11.31
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren zu Hause und liebe Gäste hier bei uns im Bundesrat! Hoher Bundesrat! Ja, wir haben es hier wieder einmal und wie so oft mit einem wahren Konglomerat aus den unterschiedlichsten Themenbereichen zu tun, was es für uns naturgemäß entsprechend schwierig macht, hier unsere Zustimmung im Ganzen und umfassend zu erteilen.
Es gibt sehr wohl, das muss ich schon zugeben, einige Teilbereiche, bei denen wir durchaus mitgehen können, bei denen wir d’accord sind, beispielsweise bezüglich des Waldfondsgesetzes, in dem es um die rechtlichen Grundlagen für die Förderung zur Entschädigung von Waldeigentümern bei klimawandelbedingten Waldschäden geht – das ist für uns so weit in Ordnung –, was die Integrität, die Plagiatsthematik und das Ghostwriting betrifft – auch da könnten wir mitgehen –, was die Kurzzeitmobilität und die Anrechnungs- und Anerkennungsmöglichkeit mit den 15 ECTS-Punkten betrifft, und ebenso positiv stehen wir jetzt der Änderung betreffend die befristeten Arbeitsverträge an den Unis gegenüber; das Thema Kettenvertragsparagraf hatten wir auch schon und immer wieder hier an dieser Stelle.
Es gibt aber einige Bereiche, die unserer Meinung gar nicht gehen, und auch die muss ich hier entsprechend anführen.
Beispielsweise sehen wir diese Einführung der außerordentlichen Studien mit Abschluss als jetzt neu Bachelor of Engineering und Master of Engineering, von denen uns Experten sagen, dass diese international einfach nicht vergleichbar seien, kritisch. Üblich sind Master beziehungsweise Bachelor of Science, und ich glaube, damit kann jeder ungefähr etwas anfangen, und im technischen Bereich ist das einfach ein Begriff, aber mit diesem BEng und MEng, wie das dann in Zukunft heißen soll: Ich weiß nicht, ob wir uns damit international etwas Gutes tun.
Was für uns komplett verfehlt ist, ist die Begrenzung der Zahl der Studienplätze für Psychotherapie. Wir sehen jetzt schon, dass uns an allen Ecken und Enden Psychotherapeuten und -therapeutinnen fehlen. Auf den Listen in diesem Bereich gibt es monatelange Wartezeiten. Die KJPPs sind übervoll, obwohl Therapien ganz, ganz dringend notwendig wären. Darüber hinaus wissen wir aufgrund des Durchschnittsalters der jetzt praktizierenden Therapeut:innen, dass uns einfach eine irrsinnige Pensionierungswelle bevorsteht, und daher sehen wir diese Begrenzung als wirklich viel zu kurzsichtig und wenig nachhaltig. Das wird uns in der Zukunft wieder auf den Kopf fallen, wenn wir das so mittragen.
Nun aber zum Kernpunkt, der mich auch als Praktikerin – als Lehrerin an einer Mittelschule – am meisten betrifft, nämlich die Änderungen in der Lehrer:innenausbildung: Ja, wir sehen es tagtäglich und wir spüren es auch tagtäglich – und das ist uns allen in Wahrheit sehr wohl bewusst –: Wir haben einen immensen Lehrkräftemangel in allen Bundesländern in allen Schularten zu verzeichnen. Allein in meinem Bundesland Niederösterreich sind erst jetzt am Dienstag ganz frisch 526 Stellen im Pflichtschulbereich ausgeschrieben worden. Insgesamt sind es weit über 1 000 freie Stellen für das kommende Schuljahr, die es zu besetzen gilt.
Ich wage zu bezweifeln, dass diese Verkürzung – wobei: Verkürzung ist ein dehnbarer Begriff, denn verkürzt wird ja nicht wirklich oder nicht in allen Bereichen – der Ausbildung jetzt auf drei Jahre für den Bachelor und zwei Jahre für den Master für Primar- und Sekundarstufe, dass also das allein den Lehrkräftemangel ausgleichen wird – noch dazu, da die Maßnahme jetzt doch erst wieder ein Jahr später umgesetzt werden soll. Auch was die weiteren Maßnahmen betrifft, habe ich einfach wirklich viele, viele Fragezeichen. Da ist vieles offengeblieben, was mir bis dato nicht beantwortet werden konnte.
Schauen wir uns die Situation an den Schulen jetzt ganz aktuell an! Schon jetzt stehen tagtäglich ganz viele Studierende – jene, die also noch in der Ausbildung stehen – in der Klasse, teilweise auch schon klassenführend – das heißt, als Klassenvorstand mit den entsprechenden administrativen und pädagogischen Verantwortungsbereichen –, aber ohne in der Ausbildung schon das nötige Rüstzeug dafür erhalten zu haben. Wir sehen zahlreiche Quereinsteiger:innen, die oftmals sehr motiviert in den Beruf einsteigen, aber dann nicht selten und leider viel zu häufig schon nach einem Jahr aus dem Beruf ausscheiden, weil sie einfach merken: Ja, der Job ist klasse – um es (in Richtung Bundesminister Polaschek) mit Ihren Worten zu formulieren –, aber die Bedingungen leider nicht so wirklich.
Gleiches gilt für Junglehrer:innen: Wir sehen immer mehr junge Lehrkräfte, die aufgrund von Burn-out, aufgrund von Überforderung aus dem Beruf ausscheiden, weil einfach die Bedingungen entsprechend schlecht sind und die Herausforderungen tagtäglich zunehmen.
Wir sehen Schulleiter:innen, die eine Vielzahl an administrativen Tätigkeiten zu erledigen haben und sich eigentlich viel zu wenig um das Pädagogische, um schulentwicklungstechnische Belange kümmern können.
Wir sehen – und das sehe ich selbst als Schulleiterin jeden Tag – Überstunden, Überstunden, Überstunden. Die Lehrkräfte kommen einfach an ihre Belastungsgrenze. So am Rande bemerkt: Was ich auch ein bisschen kritisch hinterfragen möchte, sind einfach die mittlerweile unzähligen unterschiedlichen Dienstrechte, die es jetzt von Dienstgeberseite zu beachten gilt. Wir haben Pragmatisierte, wir haben Vertragslehrer im Altrecht, wir haben Vertragslehrer im neuen pädagogischen Dienst – also im Neurecht –, wir haben Sonderverträge mit den Quereinsteigern: Also der Überblick und die Transparenz sind nicht mehr wirklich gegeben.
Wir haben Schuleinsteigerklassen mit oft 28 Kindern mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Voraussetzungen in einer Klasse mit nur einer Lehrkraft. Das ist ganz besonders in der Schuleingangsphase, wenn es um das Erlernen von Lesen, Rechnen, Schreiben geht, also wirklich um die Taferlklassler, wie man in Österreich so schön sagt, die ganz alleine von einer Lehrkraft betreut werden müssen, eine irrsinnige Herausforderung, die ganz, ganz viel Energie und ganz, ganz viel Motivation und ganz, ganz viel Engagement der Lehrkräfte braucht. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)
Wir sehen Junglehrkräfte, die zwar fachlich äußerst gut ausgebildet sind, aber oft in der Pädagogik, in der Didaktik nicht das nötige Rüstzeug mitbekommen, zum Beispiel betreffend die Fragen – das sind ganz handfeste Dinge, die ich Ihnen jetzt als Beispiel mitgeben kann –: Wie führe ich ein heikles Elterngespräch? Wie gehe mit Schulverweigerern um? Was mache ich in Situationen, in denen es um Mobbing geht? Was mache ich in Situationen, in denen es um Dinge wie Social Media geht, um Handymissbrauch sozusagen?
Viele sind, wenn sie in den Beruf einsteigen, dann auch überrascht, dass sie in Wahrheit zum Beispiel gar keine Arbeitsmittel vom Dienstgeber zur Verfügung gestellt bekommen und sich tatsächlich jeden Rotstift, den Laptop und viele Arbeitsmittel, viele Lernmaterialien selbst besorgen und finanzieren müssen. Das kommt dann auch immer wieder so als Aha-Erlebnis bei den neuen Lehrkräften durch.
Das heißt, wir müssen uns schon eines bewusst machen: In vielerlei Hinsicht geht es schlicht und einfach auch um eine gewisse Wertschätzung den Lehrkräften gegenüber.
Lehrerinnen und Lehrer üben aus meiner Sicht wahrscheinlich einen der bedeutsamsten und der nachhaltigsten Berufe überhaupt aus. In Wahrheit formen und gestalten sie in einem gewissen Sinne auch die Zukunft unseres Landes mit, wenn man so möchte, indem sie die Schülerinnen und Schüler über viele, viele Jahre hinweg in ihrer Bildung, in ihrer Ausbildung begleiten, ihnen Möglichkeiten aufzeigen, sie dabei unterstützen, ihre Interessen zu entdecken, ihre Talente zu entfalten. Das heißt, Lehrkräfte begleiten ihre Schülerinnen und Schüler auf dem Weg ins Berufs- und Erwachsenenleben, und das ist, glaube ich, eine immens bedeutsame und herausfordernde Aufgabe. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
Man darf auch eines nicht vergessen: Während der Schultage verbringen Lehrkräfte mitunter mehr Zeit mit den Kindern und Jugendlichen, als es ihre Eltern tun, natürlich besonders in ganztägigen Schulformen. Sie sind Ansprechpartner bei Weitem nicht nur in Bildungs- und Lernfragen, oftmals sind sie bis zu einem gewissen Grad Vertraute der Schüler:innen, und sie unterstützen sie, wenn sie Sorgen haben, in den vielfältigsten Situationen. Das heißt, wenn jemand glaubt, Lehrerinnen und Lehrer sind reine Wissensvermittler, dann ist das viel zu kurz gegriffen und diese Person irrt sich gewaltig. Dieser (in Richtung Bundesminister Polaschek) klasse Job ist viel, viel mehr, und das sage ich jetzt nach 22 Jahren im Beruf aus eigener Erfahrung.
Es wird also Zeit – dringendst Zeit –, diesem Beruf endlich wieder die wahre Wertschätzung entgegenzubringen, die er verdient und die es auch dringend braucht.
Wir brauchen eine wirklich praxisnahe Ausbildung, die auf den Alltag in der Klasse vorbereitet – diesbezüglich haben wir im Gesetzentwurf relativ wenig Konkretes und Handfestes gelesen.
Es braucht dringend multiprofessionelle Teams an den Schulen – Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und viele andere mehr –, damit einfach auch kritische Situationen schon rechtzeitig und im Vorfeld abgefangen werden können, bevor es zu weiteren, gröberen Problemen kommt.
Es braucht einfach viel, viel mehr zusätzliches Stützpersonal, besonders in der Schuleingangsphase, aber auch was die Inklusion und Integration betrifft. Da sind wir gerade im Pflichtschulbereich auch immer wieder auf unseren Schulerhalter – auf die Gemeinden – angewiesen, dass das passiert.
Wir brauchen darüber hinaus dringend eine Aufhebung der Ungleichheit zwischen Bundes- und Landeslehrkräften. Ich bringe jetzt einmal folgendes Beispiel: Die einen bekommen die Laptops aus der Digitalisierungsoffensive, die Pflichtschullehrer in den Ländern allerdings nicht.
Wir brauchen dringend eine wesentlich bessere und nachhaltigere Begleitung der Junglehrkräfte in der Induktionsphase – ich darf da also Mentor:innen ansprechen.
Wir brauchen auch Erleichterungen in der Fortbildung. Jeder Lehrer, jede Lehrerin, der oder die schon einmal versucht hat, nach einer Fortbildung eine Reiserechnung zu legen, der beziehungsweise die weiß, dass das alles andere als benutzerfreundlich ist, und viele, viele verzichten schlicht und einfach auf diese kleine Entlohnung für die Fortbildung und für die Reise, weil es einfach irrsinnig kompliziert ist.
Was viele auch nicht wissen: Es gibt beispielsweise kein Entgelt für schulbezogene Veranstaltungen, Zusatzangebote wie Theater der Jugend oder solche Dinge – das heißt also, Dinge, die den Kindern wirklich Spaß machen, die Freude machen, die sie motivieren, die ihren Horizont erweitern – machen Lehrkräfte umsonst im Sinne von gratis. Sie bekommen dafür keinen Cent bezahlt, und das, glaube ich, gehört auch dringend geändert.
Kritisch möchte ich auch noch die Fächerbündel anfügen. Ich bin mir nicht sicher: Heute gibt es das Lehramt extra und einzeln für Mathematik, für Physik, für Chemie und vieles andere – und das alles insgesamt in einem Fächerbündel, in einem Fächerkonglomerat? Da wage ich zu bezweifeln, dass das auch fachlich qualitativ hochwertig möglich ist.
Unterm Strich kann man also sagen: Es bleibt vieles offen, es bleibt vieles unbeantwortet. Viele Baustellen bleiben offen. Wir haben zum Beispiel auch die Diskussion gehabt, ob es dann wirklich für Quereinsteiger halbe Lehrverpflichtungen geben soll oder nicht, ob es einen verpflichtenden fachidenten Unterricht für Quereinsteiger – also quasi das Verbot von fachfremdem Unterricht für Quereinsteiger – geben soll. Das stelle ich mir in kleinen Schulen, und davon gibt es in Flächenbundesländern ja doch einige, schon sehr schwierig vor.
Das heißt, es braucht unterm Strich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen – und dafür ist es längst an der Zeit –, damit wir einfach die besten und die motiviertesten Lehrkräfte in unseren Schulen für die beste Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen in Österreich haben. Ich glaube, das sind wir uns auch als Gesellschaft schuldig und daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Es gibt, ja, zu viele Fragezeichen, daher gibt es von uns auch keine Zustimmung.
Ich darf Sie, Herr Minister, an dieser Stelle noch recht herzlich einladen – wie gesagt, ich bin ja selbst Schulleiterin an einer verschränkten Ganztagesschule –: Schauen Sie sich an, was alles möglich ist, wenn auch der Schulerhalter mitspielt, wenn die Gemeinde viel, viel an Ressourcen zur Verfügung stellt! Dann geht viel und dann ist viel möglich, aber das ist eine gemeinsame Anstrengung, die wir in unser aller Interesse über das gesamte Bundesgebiet und über alle neun Bundesländer machen müssen.
Daher noch einmal meine Einladung: Schauen Sie sich das an, Herr Minister! (Beifall bei der SPÖ.)
11.43
Vizepräsident Dominik Reisinger: Danke.
Als nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Bernadette Geieregger zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr dieses.