9.48

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Frau Präsidentin! Ich möchte mich im Namen der grünen Fraktion – und auch als Wiener, das muss ich dazusa­gen – natürlich auch ganz herzlich für Ihre Präsidentschaft bedanken. Ich freue mich auch schon auf das Burgenland im nächsten halben Jahr, aber davor freue ich mich auf Europa in dieser Europastunde des Bundesrates. Ich freue mich wahnsinnig, dass Europaabgeordnete von vier Fraktionen heute hier sind, weil – das muss man auch immer wieder betonen – das Europaparlament unser Parlament ist, und deswegen ist ein Austausch immer wichtig. Die­ser Austausch wird im Bundesrat besonders gepflegt, auch dank des EU-Aus­schusses. Dass wir eine Europastunde haben, halte ich für wunderbar. Auch an Sie (in Richtung Bundesministerin Edtstadler): Herzlich willkommen, Frau Ministerin!

Was bedeutet Europa eigentlich? – Da hat wahrscheinlich jeder und jede eine eigene Geschichte zu erzählen. Bekanntlich bin ich ja ein gebürtiger Nie­derländer, der hier in Österreich aufgewachsen ist. Selbstverständlich habe ich daher zu Europa eine persönliche Beziehung. Ich habe noch dazu in eine rumänische Familie hineingeheiratet – dazu komme ich später noch. Meine Per­spektive ist durchaus eine sehr grenzüberschreitende, aber trotzdem eine, bei der ich mir keine Grenzen wünsche.

Für mich ist Europa vor allem eine Erinnerung an früher und ein Wissen über das Jetzt. Ich kann mich noch erinnern, als wir mit unserer Schulklasse in der Hauptschule – damals hieß sie noch so, heute also neue Mittelschule – eine Wanderung entlang des Nordkammwaldwegs gemacht haben. Ich weiß nicht, wer diesen Weg kennt, er führt entlang der tschechisch-oberösterrei­chischen Grenze von Aigen-Schlägl bis Freistadt. (Bundesrat Schennach: Genau! Oberösterreich!)

Als ich damals dort gegangen bin, war da Stacheldraht, waren da Zäune, waren da Wachtürme und Niemandsland. Es war eine Grenze, eine befestigte Grenze, und ich habe mir damals als junger 14-jähriger – Mann kann man noch nicht sagen –, als 14-Jähriger gedacht: Ich hätte gern ein Europa ohne Mauern, ich hätte gern ein Europa, in dem es keine Mauern mehr gibt. Ich hätte gern ein Europa, in dem es keine Zäune mehr gibt. Ich hätte gern ein Euro­pa, das weltoffen ist und das seinen Nachbarinnen und Nachbarn die Hand reicht. Ich habe den Wunsch nach diesem Europa bis heute, immer noch, das ist mir wirklich wichtig.

Ich gehöre noch dieser Generation an, die sich daran erinnern kann, dass die Großeltern gegeneinander Krieg geführt haben, in Europa. Zu sagen, das Friedensprojekt Europa sei kein wichtiges oder sei keines, wie es mein Vorredner gesagt hat: Dem muss man mit aller Entschiedenheit widersprechen, denn Europa ist das größte Friedensprojekt weltweit! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ich werde auch nicht müde, diese Tatsache, wenn wir in der Demokratiewerk­statt hier im Parlament – im Übrigen eine tolle Einrichtung – mit der Ju­gend sprechen, in den Vordergrund zu rücken. Das ist so ein wichtiges Thema für sie, gerade jetzt, wo sie sehen, wie nahe Krieg, ein Krieg in Europa, sein kann. Umso wichtiger ist es, genau diese Aufgabe Europas in den Vordergrund zu rücken: Es ist ein Friedensprojekt, einzigartig in dieser Welt und für vie­le auf anderen Kontinenten ein Vorbild, das muss man auch dazusagen. Und zu unserer Generation: Es gibt keine Generation davor auf diesem Kontinent, die so lange Frieden gehabt hat. Es gab immer irgendwo in Europa Krieg.

Natürlich ist Europa eine demokratische Institution und man muss auch kriti­sieren. Dafür ist das Europaparlament ja auch berühmt, dort gibt es ja hef­tige Debatten zu vielen Themen, und man kann auch mit vielen Entwicklungen der Europäischen Union nicht einverstanden sein. Man kann Forderungen aufstellen, was nicht passt – das ist ja das Tolle an diesem Europa, dass es eben auf diesen demokratischen Grundwerten beruht, und es ist deswegen auch diese Rechtsstaatlichkeit, die dazu führt, dass Korruption innerhalb Europas aufgedeckt wird. (MEP Mayer: Das war doch ... Zufall!) Das beweist eigentlich auch, dass Europa funktioniert, weil wir eine freie Presse haben, weil wir eine Rechtsstaatlichkeit haben. Es sind die Diktaturen, wo Korruption unter den Teppich gekehrt und nicht öffentlich wird. (Bundesrätin Hahn: Das täte ich nicht unterschreiben ...! ORF Niederösterreich ...!) Ich bin froh, dass das öffentlich wird und dass man das auch juristisch verfolgt.

Im Übrigen können wir natürlich auch hier in Österreich dazu einen Beitrag leisten, und wir sind ja derzeit auf einem guten Weg, was das Antikor­ruptionsgesetz und das Informationsfreiheitsgesetz betrifft. Auch das sind natürlich dann auf nationalstaatlicher Ebene ganz wichtige Instrumen­te, um Korruption vorzubeugen.

Wir haben aufgrund der Aktualität natürlich hier schon über Schengen gespro­chen, sowohl gestern im EU-Ausschuss als logischerweise auch heute in dieser Aktuellen Europastunde. Ich habe schon gesagt, wie es mir als jungem Menschen gegangen ist, als ich den Eisernen Vorhang entlanggegangen bin, und dass ich in eine rumänische Familie hineingeheiratet habe. Die meisten mei­ner Verwandten, also die rumänischen Verwandten, die ich habe und die übrigens überwiegend in der Steiermark wohnen, sind mittlerweile österrei­chische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Viele sind politisch gar nicht unbedingt in meiner Nähe, sondern sind vielmehr Wählerinnen und Wähler an­derer Parteien. Und viele jener, die aus Rumänien kommen und hier arbei­ten – die unsere Baustellen sichern, die unsere Pflegekräfte sind, die 24-Stun­den-Betreuung machen –, fühlen sich tatsächlich missachtet. Ich finde, es ist ein ganz wichtiges Zeichen, auch dieser Community gegenüber zu sagen: Nein, wir missachten euch nicht!

Österreich ist der zweitgrößte Investor in Rumänien! Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Rumänien und Österreich sind enorm. Österreich müsste eigentlich ein vitales Interesse an guten Beziehungen zu Rumänien und Bulgarien haben. (Bundesrat Schennach: Ja, aber ihr seid in der Regierung, lie­ber Freund! Sag es der ÖVP!) Auch in Bulgarien sind wir die zweitwichtigsten Investoren.

Deswegen möchte ich auch hier sagen: Rumänien hat einen Prozess gehabt, und schon 2011 wurde von der Kommission festgestellt, dass es die Schengen­kriterien erfüllt. 2022 haben wir festgestellt, dass es die Schengenkrite­rien erfüllt, und es ist schon ein Gebot der Fairness, nicht in der letzten Minute die Spielregeln zu ändern, die man Jahre gehabt hat. Da würde ich appel­lieren, sich an die Spielregeln zu halten und Rumänien und Bulgarien so rasch als möglich eine Perspektive zu geben, weil das auch in österreichischem Interesse ist.

Europa ist wie gesagt für mich ein Friedensprojekt, und ich finde, es ist wichtig, dass wir an diesem Projekt gemeinsam, demokratisch und rechtsstaatlich und unter Einhaltung aller Menschenrechte arbeiten. (Beifall bei den Grünen, bei Bundesrät:innen der ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.56

Präsidentin Korinna Schumann: Zu einer Stellungnahme hat sich Frau Bundes­ministerin Edtstadler zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Bundesministerin.