10.15

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Im Jahr 2000, als Putin an die Macht kam, galt er als ruhiger, unspektakulärer Sidekick seines Chefs, des bunten Reformers Anatoli Sobtschak, Bürger­meister von Sankt Petersburg. Man kann niemandem vorwerfen, damals keine Vorahnung von Putins Charakter gehabt zu haben. Als George Bush junior die transatlantische Allianz schlechtgeredet hat, kam Putin nach Europa und beruhigte die politische Führung: Russland würde in diesen Zeiten der unroutinierten amerikanischen Führung für Stabilität sorgen.

Ganz so einfach war es natürlich nie. Putin hat immer innenpolitische Probleme mit brutalen Machtdemonstrationen im – in Anführungszeichen – „Ausland“ kaschiert. Wie er die tschetschenische Hauptstadt Grosny ausradieren ließ, um Macht zu zeigen, hätte uns schon zu denken geben können und sollen.

Seit dem Angriff auf Georgien 2008 und spätestens seit dem Einfall in die Ukraine und der Annexion der Krim 2014 gibt es keine Ausrede mehr. Gerade wir Österreicherinnen und Österreicher sollten wissen, was ein Anschluss ist, ein Einmarsch, gefolgt von massiver Unterdrückung der Opposition, dann ein Referendum mit 104 Prozent Zustimmung – das war die Zeitenwende. Die Re­aktion aber war absichtliche Blindheit, Appeasement und, wie es auch schon genannt worden ist, ein „roter Teppich mit Schleimspur“.

Abraham Lincoln hat gesagt: You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all of the  time. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Jagl.) Man kann seine Wer­te eine Zeit lang für billiges Gas verkaufen, aber man kann sich billiges Gas nicht auf Ewigkeiten durch die Preisgabe seiner Werte erkaufen. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)

Die Bundesregierung sagt heute richtig: Man kann mit einem Kriegsverbrecher nicht verhandeln; mit diesem Regime unter Putin kann es kein Zurück zum Status quo ante mehr geben. Dennoch haben wir die Lektion noch nicht ganz ge­lernt. Jetzt debattiert Europa, ob uns die USA in einen Konflikt mit China hineinzögen. Die Kommissionspräsidentin will einen klaren Kurs fahren, der fran­zösische Präsident widerspricht ihr. Es ziehen uns aber nicht die USA in ihren Konflikt hinein. Es geht wieder darum, zu erkennen, was eine Autokratie plant. China will die Weltordnung ebenso zu seinen Gunsten verändern wie Russland. Der Unterschied ist, dass China strategischer und klüger agiert, in diesem Sinne noch gefährlicher ist. Ohne die USA wird Europa sich viel schwerer tun, seine Werte, unsere Lebensart zu verteidigen und auch für unsere Kinder zu erhalten.

Die erste Lehre aus dieser Zeitenwende ist, dass wir für unsere Werte einstehen müssen. Aus kurzfristigem Profitdenken wegzuschauen kostet mittelfristig ein Vermögen.

Die zweite Lehre ist: Selbst ein großer Staat wie die Ukraine, ein neutraler Staat wie die Ukraine ist ohne Allianzen hilflos. Auch hier versteht die Bundesre­gierung die Realität und weiß, dass wir nur in einem gemeinsamen Europa sicher sein können. Dann hat sie aber doch wieder Angst vor der eigenen Courage, versteckt sich doch hinter der umfragemäßig gut abgesicherten Neutralität. Was fehlt, ist der letzte Schritt: Solidarität der Partnerinnen und Partner kann man nur einfordern, wenn man auch bereit ist, sie selbst zu geben. Das hat zum Glück das Paper aus dem Verteidigungsministerium genau so wiedergege­ben. Die Verfassung gibt eine gemeinsame europäische Verteidigung bereits her, man muss sich nur trauen. Wann, wenn nicht jetzt?

Die dritte Lehre ist, dass man Europas Stärken – und davon gibt es viele – nicht ausspielen kann, solange jede Regierung ihr eigenes innenpolitisches Süpp­chen auf dem Rücken der EU kocht. Man kann nicht jedes innenpolitische Pro­blem auf Europa schieben und sich dann wundern, wenn die Populisten ge­winnen.

Die Welt wird zwar nicht mehr so, wie sie war, aber wir haben es in der Hand, sie auch in Zukunft nach unseren Werten zu gestalten. – Danke sehr.

10.19

Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Herr Bundesrat.

Eine weitere Wortmeldung liegt dazu nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist been­det. – Danke, Herr Bundesminister.