16.00

Bundesrat Christian Fischer (SPÖ, Niederösterreich): Herr Minister! Frau Staats­sekretärin! Geschätzte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Im Jahr 2020 legte die Regie­rung ihr Programm „Aus Verantwortung für Österreich. Regierungspro­gramm 2020–2024“ vor. Auf drei Seiten wurden insgesamt 34 Forderungen im Bereich des Wohnens aufgelistet. Von diesen über 30 Forderungen ist jedoch weniger als zwölf Monate vor den nächsten Nationalratswahlen wenig umgesetzt worden.

Die angekündigten Maßnahmen gegen Leerstand, die verfassungsrecht­liche Verankerung der Widmungskategorie sozialer Wohnbau, die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes und das gesamte Kapitel Schaffung von leist­barem Wohnraum sind unter anderem weiterhin offen. Es gab bislang weder die angekündigte Wohnraum-Enquete noch Dialogforen unter Beteiligung von Bürger:innen, Expert:innen, Ländern und Gemeinden, der Zivilgesellschaft, den Interessenvertretungen, durch die eine Reform des Wohnrechts diskutiert werden sollte. Es gibt daher noch immer kein transparentes, nachvollziehbares neues Mietrecht, das Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit schafft und eine vor allem transparente Preisbildung vorsieht, die zu leistbarem Wohnen für die Mieterinnen und Mieter führt.

Auf die seit zwei Jahren galoppierende Inflation hat die lahmende Bundesregie­rung zwar mit Milliarden Euro an Förderungen für die Unternehmen, wie zum Beispiel die Firma Signa, reagiert, auf die Millionen Mieterinnen und Mieter, die unter den ständig steigenden Wohnkosten leiden, hat sie jedoch gänz­lich vergessen. (Beifall bei der SPÖ.)

Im Juli 2023 lag die Inflation bei 7,1 Prozent, im August stieg sie wieder auf 7,4 Prozent an. Nach 5,4 Prozent im Oktober bleibt sie laut Schnellschätzung auch im November bei 5,4 Prozent. Die von der lahmenden Bundesregie­rung gesetzten Maßnahmen führen also weiterhin nicht dazu, dass die Inflationsrate auf ein akzeptables Niveau absinkt. Österreich liegt damit in Westeuropa bei der Inflationsentwicklung immer noch auf dem beschä­menden letzten Platz. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Richtwertmieten sind im April 2022 um 5,85 Prozent gestiegen, im April 2023 erhöhten sie sich um 8,6 Prozent, weil die Regierung die Anträge der SPÖ auf ein Aussetzen der Mieterhöhung mehrmals abgelehnt hatte. Wenn die Politik nicht eingreift, werden sich die Richtwertmieten angesichts der Infla­tionsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute bis April 2025 um weitere 11 Prozent erhöhen. Sie werden dann seit 2022 um mehr als 25 Prozent gestiegen sein. – Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben richtig gehört: um 25 Prozent.

Die Kategoriemieten stiegen in den letzten 15 Monaten um fast 24 Prozent. Der von der SPÖ bereits im Frühjahr geforderte Mietenstopp hätte dazu geführt, dass sich die Inflation abgeschwächt hätte. Stattdessen legt die Regierung am 30. August dem Nationalrat einen sogenannten Mietpreisdeckel – Schmäh­preisdeckel – vor, der in den nächsten drei Jahren eine Begrenzung des Anstiegs bei den gesetzlich vorgegebenen Mieten auf 5 Prozent pro Jahr vorsieht. Die rund 500 000 Wohnungen im freien, nicht preisregulierten Mietsektor wer­den von der Regierung überhaupt nicht berücksichtigt – Unwissenheit oder Realitätsverweigerung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien! Die Menschen in rund zwei Millionen Haushalten in Österreich leben in einer Mietwohnung. Bis zu 40 Prozent der Haushaltsausgaben werden für die Wohnungsmiete aufge­wendet. Viele Menschen kommen durch die anhaltend hohe Inflation in eine prekäre finanzielle Situation, die durch das Nichthandeln der lahmenden Regierung weiter verschärft wird. Die Mieterhöhungen der letzten Mona­te haben die Inflation weiter befeuert. Das ist nicht nur ein Schaden für die be­troffenen Mieterinnen und Mieter, sondern auch für die gesamte Wirt­schaft; besonders das Baugewerbe und das Baunebengewerbe sind betroffen.

Nicht nur unsere Fraktion fordert eine Mietpreisbremse, auch zahlreiche Expertinnen und Experten, wie etwa Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, fordern im­mer wieder eine Mietpreisbremse oder eine Aussetzung der Mieterhöhun­gen, ein System mit klaren Mietobergrenzen sowie einen neuen Index für die Mietpreisentwicklung, wie etwa die Orientierung am EZB-Leitzinssatz mit einer Deckelung von 2 Prozent.

Dass es auch anders geht, beweisen zahlreiche EU-Staaten; aber auch die drei sozialdemokratisch geführten Bundesländer Burgenland, Kärnten und Wien haben bei den Mietverhältnissen, wo sie die Möglichkeit haben, Eingriffe zum Schutz der Mieterinnen und Mieter vorgenommen. In Wien wurde die Mietpreisbremse im Gemeindebau im November auf den Weg gebracht. Davon profitieren über 370 000 Menschen in der Bundeshauptstadt – im Gegensatz zu den Maßnahmen der Bundesregierung, die hauptsächlich In­vestoren wie René Benko zugutekommen.

Ein weiterer wohnpolitischer Schwerpunkt zur Entlastung der Menschen ist die gezielte Errichtung von sozialem und gemeinnützigem Wohnbau. Dem stehen jedoch auch diverse Hindernisse im Weg, vor allem weil die Ressource Boden nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Eine Lösung für dieses Pro­blem ist die Forcierung der Flächenwidmungskategorie sozialer Wohnbau. Mit ihr können die noch vorhandenen Bodenressourcen zum Vorteil der ge­samten Bevölkerung abgesichert werden, und der Spekulation kann ein Riegel vorgeschoben werden.

Nach dem Bauboom der letzten Jahre geht die Bauleistung vor allem bei groß­volumigen Bauten nun drastisch zurück, was eine hohe Arbeitslosigkeit im Baugewerbe und Baunebengewerbe zur Folge hat. Statt zu investieren, stellt man in manchen Bundesländern den sozialen Wohnbau fast zur Gänze ein. Trauriger Spitzenreiter ist hierbei mein Heimatbundesland Niederösterreich. Der Stopp der Neubauförderung im Genossenschaftsbereich bedeutet in Nie­derösterreich, dass das leistbare Angebot an Wohnraum um bis zu 7 000 Wohn­einheiten reduziert wird. Das heißt, heuer werden nur 253 geförderte Woh­nungen freigegeben. Dies hat zur Folge, dass einkommensschwächere Haushalte auf den teureren privaten Mietbereich ausweichen müssen. Das verschärft natürlich die Teuerungskrise massiv.

Die schwarz-blaue Mogelwohnbauförderungspackung in Niederösterreich hat in meinem Bezirk die Auswirkung, dass es zu einem 33-prozentigen Preissprung im gemeinnützigen geförderten Wohnungsneubau kommen wird. Dieses Mogel­modell in Niederösterreich verteuert die Mieten drastisch und belastet durch die Ausdehnung der Finanzierungsdauer auf 40 Jahre noch die Kinder der Geförderten. Eine verantwortungsvolle Politik schaut anders aus, liebe Kolle­ginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die schlechte Performance von Landeshauptfrau Mikl-Leitner überrascht mich keinesfalls. Sie ist in Zeiten der massiven Teuerungswelle vollständig ab­getaucht. Nur kurz ist sie in Erscheinung getreten, als sie die Kindergar­tendirektor:innen erinnert hat, dass am 6.12. der Nikolaus in den Kindergärten kommen soll. Besonders wichtig ist ihr auch der unnötige dritte Auf­sichtsratsposten bei der EVN, anstatt dass sie gegen die hohen Strompreise ankämpft.

Auch der Klubobmann der niederösterreichischen Volkspartei - - Entschuldigung, natürlich der Landesparteigeschäftsführer der niederösterreichischen Volks­partei und der ÖVP Wiener Neustadt, wo er den Vorsitz als Klubobmann hat, Bundesratskollege Matthias Zauner, glänzt nicht unbedingt mit Expertise in der Wohnbaupolitik. (Heiterkeit bei der ÖVP.) In seiner Heimatstadt Wiener Neustadt gibt es 2 000 Gemeindewohnungen. Von den 2 000 Gemein­dewohnungen gibt es aktuell 300 leer stehende Wohnungen (Zwischenruf des Bundesrates Zauner – Bundesrat Himmer: Aber lesen kann er mindestens so gut wie du!) – in Zeiten wie diesen sehr bedenklich, Kollege Zauner. (Bundesrat Zauner: Unfassbar!)

Der FPÖ Niederösterreich scheint die Teuerungswelle auch vollkommen egal zu sein. Ihr ist offensichtlich das Gendern wichtiger als die Sorgen unserer Bevölkerung. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)

„Die wohnpolitischen Forderungen der SPÖ sind daher [...] das Einfrieren sämt­licher Mieten [...] bis Ende 2025“, „die Einführung eines einheitlichen, trans­parenten neuen Mietrechts“, „die Wiedereinführung der Wohnbauinvestitions­bank“, „die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung“, „die verfassungsrechtliche Absicherung der Widmungskategorie ‚sozialer Wohn­bau‘“, die „Erhöhung der Wohnbauförderung von 0,4 Prozent auf 1 Prozent des“ Bruttoinlandsprodukts und die verfassungsrechtliche „Ermächtigung der Bundesländer zur Einführung von Leerstandsabgaben“.

Aus den oben genannten Gründen stellen die unterfertigten Bundesrät:innen folgende Dringliche Anfrage:

„Im Regierungsprogramm sind 28 von 34 Punkten und Maßnahmen im Kapitel ‚Wohnen‘ nicht umgesetzt. Werden Sie die geplante Enquete zum Wohn­recht noch vor Ende der Legislaturperiode zu Stande bringen?“

„Aus welchem Grund sind nach wie vor so viele Punkte zum Thema Wohnen im Regierungsprogramm unerledigt? Geben Sie die Gründe bitte pro Vorhaben an.“

„Arbeitet die Regierung bzw. sind Arbeitsgruppen in den zuständigen Ministerien eingerichtet, die an einer Mietrechtsreform arbeiten, um ein einheitliches, transparentes Mietrecht endlich auf den Weg zu bringen? [...] Wenn ja: in wel­chem Ressort bzw. welchen Ressorts sind diese Maßnahmen in Vorbereitung und bis wann“ kann man „mit einer Realisierung der Maßnah­men [...] rechnen?“

Ist Bundeskanzler Nehammer, der bei so wichtigen Themen immer durch Ab­wesenheit im Bundesrat glänzt, eingebunden oder ist es ihm egal?

„Wird die verfassungsrechtliche Absicherung der Flächenwidmung ‚sozialer Wohnbau‘ noch in dieser Gesetzgebungsperiode umgesetzt werden? [...] Wenn nein, wieso nicht?“

„Sind in der von der“ lahmenden „Regierung vorgesehenen Mietpreisbremse“, die nächste Woche im Bautenausschuss des Nationalrates „beschlossen werden soll, nun auch die privaten Mieten vorgesehen“ oder wurden diese wieder vergessen? „Wie hoch sind die von Ihnen berechneten Effekte auf die Inflations­entwicklung?“

„Einige Bundesländer und Gemeinden haben von sich aus einen Mietpreisstopp verfügt“, wie zum Beispiel Linz, St. Pölten oder Traiskirchen. (Ruf bei der ÖVP: Ah!) „Ist vom Bund beabsichtigt, den Einnahmenausfall der sich durch diese Maßnahme ergibt, zu ersetzen? [...] Wenn ja, bis wann werden die Gemein­den bzw. Bundesländer diese finanziellen Mittel erhalten?“ (Bundesrat Tiefnig: Zufällig die SPÖ ...?) „Werden die eingesetzten Mittel den Gemeinden bzw. Ländern zur Gänze oder nur teilweise ersetzt?“

„Die Wohnbauinvestitionsbank [...] wurde nach langwierigen Verhandlungen mit der Europäischen Kommission schlussendlich von dieser genehmigt und dann als eine der ersten Amtshandlungen der damaligen“ unglücklich agierenden ÖVP-FPÖ-„Regierung wieder liquidiert. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die WBIB wieder eingeführt wird bzw. gibt es Bestrebungen innerhalb der Regierung, diese Wohnbaubank wiederzubeleben?“

„Welche Maßnahmen setzen Sie, bzw. Ihre Regierung, um den Einbruch bei den Aufträgen im Bereich der Bauwirtschaft abzufedern bzw. zu beenden?“

„Angesichts der stark steigenden Arbeitslosenzahlen im Bereich der Baubranche wären jetzt dringend Maßnahmen erforderlich, um Investitionen anzustoßen und die Baubranche zu neuen Aufträgen zu stimulieren. Sind hier durch Ihre Regierung Maßnahmen geplant und wenn ja, welche bzw. bis wann?“

„Liegen Ihnen Daten vor, wie viele Unternehmen im Bereich der Baubranche und nachgelagerter Bereiche Insolvenz angemeldet haben und wie viele Arbeits­plätze sind dadurch in diesem Jahr verloren gegangen oder gefährdet?“ Wenn ja, in welchen Ressorts sind die Maßnahmen in Vorbereitung und bis wann ist mit einer Realisierung der Maßnahmen zu rechnen?

Ist der Regierungschef in die Planungen eingebunden, da mehrere Ressorts in der Thematik zuständig sind, und wenn nicht, wäre es aufgrund fehlen­der Ergebnisse nicht sinnvoll, dass der Herr Bundeskanzler dies zur Chefsache machen würde?

Abschließend noch eine persönliche Frage, bitte Bundeskanzler Nehammer aus­zurichten: Weiß der Herr Bundeskanzler tatsächlich nicht mehr, wo sich der Bundesratssaal befindet?

Ich ersuche Sie um Beantwortung meiner gestellten Fragen unter dem Motto: Handeln statt Schönreden! – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

16.15

Vizepräsidentin Margit Göll: Zur Beantwortung hat sich Frau Staatssekretärin Claudia Plakolm zu Wort gemeldet. – Bitte.