15.30

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Frau Vor­sitzende! Frau Minister! Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Zuschauer! Das Gesetz, das wir behandeln, befasst sich mit dem Maßnahmenvollzug. Zum besseren Verständnis, natürlich auch für die Zuschauer: Der Maßnahmenvollzug ist eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme, bei der geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht werden, und zwar so lange, bis sie nicht mehr gefährlich sind oder als gefährlich gelten. Das sagt eigentlich alles aus: Das kann auch bedeuten, dass jemand, wenn er die entsprechende Gefähr­lichkeit hat, nie mehr auf die Gesellschaft losgelassen werden kann.

Frau Minister Zadić, ich habe mir Ihre Rede im Nationalrat gut angehört, und auch wenn ich heute sehr kritisch bin, kann ich Ihnen sagen: So weit sind unsere Standpunkte gar nicht auseinander. Auch wir sind für die Reform des Maßnah­menvollzugs. Ein moderner Maßnahmenvollzug wäre wünschenswert und wichtig, aber – und ich denke, da ist der größte Unterschied in unseren Stand­punkten – für uns steht die Sicherheit an erster Stelle, und wir wollen uns da keinen Experimenten hingeben. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn ich von Sicherheit rede, dann meine ich natürlich die Sicherheit der Bevölkerung. Dann meine ich aber auch die Sicherheit aller Bediensteten, sowohl der Zivilbediensteten als auch der Justizwachebeamten in den Anstalten, die, nebenbei erwähnt, tagtäglich hervorragende Arbeit leisten, und letztlich geht es auch um die Insassen selbst, um deren Sicherheit sowohl vor Eigen­schädigung als auch vor Fremdschädigung.

Eines kann ich aus der Praxis erzählen: Ich war in mehreren Justizanstalten tätig, einige Jahre davon in einer Sonderkrankenanstalt. Dort ist mir schon eines aufgefallen: dass die Justizwache auch immer wieder Insassen handhaben muss, die – und es ist wirklich oft eine Bärenaufgabe, mit so jemanden umzugehen – unterm Strich in keine Justizanstalt gehören, sondern in einer psychiatrischen Anstalt besser und richtig aufgehoben wären, ganz einfach, weil es dort andere Möglichkeiten der Behandlung und der Betreuung gibt. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

Auch die rechtliche Handhabe in einer Psychiatrie ist nicht mit der in einer Justizanstalt vergleichbar. Leider passiert es immer wieder, dass solche Menschen ganz einfach in die Justiz abgeschoben werden. Das muss aufhören.

Frau Minister, Sie haben in Ihrer Rede noch etwas gesagt, und zwar, „die Umsetzung der Reform ist nicht einfach“. Und ja, da haben Sie recht.

Es ist ja auch zwischendurch ein ziemlich grober Schnitzer passiert, denn beim Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz im Jahr 2022 wurde beschlossen, dass zum Zeitpunkt der Tat, also in der Vergangenheit, Jugendliche jetzt am 1. September nach 15 Jahren oder auch dann, wenn sie schon länger drin sind, aus der Maßnahme ganz einfach entlassen werden hätten sollen. Da hat es schon einen ganz lauten Aufschrei der FPÖ gebraucht, dass man das jetzt Gott sei Dank wieder alles gestoppt hat.

Auch die SPÖ und die NEOS haben das kritisiert, was mich einerseits gefreut, andererseits ein bisschen gewundert hat, weil ich mich erinnern kann: In der Vergangenheit war es schon so, dass sie das immer gefordert haben. Da ist es ihnen gar nicht schnell genug gegangen. Es ist aber auf alle Fälle gut und richtig, Frau Minister, dass das jetzt wieder gestoppt wurde. Alles andere wäre ehrlich gesagt schwer fahrlässig gewesen. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt komme ich zu den Gründen, warum wir hier und heute nicht mitgehen können. Sie wollen eine bedingte Entlassung über Fallkonferenzen machen. Das halten wir für falsch und gefährlich, weil eine Fallkonferenz zwar gut und nett ist, aber am Ende des Tages nichts über den Betroffenen, der zu einer bedingten Entlassung ansteht, aussagt.

Es gibt im Vollzug echte Experten, die man befragen kann. Das sind zum Beispiel die Anstaltsleiter in den forensischen Anstalten in Verbindung mit den sozialen, psychiatrischen und psychologischen Diensten. Noch besser kennen wahrschein­lich die Insassen diejenigen, die direkt in den Abteilungen von früh bis spät mit den Betroffenen zu tun haben. Diese Justizwachebeamten oder auch Zivilbediensteten wissen, wer gefährlich ist und wer sich wahrscheinlich außer­halb von diesen festen Strukturen nicht mehr zurechtfinden wird.

Da komme ich wieder zur Sicherheit zurück, denn die Sicherheit steht da für uns wirklich an erster Stelle.

Eine Fallkonferenz gestaltet sich dann so: Da ist irrsinnig viel Papierkram, da sind viele Unterlagen, die dort durchgearbeitet werden müssen, und im schlechtesten Fall kann es sogar passieren, dass bei den begutachtenden Personen gar niemand dabei ist, der denjenigen, der beurteilt wird, jemals wirklich gesehen hat und diesen nicht nur aus Unterlagen kennt. Selbst wenn jemand dabei ist, der den Insassen kennt, ist es ein Unterschied, ob man mit dem Insassen einmal flüchtig gesprochen hat, ihn zwei-, dreimal auf dem Gang gesehen hat, er vorge­führt wurde oder ob man tagtäglich mit diesem Menschen zu tun hat.

Das, muss ich sagen, ist meine generelle Kritik nicht nur am System der Justiz, sondern auch an anderen Systemen im öffentlichen Dienst: wenn irgend­welche – unter Anführungszeichen, nicht falsch verstehen! – „Bürohengste“, in diesem Fall aus der Generaldirektion, die das letzte Mal vor zehn Jahren einen Insassen aus der Nähe gesehen haben, Dienstanweisungen geben und den Profis vor Ort erklären, wie man richtig mit Insassen umzugehen hat. Frau Minister, das wäre ungefähr so, als würde ich Ihnen da jetzt Ernährungstipps geben, damit Sie schlank bleiben. Also das ist halt nicht ganz realistisch. (Allgemeine Heiterkeit. – Beifall bei der FPÖ.)

Wir sind ja nicht abgeneigt. Ich sage, Fallkonferenzen sind ja auf alle Fälle ein Schritt in die richtige Richtung. Fallkonferenzen allein sind aber einfach viel zu wenig. Die aktuelle Änderung ist zwar einmal ein legistischer Damm, aber damit wird jetzt nur verzögert, dass eben auch ein gefährlicher Straftäter früher oder später vielleicht entlassen wird.

Der richtige Weg wäre, dass es im ersten Schritt begleitete Ausgänge gibt, zum Beispiel in den Justizanstalten Asten oder Göllersdorf. Wenn das funktioniert, dann kann man diese Person in ein forensisches Entlassungshaus – wollen wir es einmal so nennen! – überstellen, das wir leider nicht haben, aber man kann ja so etwas zum Beispiel bauen. Dort schaut man, wie sich dieser Mensch quasi im gelockerten Vollzug gibt, wie er sich macht und wie er sich bewährt. Wenn er sich bewährt, dann kann man den nächsten Schritt machen, und wenn er sich nicht bewährt, dann muss er zurück in die Justizanstalt oder in das forensische Zentrum. Wenn man sich in diesem gelockerten Vollzug bewährt, dann kann man auch Ausgänge, alleinige Ausgänge mit elektronischer Überwachung, andenken. So könnte man die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, wirklich minimieren.

Ich sage es noch einmal: Zu 100 Prozent ausschließen, dass etwas passiert, ist nicht möglich, weil wir alle in keinen Menschen hineinschauen können. Nur: Über die Fallkonferenzen eine Entlastung für Haftanstalten zu machen, sodass man vielleicht Insassen in die Freiheit entlässt, die im Inneren noch brandge­fährlich sind, weil man nicht in sie hineinschauen kann und somit vielleicht wirklich eine tickende Zeitbombe entlässt: Das wollen wir nicht, und da spielen wir auch nicht mit.

Dieses Gesetz ist ja ursprünglich gar nicht von Ihnen, Frau Minister, sondern das liegt ja seit dem Jahr 2016 in der Schublade. Das hat der damalige ÖVP-Justizminister Brandstetter ausgearbeitet. Sie haben es jetzt weiterbearbeitet, adaptiert, und es wird jetzt umgesetzt.

Ich spiele jetzt einmal Hellseher. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, wenn etwas passieren sollte, zum Beispiel, dass ein geistig abnormer Rechtsbrecher, der aufgrund solcher Fallkonferenzen jetzt in die Freiheit entlassen wird und dann vielleicht jemanden verletzt, vergewaltigt oder vielleicht sogar ermordet, dann werden alle mit dem Finger auf Sie zeigen, Frau Minister, und sagen: Frau Minister Zadić war es!

Und niemand wird sich mehr erinnern können, dass es eigentlich ursprünglich von Herrn Brandstetter ausgegangen ist. Das gebe ich Ihnen auch mit, vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal, ob Sie das wirklich so umsetzen wollen. Wir halten es wirklich für gefährlich.

Das gesamte Gesetz, muss man sagen, hätte es vielleicht sogar gar nicht gebraucht, hätte man schon vor vielen Jahren – ich weiß: hätte, hätte, hätte – angefangen, mehr Personal auszubilden und aufzunehmen. Dann hätte man sich wirklich viel Ärger erspart.

Es gibt also im gesamten System noch viel zu tun. Im April war ich gemeinsam mit Nationalratsabgeordnetem Christian Lausch anlässlich dieser ursprünglich geplanten Haftentlassung – als es geheißen hat, am 1. September werden die ausgelassen – in der Justizanstalt Göllersdorf im Weinviertel, und danach sind wir nach Oberösterreich in die Justizanstalt Asten gefahren.

Für Göllersdorf zum Beispiel gibt es fixfertige Pläne zur Schaffung eines forensischen Zentrums. Diese Pläne liegen in der Lade, passiert ist noch nichts. Vielleicht können Sie uns heute sagen, wann wirklich der Baubeginn oder bis wann die Fertigstellung geplant ist und auch, wie Sie gedenken – das ist nämlich ein ganz wichtiger Punkt –, das Mehrpersonal zu bekommen, das wir dort brauchen werden. Mit dem jetzigen Personalstand wird es nämlich nicht gehen.

Wenn das Personal fehlt, meine Damen und Herren, dann kann ich Ihnen auch sagen, was passieren wird. Das haben wir nämlich in Asten erlebt. Dort haben wir zwei komplett ausgebaute neue Abteilungen gesehen, so einen Sternbau mit dem Dienstzimmer in der Mitte, von dem die Gänge weggegangen sind – wirk­lich modern und zweckmäßig gebaut, jeweils pro Stock circa drei mal 15 Hafträume; genau weiß ich es nicht, abgezählt habe ich sie nicht, aber so ungefähr.

Der untere Stock war in Betrieb, und der obere Stock war leer, aber nicht, weil man dafür keine Insassen gehabt hätte, sondern weil es kein Personal gibt! Das, muss ich sagen, ist eine Bankrotterklärung für die Justiz, das ist natür­lich eine Bankrotterklärung für ganz Österreich. Insgesamt stehen in Asten sogar circa 70 Hafträume leer, weil es kein Personal gibt.

Die Probleme des Personalmangels sind einerseits die Externen, das externe Personal, das fehlt, nämlich die Fachärzte. – Ja, no na net: Die würden draußen mehr verdienen als drinnen, und wir haben aber draußen schon einen Fachärztemangel, also wird es wirklich schwer, dafür jemanden zu finden. Das heißt, da greift eines in das andere, und man muss auch sagen, dass die Justizbetreuungsagentur vielleicht nicht unbedingt ideal arbeitet. Das merken wir leider immer wieder, in vielen Bereichen.

Ein weiteres Problem: Im Bereich der Justizwache wurden zwar junge Kollegen aufgenommen, es gibt aber keine zusätzlichen E2a-Planstellen. – E2a-Planstellen sind für Dienstführende. – Erstens einmal ist das keine Wertschätzung gegenüber den Kollegen, und andererseits: Warum soll ein eingeteilter Beamter, der die Ausbildung zum Dienstführenden nicht hat, die Verantwortung für Arbeiten eines Dienstführenden übernehmen? Das geht nicht! Da muss man also wirklich schauen, dass man entsprechend auch E2a-Planstellen freigibt, und dann kann es vielleicht werden.

Weiters gibt es in diesen Justizanstalten sogar vermehrt immer wieder Über­griffe und Einsatzsituationen. Das ist natürlich zum Teil auch dem geschuldet – das haben wir in Asten gehört –, dass die Justizwache erst dann kommt, wenn quasi Feuer am Dach ist. All das sollte man überdenken, denn würde man die Justizwachebeamten von vornherein mehr in die Abteilungen mit einbinden, könnte man vielleicht gleichzeitig mehr aufsperren. Auch dadurch erfährt man mehr über einen Insassen, denn ich muss schon sagen: Ob ein Insasse 23 Stunden am Tag in einem Haftraum eingesperrt ist oder ob man vielleicht sieht, wie er sich am Gang mit anderen verhält, ist ein Riesenunterschied. Aber wie gesagt: Dazu muss man auch die Rahmenbedingungen schaffen, das heißt, auch die entsprechenden Posten und das entsprechende Personal haben. Das kann in Österreich ja bitte kein Problem sein! Erst heute habe ich es wieder gehört: Wir sind angeblich das siebzehntreichste Land der Erde.

Fehlendes Personal führt nicht nur zu Schwierigkeiten in der Betreuung, es ist unserer Meinung ein immenses Sicherheitsrisiko für alle Beteiligten, und wie anfangs erwähnt – einmal will ich es noch sagen –: Für uns steht die Sicherheit an erster Stelle. Auch in den Justizanstalten sind die Zivilbediensteten und die Justizwachebeamten Mütter, sie sind Väter, Söhne und sie sind Töchter, die nach dem oft sehr kräftezehrenden Dienst gesund nach Hause zu ihren Familien gehen wollen. (Beifall bei FPÖ und SPÖ.)

15.45

Vizepräsidentin Margit Göll: Weiters zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Klara Neurauter. – Bitte.