10.42
Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Opferfürsorgegesetz: Die Geschichte des Opferfürsorgegesetzes ist natürlich nicht nur ein Zeichen dafür, wie wir historisch mit unserer schweren Vergangenheit vor allem in Zeiten des Nationalsozialismus und des NS-Terrors umgehen, sondern dieses Gesetz spiegelt eigentlich auch ganz gut unseren Umgang nach dem Krieg damit wider. Wann wir welche Opfergruppen hineingenommen haben, wann wir es überhaupt benannt haben, ist eigentlich eine ganz interessante Geschichte.
Am Anfang: 1945 wurde das Opferfürsorgegesetz eingeführt, und damals galt das vor allem für die – ja auch wirklich sehr zu respektierenden – Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen. Das war auch gut so, aber das waren natürlich auch deswegen die ersten genannten Opfer, weil es damals auch darum ging, dem Bild der Moskauer Deklaration sozusagen zu entsprechen, dass man ein Land gewesen wäre, das Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hätte.
Erst 1947, also zwei Jahre später, wurde dann die größte Opfergruppe überhaupt ins Opferfürsorgegesetz aufgenommen – also da gab es das schon zwei Jahre –, das waren die Jüdinnen und die Juden.
Erst später kamen sukzessive auch die anderen Opfergruppen dazu, zum Beispiel die Sintize und die Romnia, Zeuginnen und Zeugen Jehovas, Menschen mit Behinderungen, und beispielsweise die homosexuellen Opfer des NS-Terrors wurden überhaupt erst 2005 aufgenommen. Das halte ich schon für wichtig, zu sagen, weil 2005 eigentlich fast keiner derjenigen, die diesem Terror und diesem Horror ausgesetzt waren, mehr lebte.
Ich möchte einfach einmal ein Buch empfehlen – das passiert nicht oft hier im Bundesrat, aber heute möchte ich das machen –, nämlich „Die Männer mit dem Rosa Winkel“ von Heinz Heger. Er ist Wiener, aus dem 9. Bezirk, und er ist eigentlich der Einzige, der von seinen Erfahrungen in den Konzentrationslagern erzählt. Er ist auch der Einzige, von dem noch ein Rosa Winkel – das war dieses Symbol, das man in den Konzentrationslagern als homosexuelles Opfer bekommen hat – erhalten geblieben ist; die meisten haben ihn logischerweise weggeworfen, seiner ist erhalten geblieben. Er hat ihn dann österreichischen Museen angeboten, und – auch das eine interessante Geschichte, wie wir nach dem Krieg damit umgegangen sind – kein einziges Museum hatte Interesse daran. Deswegen liegt dieser Rosa Winkel, dieser Wiener Rosa Winkel, jetzt im Holocaust Memorial Museum in Washington, weil die die Einzigen waren, die daran Interesse hatten.
Es war Justizministerin Zadić, die sich auch für das Unrecht entschuldigt hat, das den homosexuellen Opfern nicht nur während des NS-Terrors, sondern auch danach angetan worden ist. Das ist im Opferfürsorgegesetz auch wichtig: den Umgang zu begreifen, wie wir damit umgehen. Es wurden Urteile, die in der Zeit des NS-Terrors gefällt wurden, später in der Zweiten Republik nachträglich bestätigt. Natürlich gab es damals zum Glück nur noch menschenrechtskonforme Justizanstalten und keine Konzentrationslager mehr, aber dass die Menschen aufgrund von NS-Urteilen trotzdem wieder ins Gefängnis mussten, das passierte auch in der Zweiten Republik.
Heute und hier machen wir wieder eine Adaptierung. Wir müssen natürlich befürchten, dass es sich auch in diesem Fall um einen symbolischen Akt handelt, weil wahrscheinlich - - Sagen wir es einmal so: Ich würde mich freuen, wenn noch jemand davon lebt und als Opfer anerkannt wird.
Es geht um diejenigen, die als angebliche – und jetzt muss man das unter Anführungszeichen setzen – „Berufsverbrecher“ verurteilt worden sind. Unter dieser Bezeichnung wurden in der NS-Zeit Menschen einfach willkürlich verurteilt und in Konzentrationslager gesteckt. Das war eine Bezeichnung, die einfach vollkommen willkürlich verwendet wurde, weil man zum Beispiel Widerstand gegen einen Nationalsozialisten geleistet hat, weil man einfach nur zu Hause in seiner Gemeinde aktiv Widerstand geleistet hat, weil man vielleicht auch in einen Raufhandel mit einem SS-Angehörigen verwickelt war. Solche Sachen wurden dann unter diesem Begriff „Berufsverbrecher“ subsumiert.
Heute werden diese Menschen, die in die Konzentrationslager gesteckt wurden, im Opferfürsorgegesetz auch als Opfer anerkannt. Es ist viel zu spät, aber besser man tut es, als man tut es nicht. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
10.47
Vizepräsident Dominik Reisinger: Danke.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Philipp Kohl. Ich erteile ihm dieses.