9.49

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Hohes Haus! Das Thema der Aktuellen Stunde könnte nicht besser gewählt sein. Es ist offensichtlich so breit gewählt, dass auch Platz dafür ist, dass Herr Bundesrat Spanring, obwohl er beklagt, dass es ihm vorgegeben worden ist, Möglichkeiten hat, eine ehemalige Staatssekretärin und ihre Bekleidung zu kritisieren. Auch dafür ist Platz in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat, in dem Meinungsäußerungsfreiheit herrscht.

Ich darf Ihnen nur sagen: Seien Sie froh, dass Sie in Österreich leben, in Europa leben (Bundesrat Steiner: Na danke! Danke!), wo die Europäische Menschen­rechts­konvention gilt und das auch möglich ist! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

„Zukunft der EU – Chancen und Herausforderungen der kommenden Legis­laturperiode“: Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ein historisches Jahr. Es ist ein wichtiger Moment, in dem wir uns befinden, nur elf Tage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament und in einem Jahr, in dem wir auch schon einiges feiern durften, zum Beispiel jährte sich am 1. Mai zum 20. Mal die größte Erweiterung der Europäischen Union um zehn Mitgliedstaaten. Das war ein Projekt, das sehr mutig war und das sich ausgezahlt hat. Am 12. Juni wird sich zum 30. Mal die zweite Volksabstimmung hier in Österreich jähren, bei der die Österreicherinnen und Österreicher mit 66,6 Prozent Ja gesagt haben – Ja zu Europa, Ja zu einem Friedensprojekt, Ja zu einem gemeinsamen Vorgehen in herausfordernden Zeiten. Dazu können wir uns alle nur gratulieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Es ist aber auch ein Moment, es ist ein Jahr, in dem man Befund aufnehmen muss, benennen muss, wo wir stehen, und einen Ausblick für die Bevölkerung geben muss, wie es weitergeht. Denn ich verhehle nicht, dass wir vor großen Herausforderungen stehen: Wir haben Krieg auf dem europäischen Kontinent. Wir haben Krieg in der nächsten Umgebung Österreichs. Wir haben dadurch Herausforderungen zu meistern, von der Inflation über die Teuerung, die Energiesicherstellung und die Sicherheit an sich dieses europäischen Konti­nents – etwas, wo wir sagen müssen, im Moment ist das europäische Lebens­modell bedroht.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gehe so weit, dass ich sage, die FPÖ trägt dazu bei, dass unsere Institutionen, dieses Projekt Europa, der Frieden gefährdet sind; denn wenn ich mir manche Straßenumfragen oder auch Stimmungsbarometer anschaue, kann ich nur sagen: Wenn es das ist, was Sie erreichen wollen, Spaltung, Ausgrenzung, Abwertung und Schlechtreden (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel), dann kann ich Ihnen nur gratulieren: Bei vielen geht das offenbar hinein. Und das ist traurig, es ist vor allem aber gefährlich (Bundesrat Spanring: Wollen Sie sagen, dass die Österreicher dumm sind? Oder was ist das für eine Anspielung?), denn es gefährdet unser aller Leben. Es gefährdet unser Zusammenleben und unsere Werte in diesem Land und in Europa. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

Wenn ich mir - - (Bundesrat Steiner: Nur ... haben Sie!) – Sie bedienen ein Narrativ, das Putin nicht besser wählen hätte können, wenn man Europa zerstören will. (Bundesrat Steiner: Nur ... haben Sie, Frau Minister!) Weil Sie Ihren Spitzenkandi­daten Vilimsky schon genannt haben: Wenn ich mir seine Forderungen anschaue, kann ich nur sagen: Er will offensichtlich wieder ins Europäische Parlament mit einem Sinn: Europa zu zerstören. Das gilt es zu verhindern! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

Aber kommen wir zurück zum Thema und dazu, was die Österreicherinnen und Österreicher in diesen Tagen wirklich interessiert: Wie kann es weitergehen? In welche Richtung soll die Europäische Union gehen? – Ja, man muss ganz ehrlich sein: Manches Mal hat man das Gefühl, die Europäische Union hat mehr Krisen gesammelt als gelöst. Das liegt aber auch daran, dass die Herausforderungen entsprechend groß sind. Wir stehen im Moment da, wo man sagen muss: Die USA sind innovativ, China ist produktiv und Europa ist regulativ. Das müssen wir ändern. Es braucht ein starkes Europa der Regionen. Es braucht mehr Europa in Schlüsselbereichen und es braucht weniger EU in Bereichen, die auf lokaler, auf regionaler Ebene besser zu lösen sind. Dafür werden wir uns einsetzen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Spanring: Die Kopiermaschine läuft schon wieder!)

Im Wesentlichen geht es aus meiner Sicht um drei Dinge: Zum Ersten muss die Europäische Union ihre geopolitischen Interessen wieder in den Vordergrund stellen. Es geht darum, dass wir ein eigenständiger Akteur im globalen Gefüge sein wollen, dass wir in der großen Welt ernst genommen und wahrgenommen werden wollen, auch im Spannungsverhältnis zu Russland, dass wir jemand sind, der auch stark aufzeigen kann. Wir müssen gleichzeitig mit der Politik, mit der Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers Schluss machen. Wir brauchen Partner­schaften mit Ländern, die unsere Werte teilen. Nur so können wir unsere Macht ausstrahlen lassen, so wie es Bundesrat Buchmann auch schon angesprochen hat. Nur so können wir erfolgreich die Europäische Union zur Sicherheit und zum Wohle von uns selbst erweitern, um Stabilität zu exportieren und nicht Insta­bilität zu importieren. (Beifall bei der ÖVP.)

Der zweite Bereich ist, dass es einmal mehr – und viel mehr als früher – darum geht, Europa zu sichern, Europa auch nachhaltig im Inneren zu stärken. Das beginnt mit starken Institutionen. Da geht es um unsere Werte und Grund­prinzipien, die wir absichern: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. (Bundesrat Steiner: Corona! Das haben wir gesehen!) Das ist keine Selbstver­ständlichkeit. Das haben Generationen vor uns hart erarbeitet. Es geht darum, jeden Tag auf die Einhaltung der Demokratie, ja, auch auf das Miteinander im respektvollen Umgang zu schauen. (Bundesrat Steiner: Auf der Straße waren wir für die Demokratie!) Das ist Stärke im Inneren und das ist ein weiterer wesent­licher Punkt für die nächsten fünf Jahre. (Beifall bei der ÖVP.)

Eine Möglichkeit, wie man das Vertrauen in die Institutionen auch stärken kann, ist sicher eine Institution, die ich seit Beginn meiner Tätigkeit als Europaminis­terin wiederbelebt habe, und das sind die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte. Sie sollen die Brücke zwischen Brüssel und Straßburg, das oft so fern scheint, und Österreich und der Gemeinde bilden, wo die Menschen leben, wo die Menschen sich erwarten, dass wir Politikerinnen und Politiker auch tatsächlich Lösungen für diese großen Herausforderungen und Antworten auf die großen Fragen der Zukunft finden. Das ist es, liebe FPÖ, was die Menschen erwarten (Heiterkeit bei der FPÖ) und nicht ein Zerstören der Institutionen und Schlechtreden unserer demokratischen Einrichtungen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Steiner: Genau! Jawohl!)

Der dritte Punkt ist ein ganz wesentlicher: Wir müssen uns auf unsere wirtschaftliche Stärke rückbesinnen. Der Binnenmarkt ist das größte Asset, das wir haben. Wir haben in den letzten 30 Jahren als Mitglied der Europäischen Union stark davon profitiert, wir müssen diesen Binnenmarkt aber endlich vollenden. Wir müssen schauen, dass wir all die Hürden für die Unternehme­rinnen und Unternehmer abbauen, und dazu gehört auch, die europäische Kapitalmarktunion voranzutreiben und die Vorteile zu nützen, die die Europä­ische Union bringt.

Wir können in jedem Mitgliedstaat leben, arbeiten, studieren. Wir können Produkte aus allen Mitgliedstaaten auch tatsächlich erwerben. Und wir müssen jetzt verstehen, dass wir nicht in Konkurrenz zueinander stehen, dass nicht die ungarische Salami zur italienischen Salami in Konkurrenz steht oder der spanische Wein zum österreichischen Wein – es ist alles vorrätig und alles zu haben –, sondern wir stehen in Konkurrenz zu den USA und zu China. Deshalb muss dieser Binnenmarkt jetzt vollendet werden. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir wollen endlich Weltmeister der Innovation werden und nicht länger Weltmeister der Überregulierung bleiben. Das ist aus meiner Sicht die größte Aufgabe in den nächsten fünf Jahren für die Europäische Kommission, um die Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich abzusichern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Union hat nicht umsonst im Jahr 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Ich wage aber zu behaupten, dass wir damals die ganze Dimension, die das Nobelpreiskomitee schon erkannt hatte, gar nicht wahrgenommen haben, denn wir haben Frieden, Freiheit, wir haben Sicherheit und Wohlstand als völlig selbstverständlich hingenommen. Auch diejenigen, die jetzt sagen, alles ist schlecht, genießen die Freiheiten der Europäischen Union: keine Roaminggebühren, keine Grenz­kontrollen, in fast allen Mitgliedstaaten eine einheitliche starke Währung, die sich auf dem Weltmarkt bewährt hat.

Aber seit mehr als zwei Jahren schaut es anders aus – und diesen Frieden gilt es abzusichern. Das geht aber nur gemeinsam. Das geht nur mit einem starken Europa. Das geht nur, wenn wir auch die großen Herausforderungen wie den Kampf gegen den Klimawandel mit Vernunft, Hausverstand und Innovation stemmen (Bundesrat Spanring: Ihr seid nicht für Frieden!) und wenn wir den Euro­pean Way of Life bewahren. Das, was für uns selbstverständlich ist, ist in manchen Ländern, gar nicht fern von uns, alles andere als selbstverständlich.

Ich möchte mit einem Zitat von Jean Monnet schließen. Jean Monnet hat gesagt: Europa wird in Krisen geschmiedet und wird die Summe der Lösungen sein, die in diesen Krisen gefunden wird.

In diesem Sinne: Nutzen wir diese herausfordernde Zeit! Ziehen wir an einem Strang! Arbeiten wir an einem starken Europa! Österreich ist ein verlässlicher Partner in diesem Europa und wird es auch weiterhin bleiben. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesrät:innen der Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.59

Präsidentin Margit Göll: Vielen Dank, Frau Bundesministerin.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer:innen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs. Ich erteile es ihr.