Antrittsansprache des Präsidenten
Präsident Mag. Franz Ebner: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten. – Dieser Satz, ursprünglich von August Bebel, einem der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, den auch Helmut Kohl zitiert hat, trifft aus meiner Sicht einen wichtigen Kern des politischen Handelns, denn die wesentliche Aufgabe der Politik ist es, Zukunft zu gestalten.
Der österreichische Bundesrat ist einerseits als Länderkammer bekannt, also als Vertreter der Länderinteressen in der Bundesgesetzgebung, und andererseits als Europakammer, also als Vertreter der österreichischen Interessen in Europa, vor allem aber auch als Zukunftskammer.
Daher möchte ich mich in meiner Präsidentschaft im Bundesrat intensiv mit der Zukunft, insbesondere mit der Zukunft der Demokratie, beschäftigen. Das erachte ich in Zeiten des Umbruchs und des Wandels als besonders wichtig. Das Motto meiner Präsidentschaft lautet demgemäß: Demokratie braucht Zukunft. Zukunft braucht Herkunft.
Für mich persönlich ist es eine große Ehre, vor allem aber auch eine große Verantwortung, in diesem halben Jahr als Präsident des Bundesrates wirken zu dürfen.
Ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich bei meiner Vorgängerin Margit Göll für ihre Präsidentschaft im letzten halben Jahr. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Margit Göll war eine äußerst aktive Präsidentin und somit eine höchst erfolgreiche Botschafterin unseres Bundesrates – gemäß ihrem Motto – über Grenzen hinweg. Gerade in internationalen Angelegenheiten hat sie das Ansehen des Bundesrates als Zukunfts- und Europakammer gestärkt und gefestigt, insbesondere in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Tschechien.
Liebe Margit, ich gratuliere dir sehr herzlich zu deiner hervorragenden Arbeit und sage dir ein großes Danke für deinen Einsatz für den Bundesrat. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Danken möchte ich auch meinem Landeshauptmann Thomas Stelzer und dem gesamten Oberösterreichischen Landtag, dass ich die Präsidentschaft im Bundesrat das kommende halbe Jahr ausüben darf. Das ist wie gesagt eine große Verantwortung. Gerade in Zeiten des Wandels und des Umbruchs braucht es Verantwortung, und Verantwortung in der Politik bedeutet vor allem eines: den Menschen auf die Fragen, die sie bewegen, Antworten zu geben.
Unsere Zeit ist geprägt von ständigen, teilweise sehr schnellen Veränderungen einerseits durch technologische Innovationen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz, andererseits durch Krisensituationen wie Pandemie, Krieg, Klimaveränderung oder Migration.
Dadurch ist auch die Stabilität in der Gesellschaft gefährdet, es entstehen Unsicherheiten und Verlustängste. Das Vertrauen in politische Institutionen, aber auch in die Medien und in die Wissenschaft sinkt. Es gibt Spaltungstendenzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und zwischen Generationen. Gerade Krisensituationen sind aber ein Elchtest für unsere politischen und gesellschaftlichen Systeme.
Besonders in Zeiten des Wandels und der Veränderung braucht es stabilisierende Faktoren – stabilisierende Faktoren wie unsere Demokratie – und vor allem auch Verlässlichkeit in der Politik. Gerade in Zeiten der Veränderung brauchen die Menschen Ankerpunkte, an denen sie sich festhalten können, auf die sie sich verlassen können.
Aber auch die demokratischen Systeme sind im Dauerstress: Die hohe Geschwindigkeit, die hohe Komplexität unserer Zeit und die neuen Medien fordern unsere Demokratie in ganz besonderem Maße. Daher werde ich eine parlamentarische Enquete zum Thema Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken initiieren. Ebenso plane ich ein Expertenforum zu den Auswirkungen der demografischen Veränderungen auf unsere Gesellschaft. Auch plane ich, den internationalen Austausch zum Thema Demokratie zu forcieren.
Wesentliche Instrumente einer Demokratie sind das Gespräch, der Austausch und der Diskurs. Ich werde daher auch das Gespräch mit den Parlamentsparteien, mit den Nationalratspräsidenten, mit den Mitgliedern der Bundesregierung und den Landtagspräsidenten suchen, um meine Anliegen zu transportieren.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unsere Demokratie permanent hüten, ja auch weiterentwickeln müssen, denn sie ist wie ein zartes Pflänzchen: Wenn wir es vernachlässigen, wird es schnell welk.
Dass unsere Demokratie lebt, das erlebe ich jeden Tag im Parlament, aber nicht nur im Plenarsaal. Unzählige Besuchergruppen besuchen unser Parlament, seit der Wiedereröffnung vor eineinhalb Jahren waren schon über 800 000 Besucherinnen und Besucher hier im Haus zu Gast. Das zeigt für mich ganz klar: Die Österreicherinnen und Österreicher interessieren sich für die Demokratie. Wenn ich hier im Parlament durch die Säulenhalle gehe, ist dieser Raum für mich ein Sinnbild für Demokratie: 24 Marmorsäulen stehen in der Säulenhalle, sie sind wie tragende Pfeiler unserer Demokratie.
Die Demokratie müssen wir schützen, weil sie auch heute ständig Gefahren ausgesetzt ist: sei es durch Kriegslust von Autokraten und Terrororganisationen, sei es durch Desinformation und Fakenews, vor allem in den neuen Medien, sei es durch einen Trend zu Radikalismen oder zum Wachstum der radikalen Ränder in ganz Europa und darüber hinaus.
Auch da lehrt uns ein Blick in die Geschichte: Radikale haben immer mehr Probleme gemacht als gelöst. Genau deshalb müssen wir uns weiterhin für eine wehrhafte Demokratie einsetzen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Ich unterstütze daher auch die Forderung nach einer Klarnamenpflicht im digitalen Raum, denn auch dort muss gelten: Jede und jeder hat eine Verantwortung dafür, was gesagt oder geschrieben wird. Anonyme Beschimpfungen, Hass, Hetze und Falschinformationen dürfen wir keinesfalls akzeptieren.
Unsere Demokratie braucht vor allem eines: aktive und engagierte Demokraten. Der amerikanische Philosoph John Dewey hat es sehr treffend gesagt: „Demokratie muss in jeder Generation neu geboren werden und Bildung ist ihre Hebamme.“
Die Demokratiebildung im österreichischen Parlament macht bei der Demokratievermittlung großartige Arbeit. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Danke an die Demokratiebildnerinnen und Demokratiebildner richten, die den Besucherinnen und Besuchern des Parlaments das Wesen der Demokratie bestens vermitteln – ein herzliches Danke. (Allgemeiner Beifall.)
Es muss unser gemeinsames Ziel sein, die Demokratiebildung auszudehnen und noch mehr in die Breite zu bringen. Unlängst war ich in der Demokratiewerkstatt zu Gast. Die Schülerinnen und Schüler haben dort die Möglichkeit, in der Rolle von Journalistinnen und Journalisten Fragen an die anwesenden Politikerinnen und Politiker zu richten. Eine Schülerin fragte mich: Was überzeugt Sie eigentlich an der Idee der Demokratie? – Nach einer kurzen Nachdenkpause antwortete ich: An der Idee der Demokratie überzeugt mich, dass wir miteinander streiten und nicht gegeneinander streiten, denn das ist ein wesentlicher Unterschied: Miteinander zu streiten führt zu Lösungen, gegeneinander zu streiten zu Verwerfungen. Das Miteinander muss daher in der Politik, aber auch in den Medien wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Schumann.)
Miteinander, Zusammenhalt, Zuversicht und Verlässlichkeit: Das sind vor allem in Oberösterreich gelebte Werte in der Politik und auch in der Gesellschaft. Landeshauptmann Thomas Stelzer hat daher auch ein treffendes Motto für seinen Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz festgelegt: Verlässlich fürs Land. Nah bei den Menschen.
Oberösterreich ist als modernes Industrieland einerseits der Wirtschaftsmotor Österreichs, es ist aber auch ein großartiges Kulturland, ganz besonders im heurigen Jahr mit der Europäischen Kulturhauptstadtregion Bad Ischl und dem 200-Jahr-Jubiläum des Geburtstags des großen Anton Bruckner.
Frisch außa, wia’s drin is, net kriacha am Bauch, ins Gsicht schaun und d’Händ gebn is Oberösterreicher Brauch. – So heißt die erste Textzeile im Oberösterreicher Marsch, die uns Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher gut beschreibt. Das ist ganz sicher auch eine Voraussetzung für das Miteinander und für den Zusammenhalt. Es bedeutet nichts anderes, als dass wir einander auf Augenhöhe begegnen, Respekt und Wertschätzung für einander aufbringen, auch wenn wir einmal unterschiedlicher Meinung sind.
Respekt und Wertschätzung sind für mich eine Lebenseinstellung und sie sind auch das Fundament für eine funktionierende Demokratie und für eine funktionierende Gesellschaft. Das wird in Oberösterreich besonders gelebt.
Oberösterreich ist auch ein Land der Freiwilligen, ein Land der Vereine. Jeder und jede Zweite ist ehrenamtlich tätig, ob bei Rettungsorganisationen, bei der Feuerwehr, bei der Musik, bei Sport- oder Kulturvereinen, in Senioren- oder Jugendorganisationen, in kirchlichen Einrichtungen und vielen anderen mehr. Genau dort wird unser oberösterreichisches Miteinander gelernt und gelebt.
Landeshauptmann Thomas Stelzer arbeitet auch gerade an einer Ehrenamtsstrategie, um Freiwillige zukünftig noch besser unterstützen zu können. Auch da werde ich gerne meine Erfahrungen einbringen. Unsere Vereine sind der Kitt unserer Gesellschaft. – Ein großes Danke an alle Ehrenamtlichen, denn sie tun mehr, als sie müssten, zum Wohle unserer Gemeinschaft und unserer Gesellschaft, zum Wohle der Menschen in Oberösterreich und Österreich; ein herzliches Danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Das Miteinander, der Zusammenhalt, die Zuversicht und der Fleiß der Menschen haben unser Land über Jahrzehnte hinweg zu dem gemacht, was es heute ist: das schönste Land der Welt. Wir sollten aber auch weiter auf den Erfahrungen unserer Vorgängergenerationen aufbauen. Der Philosoph Odo Marquard geht davon aus, dass Neues nicht ohne das Alte entstehen kann, und beschreibt diese These mit dem Satz: „Zukunft braucht Herkunft“.
Wir müssen uns bewusst sein: Jede aktive Generation steht auf den Schultern ihrer Vorgänger. – Daher ist mir auch das Miteinander der Generationen in der Gesellschaft ein besonderes Anliegen. Gerade im politischen und öffentlichen Diskurs wird die ältere Generation von heute oft als Kostenfaktor geradezu stigmatisiert – zu Unrecht, wie ich meine, denn Seniorinnen und Senioren sind auch während der Zeit ihrer Pension nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern sie sind auch ein Gesellschaftsfaktor und daher ein besonderer Schatz für unsere Gesellschaft. (Beifall bei ÖVP, FPÖ und Grünen, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.) In den Freiwilligenorganisationen, in den Vereinen, bei der Unterstützung und bei der Kinderbetreuung in den Familien, vor allem auch bei der Angehörigenpflege, und insbesondere für die Weitergabe des demokratischen Gedankens sind sie unentbehrlich.
Der jetzige Wohlstand wurde über Generationen aufgebaut. Für die entwickelte Demokratie haben viele Menschen ihr Leben gelassen, ebenso wie für erkämpfte Rechte. Ich bin der festen Überzeugung: Nichts im Leben ist selbstverständlich, auch nicht die Demokratie und auch nicht die Tatsache, in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben zu dürfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratie braucht Vertrauen; Vertrauen ist die harte Währung in der Politik. Gute Kommunikation und Überzeugungskraft sind der Schlüssel zum Vertrauen, nicht aber Manipulation.
Viele Menschen, mit denen ich spreche, sehen auch die Debattenkultur hier im Parlament kritisch. Natürlich ist Streiten in der Demokratie erlaubt, ja sogar notwendig. Es kommt auf die Art und Weise an. Kern der Demokratie ist, mit unterschiedlichen Meinungen um mehrheitsfähige Lösungen zu ringen. Das Gewicht des Arguments sollte mehr zählen als die Lautstärke am Rednerpult. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Daher appelliere ich, dass wir den Parlamentarismus hier im Bundesrat sachlich, kritisch, inhaltlich fundiert und lebendig leben, mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt für die Meinung der und des anderen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Brücken zu bauen, statt Gräben zu vertiefen, und Vertrauen aufzubauen, wo es erschüttert wurde! – Vielen herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)