9.29.09

Bundesrätin Dipl.-Ing. Dr. Maria Huber (Grüne, Steiermark): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zusehende! Liebe Frau Kollegin Schartel, ich muss schon ganz ehrlich sagen, beim Thema Lieferketten von einem Randthema zu reden, das ist schon wirklich ein starkes Stück. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Vielleicht ist es Ihnen nicht aufgefallen, aber die Globalisierung der Wirtschaftskreisläufe (Bundesrat Steiner: Sie hätten müssen zuhören! Zuhören!) hat dazu geführt, dass inzwischen rund 80 Prozent des Welthandels auf globalen Wertschöpfungsketten beruhen.

Wir wissen es – Kollegin Schumann hat das vorhin schon angesprochen –: Die Globalisierung hat selbstverständlich leider auch Schattenseiten. Viele der Rohstoffe und viele der Produkte, die unser Leben erleichtern, werden unter untragbaren Arbeits- und Umweltbedingungen, für Hungerlöhne oder sogar mit ausbeuterischer Kinderarbeit abgebaut oder hergestellt. Die Zahlen sind wirklich erschreckend: 79 Millionen Kinder arbeiten weltweit unter ausbeuterischen Bedingungen in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen, auch für unsere Produkte. (Bundesrat Steiner: Auch für die Elektroautobatterien! Für deine Elektroautobatterien! Gratuliere! Heuchlerin! – Zwischenruf des Bundesrates Schreuder.)

Unser Wohlstand und die wirtschaftlichen Chancen der Entwicklungs- und Schwellenländer sind durch Lieferketten eng miteinander verbunden. Was heißt das für uns? – Das bedeutet genau das, was Frau Kollegin Schumann gesagt hat: dass wir Verantwortung tragen, denn am Anfang jeder Lieferkette steht ein Mensch.

Am 1. Juni hat sich das EU-Parlament auf eine Position für die Verhandlung zur Lieferkettenrichtlinie geeinigt. (Bundesrat Spanring: ... überall auf der Welt! Ihr seid gewählt worden in Österreich! Kümmerts euch mal um die Österreicher!) Die Richtlinie soll Unternehmen dazu verpflichten, ihre Lieferketten im Hinblick auf Kinderarbeit, Sklaverei, Ausbeutung von Arbeitskräften, Umweltverschmutzung und den Verlust der Artenvielfalt zu kontrollieren. Auch das ist aus meiner Sicht wirklich ein großer Schritt vorwärts auf dem Weg zu fairen Produktionsbedingungen und mehr Transparenz entlang der Lieferketten. Das zeigt, dass wir uns in Europa einig sind, dass Unternehmen Verantwortung für die Risiken entlang ihrer gesamten Lieferketten tragen. Die Menschenrechte müssen gewahrt sein, vom Rohstoff bis zum Endprodukt. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der SPÖ.) Missstände wie Kinderarbeit oder Umweltzerstörung können wir nicht hinnehmen.

Weil alle Unternehmen in Europa gleichermaßen an diese Sorgfaltspflicht gebunden sind, schafft diese Regelung auch faire Wettbewerbsbedingungen innerhalb der gesamten EU.

Für Unternehmen in Österreich und den Wirtschaftsstandort ist aber selbstverständlich auch das Thema der Resilienz der Lieferketten von enormer Bedeutung. Ich bin im Gegensatz zu Frau Kollegin Schartel sehr froh, dass der Herr Minister dieses Thema gewählt hat, denn selten zuvor standen die globalen Lieferketten so unter Stress wie in den vergangenen Jahren.

Hierbei geht es ganz klar stark um das Thema Sicherheit, nämlich um das Thema Versorgungssicherheit. Das hat insbesondere durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine noch einmal deutlich mehr an Bedeutung gewonnen und wird auch in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Es geht nicht nur um Energiesicherheit, sondern es geht auch um Rohstoffsicherheit.

Die Coronapandemie hat uns schmerzlich bewusst gemacht, wie systemrelevant beispielsweise auch die Halbleiterindustrie für uns ist – nicht nur für die Automobilindustrie, sondern selbstverständlich für den gesamten Bereich der Prozessindustrie und der Anlagenautomatisierung, aber auch für die IT, für die Unterhaltungselektronik bis hin zu den Haushaltsgeräten. Fast nichts in unserem vernetzten Alltag läuft mehr ohne die Elektronikgrundbausteine. Ihre Funktion basiert ja vor allem auf den Eigenschaften der Elemente Silizium und Germanium, ganz einfach deshalb, weil Silizium und Germanium anders als starke Leiter die punktgenaue Steuerung schwacher Ströme zulassen, und das ist ja das Grundprinzip für integrierte Schaltungen, quasi das Herzstück aller elektronischen Systeme.

Wenn man sich die Liste der kritischen Rohstoffe anschaut, dann sieht man, dass da mittlerweile schon das halbe Periodensystem vorkommt: von Kobalt, Nickel, Kupfer, Tantal und Wolfram bis hin zu seltenen Erden wie beispielsweise Yttrium.

Welche Lösungsansätze gibt es jetzt, um Abhilfe zu schaffen? – Es gibt natürlich die Diversifizierung von Rohstoffquellen, etwa durch verstärkte Handelsabkommen, um einseitige strategische Abhängigkeiten zu vermeiden, einen sparsamen Einsatz der Rohstoffe durch Nutzung effizienter Fertigungsprozesse und Technologien – eine Domäne, in der gerade wir in Europa sehr stark sind – und natürlich auch das sehr wichtige Thema Recycling.

Als Weststeirerin fällt mir dabei die Firma Wolfram Bergbau und Hütten AG ein, ein wichtiger Arbeitgeber bei uns in der Region. Die Firma Wolfram betreibt schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich das Recycling von Wolframschrott. Da geht es um Wendeplatten, um Bohrer, um Walzringe. Wolfram wird ja überall dort eingesetzt, wo Teile besonders hart und hitzebeständig sein müssen. In einem innovativen hydrometallurgischen Prozess wird dieser Schrott mit einer sehr hohen Ausbeute zu einer hochreinen Wolframatlösung aufgeschlossen, die wieder unmittelbar in der Produktion als Rohstoff eingesetzt werden kann. Das spart Energie. Das macht das Unternehmen unabhängiger von Preisschwankungen und Lieferschwierigkeiten am Rohstoffmarkt. Auch besonders interessant ist, dass der CO2-Footprint von recyceltem Wolfram ungefähr ein Viertel dessen ausmacht, was anfallen würde, wenn man das Produkt aus frischem Erz gewinnen würde. Wolfram im Kreislauf zu halten spart also beides: Geld und CO2.

Wolfram ist nur ein Beispiel; persönlich sehe ich im Recycling von Rohstoffen noch sehr viel Potenzial für Innovation, für die Entwicklung neuer Prozesse und Technologien, auch wenn wir an die Aufarbeitung von Batterien – ja, natürlich – oder auch an die Aufarbeitung von Elektronikschrott – selbstverständlich – denken.

Die Stadt als Rohstoffquelle der Zukunft, das sogenannte Urban Mining, ist ein Thema, das mir schon sehr lange am Herzen liegt und zu dem es auch großartige Projekte beispielsweise von der Montanuni in Leoben gibt.

Kollegin Zeidler-Beck hat das vorhin auch schon sehr gut ausgeführt: Lieferketten sind oft vernetzt. Sie sind sehr komplex. Um diese Lieferkettensystematiken durch Forschung und durch das Sammeln und Erfassen von Daten besser verstehen und auch besser managen zu können, wurde das Institut für Lieferketten und Produktionsnetzwerke ins Leben gerufen. Letztlich geht es am Ende des Tages ja darum, auf Basis dieser Erkenntnisse aktuelle und künftige Entwicklungen rasch zu erkennen und daraus Handlungsempfehlungen auf wirtschaftspolitischer Ebene abzuleiten, um in Krisensituationen besser und schneller reagieren zu können.

Noch ein Punkt, Frau Kollegin Schartel, weil es mich wirklich geärgert hat, dass Sie sich hierherstellen und das als Randthema abtun (Bundesrätin Schartel: Dann habe ich alles richtig gemacht!): Gerade in der Steiermark, in unserem Heimatbundesland, Sie wissen es, sind wir vom Export extrem abhängig. Da hängen wirklich extrem viele Arbeitsplätze dran. (Bundesrat Spanring: ... keine Ahnung vom Leben! Ihr seid so was von ...!) Bitte informieren Sie sich! – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.36

Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Bei uns ist eine Gruppe aus dem Burgenland eingetroffen. Ein herzliches Willkommen an die Pensionistengruppe aus Hornstein, Loretto und Stotzing – herzlich willkommen im Bundesratssitzungssaal! (Allgemeiner Beifall.)

Für eine erste Stellungnahme hat sich der Herr Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm und mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit 10 Minuten nicht überschreiten soll. – Bitte sehr.