9.01

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein ehemaliger Wiener Bürgermeister hat einmal gemeint, dass Wahlkampfzeiten Zeiten fokussierter Unintelligenz wären. Wenn man manche Aussagen der FPÖ der letzten Tage mitverfolgt, könnte man meinen, er hätte hellseherische Kräfte besessen. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesrät:innen von SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Die FPÖ als Freundeskreis von Wladimir Putin hat es für würdig erachtet, die Europäische Union als Kriegstreiber zu bezeichnen – eine Aussage, die ihresgleichen sucht (Zwischenruf des Bundesrates Spanring), die verkennt, dass Millionen Familien, Millionen Menschen durch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine leidvolle Erfahrungen durchleben müssen, die verkennt, dass Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren haben, dass Milliarden an Infrastruktur zerstört worden sind und dass unser europäisches Wertegebäude in Gefahr ist.

Die FPÖ und ihre Repräsentanten würden es für notwendig erachtet, in der Millisekunde auf den roten Knopf zu drücken, wenn sie dazu imstande wären, um die Europäische Union zu verlassen und damit die Zukunftschancen junger Menschen zu gefährden, aber auch der exportorientierten Wirtschaft in unserem Land. Sie wissen, dass 6 von 10 Euro in Österreich aus dem Export stammen, 70 Prozent davon aus dem Export in den europäischen Binnenmarkt, und dass davon Hunderttausende Arbeitsplätze direkt und indirekt abhängig sind. Das möchte die SPÖ, ah, die FPÖ (Widerspruch bei der SPÖ) – Pardon! (Bundesrätin Grimling: Ja, ja, ja!) , das möchte die FPÖ, damit die Zukunftschancen junger Menschen gefährden, die wirtschaftlichen Exporte damit verunmöglichen, damit Wertschöpfung in Österreich minimieren und damit unseren Wohlstand minimieren. – Wir wollen das nicht! (Beifall bei ÖVP und Grünen, bei Bundes­rät:innen der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der FPÖ (Bundesrat Steiner: Da sitzen wir, schau!), ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der FPÖ, wer den Rechtsradikalen in Europa und im Besonderen in Deutschland die Mauer macht, stellt sich weit über das, was unser gemeinsames Wertegebäude bedeutet – und auch das wollen wir nicht. (Beifall bei ÖVP und Grünen, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Geschätzte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor ziemlich genau 30 Jahren, nämlich am 12. Juni 1994, hat die österreichische Bevölkerung mit großer, großer Mehrheit entschieden, dass Österreich Teil der Europäischen Union werden soll, und diese 30 Jahre waren 30 erfolgreiche Jahre für Österreich, weil damit Frieden in Freiheit stattfinden konnte, weil damit die Grundprinzipien und Mechanismen des europäischen Zusammenlebens, nämlich der freie Personenverkehr, der freie Warenverkehr, der freie Dienstleistungs­verkehr, der freie Kapitalverkehr, mit Leben erfüllt worden sind und viele, viele Menschen von diesen Freiheiten profitiert haben.

Denken Sie nur an die jungen Menschen, die durch die Erasmus-Programme ihre Lehre in Europa erleben durften, die in Europa studieren konnten, die sich in Europa in Schulprojekten austauschen konnten, damit auch neue Sprachen kennenlernen und neue Sprachen lernen konnten! All das ist in diesem gemein­samen Europa geschehen und hat uns nicht nur materiell, sondern auch immateriell reicher gemacht.

Der Wohlstand Europas hängt maßgeblich davon ab, dass wir den Binnenmarkt, also den gemeinsamen Wirtschaftsraum in Europa, stärken. Diesbezüglich ist einiges gelungen – ich habe es erwähnt, dass 6 von 10 Euro unserer Wirtschaft im Export erwirtschaftet werden, 70 Prozent davon in der Europäischen Union, und dass es daher notwendig ist, diesen europäischen Wirtschaftsraum entsprechend zu stärken.

Viele von Ihnen wissen, dass ich ein Steirer bin, und mein Heimatbundesland, die Steiermark, hat vom EU-Beitritt Österreichs auch enorm profitiert. Die Steiermark gehört zu den Innovationsregionen Europas. Mit einer Forschungs- und Entwicklungsquote von 5,14 Prozent sind wir europaauffällig geworden, und das hängt auch damit zusammen, dass wir an den Innovations- und Forschungsprogrammen Europas sehr stark teilnehmen, mit unseren Universi­täten, mit unseren außeruniversitären Forschungseinrichtungen, mit unseren Universities of Applied Sciences und den technologiegetriebenen Forschungs­abteilungen in unserer Industrie und in unserer Wirtschaft.

Die Europäische Union war in den vergangenen Jahrzehnten ein wertvoller Teil Europas – damit meine ich auch den Raum außerhalb der Europäischen Union –, aber insbesondere auch für Österreich eine Erfolgsgeschichte, und ich freue mich, dass viele diese Erfolgsgeschichte gemeinsam mitgegangen sind.

Wie in jedem Projekt gibt es auch Punkte, wo man entwickeln muss, wo man sich weiterentwickeln muss und möglicherweise eine neue strategische Agenda setzen muss. Ich und meine Gesinnungsgemeinschaft waren immer der Meinung, dass man Europa in den großen Fragen weiterentwickeln muss. Was meine ich damit? – Das sind natürlich die innere und die äußere Sicherheit, das ist die Frage der illegalen Migration, das ist die Frage des Green Deals und des grünen Wandels, den wir gemeinsam entwickeln müssen, allerdings immer auch mit einem Blick auf Technologieoffenheit.

Ich denke dabei insbesondere auch an die Weiterentwicklung unseres gemein­samen Wirtschaftsraumes, wenn es darum geht, dass wir in diesem Wirt­schaftsraum Innovationskraft leben müssen und dass wir in entscheidenden Wirtschaftssektoren – und das haben uns die letzten Jahre gezeigt – Nach­holbedarf haben, wo wir eine Reindustrialisierung in Europa brauchen, wo wir Rohstoffsicherheit herstellen müssen und wo wir auch im Bereich der Digitalisierung die Zukunftschancen nutzen müssen.

Everett Rogers, einer der Großen der amerikanischen Innovationsforschung, hat ja einmal gemeint, dass (englisch aussprechend:) innovation etwas zu tun hat mit (englisch aussprechend:) invention, also mit dem kreativen Akt, dem Erfindungs­geist, und der (englisch aussprechend:) implementation, nämlich der Umsetzung, und Europa hat bei dieser Umsetzung noch nicht alle Chancen gemeinsam genutzt, und das sollten wir in den nächsten Jahren auch ganz, ganz speziell tun.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht darum, in den großen Fragen enger zusammenzuarbeiten, und da meine ich auch die EU-Erweiterung: Wenn wir betreffend EU-Erweiterung nicht weiterkommen, wenn wir den Fokus am Westbalkan nicht richtig setzen und den Ländern des westlichen Balkans Chancen geben – Stefan Schennach und ich waren vor wenigen Wochen in Nordmazedonien bei einer Wahlbeobachtung –, dann wird man die dortige Gefühls- und Stimmungslage enttäuschen und möglicherweise die Länder des westlichen Balkans in andere Arme treiben. Daher ist es, glaube ich, wichtig, in verschiedenen Zwischenschritten den Ländern des westlichen Balkans und den Menschen am westlichen Balkan eine Perspektive zu geben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wenn wir unsere Werthaltungen in diesen Raum nicht entsprechend expor­tieren, also Stabilität exportieren, werden wir Instabilitäten ernten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit stärken und dürfen dabei nicht verkennen, dass Europa nicht nur der gesamt­europäische Komplex ist, nicht nur aus 27 Nationalstaaten besteht, sondern – hier in der Länderkammer erlaube ich mir, auch darauf hinzuweisen – dass wir Regionen in Europa haben; Europa soll sich in den großen Fragen vertiefen, aber in anderen Fragen den Regionen, den Ländern, den Gemeinden, den Städten auch ihre Entscheidungskraft geben.

Wir sind im EU-Ausschuss des Bundesrates immer der Meinung gewesen, dass delegierte Rechtsakte nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Diese Meinung teile ich. Da etwas mehr Subsidiarität zu leben, da die Proportionalität anzuwen­den ist richtig.

Ich komme zum Schluss und sage: Das, was Europa jetzt braucht, ist der Anspruch, auch Weltmeister der Talente zu sein und nicht Champions der Bürokratie. Wir müssen in verschiedensten Bereichen diese Bürokratie zurück­nehmen. Darunter leiden unsere Unternehmen, darunter leidet die Landwirtschaft. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Da muss Europa handeln und zukunftsfit sein. Das, was wir jetzt brauchen, sind die drei I: Ideen, Innovationen und Initiativen – und jedenfalls nicht (Zwischenruf des Bundesrates Steiner), Kollege Steiner, Zweifel, Zwänge und Zaudern.

In diesem Sinn: Europa ist ein Erfolgsprojekt! Europa wird seine Erfolgs­geschichte weiterschreiben, und das sehr intelligent! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.13

Präsidentin Margit Göll: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann. Ich erteile ihr das Wort.