12.10

Bundesrat Mag. Sascha Obrecht (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Werte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde heute meine Rede ein bisschen anders starten als sonst und mit etwas für mich sehr Ungewöhnli­chem beginnen: Ich werde einen ÖVPler zitieren, und zwar ganz ohne Schmäh, ohne versteckten Zynismus, ohne alles, weil ich tatsächlich glaube, dass er mit jedem Wort, das er verfasst hat, recht gehabt hat.

Wir fangen einfach mit dem ersten Satz an – Sie können gerne versuchen, mitzuraten, vielleicht kommen Sie drauf, wer das war –: „Als älteste noch bestehende Tageszeitung der Welt bereichert die ‚Wiener Zeitung‘ seit 1703 nicht nur den Alltag ihrer vielen Leserinnen und Leser, sondern ist auch aus der österreichischen und internationalen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken.“ – Mit ein bisschen Fantasie und mit einer neuen Volkspartei ist sie dann natürlich schon wieder wegzudenken. Es ist also jemand, der vor der Machtübernahme von Sebastian Kurz im Amt war – erster Hinweis darauf, wer das sein könnte. (Heiterkeit bei der SPÖ.)

„Der öffentlich-rechtliche Auftrag der ‚Wiener Zeitung‘ hat dabei gerade in den letzten Jahren, in denen viele Printmedien einem zunehmend hartem Wett­bewerb ausgesetzt sind, an Bedeutung gewonnen, da er garantiert, dass sich wirklich die Interessen aller“ – also tatsächlich von uns allen – „unabhängig davon, ob sie aus kommerziellen oder politischen Gründen attraktiv sind – in ihrer Berichterstattung wieder finden.“ – Zweiter Hinweis: Es ist offensichtlich auch niemand aus dem Wirtschaftsbund.

Kommen wir zum dritten Satz: „Mit ihrer besonders qualitätsvollen wie vielseitigen Berichterstattung sichert sich die ‚Wiener Zeitung‘ die Beliebtheit und das Vertrauen ihrer Leserinnen und Leser. Sie bringt [...] einen für eine offene Gesellschaft unverzichtbaren Mehrwert hervor und ist für Politik und Gesellschaft von unschätzbarem Wert. Denn: Eine lebendige De­mokratie benötigt informierte und handlungsbereite Bürgerinnen und Bürger.“

Ich werde es aufklären: Das Ganze ist aus dem Jahr 2013, die Person war in diesem Jahr Vizekanzler für die Österreichische Volkspartei, ihr Name ist Michael Spindelegger. Michael Spindelegger war der festen Überzeugung, dass die „Wiener Zeitung“ nicht aus Österreich wegzudenken ist, und er hat völlig recht damit, denn es ist tatsächlich wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger informiert werden, und zwar unabhängig, von Medien, die tatsächlich frei agieren können.

Wir wissen: Vor allem die regionalen Medien in Österreich sind im Grunde Familiensache. Das weiß man, wenn man vor allem in Tirol an die Familie Moser denkt, wenn man nach Vorarlberg schaut. Wir wissen: Die größeren Tages­zeitungen liegen oftmals in den Händen von ganz, ganz wenigen Personen, von Konzernen oder der katholischen Kirche. (Bundesrat Steiner: Oder der SPÖ!) Das wissen wir. Das wissen wir alle miteinander! Wir haben mit der „Wiener Zei­tung“ ein Medium, das tatsächlich den Österreicherinnen und Österreichern gehört, und Sie tragen das heute zu Grabe. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Und weil Michael Spindelegger eben auch gesagt hat, dass die lebendige Demokratie informierte und handlungsbereite Bürgerinnen und Bürger braucht, habe ich hier noch eine „Wiener Zeitung“ mit (ein Exemplar der „Wiener Zei­tung“ in die Höhe haltend), und zwar vom 11. November 1918. Was steht da drin­nen? – Das ist die Verzichtserklärung von Kaiser Karl, dem Habsburger, der tatsächlich nie geherrscht hat. Was hat er gesagt? – Er hat auf seinen Machtan­spruch verzichtet. Darunter ist gleich die Erklärung, dass Österreich eine demokratische Republik ist – tatsächlich ist das bis heute Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes –: „Österreich ist eine demokratische Republik.“

Das ist ein zivilisatorischer Quantensprung in der österreichischen Geschichte. (Bundesrat Buchmann: Du weißt aber, was ein Quantensprung ist!) Dieser wurde hier in der „Wiener Zeitung“ veröffentlicht, und es ist gut so, dass er das wurde. Ich hoffe, dass in Österreich noch ganz viele solche Sprünge in Zei­tungen wie der „Wiener Zeitung“ publiziert werden, aber Sie nehmen mir tatsächlich diese Hoffnung, wenn Sie da heute zustimmen.

Mein Appell – ich will es nicht allzu lange machen, weil es, glaube ich, für sich spricht, wenn man den Plan hat, solche historischen Dokumente praktisch umzubringen – richtet sich vor allem an die Grünen: Ich muss ganz ehrlich sa­gen – und das ist ein Geständnis –, ich habe schon gedacht, dass Sie viele Zugeständnisse in der Regierungsbeteiligung machen werden, ich habe mir ge­dacht, dass auch Grauslichkeiten dabei sein werden, was ich allerdings als unvorstellbar empfunden habe, war, dass Sie die Medienvielfalt in Österreich angreifen werden. Das hätte ich nicht geglaubt, dass das unter einer grü­nen Regentschaft passieren wird. (Bundesrat Schennach: Wenn man so nachtragend ist!)

Ich kann Ihnen sagen: Das Vermächtnis, auf dem ich als Wiener Sozialdemokrat stehe, ist die Erkämpfung der Republik. Die Leute, die vor mir in dieser Par­tei waren, haben 1918 daran mitgewirkt, dass wir eine demokratische Republik sind. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Kittl.)

Das Vermächtnis der Sozialdemokratie ist, in jeder Auseinandersetzung der Zwischenkriegszeit auf der richtigen Seite, jener der Demokratie gestanden zu sein. Das Vermächtnis der Sozialdemokratie ist, in der Zweiten Republik dafür gekämpft zu haben, dass wir solche Zeitschriften behalten und nicht besei­tigen. Das Vermächtnis der Grünen wird sein, Steigbügelhalter der ÖVP bei einem Angriff, bei einem Attentat auf die Medienvielfalt gewesen zu sein. Das ist schändlich! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Sie haben einen letzten Ausweg, nicht so in die Geschichte einzugehen: Wir haben einen Antrag auf Einspruch gegen dieses Gesetz gestellt, damit würde es an den Nationalrat zurückgehen. Damit hätten wir die Chance, dieses Gesetz noch zu verhindern. Ich appelliere an Ihr Gewissen: Stimmen Sie dem nicht zu! Wenn Sie wirklich an Medienvielfalt glauben, wenn Sie glauben, die Demokratie lebt davon, dass Bürgerinnen und Bürger unabhängig informiert werden, dann können Sie diesem Gesetz nicht zustimmen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

12.16

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Manfred Mertel. – Bitte, Herr Bundesrat.