10.58

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Wiener Zeitung“ muss sich ändern. Pflichtveröffentlichungen sind nicht mehr zeitgemäß und jedes Medium muss sich anpassen. So weit ist die Diagnose, glaube ich, unstrittig. Wo wir aber weit auseinanderdriften, ist dann der Änderungsvorschlag beziehungsweise welche Konsequenzen man daraus zieht.

Die Regierungsparteien stellen jetzt einen Gesetzentwurf vor, der de facto auf ein Abdrehen der „Wiener Zeitung“ hinausläuft. Die Frage ist: Warum passiert so etwas? – Sparsamkeit kann es nicht sein, denn jetzt wird noch viel Geld lo­ckergemacht, um das neue Produkt, das neue – in Anführungszeichen – „Konzept“ zu finanzieren. Das Problem ist: Für ein Onlinemedium ohne Konzept oder ohne Plan würde kein Privater Geld lockermachen. Für das vorhandene Produkt der „Wiener Zeitung“ gab es Interessenten, die aber nicht gehört wurden. Das wird von den Regierungsparteien jetzt immer abgewiegelt oder schlechtgeredet. Zuerst hat es geheißen: Es gab überhaupt keine Interessenten!, jetzt wird das abgeschwächt: Es waren zumindest keine ernstzunehmenden Interessenten!

Tatsächlich war es aber so: Die Regierungsparteien haben sich überhaupt nicht dafür interessiert, die „Wiener Zeitung“, so wie sie jetzt ist und so wie sie nicht mehr fortgeführt werden soll, zu verkaufen oder einen Teilbetrieb zu ver­kaufen oder die Marke zu verkaufen. Die Regierungsparteien haben andere Pläne mit diesem Unternehmen.

Die Chefredaktion wurde nicht in die politische Entscheidung eingebunden, eine ernsthafte Prüfung von Interessenten für eine Übernahme hat nicht statt­gefunden. Solch einen Umgang haben sich die Geschichte des Blattes, die Re­dakteurinnen und Redakteure, die Bürgerinnen und Bürger, die das bisher finanziert haben, nicht verdient. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn man im Kontext der aktuellen Medienreform – da gibt es ja nicht nur die „Wiener Zeitung“, sondern auch den ORF – die Standpunkte oder die Argu­mente vergleicht, die von den Regierungsparteien im Hinblick auf die „Wiener Zeitung“ und im Hinblick auf den ORF und insbesondere auf den Online­auftritt des ORF vorgebracht werden, dann stößt man auf einige Inkonsistenzen.

Beim Onlineauftritt des ORF soll die Berichterstattung eingeschränkt werden, insbesondere soll eine vertiefende Berichterstattung nicht mehr erlaubt werden. Man fragt sich als Erstes: Was soll da an Onlineberichterstattung noch übrig bleiben? (Ruf bei der SPÖ: Videos!) Videos, Regierungs-PKs, Livestreams, Parteitagsübertragungen? (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Es ist natürlich klar, dass es eine Wettbewerbssituation gibt, sowohl eine Wettbewerbssituation, in der die „Wiener Zeitung“ steht oder stehen wird, als auch eine Wettbewerbssituation mit anderen Anbietern, in der der ORF und dessen Onlineauftritt stehen. Wir wollen natürlich nicht – zumindest unsere Partei will das nicht –, dass ein Wettbewerb auf dem Medienmarkt unfair vom Staat beeinflusst wird. Insofern ist es ein bisschen scheinheilig, möchte ich fast sagen, wenn von den Regierungsparteien quasi als Verteidigung dafür, dass an der „Wiener Zeitung“ etwas geändert werden muss, die Abonnenten- oder Leserzahlen herangezogen werden. (Ruf bei der SPÖ: Ja!) Man würde sich ja als Mitbewerber sehr bedanken (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn), wenn ein mit Pflichteinschaltungen finanziertes Produkt, das im Staatseigentum steht, in den Wettbewerb mit anderen Medien treten soll. Also so kann es ja auch nicht funktionieren.

Klar ist aber: In Zukunft gibt es keine Pflichteinschaltungen mehr, und die „Wiener Zeitung“ muss oder müsste auf eine andere Weise fortgeführt werden, aber sicher nicht so, wie es die Regierungsparteien vorschlagen.

Wenn man jetzt zu dem Vergleich mit dem ORF zurückkommt, der ja auch durch Gebührengelder – die Rundfunkgebühren oder ganz konkret das ORF-Pro­grammentgelt – finanziert wird: Wenn es da um die Tiefe der Berichterstattung geht: Die soll beim ORF eingeschränkt werden.

Was die Regierungsparteien jetzt aber bei der „Wiener Zeitung“ machen wollen: Da gibt es momentan eine Zeitung, die viel vertiefende Berichterstattung hat. Die Regierungsparteien wollen das aber nicht in dieser Form fortführen, stattdessen wird ein Konzept präsentiert, das sehr vage ist: auf der einen Seite ein Onlinemedium, auf der anderen Seite eine Monatszeitung. Wenn man da genauer hinschaut, merkt man natürlich, dass beides gleichzeitig nicht funk­tionieren kann, weil es viele unterschiedliche Anforderungen gibt und vor allem weil für diese zwei unterschiedlichen Aufgaben das Budget nicht ausreicht. Die „Wiener Zeitung“ neu wird damit gezwungen, eine unklare Linie umzu­setzen, was einen Qualitätsjournalismus sicher nicht sicherstellt.

Warum möchten die Regierungsparteien also so ein zukünftiges Modell?

Wenn man sich dann anschaut, wenn man zum Beispiel im Firmenbuch nach­schaut: Welche Unternehmensstruktur hat die „Wiener Zeitung“?, Wel­che Unternehmensstruktur soll sie nach dem neuen Konzept haben?, dann stellt sich heraus, dass mit diesem neuen Konzept einiges legitimiert werden soll, was bisher unter dem Dach der „Wiener Zeitung“ insbesondere von der ÖVP oder unter ÖVP-Verantwortung schon aufgezogen worden ist.

Insbesondere sticht da die sogenannte Content Agentur Austria heraus, die es, eigentlich ohne gesetzliche Deckung, schon seit 2020 gibt. Jetzt soll das gesetzlich legitimiert werden. Diese Agentur übernimmt Content- und Media­agenturleistungen. Das erlaubt dem Bund noch mehr Einfluss auf die Me­dien durch Steuerung von Inseraten, auch dadurch, dass Personen versorgt wer­den können, dass Personen im Geiste der Regierungsparteien ausgebildet werden sollen. Insofern muss man eigentlich zum Schluss kommen, dass die Struktur, die die „Wiener Zeitung“ in Zukunft haben soll, lediglich als Deckmantel verwendet wird, um die Medienpläne der Regierung in Zukunft umzusetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Davon, wie sich die Regierungsparteien eine umfassende Medienpolitik, die es eigentlich brauchen würde, vorstellen, haben wir noch nichts gehört. Die Regierungsparteien können nicht formulieren oder wollen nicht formulieren, welche Medienlandschaft Österreich gegenwärtig und zukünftig braucht. Das müsste in Wirklichkeit eine diverse Medienlandschaft sein: unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Zugängen, die sich aber auf Qualitätsstan­dards geeinigt haben.

Von ÖVP und Grünen kommen allerdings auf der einen Seite Gießkannenförde­rung, auf der anderen Seite Almosen, im Zusammenhang mit dem 2. Tages­ordnungspunkt, der hier debattiert wird, weiterhin keine Einschränkung von Re­gierungsinseraten. Also einen Deckel für Regierungsinserate, wie ihn die Oppositionsparteien fordern, lehnen die Regierungsparteien ab. Es bleibt wei­terhin ein Fleckerlteppich.

Was wir nicht wollen, ist, dass die Medienpolitik in Österreich eine Richtung einschlägt, wie sie in Ungarn leider zu beobachten war. Es gab eine Me­dienenquete, die vom NEOS-Parlamentsklub – ich glaube, es war letzte Woche oder vor zwei Wochen – durchgeführt worden ist. Dort hat eine ungarische Vortragende, die früher die Geschäftsführerin der ungarischen Medienbehörde war, berichtet. Unter Orbán wurde im Zeitraum zwischen 2010 und 2015 – also schon damals – die Medienlandschaft gewaltig umgebaut. Private Medien wurden drangsaliert und aufgekauft oder man ließ sie aufkaufen, über die staatlichen Medien gab es einen Durchgriff auf die Medienlandschaft.

Wenn man sich im Vergleich die Entwicklungen in Ungarn damals, zwischen 2010 und 2015, anschaut, sagt die ungarische Expertin, Österreich heu­te sei ungefähr zu vergleichen mit dem Stand, den Ungarn schon 2013, während dieses Orbán-Umbaus, gehabt hat. Das ist natürlich ein erschreckender Befund. Mit der – unter Anführungszeichen – „Reform“ der „Wiener Zeitung“ wird an dieser Uhr leider noch weitergedreht. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.08

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Raab. – Bitte, Frau Minister.