sich eine Diskussion: Spekulation, Energiebedarf, Energiemangel – wo kommt das her?

Jetzt aber – deswegen sage ich das, Herr Bundesrat, in diesem Detailreichtum – ist es so: Ich finde, es gibt auch in jeder Krise einen Punkt, an dem man erkennen sollte, dass man viel stärker ist, als man geglaubt hat, und das trifft nicht nur Österreich, sondern auch die Europäische Union. Die Abhängigkeit von rus­sischem Gas war drückend, für Österreich bei 80 Prozent, aber auch dazu sei ein offenes Wort zu Ihnen gesprochen: Die Ex-post-Betrachtung heute zu diesem Thema ist etwas leidig. Wissen Sie warum? – Auch da ist es wichtig, die Geschichte zu kennen.

Drehen wir das Rad der Geschichte mehr als 20 Jahre zurück: Damals war es noch ein großes Ziel aller europäischen Länder, die russische Politik an die europäische heranzuführen. Damals war es eine deutsche Bundeskanzlerin An-gela Merkel, die auch den neuen Slogan „Wandel durch Handel“ gebraucht hat. Es ging also darum, durch enge Wirtschaftsbeziehungen Einfluss auf den demokratischen Prozess in der Russischen Föderation zu nehmen. Das wird heute alles gerne vergessen, man spricht nicht gerne darüber. (Bundesrat Span­ring: Das stimmt! Das stimmt! Das wollen die Amerikaner unterbinden! Das ist so! Das stimmt, ja!) Geschenkt: Ex-post-Betrachtungen sind gerade en vogue, jeder ist der Held! Die Wahrheit ist aber, dass man jetzt erkennt – und Kri­sen sind in der Offenlegung schonungslos; genauso wie in der Pandemie jetzt in der Energiekrise –, dass diese Form der Abhängigkeiten tatsächlich schädlich ist. (Präsidentin Schumann übernimmt den Vorsitz.)

Jetzt gibt es auch einen Tabubruch vonseiten der Russischen Föderation. Der russische Präsident hat zum ersten Mal in der postsowjetischen Geschichte etwas getan, was vorher undenkbar war – das gab es nämlich nicht einmal bei den Sowjetkommunisten trotz Afghanistankrise, trotz Kubakrise, trotz Viet­nam, trotz Irakkrieg –: Niemals wurde aus politischen Gründen weniger russisches Gas nach Europa geliefert, und das ist jetzt auch geschehen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Der sogenannte verlässliche russische Partner ist eben keiner mehr. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Warum ich das jetzt erwähne und auch einmal eine zuversichtliche Position in all dem Schrecklichen, das wir gerade besprechen, vertreten möchte: Es ist uns gelungen – und das halte ich schon für wichtig, auch gegenüber der Russischen Fö­deration –, unsere Abhängigkeit von russischem Gas 2022 von 80 Prozent auf 21 Prozent zu reduzieren. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Bundesrat Ofner: Aber dann sind wir halt jetzt von anderen abhängig! Es wird nicht besser!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was ich damit sagen will, ist: Damals, am 24.2., hat uns niemand zugetraut, dass das möglich ist – und, Herr Bundesrat, es ist doch ein wenig ein Angebot von mir an Sie, differenziert in diese Tatsa­che hineinzublicken (Bundesrat Ofner: Ja, ja, das machen wir schon!) –, dass wir es geschafft haben, viel mehr Gasanbieter aufzutreiben, viel mehr Pipelineka­pazität aufzutreiben, als uns davor jemals zugetraut worden ist. Das ist ein Er­folg, das ist wichtig. Das ist deshalb wichtig, weil ich davon ausgehe, dass es jeder Fraktion hier in diesem Hohen Haus und hier im Bundesrat wichtig ist, dass wir unabhängig sind, dass wir freier werden. Und diese Unabhängigkeit können wir durch Diversifizierung, durch andere Anbieter, durch andere Mög­lichkeiten erreichen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Das haben wir doch in den Siebzigerjahren auch gehabt! ... genau das gleiche Theater!) Das ist gelungen und das ist wichtig. (Bundesrat Steiner: Ja aber das heißt, der Gaspreis muss sinken, oder? – Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser. – Bundesrat Bader: Seid doch einmal ruhig, ihr habt eh schon so viel verzapft! – Bundesrat Preineder: Zuhören, sonst lernt ihr nichts!)

Mir war es nur wichtig, das auch einmal kurz so darzustellen, wie es sich aus meiner Sicht, im Zusammenhang mit meiner Entscheidungskompetenz verhält, weil ich Ihre Ausführungen sehr ernst nehme und weil es mir wichtig ist, dass wir das im Bundesrat auch ordentlich diskutieren.

Das heißt, die Energiekrise ist ein großes Thema, und wir müssen auch ein Stück weit Ehrlichkeit entwickeln, wenn wir fragen, was das für uns für die Zukunft bedeutet, wenn wir wirklich unabhängiger und freier werden wollen. Der Istbe­fund in den warmen Monaten dieses Jahres ist ja ein guter, da haben wir ja fast 100 Prozent oder mehr Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie und kön­nen exportieren. Diese Statistik ändert sich aber dramatisch in den kalten Monaten auf ein Drittel erneuerbar, ein Drittel Import – Achtung: Import! – und ein Drittel aus Gas erzeugter Strom. Das heißt, wenn wir tatsächlich freier und unabhängiger werden wollen, müssen wir uns primär um das eine Drittel in der Frage der Erzeugung und das Drittel, das wir in den kalten Monaten via Import brauchen, kümmern.

Das ist ein großes Projekt, aber ich wollte es nur anführen, weil Sie tatsächlich ein für mich wichtiges Thema angesprochen haben, wenn es darum geht, wie wir die Energieversorgungssicherheit für die Zukunft dieses Landes sicherstellen und vor allem auch in die Zukunft investieren können. Dazu müssen wir Unter­nehmen und der Industrie vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energie deutlich schneller gewährleisten, als es jetzt möglich ist. (Bundesrat Ofner: Nur werden wir es nicht schaffen!)

Das Thema Inflation, das Sie angesprochen haben, ist ein brutales Thema für die Wirtschaft und für die Haushalte. Aber wenn wir es im Befund analysie­ren, auch da redlich, kommen wir drauf, dass die Hälfte davon importiert ist, nämlich aufgrund der Energiekosten, und dass wir uns in der Eurozone bewegen und national kaum mehr Maßnahmen setzen können, die aktiv gegen die Infla­tion wirken. Das ist zwar unangenehm, aber ein realistischer Befund.

Das heißt: Es braucht das Einwirken in der Eurozone von der Europäischen Zentralbank in der Erholung auch des Wirtschaftsraumes, damit sich die Inflation ändert. Was wir als nationale Regierung tun können, ist, den Menschen in dieser Phase zu helfen.

Jetzt komme ich zum wichtigen Punkt. Das, finde ich, gehört auch erwähnt, und ich werde es auch in der Fragebeantwortung machen, aber ich nutze das, damit Sie, Bundesrätinnen und Bundesräte, auch die Chance haben, mit dem Bundeskanzler darüber zu diskutieren, was unsere Hintergedanken sind, wenn wir Maßnahmen setzen.

Das Thema ist: Wenn wir die Menschen entlasten wollen, dann müssen wir das strukturell tun. Daher hat die Bundesregierung zu Beginn – da war die Infla­tion noch kein Thema – die ökosoziale Steuerreform beschlossen. Die öko­soziale Steuerreform sieht auf der einen Seite vor – das haben Sie uns zum Vor­wurf gemacht –, dass CO2 bepreist wird, auf der anderen Seite sieht sie eine Entlastung in der Bepreisung von CO2 vor, aber – Achtung, was aus meiner Sicht noch viel wichtiger ist – sie senkt die Steuertarifstufen, nämlich von 42 Pro­zent auf 40 Prozent, von 35 Prozent auf 30 Prozent, von 25 Prozent auf 20 Pro­zent. Das ist viel Geld, das den Menschen nachher dadurch im Geldbörsel bleibt. Das ist eine wichtige Maßnahme. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:in­nen der Grünen. – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Sie haben recht, aber, Herr Bundesrat, was wichtig ist, dazuzusagen: Durch die Kombination, die uns jetzt gelungen ist, die auch dank des Hohen Hauses gelingen wird, nämlich dass wir die kalte Progression, sprich die schleichende Steuererhöhung, abschaffen, bleibt zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik bei einer deutlichen Steuerreduzierung, also Tarifstufensenkung, diese Tarifstufensen­kung auch tatsächlich länger in den Geldbörseln der Menschen. Das wird eine spürbare Entlastung werden.

Ich möchte das Beispiel von der 1 800-Euro-Familie aufgreifen. Sie haben von der 1 800-Euro-Familie gesprochen. Das ist für mich extrem ernst zu neh­men, denn gerade dort, wo Kinder sind, ist der Kostendruck immer riesig. Da dies so ist, haben wir beschlossen, den Familienbonus pro Jahr und Kind von 1 500 Euro auf 2 000 Euro zu erhöhen. Das heißt, das sind 2 000 Euro echtes Geld. Dieses Geld bekommt die Familie mit 1 800 Euro. Bei zwei Kindern sind das 4 000 Euro, 1 000 Euro mehr als letztes Jahr. Das ist echtes Geld, das ist nicht irgendwie Fiktion, und durch die Abschaffung der kalten Progression - - (Bundesrat Steiner: Habt ihr nicht überwiesen! – Bundesrätin Grossmann: ... ver­dienen! – Bundesrat Steiner: 1 800 bekommen sie!) – 1 800 Euro netto war die Aussage. (Bundesrätin Grossmann: Die Alleinerzieherin mit 30 Stunden um 1 200 Euro ...! – Bundesrat Steiner: Aber mit 1 800 kriegt er das nicht!) – Na selbst­verständlich, der Familienbonus wird ausgezahlt. Und wir haben in diesem Jahr die doppelte Familienbeihilfe geleistet und, was jetzt auch wichtig ist, wir haben die Familienleistungen valorisiert. Das heißt, diese Maßnahme der Erhöhung für die Familie bleibt auch im nächsten Jahr.

Ich sage das nur deshalb, weil uns das als Regierung tatsächlich ein wichtiges Anliegen ist. Dass Sie als Opposition das kritisieren, ist Ihr gutes Recht, ich will nur erklären, was wir uns für Maßnahmen ausgedacht haben, damit es tatsächlich besser wird.

Die Energiekosten sind ein Preistreiber, für die Konsumenten genauso wie für die Unternehmerinnen und Unternehmer, genauso wie für die Industrie. Deswegen wurde die Energiekostenbremse, der Energiekostenzuschuss, be­schlossen, nämlich mit über 1,4 Milliarden Euro, es wurde die Strompreis­kompensation beschlossen – das ist alles für jene Industriebetriebe, die dem CO2-Handel unterliegen –, und wir haben die Stromkostenbremse für die Haushalte beschlossen.

Jetzt kommen die Länder noch zu all dem dazu, und was mir wichtig ist, Herr Bundesrat, ist, dass die Bundesländer mit ihren Maßnahmen für die Familie (Bundesrat Ofner: Das spüren sie heute nicht!), und da verhandelt gerade der Fi­nanzminister, auch beim Thema Heizkostenzuschuss mehr leisten können als zuvor.

Darüber hinaus ist es mir auch wichtig, in diesem Zusammenhang zu sagen, dass wir durch die Gemeindemilliarde sichergestellt haben, dass nächstes und übernächstes Jahr weiter in den Kommunen investiert werden kann. Das ist wichtig für die regionale Bauwirtschaft, weil dieses Geld für die regionale Wirtschaft notwendig ist. (Bundesrat Ofner: ... haben nicht einmal ...!) – Das, Herr Bundesrat, ist auch wieder kein redliches Argument. Glauben Sie mir, ich war Kommunalreferent in Niederösterreich. (Bundesrat Ofner: Ich bin Bürger­meister!) – Ja, dann wissen wir eh beide, was ist, aber dann wissen wir auch beide, wenn wir ehrlich darüber reden, dass, wenn es Investitionsvorhaben in einer Gemeinde gibt, man jetzt die Chance hat, für die Investitionsvorha­ben, die man für nächstes Jahr geplant hat, wieder eine Bezuschussung zu krie­gen. (Bundesrat Steiner: Ja, aber ... Prozent!) – Aber, Herr Bundesrat, das ist ja etwas! (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) Es ist unmöglich, alle Probleme auf einmal zu lösen, aber entscheidend ist, dass wir versuchen, eben auch in den Gemeinden die Möglichkeit zu schaffen, finanziell Investitionen zu treffen, sei es für Schulen, Kindergärten oder Infrastrukturmaßnahmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

Damit ich Sie nicht langweile und dann gleich zur Beantwortung Ihrer Fragen kommen kann, komme ich noch zu dem Punkt Migration. Die Migration ist tatsächlich eine Riesenherausforderung, und es hat auch schon in meiner Zeit als Innenminister begonnen, dass trotz Pandemie und trotz Grenzschließungen die Migrationszahlen steigend waren. Wir haben das nie verschwiegen, wir ha­ben immer darauf hingewiesen.

Wo sich jetzt aber alle einmal kurz besinnen müssen, ist bei der Frage der Kritik: War die Westbalkanroute geschlossen oder nicht? Als die Zahl der Asylanträge von 80 000 oder 88 000 runtergegangen ist, wie in der Zeit unter Innenminister Kickl, war das die Folge der Maßnahmen von Sebastian Kurz (Bundesrat Stei­ner: Die Ausreisezentren! ...!) oder war das sozusagen nur ein plötzliches Abschwa­chen einer Welle? (Bundesrat Steiner: Ausreisezentren!) Man muss es nur ein­mal für sich entscheiden und definieren, sonst wird es halt nur populistisch in der Argumentation, aber es funktioniert nicht. (Bundesrat Ofner: ... für Abschieben!)

Wozu ich aber zu 100 Prozent stehe – und deswegen war ich auch in Ungarn und auch in Serbien –: Wir werden den Westbalkan immer brauchen, nämlich als Verzögerungslinie oder gar als Aufhaltelinie von irregulärer oder illegaler Migration.

Was sind die Maßnahmen einer seriösen Politik, die tatsächlich Früchte tra­gen? – Der serbische Präsident hat jetzt zugesagt, dass er sowohl die Visaliberalisierung mit Tunesien als auch jene mit Indien beenden wird. Warum ist das wichtig? – Weil wir in Österreich plötzlich über 10 000 Asylanträ­ge von Menschen aus Indien hatten, ohne Bleibewahrscheinlichkeit. Der serbi­sche Präsident wird das jetzt zurücknehmen. Und wichtig ist, das sieht man jetzt Gott sei Dank schon, dass durch die Rücknahme der Visaliberalisierung mit Tunesien auch diese Zahlen zurückgehen werden. (Zwischenruf des Bundes-rates Steiner.)

Das heißt, die Migration an sich wird immer ein systemisches Thema bleiben. Das wird immer nur gemeinsam zu lösen sein, weil man immer Verbündete braucht, um die irreguläre Migration zu bremsen. (Zwischenruf des Bundesrates Ofner.) Wobei Sie mich alle als ersten Verbündeten haben werden, ist – und das weiß man mittlerweile in der Europäischen Union genauso –: Für mich unerträglich ist die Tatsache, dass in einem EU-Binnenland 100 000 irre­guläre Migranten aufgegriffen werden, von denen 75 000 nicht registriert sind. Wir sind ein Binnenland und kein EU-Außengrenzland.

Das heißt, der sogenannte EU-Außengrenzschutz funktioniert nicht. Und da müssen wir hinschauen, wie das sein kann, denn es ist ein allgemeines Anliegen der Europäischen Union, nicht Österreichs alleine, dass wir wissen, wer in die Union kommt. Wir kämpfen gegen organisierte Kriminalität, gegen Foreign Terrorist Fighters, gegen Waffenhandel, Drogenhandel. Wir wissen, dass seit dem Krieg der Russischen Föderation in der Ukraine wieder sehr viele Waf­fen unterwegs sind, so viele wie seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens nicht mehr.

Die innere Sicherheit wird aufgrund der Folgen des Krieges noch lange ein Thema sein, und genau aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Außen­grenzschutz tatsächlich funktioniert. Deswegen hat der Innenminister diese Position gegenüber der Schengenraumerweiterung, und deshalb ist es eine Notwendigkeit, ja. Ich habe gerade den Befund gegeben. Es kann nicht funktionieren, wenn bei uns so viele tatsächlich aufgegriffen werden. Nichtsdestotrotz, wir sind in der Europäischen Union und müssen mit den Institutionen der Union dafür sorgen, dass der Grenzschutz effektiver, besser und klarer wird. Und das geht nicht einfach. (Beifall bei der ÖVP. – Bun­desrat Steiner: Seit zehn Jahren ...!) – Länger, länger.

Wie versuchen wir, es aber tatsächlich auch operativ besser zu machen? – Indem wir die Länder, die sozusagen unter Verdacht stehen, nicht alles zu tun, was sie tun können, durch Kooperation an uns zu binden versuchen, denn von oben nach unten, mit Überheblichkeit erreichen wir gar nichts. (Zwischenruf des Bundes­rates Steiner.)

Die meisten Aufgriffe haben wir an der österreichisch-ungarischen Grenze. Da ist es ohnehin schon ein großer Vertrauensbeweis wiederum von ungarischer Seite, dass wir mit den ungarischen Kolleginnen und Kollegen in der Polizei ge­meinsame Patrouillen durchführen können, nämlich sowohl an der öster­reichisch-ungarischen Grenze auf ungarischem Territorium – weil alle irregulären Migranten, die da aufgegriffen werden, automatisch zurückgebracht werden, an die serbisch-ungarische Grenze zum Beispiel –, oder man denke nur an die ge­meinsamen österreichisch-ungarischen Patrouillen an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien beziehungsweise an jener zwischen Ungarn und Rumänien.

Das sind große Herausforderungen, die wir haben, die Grenzen zwischen Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Türkei, das ist eine neue Migrationsroute. Deswe­gen ist unsere Haltung jetzt zur Schengenraumerweiterung kritisch – nicht aus irgendwelchen Befindlichkeitsgründen, sondern weil die Analysen des In­nenministeriums ergeben haben, dass ein Teil derer, die wir aufgreifen, die Route über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn einschlagen. Genau aus diesem Grund ist eine Schengenraumerweiterung kritisch zu hinterfragen, denn dann funktionieren unsere Außengrenzen eben definitiv nicht.

Und seien wir da auch wieder ehrlich im Befund: Nicht Österreich hat damit begonnen. Begonnen hat damit die Bundesrepublik Deutschland 2015 und in den Folgejahren. Österreicher werden kontrolliert, wenn sie in die Bun­desrepublik Deutschland einreisen. Wir sind ein EU-Nachbarland, ein Schengenland, ein Binnenland, und trotzdem werden wir kontrolliert. Genau aufgrund der Notwendigkeit dieser Maßnahmen haben wir unsere Grenzkontrollen gestartet, nämlich an der österreichisch-ungarischen Grenze und an der österreichisch-slowenischen Grenze. Darüber gab es große Aufregung in der Europäischen Union.

Aber das war schon damals ein Zeichen, dass der Außengrenzschutz nicht so funktioniert, wie er funktionieren sollte. Das heißt also: Wir müssen den Druck sukzessive erhöhen, und wir werden nicht lockerlassen, das zu tun. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Ofner: Aber warum ...faktor, Klimabonus und so weiter? Warum gibt’s das ...?)

Jetzt, nachdem Sie mir gestattet haben, ein paar Begründungen für die Regie­rungspolitik zu liefern, komme ich zur Beantwortung Ihrer Fragen.

Zu den Fragen 1 und 2:

Die Bundesregierung hat in mehreren Antiteuerungspaketen entlastet. Allein das dritte Antiteuerungspaket hat bis 2026 ein Gesamtvolumen von 28 Milliarden Euro, dadurch ist Österreich im europäischen Vergleich im Spitzenfeld. Im Früh­jahr haben wir bereits Entlastungsmaßnahmen für Strom und die Gaspreis­bremse gesetzt, im Sommer Direkthilfen für besonders Betroffene, wie vulne­rable Gruppen und Familien, im Herbst mit dem Klima- und Antiteuerungs­bonus für die breite Bevölkerung. Ab Anfang 2023 wirken Entlastungen über die kalte Progression und die Valorisierung der Sozialhilfe.

Laut dem Budgetdienst übersteigen die Einkommenszuwächse durch Löhne, ökosoziale Steuerreform und Entlastungsmaßnahmen die Mehrbelastung durch die Inflation 2022 durchschnittlich in allen Einkommensgruppen.

Zur Frage 3:

Der Europäische Rat hat im Oktober 2022 die Europäische Kommission ersucht, die Arbeiten an der Strukturreform des Strommarktes einschließlich einer Folgenabschätzung zu beschleunigen. Die Europäische Kommission wird voraus­sichtlich im Dezember 2022 ein Konsultationsdokument vorlegen und da­rauf aufbauend einen Legislativvorschlag im ersten Quartal 2023.

Ich habe die Entkoppelung der Gas- und Strompreise auf Ebene des Markt­modells Meritorderprinzip als zentralen Punkt in der Diskussion eingefordert und die Europäische Kommission zur raschen Vorlage von Vorschlägen aufgefor­dert. Auch dazu ein klares Wort: Wir haben da nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf unserer Seite. Unser großer Nachbar, Bundesrepu­blik Deutschland, gehört nicht zu denen, die dieses System favorisieren.

Zur Frage 4:

In Österreich haben wir mit der Strompreisbremse für Haushalte und dem Energiekostenzuschuss für Unternehmen wirksame Maßnahmen gesetzt. Die Stromkostenbremse entlastet einen Haushalt um durchschnittlich rund 500 Euro pro Jahr.

Wie Sie wissen, hat der Finanzminister heute informiert, dass er in diesem Zusammenhang auch die für Deutschland angekündigte Gaspreisbremse prüft. Wesentlich ist, dass die Situation in Österreich und in Deutschland nicht eins zu eins miteinander verglichen werden kann. In Deutschland spielt Erdgas in der Raumwärme eine größere Rolle, denn circa 49 Prozent der Haushalte in Deutschland heizen mit Erdgas, in Österreich nur 23 Prozent.

Insgesamt gibt es in Österreich große regionale Unterschiede, was die Nutzung von Gas fürs Heizen betrifft. Das Ziel ist, dass österreichischen Haushalten weiterhin wirksam geholfen wird und österreichische Unternehmen keinen Wett­bewerbsnachteil haben beziehungsweise dass ihnen kein Wettbewerbs­nachteil entsteht.

Da sind eben einerseits der Energiekostenzuschuss und die Strompreiskompen­sation zu erwähnen. Wissend, dass das alles nur bis Oktober gilt, sind wir deswegen jetzt schon in Verhandlungen mit dem Koalitionspartner in der Regie­rung, um diese Maßnahmen, soweit notwendig, auch ins nächste Jahr fortzusetzen.

Zu den Fragen 5 und 6:

Über eine Rücknahme der Sanktionen wird nach einer Einstellung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu diskutieren sein. Die Entscheidung wird durch die Mitgliedstaaten gemeinsam auf europäischer Ebene getroffen. Die Ent­scheidung, eine Volksbefragung durchzuführen, ist im Übrigen primär von einem entsprechenden Beschluss des Nationalrates abhängig.

Zu den Fragen 7 bis 9:

Die Unterstützung für die ukrainische Armee wird aufgrund von EU-Ratsbe­schlüssen aus der Europäischen Friedensfazilität finanziert. Es gibt somit keine direkte Finanzhilfe aus Österreich für die Aufrüstung der ukrainischen Armee.

Sowohl die EU als auch die Nato unternehmen alles politisch Mögliche, um nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden. Auch Russland kann kein Interesse daran haben, in einen Konflikt mit der Nato und der EU involviert zu werden. Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass es zu einem Fall der Beistandspflicht kommt. Hoffentlich bleibt es auch so.

Zu den Fragen 10 und 11:

Der Bundesminister für Inneres und ich stehen über relevante sicherheitspoliti­sche Themenstellungen in permanentem Austausch. Der Innenminister hat bis dato zahlreiche Maßnahmen gesetzt, wie: Aufstockung der Anzahl der Poli­zistinnen und Polizisten an der Grenze im Burgenland um etwa 100 Perso­nen; Verlängerung der Grenzkontrollen zu Ungarn und Slowenien sowie Einfüh­rung von Grenzkontrollen zur Slowakei; Entsendung von mehr als 70 Polizis­tinnen und Polizisten an die ungarisch-serbische Grenze; gemeinsame Schwer­punktaktionen mit ungarischen Polizistinnen und Polizisten auf ungari­schem Staatsgebiet.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Initiativen, die Österreich auf europäischer Ebene vorantreibt, denn, wie Sie wissen, die österreichische Asyl- und Migrationssituation ist maßgeblich von der europäischen Gesetzgebung ab­hängig. Zudem wurden seit Jahresbeginn mehr als 620 Schlepper durch die österreichische Polizei festgenommen.

Zu den Fragen 12 und 13:

Nach Auskunft des Innenministeriums verzichten zahlreiche Asylwerber auf ihren Schutzstatus. Zu aktuellen Statistiken darf ich an den zuständigen Innenminister verweisen.

Zur Frage 14:

Damit wird sich voraussichtlich der zuständige EU-Hauptausschuss des Natio­nalrates am 12.12.2022 auseinandersetzen.

Zu den Fragen 15 und 16:

Rund 40 Prozent kommen derzeit aufgrund der Visaliberalisierung mittels Flug nach Belgrad und reisen dann weiter. Diese Personen haben keine Chance auf einen Schutzstatus. Ich habe aus diesem Grund, wie von mir vorhin schon erwähnt, beim Migrationsgipfel in Belgrad mit meinen serbischen und un­garischen Amtskollegen vereinbart, diesen Asyltourismus zu stoppen. Ich werde auch weiterhin die Zusammenarbeit mit den wichtigsten Ländern forcieren, solange die Europäische Kommission nicht selbst Maßnahmen setzt.

Das heißt, wir werden auch da die Polizeikooperation mit Serbien weiter unterstützen, denn wenn wir die Grenzen dieser Länder stärker überwachen, schützen und begleiten können, dann schützen wir auch zugleich unsere Grenze. Wo machen wir das schon? – Wir machen das bereits an den erwähnten Grenzen Ungarns und Serbiens, aber genauso auch in Nordmazedonien.

Was aus meiner Sicht ein Durchbruch ist, das möchte ich in dieser Anfragebe­antwortung noch erwähnen: dass wir mit der Kooperation mit Serbien zum ersten Mal in der Geschichte zustande bringen werden, dass es von Serbien schon Rückführungen gibt.

Ein kurzer Ausflug jetzt weg von der reinen Fragebeantwortung: Warum ist das so essenziell wichtig? – Wir haben damit in Bosnien-Herzegowina gestartet, um die kroatische Grenze zu entlasten. Wir haben jetzt in Serbien dieses Projekt laufen. Das ist alles schwierig, ich erzähle Ihnen da keine großen Geschichten, dass da jetzt unglaubliche Massenerfolge möglich sind, aber das Entscheidende, warum es beginnen muss und warum eine Routine daraus entstehen muss, ist: Der Westbalkan weigert sich, der Parkplatz der irregulären Migration für Eu­ropa zu werden. Das heißt, wir müssen dem Westbalkan Perspektiven, Un­terstützungen und Hilfsangebote geben, damit dem eben nicht so ist. Das basiert auf Vertrauen. Je größer dieses Vertrauen wird, umso mehr wird auch der Westbalkan versuchen, seine Grenzen dementsprechend zu schützen.

Zur Frage 17:

Nach Auskunft des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz liegen dazu keine konkreten Informationen vor.

Zu den Fragen 18 bis 20:

Zu diesen verweise ich an den fachlich zuständigen Gesundheitsminister, das ist nicht Gegenstand meines Ressorts.

Zur Frage 21:

Ich habe über den Vorfall durch die Medien erfahren.

Zur Frage 22:

Dazu ist mir nichts bekannt.

Zur Frage 23:

Mein derzeitiger Wissensstand ist: Nein.

Zu den Fragen 24 bis 26:

Im Rechtsstaat Österreich entscheiden ausschließlich unabhängige Gerichte, ob eine strafrechtlich relevante beziehungsweise eine gegen den Rechtsstaat gerichtete Handlung vorliegt oder nicht. Darüber hinaus unterliegen Meinungen und Einschätzungen nicht dem Interpellationsrecht.

Zur Frage 27:

Im Bundeskanzleramt nach meinen Informationen nicht.

Zur Frage 28:

Die Erteilung von Rechtsauskünften fällt nicht unter das parlamentarische Interpellationsrecht.

Ich hoffe, Ihre Fragen soweit ausführlich beantwortet zu haben, und freue mich auf die Diskussion. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP sowie Beifall bei den Grünen.)

18.17

Präsidentin Korinna Schumann: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Leinfellner. – Bitte, Herr Bundesrat. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesrät:innen von ÖVP und FPÖ.)