11.03

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Es ist mir ein großes Bedürfnis, bevor ich inhaltlich mit meiner Rede beginne, erstens Margit Göll für ihre Präsidentschaft seitens Niederösterreichs zu danken. Zweitens wünsche ich dem neuen Bundesratspräsidenten, der heute seine Antrittsrede gehalten hat, alles Gute für seine Präsidentschaft. Es ist wirklich bemerkenswert und sehr positiv, dass er gesagt hat, er möchte Brücken bauen, denn das brauchen wir jetzt wirklich. – Vielen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

Jetzt zur Aktuellen Stunde: Das Spannende hier im Parlament ist ja, die Reden und das zu hören, was gesagt worden ist, mindestens ebenso spannend ist es aber, festzustellen, was nicht gesagt wird, etwa weil man darüber einfach nicht reden will, weil es nicht angenehm ist. Und ein bisschen hat man beim Thema der Aktuellen Stunde – verzeihen Sie mir, Herr Bundesminister! – tatsächlich das Gefühl, dass man hinsichtlich der Entscheidung über das Thema sozusagen ausgewichen ist.

Natürlich ist das europäische Thema gerade für den Bundesrat wesentlich. Natürlich ist es wichtig, hier Handlungsschritte zu setzen, um den Wirtschafts­standort Europa zu festigen und zu sichern, keine Frage. Gleichzeitig haben wir aber in unserem eigenen Land Probleme über Probleme, die angegangen werden müssen. Ich darf daran erinnern, dass wir steigende Arbeitslosenzahlen haben, dass wir in der Wirtschaft mit Standortherausforderungen konfrontiert sind und dass derzeit eine Tendenz besteht, gerade aus der Wirtschaft heraus den Wirtschaftsstandort Österreich in einem Übermaß schlechtzureden. – Es ist wichtig und richtig, zu sagen, dass wir Herausforderungen haben, ein derartiges Schlechtreden tut der Wirtschaft in Österreich aber wirklich nichts Gutes! (Zwischenruf des Bundesrates Ruprecht.) – Nein! Und diese Bundesregierung lässt ein Budget zurück, mit dem der nächsten Regierung ein Sparrucksack in unglaublichem Ausmaß umgehängt wird. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Gut. Darüber darf jetzt nicht geredet werden. Ich werde aber darauf zurück­kommen, weil es darum geht, wie es den Menschen in Zukunft in diesem Land gehen wird und in welche Richtung sich dieses Land entwickeln wird.

Zuerst zur EU-Frage: Wir von der Sozialdemokratie sagen, dass es uns wichtig ist, Lösungen anzubieten. Es ist uns wichtig, dass wir die Menschen mitnehmen. In diesen großen Transformationsprozessen, in denen wir jetzt stehen, die gewaltig sind, was die Menschen klarerweise überall spüren, sagen wir ihnen: Wir lassen euch nicht allein! Und darum fordern wir einen Transformationsfonds, denn es ist ganz wichtig, wie sich die Industriepolitik in Europa zukünftig aufstellen wird, nämlich nachhaltig und zukunftssicher. Das ist ganz, ganz wichtig.

Es ist völlig klar, dass es im Kampf gegen die Klimakrise in Richtung Dekarboni­sierung gehen muss, es darf aber nicht in Richtung Deindustrialisierung gehen, denn das wäre für Europa ganz fatal! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundes­rates Himmer.)

Darum fordern wir einen Transformationsfonds. (Bundesrätin Huber: Den gibt es schon!) – Nein! In dieser Form für die Transformation auf europäischer Ebene gibt es ihn nicht! Es gibt den Resilienzfonds, es braucht aber einen ausgeweiteten Transformationsfonds, der die Transformation begleitet beziehungsweise in Zukunft begleiten wird. Auch in Österreich werden wir diese Einrichtung brauchen, denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen auf dem großen Weg der Transformationen mitgenommen werden, und auch die Industrie muss in diesem Sinn unterstützt werden.

Wenn man aber diese Unterstützungsleistungen erbringt, dann können sie nicht blank erbracht werden, sondern dann müssen sie an ökologische und soziale Konditionen gebunden werden. Man kann nicht einfach sagen: Wir fördern frei heraus, es ist ganz egal: Macht mit dem Geld, was ihr wollt! – Das hat diese Regierung gemacht. Man muss jedoch das Geld an eine Arbeitsplatzgarantie und daran binden, dass die Sozialpartnerschaft eingebunden wird. Es muss wirklich darauf geachtet werden, dass das Geld bei den Menschen ankommt und diese das Gefühl haben, dass sie einen neuen Weg gehen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen einen Vorrang für die Vergabe an europäische Unternehmen und an Unternehmen im öffentlichen Eigentum. Das ist strategisch für den Standort extrem wichtig. Außerdem müssen wir endlich die Bekämpfung der Steuerflucht und des Steuerbetrugs angehen. Dieses riesige Thema darf nicht halbherzig, sondern muss mit voller Wucht angegangen werden.

In den Wandlungsprozessen muss es für die Menschen die Sicherheit geben, dass sie eine Jobgarantie haben. Es bestehen die größten Ängste, dass einzelne Gruppen Verlierer sein werden. Wir erleben große Technologieentwicklungen, ich erwähne jetzt etwa die großen Entwicklungen der künstlichen Intelligenz. Wir wissen, dass gewisse Berufsgruppen davon stark betroffen sein werden. Im Hinblick darauf können wir nicht sagen: Das ist leider Tatsache, das ist uns aber egal, es werden sich ja neue Arbeitsplätze entwickeln, ihr findet schon irgendwie einen Arbeitsplatz! – So geht das nicht. Vielmehr ist es gerade in diesem Zusammenhang wichtig, dass man in Weiterbildung, in Qualifizierung und in Ausbildung investiert. (Beifall bei der SPÖ.)

Umso mehr – und ich darf jetzt auf Österreich zurückkommen – ist es tragisch, dass gerade jetzt die AMS-Mittel gekürzt werden. Das ist der falsche Schritt in die falsche Richtung! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Ruprecht: Stimmt ja nicht!) – Es gibt in allen Bundesländern Kürzungen, das ist so.

Nicht umsonst ist man seitens der Erwachsenenbildungseinrichtungen und der Frauenorganisationen aus Oberösterreich auf die Straße gegangen. Sie sagen: Wir können nicht mehr unterstützen. Wir mussten schon Leute in den Einrich­tungen kündigen. Wir können Frauen bei der Qualifizierung nicht mehr weiterhelfen, dass sie eventuell auch nach einem Wiedereinstieg, nachdem sie ein Baby bekommen haben, wieder gut in den Beruf zurückkommen.

Die Kürzung des Budgets und natürlich die extreme Teuerung treffen diese Vereine extrem. Sie haben ganz einfach höhere Kosten, und bei einem gleichbleibenden Budget und zugleich höheren Kosten müssen sie einsparen, und damit gibt es eine Schlechterstellung bei der Beratung und Qualifi­zie­rung, Und das können wir uns nicht leisten.

Jetzt ist es besonders interessant, sich zu überlegen, worüber nicht geredet wird. Wir haben schon einen Sitzungstag hinter uns, und gestern wurde kein Wort über die Probleme gesagt, die jetzt anstehen, über die Forderungen der Industriel­lenvereinigung, über die Forderungen der Wirtschaftskammer, die auf dem Tisch liegen – und das sind keine erfundenen Dinge von der Sozialdemokratie oder von der Gewerkschaftsbewegung, nein, das liegt seit der „Pressestunde“ auf dem Tisch und wird von der IV groß, ganzseitig, in den Zeitungen annonciert.

Auf dem Tisch liegt die Forderung nach der 41-Stunden-Woche, auf dem Tisch liegt die Forderung nach einer Nichtbezahlung des ersten Krankenstandstages, auf dem Tisch liegt die Bestrafung der Teilzeitkräfte, wenn sie ihre Teilzeit­leistung nicht aufstocken, und das wurde nicht nur einmal gesagt, sondern auch von Ihnen, Herr Bundesminister, mehrmals in den Raum gestellt, dass man das machen möchte! (Bundesminister Kocher schüttelt den Kopf.) Auf dem Tisch liegt die Kürzung der Lohnnebenleistungen, der Lohnnebenkosten.

Das kann man schon machen, aber wenn man keine Gegenfinanzierung hat, heißt das in einem zukünftigen Sparprogramm, auf das wir zugehen: Wir müssen Sozialleistungen streichen, da gehen wir hin! (Ruf bei der SPÖ: Skandal!) Das liegt auf dem Tisch, und das sind die Probleme! (Bundesrätin Hahn – in Richtung ÖVP –: So ruhig da drüben! – Zwischenrufe der Bundesrät:innen Schennach und Grimling.) Auf dem Tisch liegt außerdem eine Anhebung des Pensions­antritts­alters als Vorschlag, das liegt auf dem Tisch; es ist so, das wurde immer wieder ausgesprochen, und an diesem Sonntag wurde von der Indus­triellenvereinigung auch noch die Abschaffung der Korridorpension ausgesprochen.

Ich darf daran erinnern: Diese Regierung hat die Hacklerregelung abgeschafft; diese Regierung hat die geblockte Altersteilzeit abgeschafft. (Bundesrätin Hahn: Schämt euch!) Ganz ehrlich: Da hat man ja schon an vielen Schrauben gedreht. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schmid: Skandal! Für die Hackler nichts übrig!)

Jetzt wird die Frage sein: Wie gehen die Parteien mit diesen Forderungen um, die auf dem Tisch liegen? Das sind lauter Forderungen, die für eine Schlechter­stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen, ganz eindeutig! Ganz ehrlich: Den ersten Krankenstandstag nicht zu zahlen, heißt, die Leute schleppen sich krank in die Arbeit; ganz ehrlich: länger arbeiten, Anhebung des Pensions­antrittsalters ist eine Drohung für die Beschäftigten in der Pflege und in der Betreuung; und ganz ehrlich: das Abschaffen der Korridorpension – ja glauben Sie wirklich, dass jemand freiwillig solche Abschläge in Kauf nimmt, wenn die Person nicht sagt: Ich kann einfach nicht mehr länger arbeiten, sondern ich muss einfach aufgeben, weil es mir zu viel ist?! – Das ist es, was das bedeutet. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Lohnnebenleistungen, das ist eben das Kapital der Menschen, die nicht so viel im Geldbörsl haben, und jetzt beim Sozialstaat zu kürzen, das wäre schon ganz, ganz schlimm.

Jetzt fragt man sich: Wer steht wofür? Die ÖVP steht eindeutig dafür, dass sie diese Vorschläge annimmt; ich habe keine Gegenstimmen gehört, keine einzige! Und die FPÖ hat in vielen Punkten - - (Bundesrat Himmer: Hinhören!) – Wir hören grundsätzlich ausgezeichnet zu. Die FPÖ – und das ist das Spannende – hat gestern unglaublich viele schmissige Reden in alle Richtungen gehalten. Zu diesem Thema habe ich kein Wort gehört. (Beifall bei der SPÖ. Bundesrat Schmid: Genau!)

Ganz ehrlich: Darum geht es. Die FPÖ war schon in mehreren Regierungskon­stel­lationen sehr wohl bereit, erstens ins Sozialsystem hineinzufahren, zweitens ins Pensionssystem hineinzufahren und Schlechterstellungen für die Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer in Kauf zu nehmen, um in einer Regierung zu sein. Schweigen ist das Interessante, nicht das Nebelreden, das hören wir jedes Mal, das ist gleich; worüber nicht geredet wird, ist interessant! (Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Jetzt Daten auf den Tisch: Wie hält es die FPÖ, wie hält es die ÖVP mit jenen Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen? Das wird sich in Zukunft ent­scheiden, und das wird für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wichtig sein, um zu entscheiden, wem sie bei dieser kommenden Wahl ihre Stimme geben (Zwischenruf des Bundesrates Kofler) – mit Herz und Hirn für Österreich. – Vielen Dank. (Lang anhaltender Beifall sowie Bravorufe bei der SPÖ.)

11.14

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.