15.14
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geschätzte Frau Ministerin! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln unter diesem Tagesordnungspunkt nun eine Nachschärfung im Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz.
Es geht um das Jugendgerichtsgesetz, ein aus meiner Sicht sehr sensibles Thema, weil es um junge Menschen geht, die straffällig geworden sind, aber natürlich noch den Großteil ihres Lebens vor sich haben. Das muss man, glaube ich, in diesem Themenbereich immer im Blick behalten. Noch ein Detail: Diese Anpassung soll mit 1. September 2023 in Kraft treten. Ich möchte eines gleich vorweg sagen und festhalten: Für uns als Sozialdemokrat:innen ist es besonders wichtig, dass junge Menschen, die straffällig wurden, immer mit der Zielsetzung und unter dem Gesichtspunkt behandelt werden, dass sie möglichst früher als später wieder in ein selbstbestimmtes und straffreies Leben zurückfinden. Das muss bei allen Maßnahmen eigentlich das Ziel sein.
Wir orientieren uns dabei natürlich an der Europäischen Menschenrechtskonvention, die sozusagen einen Rahmen vorgibt und natürlich auch – das ist mir besonders wichtig – an der UN-Kinderrechtskonvention, die ja alle jungen Menschen bis zum 18. Lebensjahr unter besonderen Schutz stellt. Natürlich haben auch junge Menschen, die straffällig geworden oder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, diesen besonderen Schutz verdient.
Diese jungen Menschen – das muss uns, der gesamten Gesellschaft wichtig sein –, die sozusagen auf die schiefe Bahn gekommen sind, sollen bestmöglich begleitet werden, um eben auf eine gute, nicht kriminelle Zukunft zuzusteuern und wieder eingegliedert zu werden. Jetzt kommt der springende Punkt: Diese gute Begleitung braucht Ressourcen, sie braucht Fachkräfte und jugendgerechte Ansätze. Das ist der springende Punkt, der auch ein bisschen mit unserer Kritik zu tun hat. (Beifall bei der SPÖ.)
Besonders viele Ressourcen braucht es, wenn diese jungen Menschen kriminell sind und psychisch oder psychiatrisch erkrankt sind. Um diese spezielle Zielgruppe geht es auch bei diesem Gesetzesvorhaben. In diesem Fall, wenn eine psychiatrische oder psychische Krankheit vorliegt, muss diese Erkrankung im Blickpunkt, im Vordergrund stehen – vor der kriminellen Handlung –, denn man kann diese Menschen nur nachhaltig resozialisieren, wenn die Krankheit behandelt wird, die mitunter auch Mitgrund ist, warum sie straffällig geworden sind. Da geht es um eine adäquate Behandlung dieser Erkrankung und auch um eine adäquate Unterbringung, denn die Art, wie diese jungen Menschen untergebracht werden, macht einen Unterschied.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaften, aber auch das Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte haben sich große Kompetenz erarbeitet, wenn es um die Frage geht: Was hilft diesen jungen Menschen am besten, um wieder ins Leben zurückzufinden? Es kommt nicht von ungefähr, dass diese jungen Menschen an irgendeinem Zeitpunkt in ihrem jungen Leben in die Verlegenheit oder in die Versuchung kommen, eine kriminelle Handlung zu setzen.
Die werden dann – das muss man sich vorstellen –in diesen jungen Jahren für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr gezogen, genau in einem Alter, in dem es eigentlich darum ginge, zu lernen, Entwicklungsschritte in ein selbstbestimmtes, selbstständiges Leben zu setzen. Es sind Jugendliche und sollten jetzt eigentlich sozusagen erwachsen werden, selbstständig werden, einen Beruf erlernen, eine Familie gründen, und genau zu diesem Zeitpunkt werden sie sozusagen zu Recht aus diesem Alltag genommen.
Aktuell werden sie aber meistens in Anstalten gebracht, die mit diesem Alltag und mit dem normalen Leben so gar nichts zu tun haben, und können dort diesen nächsten Entwicklungsschritt, der jetzt notwendig wäre, nicht lernen. Daher müssen wir jetzt auch aus pädagogischer Sicht alles daran setzen, dass wir sie dabei unterstützen, dieses normale Leben lernen zu können und sie dabei begleiten, dieses normale Leben zu führen; natürlich vorausgesetzt, wir wollen, dass sie wieder dauerhaft in ein nicht kriminelles, normales Leben zurückfinden.
Frau Ministerin, Sie kennen möglicherweise diese Broschüren (die genannten Broschüren in Richtung Bundesministerin Zadić haltend) des Ludwig-Boltzmann-Instituts, die die Forderungen von Expert:innen im Bereich Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, zusammenfassen. Ich möchte sie noch einmal erwähnen, weil sie ein bisschen der Rahmen rund um dieses Gesetzesthema sind.
Es wird von allen Expert:innen beschrieben, dass der Maßnahmenvollzug für diese junge Zielgruppe hinsichtlich der Nachhaltigkeit die denkbar schlechteste Form ist. Das heißt, es sollte immer das letzte Mittel sein und es sollte immer versucht werden, ein gelinderes Mittel zu finden. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn es regelmäßig Fallkonferenzen gibt, wenn regelmäßig hingeschaut wird: Wo steht dieser junge Mensch? Was braucht er jetzt? Ist es möglich, ihn auch in eine andere Form der Unterbringung entlassen zu können?
Es wird genau bei diesen jungen Menschen stark plädiert: Weg von großen Anstalten, hin zu kleineren Wohneinheiten mit sehr intensiver Betreuung, im Idealfall auch mit einer kontinuierlichen Bezugsperson, wo man auf dem Weg ins normale Leben zurück begleitet wird, weil genau diese kleineren Einheiten und die intensive Betreuung einen hohen Erfolg bei der Resozialisierung versprechen.
Gerade bei diesen psychiatrisch erkrankten jungen Straftätern sind natürlich spezialisierte Plätze, spezialisiertes Personal dringend notwendig. Jetzt komme ich wieder zu dieser Ressourcenfrage zurück: Wir wissen – da können Sie jetzt unmittelbar gar nichts dafür, aber es steht im Widerspruch zu den Maßnahmen ‑, dass die Kapazitäten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie so dermaßen eingeschränkt und so prekär sind, dass auch nicht gewährleistet werden kann, dass diese psychiatrisch erkrankten jungen Straftäter:innen tatsächlich gut betreut werden können. Das ist ein Thema, das wir dem Herrn Gesundheitsminister mitgeben müssten. Da bräuchte es eine Attraktivierung des Berufsbildes der Kinder- und Jugendpsychiater:innen, eine Jobinitiative, denn wir brauchen auf Dauer nicht nur für die Straffälligen, sondern insgesamt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie einfach massiv mehr Kapazitäten. Wir brauchen engmaschige Begleitung auf dem Weg zurück ins normale Leben und kontinuierliche Bezugspersonen.
Was mir besonders gut gefallen hat, war eine dreiteilige Zielsetzung, die bei allen Maßnahmen, wenn es um junge Menschen geht, im Vordergrund sein sollte. Dies ist nämlich der Hebel für ein erfülltes zukünftiges Leben. Es geht darum, diesen jungen Menschen Bildung anzubieten, es geht darum, ihnen Beschäftigung anzubieten und auch Freizeit anzubieten, denn nur in diesem Dreierpaket, in diesem Gesamtpaket kann man seine Persönlichkeit festigen und dauerhaft in ein sinnerfülltes Leben zurückfinden.
Diese verpflichtenden Sozialnetzkonferenzen, Fallkonferenzen kann man auch sagen, kommen aus unserer Sicht in dem aktuellen Gesetz relativ spät zum Einsatz. Wir würden dafür plädieren, dass diese sehr engmaschig, sehr früh einsetzen und verpflichtend regelmäßig gemacht werden müssen, um eben dieses gelindere Mittel jederzeit ausloten zu können.
Was aus unserer Sicht besonders bitter ist, ist: All diese Kriterien, all diese Rahmenbedingungen, die wir uns für jugendliche Straftäter:innen wünschen, gab es schon einmal. Es gab diesen Jugendgerichtshof, auf den wir damals in Österreich sehr, sehr stolz waren. Er wurde vor ungefähr 20 Jahren unter Schwarz-Blau abgeschafft. Das war ein großer Fehler! Wir arbeiten jetzt sozusagen nach und versuchen, das wieder aufzubauen. Das war damals wirklich ein Fehler, den wir jetzt ausbaden müssen.
Ich hoffe tatsächlich, dass in der neuen Strafanstalt in Simmering, die für junge Menschen geplant ist, dem möglichst nahe gekommen wird. Das würde ich diesen Menschen, aber natürlich auch uns als Gesellschaft wünschen.
Zum Schluss möchte ich noch sagen: Das Allerwichtigste in diesem Bereich ist natürlich, dass wir auf Prävention setzen, dass junge Menschen gar nicht in die Verlegenheit kommen, delinquent zu werden. Da braucht es von Anfang an, eigentlich ab der Schwangerschaft, gute Rahmenbedingungen. Es braucht den Ausbau der frühen Hilfen, es braucht ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem, wo alle jungen Menschen gut abgeholt werden, wo sie Perspektiven bekommen, wo sie mit Freude und Mut ausgestattet werden, um sinnvolle Perspektiven zu entwickeln. Es braucht Freizeitangebote, die allen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, Erziehungsberatungsstellen, Familienberatungsstellen, ein Netz rund um genau diese Familien, wo es schwer ist und wo die Gefahr besteht, dass junge Menschen möglicherweise in eine kriminelle Laufbahn abdriften.
Wir werden diesem Gesetz nicht zustimmen, weil aus unserer Sicht dieser Spagat zwischen dem, was hier aufgestellt wird, und den Rahmenbedingungen, die uns zur Verfügung stehen, nicht gelingt und wir nicht glauben, dass es realistisch ist, es so umzusetzen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)
15.25
Vizepräsidentin Margit Göll: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl. – Bitte.