19.00

Bundesrat Daniel Schmid (SPÖ, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherin­nen und Zuseher! Ja, Herr Dipl.-Ing. Dr. Gross und auch Kollege Gfrerer haben es bereits vorweggenommen: Das Übereinkommen, das heute zur Dis­kussion steht, ist ein wichtiger Schritt, um Sicherheit und Zuverlässigkeit des internationalen, interoperablen Zugverkehrs zu gewährleisten. Dieses Übereinkommen deckt wichtige Bereiche wie das Eisenbahnbeförderungsgesetz, die Beförderung gefährlicher Güter und die Überprüfung technischer Nor­men et cetera ab. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt stellt sich für so man­chen hier vermutlich die Frage: Weshalb ist der interoperable Eisenbahn­verkehr nicht harmonisiert, wie wir das beispielsweise bei der Luftfahrt kennen? Erlauben Sie mir, darauf ein bisschen näher einzugehen.

Das europäische Eisenbahnnetz ist durch eine lange Entwicklungsge­schichte verschiedener nationaler Entwicklungen geprägt. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir unterschiedliche Spurbreiten, unterschiedliche Zugsicherungssysteme, unterschiedliche betriebliche Standards und Normen haben. Diese Unterschiedlichkeit hat historische, technische, politische und nicht zu vergessen auch militärstrategische Hintergründe. Das ist der Grund, warum wir – in dem Fall – bei uns in Europa ein so komplexes Geflecht unter­schiedlicher Eisenbahnsysteme haben.

Eine Harmonisierung des Eisenbahnsektors ist daher entsprechend komplex und damit eben auch kostspielig und erfordert vielfältige technische, infrastruk­turelle und betriebliche Veränderungen. Zusätzlich haben wir teilweise massive regulatorische Differenzen als Erschwernis. Was man auch nicht verges­sen darf – Kollege Gross hat es bereits angesprochen –: die unterschiedlichen nationalen Interessen. Die Herausforderungen sehen wir momentan ganz besonders deutlich beim Projekt Brennerbasistunnel. Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa, das Österreich und Italien miteinander verbinden wird. Da ergeben sich mehrere Herausforderungen. Ich möchte Ihnen einige davon anhand des Beispiels Brennerbasistunnel kurz nennen.

Wir haben unterschiedliche technische und betriebliche Normen, unterschied­liche Zugsicherungssysteme. Darauf möchte ich kurz eingehen. In Italien fahren sie mit SCMT, wir fahren mit der PZB. Und dann gibt es – Herr Gross weiß das sicherlich – das sogenannte European Train Control System, ETCS. ETCS klingt jetzt vielleicht irrsinnig toll: In Europa fahren wir alle mit demselben System! Aber leider, Kolleginnen und Kollegen, ist das nicht so, denn auch innerhalb des ETCS gibt es wieder unterschiedliche länderspezifi­sche Regelungen. Das sind Dinge, die eine Harmonisierung natürlich erschweren.

Wir haben verschiedene Notfall- und Sicherheitsprozeduren. Es stellen sich genauso Herausforderungen bei einer gemeinsamen betrieblichen Koordination. Das sieht man beim Brennerbasistunnel recht deutlich.

Erlauben Sie mir jetzt, ganz speziell auf etwas einzugehen, das in der National­ratssitzung ein Kollege der ÖVP und hier auch Kollege Gross angespro­chen hat. Ich nenne es die – und betone – vermeintlichen sprachlichen Barrieren. Europas große Sprachenvielfalt spiegelt sich unter anderem auch im Eisenbahnverkehr wider. Die Umstellung auf eine einheitliche Sprache, wie von so manchem in diesem Kontext – erlauben Sie mir dieses Wort; es ist nicht gerade sympathisch – Ahnungslosen gefordert, würde erhebliche Änderun­gen in der Ausbildung und im Betriebsverfahren erfordern. Nach Einfüh­rung einer einheitlichen Sprache würde das gesamte bestehende Personal von Lokführern und Lokführerinnen, Zugbegleiterinnen und Zugbegleitern bis hin zu Fahrdienstleiterinnen und Fahrdienstleitern et cetera eine erhebliche Anpassung ihrer Ausbildung brauchen. Die müssten in der ausgewählten Sprache, unabhängig davon, welche das wäre, ausgebildet und auch zertifiziert werden. Das bringt natürlich erhebliche Kosten mit sich.

Man darf auch den Bereich des Recruitings nicht vergessen. Wenn wir – als Beispiel – Englisch als einheitliche Eisenbahnsprache in Europa normie­ren würden, dann wird man beim Recruiting, bei der Anstellung von Personal genau darauf das Augenmerk richten müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dadurch würden wir, und da bin ich mir sicher, entsprechende Probleme bei der Personalgewinnung bekommen, weil sich dadurch das Anforderungsni­veau hochschraubt. Weil wir gerade beim Anforderungsniveau sind: Die derzeiti­gen europäischen Mindeststandards schreiben das Sprachniveau B1 vor. Das ist eine absolute Mindestanforderung, denn, sehr geehrte Damen und Her­ren, B1 beschreibt gerade einmal den Übergang von grundlegenden Kom­munikationsfähigkeiten zu einem kompetenteren Umgang mit der Sprache. Das ist in einer Notsituation, wenn man rasch und klar kommunizieren muss, wohl nicht unbedingt ausreichend. Deshalb braucht es ein Sprachniveau auf Level B2. Denn es braucht eben die Fähigkeit, in einer Krisensituation, in einer Notsituation, in Stresssituationen im Eisenbahnbetrieb klar und deutlich zu kommunizieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, denken wir doch einmal an letztes Jahr, an den Brand im Terfener Tunnel! Kollegin Neurauter und Kollege Stillebacher können sich sicherlich daran erinnern, denn die Einsatzkräfte sind uns damals, als wir heimgefahren sind, ordentlich entgegengekommen. Erinnern wir uns daran! Genau solche Vorfälle, wie sie im Terfener Tunnel passiert sind, unterstreichen die Bedeutung einer effektiven und präzisen Kommunika­tion in Notsituationen. Dieser Vorfall verdeutlicht die Risiken, die mit solch einer unüberlegten Initiative, eine gemeinsame Sprache für Eisenbahnerin­nen und Eisenbahner einzuführen und vielleicht auch noch – und jetzt Ohren spitzen! – auf technische Übersetzungshilfen zu setzen, einhergehen. Als ich das gehört habe, habe ich mir gedacht: Was?!

Da gibt es wirklich Stimmen, die sagen: Ja, das machen wir mit techni­schen Übersetzungshilfen!? Das heißt, ich bin im Terfener Tunnel, der Zug brennt, und dann rede ich in ein Kastl, und das Kastl übersetzt in die Betriebsführungszentrale, was ich meine. Ich will jetzt nicht näher darauf eingehen, jeder kann sich seinen Teil denken. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, so etwas ist grob fahrlässig!

Langsam komme ich zum Abschluss. Viele sagen ja immer, das Problem, das wir haben, ist unter anderem das Personal mit seinen unterschiedlichen Sprachen. Liebe Kolleg:innen, ich nenne Ihnen noch ein letztes Beispiel: Wenn ein Zug von Italien in Richtung Österreich fährt, und am Bahnhof Bren­ner einfährt, dann wäre das eigentlich ganz easy. Da steht nämlich ein österrei­chischer Lokführer, der italienische bremst den Zug ab, packt zusammen, sagt: Va tutto bene! – Man sagt Danke schön, steigt ein, richtet sich ein und fährt los. (Bundesrat Tiefnig: Und was ist, wenn lauter italienische Gäste drin sind?)

Jetzt ist es aber so: Das Ganze ist normalerweise in 5 Minuten erledigt und wir können – hurra, die Gams! – fahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht so, denn wenn er einfährt, dann bremst er ein, dann übernehme ich, dann muss ich einmal die gesamten Daten überprüfen, damit ich alles dabei habe, muss alles herrichten, das System ändern, denn die fahren mit Gleichstrom und wir fahren mit Wechselstrom. Wenn ich das System geändert habe, dann muss ich mein Zugsicherungssystem aktivieren, denn die Italiener fahren mit einem anderen Zugsicherungssystem. Wenn ich das aktiviert habe, muss ich es auch noch überprüfen, und dann müssen wir auch noch die Magnetschienenbremsen einschalten, denn die Italiener dürfen mit eingeschalteten Magnetschienenbremsen an den Wagen nicht fahren. Stellt euch vor: Die müssen wir auch noch überprüfen.

Was will ich euch mit diesem Beispiel zeigen? – Es sind nicht die unterschiedli­che Sprache und der Lokführerwechsel an der Grenze, die ein Problem sind, sondern das System und die unterschiedlichen Normen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser diversen Schwierigkeiten und so mancher fahrlässiger Ideen, wie eben der Idee einer einheitlichen Spra­che, gibt es wirklich viele und ernsthafte Bemühungen, die Interoperabilität im europäischen Eisenbahnverkehr zu verbessern und zu harmonisieren.

Als Lokführer und stellvertretend für die sozialdemokratische Parlamentsfraktion möchte ich betonen, dass wir sämtliche Maßnahmen zur Gewährleistung eines sicheren Zugbetriebs unterstützen. Das vorliegende Übereinkommen be­trifft die Sicherheit im internationalen Zugverkehr, einen Bereich, der für die Bahnbenützenden sowie für den Gütertransport von enormer Bedeutung ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Aus diesem Grund werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Regierungsvorlage selbstverständlich zustimmen. – Danke für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

19.13

Präsidentin Margit Göll: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Ber­nard. – Bitte.