9.02
Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher hier bei uns im Saal und werte Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Es freut mich besonders, dass ich als neue Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Bundesrates zu diesem wichtigen Thema heute sprechen kann. Wir beschäftigen uns in dieser Aktuellen Stunde mit einer der dringendsten Fragen unserer Zeit, nämlich jener der geopolitischen Zeitenwende, die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöst wurde, sowie den Auswirkungen auf die Außenpolitik Österreichs und Europas.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar. Es ist ein Angriffskrieg, der die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine verletzt hat. Dieser Angriffskrieg hat gezeigt, dass die internationale Ordnung brüchig geworden ist, dass internationales Recht und internationale Regeln nicht mehr respektiert werden. Wir befinden uns in einer geopolitischen Zeitenwende.
Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur Auswirkungen auf die Ukraine selbst, sondern er betrifft uns auch hier in Österreich und in Europa. Wir dürfen nie vergessen, dass die Ukraine nicht weit weg von Österreich ist. Wenn man zum Beispiel mit einem Zirkel einen Kreis um Wien ziehen würde, würde man gut sehen, dass die Grenze zur Ukraine näher bei Wien liegt als mein Heimatbundesland Vorarlberg. Es liegt daher nahe, dass die massiven Flüchtlingsströme aus der Ukraine auch auf Österreich Auswirkungen haben. Sehr viele Flüchtlinge bleiben natürlich sehr nahe ihrer Heimat – zum Beispiel in Polen, wo ich mir letztes Jahr als Bundesratspräsidentin in den Flüchtlingszentren nahe der Grenze zur Ukraine selbst ein Bild vor Ort machen konnte –, aber eine beträchtliche Anzahl an Vertriebenen ist auch nach Österreich gekommen. Die aktuelle Zahl der Vertriebenen aus der Ukraine hier bei uns in Österreich beträgt rund 96 500.
Bis zum 17. Lebensjahr ist die Aufteilung zwischen den männlichen und weiblichen Flüchtlingen in etwa gleich, doch ab dem 18. Lebensjahr sind es überwiegend Ukrainerinnen, die sich bei uns befinden. Junge Männer ab dem 18. Lebensjahr müssen den Militärdienst für ihr Land leisten.
Mein Mann und ich haben zwei Söhne. Unser Ältester wird im Sommer 18 Jahre alt. Schon allein die Vorstellung, dass er nun – mit 18 Jahren – in den Krieg ziehen müsste, ist eine ganz furchtbare.
Noch einmal: Dieser Krieg ist nicht weit weg. Dieser Krieg ist hier bei uns in Europa. Wir in Österreich und in Europa müssen uns darauf konzentrieren, unsere Kräfte zu bündeln und unsere diplomatischen Bemühungen zu verstärken, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu erreichen.
Seit Beginn dieses Angriffskriegs auf die Ukraine unterstützt Österreich das ukrainische Volk auf vielfältigste Weise. Österreich stellte bisher Hilfe in der Höhe von über 129 Millionen Euro zur Verfügung, wovon auch viel über Nachbar in Not, die Caritas sowie über das Österreichische Rote Kreuz gespendet wurde. Ich möchte an dieser Stelle einmal Danke sagen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen): Danke an alle Menschen, die in Hilfsorganisationen tätig sind und die helfen, menschliches Leid zu lindern, Danke aber auch allen Spendern und vor allem auch Danke an alle Bürgerinnen und Bürger in Österreich, die Vertriebene aus der Ukraine bei sich aufgenommen haben! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)
Schon gleich zu Beginn, als der Krieg ausgebrochen ist, war die Welle der Hilfsbereitschaft überwältigend, vor allem viele ukrainische Frauen wurden mit ihren Kindern bei uns in Österreich mit einer großen Selbstverständlichkeit aufgenommen. Wir dürfen die humanitäre Krise, die sich durch diesen Krieg in der Ukraine entwickelt hat, nicht ignorieren. Viele Menschen, darunter auch Zivilisten, haben durch diesen Krieg ihr Leben verloren. Die Kriegsverbrechen dürfen nicht vergessen werden. Österreich unterstützt in diesem Zusammenhang die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eingesetzte Untersuchungskommission mit Sitz in Wien sowie die laufenden Ermittlungen mutmaßlicher Kriegsverbrechen durch den Internationalen Strafgerichtshof.
Die zivile EU-Mission in der Ukraine unterstützt außerdem bei der Ermittlung und Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Aktuell sind vier Bedienstete des Bundesministeriums für Inneres zur zivilen EU-Mission in die Ukraine entsandt, um da aktiv mitzuwirken.
Lassen Sie mich nun noch zu einem weiteren Punkt kommen, und zwar jenem, warum es für Österreich und ganz Europa sehr wichtig ist, sich in der Außenpolitik zu koordinieren und zusammenzuarbeiten: Es geht um die globale Ernährungssicherheit. Die Ukraine ist der fünftgrößte Weizenexporteur weltweit und exportiert jährlich circa 17 Millionen Tonnen. Rund 50 Staaten sind von den Getreideexporten der Ukraine stark abhängig. Laut dem UN World Food Programme beziehungsweise dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sind die hauptbetroffenen Regionen der Nahe Osten, Nordafrika, Sahel, Ostafrika und Teile Südafrikas. Rund 349 Millionen Menschen sind dort von Hunger bedroht. Der Schutz der globalen Lebensmittelversorgung ist daher von zentraler Bedeutung für die Stabilität und Sicherheit unserer Welt.
Als internationale Gemeinschaft müssen wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die globale Lebensmittelversorgung auch in Zeiten geopolitischer Turbulenzen aufrechterhalten bleibt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Aggression gegen die Ukraine, insbesondere in Form eines starken Anstiegs der Energie- und Lebensmittelpreise, könnten die politische Stabilität in Europa enorm belasten.
Eine mittel- und langfristige Unterstützung für die Ukraine, vor allem hinsichtlich der Getreideexporte, ist daher von größter Bedeutung. Die Black Sea Grain Initiative, die Initiative für den sicheren Transport von Getreide und Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen, konnte am 19. März dieses Jahres leider nur für weitere 60 Tage verlängert werden und läuft daher in den nächsten Tagen aus.
Auf dem Landweg kann nie so viel Getreide exportiert werden wie auf dem Seeweg. Es ist daher sehr wichtig, dass Österreich und Europa sich weiter stark dafür einsetzen, dass die Black Sea Grain Initiative weiter verlängert wird. Diese Verlängerung ist essenziell, um die globalen Lebensmittelmärkte zu stabilisieren.
Die Ereignisse in der Ukraine zeigen, dass die Weltordnung im Wandel ist und dass geopolitische Konflikte in der heutigen Welt zugenommen haben. Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, dass der Konflikt in der Ukraine nicht isoliert betrachtet werden kann. Wir sehen ähnliche Entwicklungen in anderen Regionen dieser Welt, vom Westbalkan über den Nahen Osten bis hin zu China und Taiwan. In diesen schwierigen Zeiten ist es umso wichtiger, dass wir uns auf unsere gemeinsamen Werte und Ziele konzentrieren und uns aktiv für den Frieden, die Stabilität und den Wohlstand unserer Welt einsetzen. Wir müssen weiter zusammenarbeiten, um eine Zukunft zu schaffen, die auf Zusammenarbeit und Verständigung beruht.
Abschließend möchte ich betonen, dass die geopolitische Situation in Europa insbesondere im Zusammenhang mit der Ukraine von großer Bedeutung für uns alle ist. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Frieden und Stabilität in unserer Region erhalten bleiben. Österreich und Europa müssen sich als starke und solidarische Gemeinschaft zeigen und in ihrer Außenpolitik zusammenarbeiten. Die Ereignisse in der Ukraine haben gezeigt, dass wir uns nicht auf unsere Errungenschaften und die Stabilität verlassen können. Wir müssen uns auf gemeinsame Werte und Prinzipien besinnen und unsere Beziehungen mit unseren Partnern auf der ganzen Welt stärken. Setzen wir uns gemeinsam für eine friedliche und prosperierende Zukunft ein, in der unsere Region und die Welt insgesamt von Zusammenarbeit und Zusammenhalt geprägt sind! – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
9.12
Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Prof. Stefan Schennach. – Bitte.