10.53

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Standortpolitik ist eine ganz wichtige Heraus­forderung. Wir sind hier im österreichischen Parlament und wir haben natürlich immer die Neigung, die Themen durch die eigene Brille und aus der eigenen Sichtweise heraus zu sehen. Tatsache ist, wir Österreicher sind natürlich sehr wichtig. Wir repräsentieren in Zahlen ungefähr 2 Prozent der europäischen Bevölkerung. Wir repräsentieren ungefähr 3 Prozent der Wirtschaftsleistung, und wenn man den Blick noch globaler richtet, dann sieht man, dass Europa ungefähr 9 Prozent der Weltbevölkerung, Asien an die 60 Prozent und Afrika circa 18 Prozent hat.

Wenn man einen Blick in die Zukunft wirft – wie die Entwicklungen weiter prognostiziert werden –, dann sieht man, dass Europa noch im Jahr 2000 etwa 33 Prozent, also ein Drittel, der Wirtschaftsleistung erbracht hat, nun etwas über 20 Prozent liegt und für 2050 etwa 15 Prozent prognostiziert sind. Ab diesem Zeitpunkt würde die Europäische Union oder Europa in der Wirtschaftsleistung auch hinter Indien zurückfallen, obwohl Indien zurzeit eigentlich nur einen Bruchteil der Wirtschaftsleistung der Europäischen Union erbringt.

Was haben diese Zahlen mit Standortpolitik zu tun und welche Überlegungen sind für uns daraus abzuleiten? – Ich kann es vielleicht an einem Beispiel sagen: In der Branche, in der ich selbst die meiste Zeit in meinem Berufsleben verbracht habe, in der Telekombranche, habe ich diese Verschiebungen selber miterlebt. Die Neunzigerjahre und die Nullerjahre waren ganz großartige Jahre. Das sind jene Jahre gewesen, in denen der Telekommarkt liberalisiert wurde und in denen zu den Incumbents überall zusätzliche Wettbewerber entstanden sind – die natürlich alle eine eigene Infrastruktur gebaut haben. Das waren für die europäische Telekomindustrie ganz hervorragende Jahre; das ging so in den Neunzigerjahren.

In den späteren Nullerjahren war es dann auf einmal so: Zum ersten Mal sind die eigentlich in Ungarn eingefallen, auf dem ungarischen Markt. Um es zu beschreiben, vom Wettbewerb her: Das waren alles europäische Telekom­unternehmen; und dann ist es so, natürlich gewinnt man einmal eine Ausschreibung, ein anderes Mal verliert man sie, aber die Preisunterschiede liegen üblicherweise bei 10 Prozent, 15 Prozent – wenn es einmal ganz aggressiv hergeht, dann über 15 Prozent. Dann sind auf einmal – so im Jahr 2007, 2008 muss das gewesen sein – in Ungarn die Chinesen gekommen und haben einfach um ein Drittel des Preises angeboten, mit dem europäische Telekom­unternehmen angeboten haben.

Es ist natürlich so, dass man bei einem kleineren Projekt noch reagieren und einen Verlust in Kauf nehmen kann. Wenn das jedoch in eine Skalierung hineingeht – wenn zum Beispiel ein Netzausbau im Mobilbereich bei Basis­stationen circa 300 Millionen Euro ausmacht und jemand anderer um 100 Millionen Euro anbietet, dann ist es nicht so, dass man irgendeinen Kunden findet, der dann sagt: Nein, dann zahle ich halt die 300 Millionen Euro, weil du ein Europäer bist!

Was war die Folge? – Die Folge war natürlich – über die Jahre, ich mache das sozusagen im Zeitraffer –, dass es am europäischen Markt zu Restrukturierungen gekommen ist. Es sind mehrere Telekomunternehmen in Europa zusammen­gegangen. Die Unternehmen mussten natürlich auch die Produktion verlagern – es haben auch die europäischen Unternehmen angefangen, in Asien zu produzieren, um die Stückkosten zu senken, die Logistik ist verändert worden et cetera. Natürlich sind die Chinesen ab dem Zeitpunkt, als sie Marktanteile dazubekommen haben, auch ein bisschen mit den Preisen hinaufgegangen.

Übrigens ist zum damaligen Zeitpunkt – als das Ganze so dahergekommen  ist – der FPÖ-Verkehrsminister in China eingeladen gewesen und ganz begeistert zurückgekommen. Er hat gesagt, dass er sichergestellt hat, dass die Chinesen nun auch nach Österreich kommen und hier Arbeitsplätze schaffen werden. Ich habe ihm damals gesagt, dass das einige Arbeitsplätze bei der europäischen Industrie vernichten wird und dass er sich da nicht zu sehr freuen sollte. Ich möchte aber keine Geschichtsfälschung machen und dem freiheitlichen Verkehrsminister eine Schuld in die Schuhe schieben, denn selbstverständlich wären die Chinesen auch ohne den freiheitlichen Verkehrsminister gekommen.

Selbstverständlich gibt es in diesem Wettbewerb auch die positiven Aspekte: dass Infrastruktur günstiger geworden ist, dass Endgeräte günstiger geworden sind, dass Sprach- und Datendienste günstiger geworden sind und dass die Telekombranche insgesamt über viele Jahre ein ganz wesentlicher Inflations­dämpfer war und damit wesentlich zu einem starken Standort beigetragen hat. Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, zu sagen: Na, dann müssten wir halt einfach – weiß ich nicht – Zölle einführen oder sonst irgendetwas machen, um den weltweiten Wettbewerb abzuwürgen oder unter sich zu bleiben und einfach nur im regionalen Bereich glücklich zu bleiben! Das geht sich in einer verwo­be­nen Weltwirtschaft einfach nicht mehr aus.

Es sind keine einzelnen Beispiele angeführt worden, es ist aber Tatsache, dass gerade auch die oberösterreichische Industrie heute stark exportorientiert und extrem erfolgreich ist. Und auch die gesamte österreichische Wirtschaft und Industrie sind ganz maßgeblich vom Export abhängig. Daher kann man vonseiten eines Standorts nicht ganz einfach sagen: Wir lassen die anderen draußen und bleiben mit uns allein glücklich. Das ist nicht möglich, weil wir nämlich auch umgekehrt sehr stark vom Export profitieren.

Wenn man wiederum die Dinge global im großen Wettbewerb rund um den Globus betrachtet, dann ergibt sich in der Zwischenzeit dieses – wie ich sagen möchte – fast schon traditionelle Bild: Amerika macht die Innovationen, China kopiert und Europa reguliert. – Dafür möchte ich jetzt zwei, drei Beispiele nennen.

Es ist super, dass wir in Österreich und in Deutschland das Glasfasernetz ausbauen. Das ist richtig und wichtig. Zum selben Zeitpunkt schießt aber Space X die Starlink-Satelliten in den Orbit und revolutioniert den gesamten Internetzugang rund um den Erdball.

Es ist richtig und wichtig, wenn zum Beispiel die Ladekabel standardisiert werden. Es ist super, dass man dann das gleiche Kabel hat. Zum selben Zeitpunkt entwickelt jedoch Apple eigene Mikrochips.

Oder sehen wir uns den Digital Services Act an: Es ist richtig und wichtig, dass wir die Nutzer schützen und dass wir dafür sorgen, dass die Nutzerrechte sichergestellt sind im Internet. Zum selben Zeitpunkt revolutionieren aber Open-AI und andere Techunternehmen in Amerika den gesamten KI-Markt weltweit.

Im Hinblick darauf muss man sich in Europa natürlich überlegen: Wie können auch wir unsere Innovation stärken? Wie können auch wir unseren Standort nach vorne bringen? Wie können auch wir den Topunternehmen die Möglichkeit geben, wirklich zu wachsen? – Das geschieht natürlich nicht deshalb, damit einzelne Unternehmer glücklich sind und reich werden, sondern weil das für den Standort wichtig ist, was bedeutet, dass die Arbeitsplätze hier in Europa bleiben, und diese Arbeitsplätze brauchen wir, um unseren Wohlstand zu sichern.

Das ist eben im Gesamtkonnex zu sehen, und daher ist es völlig richtig, dass der Herr Bundeskanzler den Wirtschaftsminister beauftragt hat, Überlegungen für den österreichischen Standort anzustellen und diese auch in die europäische Politik einzubringen. Es geht darum, sich im Sinne von strategischen Erörterun­gen mit Experten und Wissenschaftlern zusammenzusetzen, um eine zukunfts­gerichtete, innovative Standortpolitik zu machen. Dabei hilft uns kein Kom­munismus, kein Sozialismus und kein Nationalismus, sondern nur eine innovative, intelligente Standortpolitik, und diese werden wir vorantreiben. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

11.03

Vizepräsident Dominik Reisinger: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Korinna Schumann. Ich erteile ihr dieses.