16.27
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Generalsekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause vor dem Bildschirm! (Rufe: Ich gratuliere zum Karrieresprung! – Na, kann noch werden, nicht?) Habe ich etwas Falsches gesagt? (Bundesrat Schreuder: Staatssekretärin!) – Entschuldigung: Frau Staatssekretärin! – Entschuldigung, jetzt habe ich es. Vielleicht zu meiner Verteidigung: Eine Stunde Darbietung von Kollegen Steiner (Heiterkeit bei Bundesrät:innen von Grünen und ÖVP) ist nur schwer auszuhalten. Das hält man wirklich im Kopf nicht gut aus. (Bundesrätin Schumann: Eine Generalsekretärin! Das auch noch!)
Wo fange ich an? Während die FPÖ sich offensichtlich meistens denkt: Wo beginnen, um möglichst alle Fakten zu beseitigen?, denke ich mir und habe ich mir gedacht: Wo beginnen, um so viel faktenwidrigem, populistischem Unsinn zu begegnen? (Bundesrat Spanring: Bei den Grünen!) – Ja, genau.
Ich fange einmal vorne an – auch wenn meine Vorredner:innen schon auf vieles oder auf einiges eingegangen sind –: Ihr sprecht von der Festung Europa, wobei ihr ja eigentlich eher die Festung Österreich meint. Wie auch immer, ihr seid gegen Migration. Dann schlage ich vor, dass ihr eure Haltung zum Klimaschutz vielleicht einmal dringend überdenkt, denn: Wenn in nicht allzu ferner Zukunft riesige Gebiete auf der Erde aufgrund der Klimaerhitzung unbewohnbar sein werden (Bundesrat Spanring: Wo? Am Südpol, oder?), was werden dann die Menschen, die dort leben, machen? Ratet einmal: Was werden die machen? – Es ist gar nicht so schwer, sich das vorzustellen. (Bundesrat Spanring: Meinst du, in Südamerika ... die Lithiumfelder, wo sie kein Wasser haben? – Bundesrat Leinfellner: Und das alles nur, weil sie keine Zertifikate kaufen!) – Nein, globaler Süden; das betrifft uns. Ihr habt ja heute selbst auch von Migration aus Afrika gesprochen. Also was machen diese Menschen dann? – Die werden sich auf den Weg in noch einigermaßen bewohnbare Gebiete machen, und – Achtung, Spoileralarm! – dazu wird auch Europa gehören (Bundesrat Leinfellner: Da müsst ihr CO2-Zertifikate kaufen, weil dann wird es kühler!), das noch einigermaßen lebenswert sein wird.
Unser Ansatz, der Ansatz von uns Grünen – und unsere Motivation für Klimaschutz – ist ja prinzipiell der, dass es allen Menschen gut gehen soll, diese in einer guten, intakten Umwelt leben sollen, dass alle uns nachfolgenden Generationen einfach eine lebenswerte Umwelt haben (Bundesrat Spanring: Das ist Umweltschutz und nicht Klimaschutz!) und sich die Menschen im globalen Süden erst gar nicht auf den Weg machen müssen, nicht vertrieben werden, ihre Heimat nicht aufgeben müssen. (Bundesrat Leinfellner: Aber wenn sie jetzt schon kommen?)
Aber auch dann, wenn man es so sieht wie ihr, müsste man doch eigentlich wirklich der größte Klimaschützer überhaupt sein, denn das wird es sein. (Bundesrat Leinfellner: Aber wir sind auch die Einzigen, wenn ich mir den Schwachsinn bei euch anschaue!) – Ja, genau. Stattdessen negiert ihr einfach wirklich jegliche Fakten, die seit 40 Jahren auf dem Tisch liegen. (Bundesrat Leinfellner: Die ... zum Beispiel, die Fakten?) Stattdessen bedient ihr diese Erzählung von den bösen, riesigen Flüchtlingswellen. – Ja, da werden wir uns noch anschauen, wenn wir nichts gegen die Klimaerwärmung machen. (Bundesrat Leinfellner: Aber die kommen nicht wegen dem Klima!)
Entweder seid ihr also kollektive Opfer von jahrzehntelangen milliardenschweren Kampagnen der Ölindustrie oder es ist wieder einmal euer Opportunismus, und das wirklich nicht im positiven Sinne dieses Begriffs. (Bundesrat Spanring: Geh, wer hat denn die Grünen ..., war das die OMV? – Bundesrat Leinfellner: ... beim Sozialsystem ..., das könnte man glauben!) Wie ich es in der letzten Sitzung schon angesprochen habe: Es ist euer Opportunismus, der quasi eure Handlungen, eure Haltung antreibt. (Vizepräsident Ebner übernimmt den Vorsitz.)
Dann haben wir den nächsten Punkt: „Frieden schaffen und Neutralität schützen!“ Ihr fordert eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik. Jetzt frage ich mich: Was tut Österreich sonst? (Ruf bei der FPÖ: Waffen liefern!) – Nein. Ihr wollt gar keine Friedenspolitik. Ihr seid Handlanger Putins. (Bundesrat Spanring: Geh bitte!) Da könnt ihr noch so viele Taferln mit Bildern von früher von Politikern mit Putin hochhalten: Der Unterschied ist, dass diese Verbindungen klarerweise unterbrochen wurden (Bundesrat Spanring: Ja, bei uns auch!), während ihr immer noch Putin die Mauer macht und ihn unterstützt, wo es nur geht, und für ihn sprecht. (Bundesrat Spanring: Echt? Ich hab’ den Putin nicht getroffen!) Ihr seid keine Sekunde daran interessiert, dass die Ukraine sich zu Recht und auch erfolgreich wehrt und verteidigt. Das muss einmal so deutlich gesagt werden: Ihr seid überhaupt nicht interessiert daran. (Beifall bei den Grünen. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)
Nächster Punkt: Green Deal. (Ruf bei der FPÖ: Green Disaster!) Dazu ist jetzt von Kollegen Schennach und anderen Vorredner:innen schon viel gesagt worden. – Ja mei, das ist euer Lieblingsthema, hat man eh gehört. Das war, weiß ich nicht, gefühlt eine halbe Stunde dieser Dauerrede.
Ich wiederhole meine Aufforderung von vorhin, dass ihr euch vielleicht einmal mit den Fakten auseinandersetzt. Lest einmal ein paar von den IPCC-Reporten, wo genau drinnen steht, in welche Richtung es geht, wenn wir nichts tun! (Bundesrat Spanring: Warum war es die letzten ... Jahre so heiß? Erklären Sie mir das!) Ihr schreibt und sagt: „Der Green Deal ist eine Bedrohung für Europa“, dass er zu teuer ist. – Ich kann nur noch einmal wiederholen: Teurer als Klima- und Umweltschutz ist nur kein Klimaschutz. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Spanring: So ein Blödsinn!) – Nein! Es ist nicht so, wie es Kollege Steiner gesagt hat. Nicht der Green Deal zerstört Europa, sondern das Nichthandeln im Klimaschutz, das zerstört Europa – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Spanring: Drum lachen die Chinesen alle!) – Ja, genau.
Aktuelle Zahlen vom Wifo zeigen zum Beispiel – wir haben heute eh schon ein paar Zahlen dazu gehört –: Österreich kosten die Auswirkungen des Nichthandelns im Klimaschutz bereits jetzt 5,4 bis 7 Milliarden Euro im Jahr. Das sind die Fakten vom Wirtschaftsforschungsinstitut. (Bundesrat Spanring: CO2-Zertifikate, oder was?)
Um Kollege Spanrings kleines Wortspiel von heute Früh aufzugreifen – da ging es um die ÖVP –: Ich sage, das F in FPÖ steht nicht für freiheitlich, sondern für fossil. Anders kann man es nicht sagen. (Beifall bei den Grünen sowie der Bundesrätin Doppler. – Heiterkeit und Oh-Rufe bei der FPÖ. – Bundesrat Spanring: Der war gut!) – Das Wortspiel habe ich mir bei euch abgeschaut.
In einem anderen Punkt eurer Anfrage schreibt ihr vom „EU-Coronaregime“: Immer, wenn man glaubt, dass es in einer Tagesordnung keinen Punkt gibt, wo ihr euer Lieblingsthema, euer zweites Lieblingsthema Corona irgendwie unterbringt, wird man eines Besseren belehrt. Ihr schreibt „skandalöse Handhabung der Corona-Krise“, so nennt ihr das. – Ja, wirklich skandalös, dass durch die Maßnahmen Zustände und horrende Todeszahlen wie beispielsweise in Italien in diesem Ausmaß verhindert werden konnten! Waren alle Maßnahmen immer richtig? – Nein. Aber haben wir vorher gewusst, wie es sein wird? (Bundesrat Spanring: Ja!) – Nein, aber sie haben zumindest das Allerschlimmste verhindert. (Bundesrat Spanring: Geh bitte! Träumer!) Sie haben zumindest das Allerschlimmste verhindert, aber da habt ihr wieder eure alternativen Fakten. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Spanring: Am Stand der Wissenschaft von vor zwei Jahren sind Sie! Zwei Jahre zu spät!)
Jetzt möchte ich noch allgemein auf euren Wahlkampfslogan zu sprechen kommen, der ja auch Titel eurer Anfrage ist – „EU-Wahnsinn stoppen“ – und der auch seit Wochen auf euren Plakaten prangt – Plakate übrigens, die an Geschmacklosigkeit wirklich kaum zu überbieten sind, die in vielen von uns wahrscheinlich eher Brechreiz auslösen, wenn wir ihnen ausgesetzt sind, so geschmacklos sind diese Plakate. (Bundesrat Spanring – mit beiden Händen ein Herz andeutend –: Es hat nicht jeder so ein Herz wie die Lena! Ich kann das gar nicht, mir geht’s wie dem Kogler! – Heiterkeit und weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Ihr meint also: „EU-Wahnsinn stoppen“. Jetzt stellen sich tatsächlich viele Menschen die Frage: Was ist denn dieser Wahnsinn, den ihr stoppen wollt? Das Kleingedruckte auf euren Plakaten nimmt man neben all der Geschmacklosigkeit nämlich schwer wahr. (Bundesrat Spanring: Da muss man nachdenken, gell?)
Euer Spitzenkandidat und ihr selber gebt aber eh bei jeder Gelegenheit gut Auskunft darüber, was damit gemeint ist. (Bundesrat Spanring: Genau!) Der möchte nämlich den roten Knopf drücken, und was damit gemeint ist, ist doch recht klar, auch wenn er sich sehr bemüht, das Gesagte zu relativieren und wieder zurückzurudern. Ein Beispiel: Er sieht Großbritannien als Vorbild – das finde ich ja überhaupt besonders makaber. Es ist ein sehr gutes Vorbild, kann ich nur sagen: ein Land, das seine gesamte Volkswirtschaft aufgrund des Brexits an die Wand fährt. Gleichzeitig ruft ihr auf die Frage von Kollegin Kaltenegger, ob ihr glaubt, dass die Jobs in Österreich ohne EU sicherer wären, ganz enthusiastisch Ja. Wie realitätsfern kann man sein? (Bundesrat Spanring: Sicher wären sie ohne die Grünen!)
Ihr steht für eine Halbierung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission. Das klingt vielleicht für viele Menschen da draußen gut: Bürokratieabbau. Das ist wirklich sehr wohlklingend. Kollege Schennach hat heute angemerkt, dass er nicht gehört hätte, dass die FPÖ auch auf den österreichischen Kommissar verzichten würde. Da kann ich berichtigen, der Spitzenkandidat der FPÖ hat genau das gemeint: Natürlich, selbstverständlich hält er sogar auch den österreichischen Kommissar für verzichtbar. (Bundesrat Spanring: Ja eh, ist ja auch so!) – Genau, ja. (Bundesrat Spanring: Wer kennt ihn denn? Wahrscheinlich wissen Sie nicht einmal seinen Namen!) – Ja, ja, genau. (Bundesrat Spanring: Ja sagen Sie ihn einmal! Wie heißt er denn? Der Fischler ist es nicht!)
Dennoch: Ihr blendet eure potenziellen Wählerinnen und Wähler mit dem Bürokratieabbau und so weiter, obwohl ihr genau wisst, was das bedeuten würde, nämlich zuerst eine massive Schwächung von kleinen Staaten innerhalb der EU und im Endeffekt eine Aushöhlung und ein Rückbau der EU. Kollege Steiner hat es ja auch deutlich gesagt: Wer für Europa ist, ist gegen die EU! – Ihr glaubt tatsächlich, was ihr sagt, was ihr so von euch gebt. Das ist ja überhaupt das Erschreckende, dass ihr da selber dran glaubt.
Diese Fantasien vom Rückbau der EU in einer geopolitisch explosiven Situation, wie wir sie seit Langem nicht mehr hatten: Ihr glaubt ernsthaft, Österreich könnte in dieser Lage irgendwie bestehen, alleine, außerhalb der EU? (Bundesrätin Doppler: Ja! Wie die Schweiz!) – Ja, genau. Ganz genau. (Bundesrat Kofler: Der Schweiz geht’s auch gut!) – Genau, die Schweiz.
Ihr sprecht immer darüber, dass ihr ja gar nicht aus der EU austreten wollt, aber ihr argumentiert genau in die Richtung – also was jetzt? Ihr seid die Antieuropapartei, so einfach ist das, Punkt.
Ich möchte auch noch einen Schritt weiter gehen und aufbauend auf das Gesagte, auf das, was ich vorhin gesagt habe, für Wählerinnen und Wähler übersetzen, was ihr mit diesem EU-Wahnsinn, den ihr da plakatiert und propagiert, mit dem Wahnsinn, den ihr stoppen wollt, genau meint.
Das sind einerseits zum Beispiel die offenen Grenzen, der freie Warenverkehr. –Ist es das, was ihr stoppen wollt? – Keine Ahnung.
Das ist die Freiheit junger Menschen, dass sie in ganz Europa ohne Probleme studieren können. – Diese Freiheit wollt ihr stoppen.
Das ist der freie Arbeitsmarkt, dass alle Europäerinnen und Europäer überall in der EU arbeiten können. – Das wollt ihr stoppen.
Das ist der Schutz unserer Daten im Internet und in den sozialen Medien gegenüber internationalen Konzernen. – Das wollt ihr stoppen.
Dass wir keine horrenden Handygebühren zahlen, wenn wir im europäischen Ausland sind: Das ist der Wahnsinn, den ihr stoppen wollt.
Das europäische Recht auf Reparatur von Geräten wie Staubsaugern, Fernsehern, Handys und die Tatsache, dass damit Elektroschrott vermieden wird und die Geldbörsen aller Bewohnerinnen und Bewohner geschont werden: Das ist der Wahnsinn, den ihr stoppen wollt.
Ich kann nur hoffen, dass genügend Menschen sehen, was ihr wirklich seid, nämlich die Antieuropapartei, und dass sie eines nicht wählen: euren Wahnsinn. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
16.39
Vizepräsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky. Ich erteile ihm das Wort.