9.10

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Zuhörer:innen und Zuseher:innen! Das Thema der Lieferketten wurde nun sehr umfassend in Bezug auf eine globalisierte Wirtschaft, in Bezug auf Abhängigkeiten von Liefersträngen und natürlich auch in Bezug auf die Produktion, die jetzt sehr stark auf eine Just-in-Time-Produktion umgestiegen ist – das heißt, es gibt keine großen Lagerkapazitäten mehr, sondern es wird just in time produziert und man ist auf eine rasche Lieferstruktur angewiesen –, dargelegt. Das ist alles richtig, darüber ist nachzudenken.

Von dieser Bundesregierung wurde auch versprochen, dass man sich sehr umfassend darum bemühen möchte, die Produktion wieder in den heimischen Raum oder zumindest in den europäischen Raum zu holen. Gerade in Bezug auf die erwähnten Fotovoltaikanlagen ist man ja in großer Abhängigkeit von der chinesischen Produktion, ebenso auch in Bezug auf Batterien und so weiter.

Das Thema der Lieferketten aber nur in der Frage: Wie geht es denn mit den Verläufen, wie kann man die Abläufe für die Wirtschaft besser gestalten?, zu beforschen ist einfach zu kurz gegriffen, und zwar eindeutig zu kurz gegriffen. Das Thema nicht auch auf jener Seite anzusehen, die jetzt gerade so wahnsinnig aktuell ist, weil das Europäische Parlament ein Lieferkettengesetz beschlossen hat, das richtungsweisend ist, ist wirklich zu kurz gegriffen.

Wir wissen, dass dieses Lieferkettengesetz ein ganz wichtiges ist – aus der Geschichte heraus. Wir wissen um die Geschichte des Produktionsbetriebs Rana-Plaza in Bangladesch; ein achtstöckiges Betongebäude, das Risse hatte. Die Behörde hat gesagt, niemand soll dort mehr hineingehen und arbeiten – es waren vor allem Näherinnen, die dort gearbeitet haben –, und die Vorgesetzten haben gesagt: Denkt nicht einmal daran, nicht arbeiten zu gehen, ihr müsst arbeiten gehen! – Sie sind arbeiten gegangen. 3 000 Menschen waren in diesem Gebäude, als das Gebäude eingestürzt ist. 1 100 Personen sind verstorben. Das war der Beginn der Diskussion über die Frage der Verantwortlichkeit auch der Wirtschaft für die Produktion.

Es ist mehr als wichtig, dort hinzuschauen. Es geht darum, zu sagen: Wir wollen nicht, dass durch Kinderarbeit Produkte für uns hergestellt werden! Wir wollen nicht, dass Menschenrechte bei der Produktion verletzt werden! Wir wollen, dass faire Löhne bezahlt werden! Wir wollen, dass Umweltstandards eingehalten werden! Wir wollen, dass die Arbeitsbedingungen so geregelt sind, dass es nicht tatsächlich zu Schäden durch die Arbeit in einem Betrieb kommt! – Da gilt es, hinzuschauen, und da gilt es, zu sagen: Da sind die Unternehmen in Verantwortung! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir alle – und selbst die Industrie hat das ja auch in einer Stellungnahme dazu gesagt – wollen natürlich nicht, dass unfair produziert wird, natürlich nicht. Aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten haben ein Recht darauf, dass die Waren, die sie kaufen, unter fairen Bedingungen entstanden sind. Darum ist dieses Gesetz, das die EU jetzt im Parlament beschlossen hat, so ein wichtiges und so ein richtiges und so ein richtungsweisendes.

Es ist ganz, ganz wichtig, zu sagen: Wir brauchen faire Arbeit, faire Produktion und faire Löhne! Die Unternehmen sind in Verantwortung zu bringen, weil es nicht sein kann, dass Gewinne auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in anderen Ländern gemacht werden. Das geht auf keinen Fall. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt in Österreich ein starkes Arbeitsrecht, gefestigte Arbeitsbedingungen und einen starken Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutz – immer noch ausbaufähig und eher gefährdet, durch diese Regierung zurückgebaut zu werden. Das besteht, weil es eine große, starke Tradition der Sozialdemokratie gibt, die sich ganz stark dafür eingesetzt hat, Arbeitnehmer:innenrechte und Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken.

Wir haben das, aber in anderen Ländern ist das nicht der Fall. Wenn man ein T-Shirt um 2 Euro kaufen kann, dann ist schon die Frage: Wie kann so etwas produziert werden? – Da gilt es, hinzuschauen, und darum ist dieses Gesetz so wichtig! Österreich muss sich da ganz klar positionieren und sagen: Wir wollen keine schlechten Arbeitsbedingungen für die Menschen, wir wollen versuchen, dass wir auch als Industrie Verantwortung übernehmen, dass wir keine Produktionsteile in den Lieferketten drinnen haben, die durch Kinderarbeit entstehen, bei deren Herstellung Menschenrechte verletzt werden oder es schlechte Arbeitsbedingungen gibt. Das darf auf keinen Fall sein. Ich glaube, es würde uns allen gut anstehen, da ganz stark zu argumentieren, weil gerade Österreich ja für seine ausnehmend gute Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekannt ist.

Eines ist auch da wichtig: Wir können sagen, in schwierigen Krisenzeiten – sei es die Finanzkrise, sei es Corona, sei es der brutale Angriffskrieg Russlands – geben wir der Wirtschaft jegliche Unterstützung, die nur irgendwie möglich ist. Das war wichtig, denn wir mussten Arbeitsplätze erhalten, mit Kurzarbeit und vielen anderen Maßnahmen die Wirtschaft unterstützen. Die Wirtschaft und die Unternehmen können aber nicht auf der einen Seite Unterstützung fordern, damit sie durch die Krisen kommen, und auf der anderen Seite sagen, die Verantwortung für das, was produziert wird, wollen sie nicht tragen. Das geht nicht zusammen, das kann man nur strikt ablehnen. Jetzt gilt es auch für die Wirtschaft, für ein besseres Leben der Menschen Verantwortung zu tragen.

Das hängt auch damit zusammen, wie Migration zukünftig sein wird. Wenn in einem Land ganz schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen – keine gute Bezahlung, keine fairen Löhne, keine Arbeitsbedingungen, die menschenwürdig sind –, sind die Menschen natürlich immer mehr versucht, ihre Situation zu verändern und sich auf den Weg zu machen. Das hängt alles ganz, ganz stark zusammen.

In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal für Österreich gesagt – ich habe gesagt, es gibt ein starkes Arbeitsrecht, in vielem sehr gute Arbeitsbedingungen, aber es ist noch vieles zu tun; Herr Bundesminister, ich habe es in meiner letzten Rede schon gesagt und ich darf es Ihnen jetzt bitte noch einmal ans Herz legen –: Die ILO-Richtlinie 190 gegen Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ganz dringend zu unterschreiben und umzusetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Deutschland hat es bereits. Deutschland hat den ganzen Prozess, diese ILO-Richtlinie – diese Richtlinie der Internationalen Arbeitsorganisation, die weltweit ratifiziert werden soll, um Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder am Weg zur Arbeit oder von der Arbeit wieder nach Hause hintanzuhalten – erledigt. Deutschland ist durch diesen Prozess durch und hat diese Richtlinie bereits im Bundesrat beschlossen, das heißt, sie ist ratifiziert. Ich glaube, wir sollten uns Deutschland da wirklich als Beispiel nehmen, das wie viele andere europäische Staaten diesen Weg gegangen ist. Das ist mehr als notwendig.

Es gibt den gemeinsamen Brief der Sozialpartner, die gesagt haben: Bitte, unterzeichnen Sie dieses Abkommen für bessere Bedingungen für die Menschen auch bei uns!

Das Thema der Gewalt am Arbeitsplatz ist bei uns ein starkes Thema. Fragen Sie die Gewerkschaften, fragen Sie die Arbeiterkammer! Das Thema der sexuellen Belästigung ist ein großes Thema ganz besonders für Frauen, aber auch für Männer – das ist ein Thema –, und das darf am Arbeitsplatz nicht vorkommen, weil es dann ganz einfach kein gutes Arbeiten gibt, und das wollen wir nicht. Wir wollen ein gutes Arbeiten und einen guten Arbeitsplatz, auf dem man auch gesund älter werden kann. Das ist ganz wichtig.

Zur Teuerung sei noch gesagt: Herr Bundesminister, die Inflation beträgt 8,8 Prozent. Die Inflation ist also ein bisschen zurückgegangen, deswegen sind aber die Preise nicht zurückgegangen. Sie haben gesagt, es werde eine Preistransparenzdatenbank geben. Das war halt wieder eine dieser vielen Ankündigungen im Zuge der Problematik, dass die Inflation zu hoch ist, dass die Preise nicht runtergehen und dass Sie einfach nicht die richtigen Maßnahmen setzen, damit die Menschen, die schon wirklich nicht mehr können, jetzt endlich entlastet werden. Diese Datenbank gibt es bis heute nicht!

Ich frage mich: Ist alles immer nur Ankündigung? Jetzt wären Maßnahmen zu setzen: runter mit der Mehrwertsteuer, Energiepreise heruntersetzen und – ganz, ganz dringend! – Mieterhöhungen aussetzen, denn mit Juli kommt die nächste Mieterhöhung, und das ist unerträglich! (Beifall bei der SPÖ.)

Eines sei noch (Bundesrat Steiner: Da braucht’s Exceltabellen!) zu dieser großen Entlassung bei dem Möbelproduktions- und Möbelverkaufsgeschäft Kika/Leiner gesagt: 23 Filialen werden geschlossen, 1 900 Menschen verlieren ihre Arbeit. (Bundesrat Spanring: Der beste Freund von Sebastian Kurz!) – „Der beste Freund von Sebastian Kurz“, das ist völlig richtig. (Bundesrat Himmer: Mein Gott! Wie sinnlos! Wie sinnlos sind diese Einwendungen! Wie sinnlos!) Natürlich, es ist nicht sinnlos, es sind 1 900 Leute! Ist das Leben von 1 900 Leuten, die - - (Bundesrat Himmer: Bla, bla, bla! Lächerlich! Letztklassig! – Bundesrätin Hahn – in Richtung Bundesrat Himmer –: Da hängen 1 900 Familien dran!) – Bla, bla, gut, wenn es bla, bla ist, dass 1 900 Leute ihre Arbeit verlieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Herr Bundesminister scheint es genauso als bla zu sehen, dass 1 900 Leute ihre Arbeit verlieren, er hat kein Wort dazu gesagt. (Bundesrat Kornhäusl – in Richtung Bundesminister Kocher –: Was heißt, kein Wort dazu? – Bundesminister Kocher: Ja, was?) Das ist unerträglich! So kann man das nicht machen. So kann man mit Menschen nicht umgehen. Bei der Sozialdemokratie gibt es das nicht. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Himmer: Niveaulos ist diese Argumentation!)

9.20

Präsident Günter Kovacs: Danke, Frau Bundesrätin.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. – Bitte sehr.