9.46
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Danke für die Möglichkeit, hier zu einem solch wichtigen Thema reden zu dürfen. Es ist kein Geheimnis: Es sind herausfordernde Zeiten – wir haben es ja heute schon von mehreren Rednerinnen und Rednern gehört.
In den letzten fünf Jahren waren wir einer Reihe von unerwarteten Stresstests ausgesetzt. Krieg ist wieder auf diesen Kontinent zurückgekehrt. Wir haben eine Hangabrutschung in der Sahelzone gesehen. Es gibt eine extrem gefährliche Situation im Nahen Osten, die einen Flächenbrand auslösen könnte. Denken wir nur an den Raketenangriff des Iran auf Israel vor wenigen Wochen – etwas, das wir seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Schließlich haben wir im letzten Herbst auch eine humanitäre Krise sondergleichen im Südkaukasus erlebt.
Ich sage aber ganz klar zu den Vorrednern und zu den Parteien hier: Die österreichische Bundesregierung ist in jedem einzelnen dieser Fälle eine ganz klare außenpolitische Linie gefahren und wird das auch weiterhin tun (Beifall bei ÖVP und Grünen), im Unterschied zu manchen Parteien, die nicht wissen: Bin ich im Raum, bin ich nicht im Raum, wenn der ukrainische Präsident Selenskyj im Nationalrat spricht?, oder die nicht wissen: Bin ich neutral in einem Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und einem demokratischen Staat wie Israel?, oder die überhaupt glauben, mit einem Knicks vor Russland Frieden und Neutralität wahren zu können – das ist für mich das falsche Verständnis von Außenpolitik und Neutralitätspolitik. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
Ja, wir sind von einem Feuerring umgeben. Ich habe einige dieser Krisenherde aufgezählt. Was vielleicht noch herausfordernder ist als diese einzelnen Krisenherde, ist, dass wir merken, unser Lebensmodell ist unter Druck gekommen. Unser Lebensmodell, das auf Grund- und Freiheitsrechten, auf Demokratie, auf Gewaltenteilung, auf Rechtsstaatlichkeit beruht, ist nicht mehr der Exportschlager, wie wir es vor zehn, 15 Jahren noch gedacht haben, sondern steht unter Druck. (Bundesrat Steiner: Ja, wenn die Impfpflicht dazukommt! Die Grund- und Freiheitsrechte ...!) Nur noch 20 Prozent der Staaten weltweit haben ein Lebensmodell, wie wir es haben. Und ob wir wollen oder nicht, wir sind in einem systemischen Wettstreit, bei dem Staaten wie Russland und China unser Lebensmodell offen herausfordern. Ich sage hier ganz klar: Das ist für ein Land wie Österreich brandgefährlich.
Wir sind ein mittelgroßer Staat, der vom Export abhängig ist und der im Zentrum des europäischen Kontinentes liegt. Wir brauchen internationales Recht, wir brauchen internationale Verträge. Das ist unsere Sicherheit. Wir brauchen Systeme, bei denen nicht ein Staat, nur, weil er größer ist und über Atomwaffen verfügt, glaubt, er kann sich jetzt beim Nachbarn holen, was er will. Bleiben Sie, liebe FPÖ, auch dann neutral, wen wir angegriffen werden? Sagen Sie dann: Ah, jetzt müssen wir neutral bleiben?! – Das hielte ich für die schlechtere Regel. Wir müssen jetzt vorbauen, wir müssen jetzt eine klare Linie haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen. – Bundesrat Schreuder: Richtig!)
Ja, es ist nicht immer angenehm. Ich hätte es mir auch anders vorgestellt, als ich vor fünf Jahren dieses Amt angetreten habe. (Bundesrat Steiner: Ja, wir auch!) Ja, wir haben herausfordernde Zeiten, aber ganz offen – und ich habe es hier oft wiederholt –: Wir Österreicher haben immer den richtigen Zugang zur Neutralitätspolitik gehabt, zu einer aktiven Neutralitätspolitik.
Als 1956 sowjetische Panzer durch Budapest gerollt sind, um einen ungarischen Volksaufstand niederzuschlagen: Was hat das gerade ein Jahr lang souveräne Österreich gemacht, das erst kurz davor der UNO beigetreten war? – Wir haben jede Resolution der UNO gegen die Sowjetunion unterstützt und sogar eine eigene eingebracht. Das nenne ich aktive Wertepolitik und Neutralitätspolitik, so verstehe ich das. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
Nur, um das noch einmal klarzumachen: Wenn jemand in der Ukraine nicht zwischen Opfer und Täter unterscheiden kann, sozusagen eine Umkehr betreibt und die Ukraine selbst als Kriegspartei bezeichnet, finde ich das ziemlich abenteuerlich. (Bundesrat Spanring: ... Kriegspartei ...!) Denn worum geht es uns? – Gar nicht so sehr um die Ukraine, sondern um den Umstand: Ein Planet, auf dem jemand einfach sagt: Ich will jetzt den Nachbarn überfallen, weil ich dessen Existenzrecht negiere, und hole mir einfach ein Stückerl von dem, weil es mir gerade passt!, ist ein Planet, der für uns sehr gefährlich ist. (Bundesrat Steiner: Was ist im Nahostkonflikt? Da ist es wurscht, oder was?) Das ist eine brandgefährliche Situation, weil wir keine Atomwaffen haben und auch in Zukunft keine haben werden. Wir sind darauf angewiesen, dass sich andere Partner – auch wenn sie im Sicherheitsrat sitzen, auch wenn sie viel mächtiger sind – an die Regeln halten. (Bundesrat Spanring: ... Amerika ...! – Bundesrat Steiner: Bei den USA war’s wurscht, im Nahostkonflikt war’s wurscht, China war wurscht, Thailand war wurscht, alles egal!)
Genauso ist es bei Israel: Bei Israel geht es ja nicht nur darum, dass wir eine historische Verantwortung haben, sondern es ist die einzige pluralistische, rechtsstaatliche Demokratie im Nahen Osten. Auch das ist eine Basis für unsere starke, strategische Partnerschaft mit diesem Staat. Diese Solidarität ist also auch im Hier und Jetzt verankert.
Noch ganz zum Schluss: Einige haben hier den Westbalkan erwähnt – dafür bin ich sehr dankbar. Ich glaube weiterhin, dass wir wirklich einen parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage haben. Wir sind von diesem Feuerring umgeben, wir müssen diesem Feuerring einen Ring der Stabilität gegenüberstellen. Das wird nur funktionieren, wenn wir diese Staaten an die Europäische Union, an unsere europäische Wertefamilie heranführen.
Es gibt in der Politik kein Vakuum: Entweder es wird unser Lebensmodell sein, das sich dort durchsetzt, oder wir werden irgendwann mit Alternativen konfrontiert sein. Entweder wir schaffen es, Stabilität und Sicherheit zu exportieren, oder wir laufen Gefahr, irgendwann Instabilität und Unsicherheit zu importieren. Es gibt keinen dritten Weg, und ich bin daher sehr dankbar, weil ich das Gefühl habe, diese Politik wird im Haus auch weiterhin klar unterstützt.
Vielleicht noch als letzten Satz: Jedes Mal, wenn in den letzten Jahren eine Krise aufgetreten ist, haben die Untergangspropheten wieder einmal Urständ gefeiert. Ich habe das Gefühl, Europa ist manchmal der Kontinent der Schwarzmaler. Was immer geschieht, die erste Reaktion ist: Das schaffen wir nicht, dann sind wir hin! (Bundesrat Spanring: „Wir schaffen das!“ hat auch nichts gebracht! – Bundesrat Steiner: „Wir schaffen das!“) – Österreich will in dieser Domäne immer eine Medaille haben, wir wollen beim Schwarzmalen immer einen Stockerlplatz haben.
Was ist die Wahrheit? – Wir sind besser als Autokratien durch diese ungeahnten Krisen gegangen. Wir haben es geschafft. Warum? – Weil Demokratien anpassungsfähig sind, lernfähig sind. Haben wir Fehler gemacht? – Ja, tausendprozentig, aber wir können sie korrigieren, wir haben diese Checks and Balances in unserem System. Das haben Autokratien nicht. (Bundesrat Spanring: 29. September! – Bundesrat Steiner: Da kannst dich aber entschuldigen! Für die Impfpflicht kannst dich entschuldigen!)
Ich glaube nur, wir sollten daraus Kraft schöpfen und sagen: Wir sind stärker, besser, resilienter, als wir es uns selber einreden. Es tut mir manchmal leid, wenn ich das Gefühl habe, ich höre das höhnische Gelächter aus Moskau und Peking, weil gewisse Leute auf diesem Kontinent mit dem Selbstabbau und der intellektuellen Selbstaufgabe schon die Hälfte ihrer Arbeit übernehmen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)
9.52
Präsidentin Margit Göll: Vielen Dank, Herr Bundesminister.
Wir gehen weiter in der Redner:innenliste, und ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer:innen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Christian Buchmann. – Bitte.