10.50

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge­ehrte Zuseherinnen und Zuseher! Meine beiden Vorredner haben jetzt schon einiges zum Opferfürsorgegesetz geschildert, und ich muss nicht alles wiederholen, aber ich möchte schon betonen, dass durch diese Initiative, die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ausgegangen ist, dann von den Grünen und der ÖVP und der SPÖ im Nationalrat aufge­griffen wurde, eine wirklich große Ungerechtigkeit – dass eben nicht alle Opfergruppen nach dem Ende des Naziterrors gleichermaßen bewertet und auch behandelt wurden – nun endlich richtiggestellt wird. Das sind wir diesen Opfern schuldig – und ich muss sagen: Endlich gelingt es uns heute, die­ses Unrecht zu beseitigen.

Wir sprechen im Übrigen von unfassbaren 60 000 bis 80 000 Menschen, die von dieser Kategorisierung betroffen waren, die sozusagen als Berufsver­brecher oder Asoziale von den Rassenideologen der Nazis bezeichnet wurden, die damit Menschen wirklich gnadenlos stigmatisiert, bewertet, diskri­miniert, verfolgt und schlussendlich aussortiert haben – und am Ende mit einem furchtbaren Plan, der Vernichtung durch Arbeit genannt wurde, viele tat­sächlich auch ermordet haben.

Allein im KZ Mauthausen waren 4 234 dieser sogenannten Berufsverbrecher inhaftiert und 11 098 Sicherungsverwahrte – also diese Dimensionen müssen uns einfach bewusst sein.

Diese sogenannten Berufsverbrecher – Kollege Schreuder hat es schon ausgeführt – waren eben keineswegs, wie der Begriff vermuten lassen würde, Schwerverbrecher oder Mörder, sondern es ging oft um Bettler, um Alko­holiker, Obdachlose, Kleinkriminelle, die vielleicht Eigentumsdelikte begangen haben. Es waren auch gar nicht so wenige Frauen darunter. Zum Beispiel war es zu dieser Zeit ein Vergehen, wenn man abgetrieben hat oder der Prosti­tution beschuldigt wurde: Auch das hat gereicht, um dort inhaftiert zu werden.

Asozial war man, wenn man in diesem System in irgendeiner Form auffällig war – und in diesem System wurde man sehr schnell auffällig, wenn man in irgend­einer Form nicht angepasst war.

Die Nazis haben ab 1933 wirklich permanent neue Gesetze erfunden, um diese Menschen systematisch aus dem Verkehr zu ziehen. Da gab es sogenann­te Sicherungsverwahrungen für diese Menschen, und Menschen wurden mit Vorbeugehaft auch sozusagen vorsorglich inhaftiert. Viele dieser betrof­fenen Gruppe waren auch die Ersten, die in die Konzentrationslager gebracht und dort sozusagen verwahrt wurden.

Das, was dann in den KZs passiert ist, war, dass sie dort wiederum mar­kiert und wiederum stigmatisiert wurden: einerseits mit diesem Grünen Winkel auf der linken Brust (die Rednerin weist mit der rechten Hand auf die entspre­chende Stelle) für die sogenannten Berufsverbrecher und mit dem Schwarzen Winkel für die sogenannten Asozialen. Also auch dort wollte man noch einmal deponieren, dass das eine besonders verabscheuungs­würdige Bevölkerungsgruppe sei.

Diese Stigmatisierung ging auch nach 1945 weiter, und ich denke, das ist die besondere Demütigung, die dieser Gruppe widerfahren ist: dass man sie auch nach 1945 weiter stigmatisierte und sich auch andere Opferverbände von dieser Gruppe von Opfern distanziert haben, und leider, muss man sagen, war auch diese Opfergruppe nicht selbstbewusst genug, um sich lautstark genug für ihre Rechte oder für ihre Anerkennung einzusetzen. Bis heute wurde ihnen der Opferausweis sozusagen verwehrt, und diese Demütigung und Ernied­rigung wird erst heute mit unserem Beschluss beendet. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesrät:innen von ÖVP und Grünen.)

Ich möchte jetzt noch ganz kurz darüber nachdenken, was das eigentlich auch für heute, für die Gegenwart bedeutet, denn wahrscheinlich begegnet auch Ihnen allen dieser Begriff asozial nach wie vor sehr oft – dass Menschen als asozial eingestuft werden. Heute werden immer noch Menschen stigmati­siert aufgrund eines Verhaltens, aufgrund einer Eigenschaft, die sie mitbringen – das passiert leider nach wie vor. Wir haben auch nach wie vor Politiker – auch hier im Parlament –, die keinen Genierer haben, Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, sozusagen an einem Ort konzentriert sehen zu wollen. Also auch dieses Gedankengut ist nach wie vor präsent. – Sie alle erinnern sich an diese Aussage von Herbert Kickl; das ist noch nicht so lange her.

Ich finde aber, wir haben als Politiker:innen, wir haben als Bürger:innen eine Ver­antwortung, mit solchen Klassifizierungen, mit solchen Zuweisungen extrem vorsichtig zu sein – da gebe ich meinem Vorredner Kohl vollinhaltlich recht. Wir haben eine Verpflichtung diesen Opfern gegenüber, bei sol­chen Entgleisungen, bei solchen Überschreitungen einfach tatsächlich hoch­sensibel zu sein und zu bleiben – dies alles im Gedenken an diese Tausenden Opfer, denen wir heute ein Stück Gerechtigkeit zukommen lassen können und damit auch unserer Gesellschaft und unserem Zusammen­leben etwas Gutes tun. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Bundesrät:in­nen von ÖVP und Grünen.)

10.56

Vizepräsident Dominik Reisinger: Danke.

Ich darf einen weiteren Gast bei uns begrüßen. Bei uns im Bundesrat ist heute die Verfahrensrichterin der letzten beiden Untersuchungsausschüsse, Frau Dr. Edwards. – Frau Doktor, herzlich willkommen im Bundesrat. (Allgemei­ner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Günter Pröller. Ich erteile ihm dieses.