11.00

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehr­te Zuhörerinnen und Zuhörer! Eines muss ich Ihnen lassen, Herr Bundesminister: Mit der Wahl des Themas für die Aktuelle Stunde beweisen Sie, dass Sie eine große Portion Selbstüberzeugtheit, ja ich sage sogar Mut besitzen. (Bundes­minister Karner: Muss ich! Dazu stehe ich! Das ist meine Aufgabe!) Ehrlich ge­sagt überrascht mich das auch, zumal ja viele hier in diesem Saal, im Land, in Europa, unter anderem auch zahlreiche Expertinnen und Experten wissen, dass Sie und Ihre ÖVP seit Jahren an diesem Thema vorbeire­den, vorbeiarbeiten oder auch – je nachdem, wie man es sieht – nicht arbeiten. Deshalb sind Sie, wenn man die Realität und die Fakten bewertet, schnell entzaubert. Aus Ihrer Selbstüberzeugtheit wird dann umgehend Selbstüberschätzung. (Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Die Kritiker Ihrer verfehlten Migrationspolitik kommen ja nicht nur aus den Reihen der Opposition, nein, sie kommen auch aus Ihren Reihen. Einer der prominentesten Kritiker ist der Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas, der unlängst zu Ihrer Schengenblockade, die ja als Lösung für die steigenden Asylzahlen herhalten soll (Bundesrat Preineder: Der Standort bestimmt den Standpunkt!), meinte, dass das überhaupt nichts miteinander zu tun habe und die Vermischung unverantwortlich und unsäglich sei. Ich sage: Er hat recht damit. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

So falsch können wir als SPÖ also mit unserer Einschätzung und Bewertung da nicht liegen. (Bundesrat Steiner: Doch, eindeutig!) Und eines darf man auch nicht unerwähnt lassen: Die ÖVP stellt seit über 20 Jahren, mit einer kurzen Un­terbrechung (Bundesrat Schennach: Kickl!) in der Kickl-Ära, die Innenminis­terinnen und Innenminister. Ich frage Sie: Was ist in diesen 20 Jahren gesche­hen? (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.) – Außer Sym­bolpolitik wenig bis nichts.

Außer Ankündigungen – besonders unter dem gescheiterten Kanzler Kurz – wurde fast nichts verwirklicht, die Probleme werden so aber nicht klei­ner. Und noch pikanter machen das Ganze die – ich nenne es so – Verbrüderungsreisen von Kanzler Nehammer und Ihnen, Herr Minister, nach Serbien und Ungarn. Dort schließt man dann einen sogenannten Pakt gegen illegale Migration und Kriminalität – na, schön wär’s! Dort finden Sie aber nicht die Lösung, dort finden Sie das Problem. (Bundesrat Preineder: Wenn man das Problem findet, kann man auch eine Lösung finden! Wenn man das Problem gar nicht sucht, kommt man zu keiner Lösung!) Ungarn winkt nämlich Tausen­de von Flüchtlingen unregistriert nach Österreich durch, was ganz klar rechts­widrig und auf das Schärfste zu verurteilen ist. Was aber machen Sie? – Sie rühmen sich Ihrer Zusammenarbeit mit diesen Herrschaften, umarmen sie und feiern das als großen Wurf. Das ist völlig absurd und auch ungerecht­fertigt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky. – Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, die Lösungen sind in Wahrheit ganz woan­ders zu suchen:

Erstens braucht es endlich eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern – und ja, das kann Österreich nicht allein schaffen. Des­halb ist es ja so wichtig, geschlossen und gestärkt als vereintes Europa aufzutreten. Bessere Lebensbedingungen braucht es im Übrigen auch in den Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen, denn die dort zum Teil vorherrschenden desaströsen und unmenschlichen Bedingungen treiben ja die Menschen erst richtig an, den Weg nach Europa zu suchen.

Zweitens braucht es eine gut organisierte Grenzkontrolle bei uns, vor allem aber an den EU-Außengrenzen. (Bundesrat Spanring: Ach so, jetzt auf einmal? – Beifall des Bundesrates Preineder.)

Drittens braucht es schnellere Asylverfahren, denn wer Anspruch auf Asyl hat, sollte so schnell wie möglich in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integriert werden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky. – Bun­desrat Steiner: Asyl ist Schutz auf Zeit! Auf Zeit! Da brauche ich nicht inte­grieren!) Dazu habe ich später noch ein gutes Beispiel.

Und viertens braucht es Abkommen mit den Herkunftsländern zur raschen Rückführung von illegalen Migranten. Das ist nämlich die Voraussetzung, dass es Rückführungen geben kann, und dafür braucht es ebenfalls ein geeintes Europa.

Leider versagt Ihre Politik auf allen Ebenen. Anstatt Verbündete zu suchen, ver­grämen Sie wichtige Partner auf EU-Ebene durch Ihren vorhin schon ange­sprochenen Alleingang. So vereint man sich nicht in wichtigen Fragen, so spaltet man sich leider in wichtigen Fragen.

Unerlässlich in der Migrationsdebatte wird es auch sein, endlich mit einem Tabu zu brechen: Es ist nämlich Fakt, dass Österreich Zuwanderung braucht (Bun­desrat Preineder: Ja, aber Asyl und Migration ...!), das wird im Übrigen auch von der Industriellenvereinigung so gesehen und auch gefordert. Diese Zuwanderung darf aber nicht planlos verlaufen, sie muss gesteuert werden, da braucht es Or­ganisation, die ich bei Ihnen, Herr Bundesminister, und der ÖVP leider nicht orten kann. (Bundesrat Bader: Na geh!)

Stichwort Organisation: Darunter ist wohl auch Ihr unrühmlicher Plan des Aufstellens von Flüchtlingszelten in den Gemeinden im vergangenen Spätherbst nicht zu verstehen. Das war zu Recht ein Rohrkrepierer, für den Sie auch von ÖVP-Bürgermeistern massiv kritisiert wurden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ganz trefflich ins Bild Ihrer Unorganisation passen auch die unzumutbaren Zu­stände im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, wo aufgrund der massiven Überfüllung Menschen auf den Gehsteigen liegend ausharren mussten. Ich kann mich daran erinnern, aber ich habe nicht mitgezählt: Wie oft hat Bundesmi­nister Babler Sie in dieser Sache aufgefordert, aktiv zu werden? Wie oft? (Ruf bei der ÖVP: Was? Minister? – Heiterkeit bei der ÖVP. – Bundesminister Karner: Noch ist er nicht Bundesminister!) – Bürgermeister, Entschuldigung, Bürgermeis­ter! (Bundesminister Karner: Vielleicht wird er es noch, aber noch ist er es nicht! Er wäre es vielleicht gern, aber noch ist er es nicht! – Ruf bei der ÖVP: Up­grade! – Bundesrat Preineder: Superstar!)

Ob Ihrer Fehlleistungen in der Migrations- und Integrationspolitik ist es nicht schwer, Ihnen als ÖVP hier kritisch entgegenzutreten. Wie soll man das Ganze denn sonst bewerten? Anstatt fakten- und realitätsorientierte Politik zu machen, verfallen Sie zunehmend einem gefährlichen Populismus. (Beifall bei der SPÖ.)

Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass es gar nicht so um das Können, sondern viel mehr um das Wollen, also um politisches Kalkül, geht. Dass Sie damit aber nicht reüssieren können, haben wir bei der Niederösterreichwahl gesehen. Mit dieser Politik treiben Sie nämlich die Wählerinnen und Wähler nur in die Hände anderer Populisten, und das ist ein gefährliches Spiel. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Die SPÖ hat das gut gemacht in Niederösterreich!)

Abschließen möchte ich mit dem vorhin angekündigten Beispiel verfehlter Integrationspolitik: Ein junger Mann, Anfang zwanzig, der Name liegt mir vor, ist seit über sieben Jahren in Österreich. Aufgrund seiner Herkunft war von An­fang an relativ klar und sicher, dass er hier bei uns bleiben kann und darf. (Bundesrat Tiefnig: Na ja, da hat sich einiges geändert!) Sein Wunsch war es, Koch zu werden, also eine Arbeit in einem Mangelberuf zu finden. Während des gesamten Verfahrens durfte dieser Mann keine Ausbildung machen. (Ruf bei der FPÖ: Richtig!) Nach sage und schreibe sieben Jahren hat er dann die Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen und am nächsten Tag ist er bei einem österreichi­schen Gastronomiebetrieb in eine Kochlehre gegangen. (Bundesrat Span­ring: Na, wie gibt’s das? Das geht nur dann ...!) Dieser Mann sagte kürzlich: Ich könnte schon lange ausgebildeter Koch und voll leistungsfähig sein (Bun­desrat Spanring: Genau so ist es!), wenn ihr mich das früher gelassen hättet. (Beifall bei der SPÖ.)

Also, Herr Bundesminister, es gibt sehr viel zu tun, es gibt sehr, sehr viel zu verbessern. Beginnen Sie mit dieser Arbeit am besten heute! – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

11.09

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. – Bitte, Herr Kollege.