9.33

Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher, Zuseher:innen zu Hause vor den Bildschirmen! Ich finde es interessant, wenn Kollege Steiner vom normalen Diskurs spricht und gleichzeitig herumschreit wie wahnsinnig. (Bundesrat Steiner: Kriegst ein Wetex!) – Ja, genau.

Sehr geehrter Herr Minister, ich muss gestehen, dass ich mir auch nicht ganz sicher war, was ich von der Auswahl des Themas der heutigen Aktuellen Stunde halten sollte, wobei ich den Schwerpunkt, den Sie damit für das aktuelle Schuljahr gesetzt haben, prinzipiell gut finde. Ich finde gut, dass sich Schulen verstärkt mit dem Thema Gewalt noch bewusster auseinandersetzen können und konkrete Maßnahmen vorgeschlagen beziehungsweise umgesetzt werden. Leider ist es aber so, dass man, wenn man Themen wie diese, die wirklich wichtig sind, anspricht, auf das Konto der Demagogen und Hetzer einzahlt. Das gibt ihnen eine Bühne für ihre Phrasen und Parolen – und ich hatte dies­bezüglich mit meinen Bedenken recht, wie Kollege Steiner in seiner Rede mit alter Nichtmanier bewiesen hat. (Bundesrat Steiner: Die Wahrheit ist zumutbar, Frau Kollegin, die Wahrheit ist zumutbar ...!) – Ja, genau, die liegt auch im Auge des Betrachters. (Zwischenrufe der Bundesräte Spanring und Steiner.)

Es ist ein wie gesagt ohne Zweifel wichtiges Thema, aber auch eben ein sehr komplexes Thema. Das wird von euch so eingedampft, reduziert, bis ihr glaubt, die scheinbar Schuldigen herausdestilliert zu haben (Zwischenruf des Bundesrates Steiner); daraus werden dann ein paar eingängige Sager in einfacher Sprache und fertig ist der schäbige Populismus. Ja, nichts anderes ist das. (Beifall bei den Grünen.)

Dabei ist Gewalt unter Jugendlichen und eben auch an Schulen tatsächlich ein Problem – aber nicht erst seit heute, nicht erst seit gestern –, auch wenn es bei Weitem nicht so groß ist, wie es uns die Marktschreier der abendländischen Untergangsprophezeiung glauben lassen wollen. Dennoch ist jede Gewalttat an jungen Menschen innerhalb ihrer Gruppe eine zu viel und wir müssen sie verhindern – sie muss verhindert werden. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Schule muss ein Ort sein, an dem sich Kinder und Jugendliche sicher fühlen können, an dem sie sicher sind – und dafür müssen wir sorgen. Dafür gibt es aber keine einfachen Lösungen nach Kochrezept, keine Anleitung – ein paar Zutaten und, zack, fertig ist die absolut gewaltfreie Schule. So funktioniert es halt leider nicht. Das ist aber das, was ihr versucht, den Menschen einzureden: ein paar junge Menschen aus dem Land schmeißen, und schon ist alles gut. (Beifall bei der FPÖ.) Das ist pauschaler, billiger Populismus auf dem Rücken junger Menschen. (Bundesrat Steiner: ...migration, Frau Kollegin, ist das Zauberwort!) – Ja, genau.

Ausprägungen von Gewalt sind tatsächlich so vielfältig wie die Ursachen. Oft sind sich Kinder und Jugendliche gar nicht bewusst, dass ihr Verhalten gewalt­tätig ist oder dass sie gewalttätigem Verhalten ausgesetzt sind. Das beginnt beim unguten Gefühl dahin gehend, wie die anderen mit einem sprechen – vielleicht da einmal eine nicht ernst gemeinte Beleidigung, dort eine rassistische Bemerkung, die natürlich auch nicht ernst gemeint ist, dann wird vielleicht einmal eine Freundin geghostet. Aus anfangs harmlosen Rangeleien können binnen kurzer Zeit ausgewachsene Schlägereien werden. Im öffentlichen Raum führt das nicht selten zu lebensgefährlichen Situationen beispielsweise im Straßenverkehr, wenn das am Weg zur Schule oder von der Schule passiert.

Von den psychischen und emotionalen Auswirkungen von Gewalt jeglicher Form haben wir an dieser Stelle schon öfter gesprochen. Auch Kollegin Hahn hat es angesprochen. Zu Gewalt zählt eben nicht nur physische Gewalt, sondern auch psychische, emotionale, sexualisierte Gewalt. Die Ursachen dafür, dass Schülerinnen und Schüler gegeneinander gewalttätig werden, sind bekannt, sind hinlänglich bekannt, wenn auch wie schon gesagt ausgesprochen vielfältig und oft nicht einfach festzumachen. Es können private oder strukturelle oder systemische Auslöser sein. Es gibt familiendynamische Faktoren, wie etwa den sozioökonomischen Hintergrund des Haushalts, aus dem die Kinder kommen. Kinder aus einkommensschwachen Familien versuchen manchmal, aufkom­mende Minderwertigkeitsgefühle durch besonders hartes Auftreten zu kompen­sieren. Auch fehlende Regeln und Absprachen im Zuhause können ein Grund für erhöhte Gewaltbereitschaft sein.

Psychodynamische, aber auch gesellschaftsdynamische Faktoren gewinnen zusehends an Bedeutung. Junge Menschen haben mit immer mehr Heraus­forderungen zu tun. Die Krisen der vergangenen Jahre, die Auswirkungen der Coronapandemie, der Krieg in der Ukraine sind alles Dinge, die die jungen Menschen wirklich in erheblichem Maß belasten. Oft ist es auch überbordender und oft wirklich viel zu früher ungefilterter Medienkonsum. All das zieht nicht spurlos an Kindern und Jugendlichen vorbei.

Selbst in der Schule können ungünstige Dynamiken Gewaltbereitschaft fördern. Unser Schulsystem ist immer noch viel zu schwächenorientiert. Anstatt Begabungen und Neigungen zu fördern, arbeiten sich Kinder immer noch viel zu sehr an ihren Mängeln und an ihren Schwächen ab – Tag für Tag. (Zwischen­ruf der Bundesrätin Schartel.) Das frustriert auf Dauer und kann natürlich auch Aggressionen hervorrufen und fördern.

Mangelnde Ressourcen an Schulen und übervolle Klassen führen nicht selten zur Überlastung der Pädagoginnen und Pädagogen, die sich dann oft mit einem Gewaltproblem alleingelassen fühlen und die dann oft tatsächlich alleine sind.

Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an alle Pädagoginnen und Pädagogen, die tagtäglich wirklich großartige Arbeit leisten, und das zeitweise unter wirklich nicht einfachen Bedingungen – danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Bundesrätinnen Hahn und Sumah-Vospernik.)

Gegenüber Gewalt an Schulen gibt es im Wesentlichen zwei Hebel, bei denen wir ansetzen müssen – Herr Minister, Sie haben es in unserer letzten Bundes­ratssitzung im Juli ausgeführt –, das ist einerseits die Prävention – das Entstehen von Gewalt muss in allererster Linie von vornherein bestmöglich verhindert werden –, und andererseits dürfen wir in letzter Konsequenz natürlich auch keine Toleranz gegenüber Gewalt haben, wenn sie passiert. Auf das Einhalten der Grundregeln friedlichen Zusammenlebens müssen wir selbstverständlich bestehen – daran besteht kein Zweifel.

Jetzt klingt Prävention manchmal so ein bisschen unkonkret, dabei sind das aber tatsächlich konkrete Maßnahmen – eine Mischung aus konkreten Maßnahmen und strukturellen Veränderungen. Das Programm Extremismusprävention macht Schule ist ein Angebot an Workshops, das tatsächlich sehr gut angekommen ist. Diese Workshops werden von NGOs abgehalten, mittlerweile nicht nur an Schulen, sondern auch in AMS-Maßnahmen wie der überbetrieblichen Lehrlings­aus­bildung, den Orientierungskursen und so weiter. 3 000 derartige Workshops haben in Schulen bereits stattgefunden. Das Programm läuft weiter – das ist also kein einmaliges Programm.

Wie gesagt müssen aber auch strukturell Weichen gestellt werden. Die Integration von Kindern mit nicht deutscher Erstsprache ist tatsächlich essenziell. Kindergärten und Schulen leisten einen wesentlichen Beitrag dazu. Basis ist – da sind wir uns hoffentlich oder da sind wir uns sicher einig – eine wirklich wirksame Sprach- und Deutschförderung, was aber eben auch eine Förderung der Erstsprache bedeutet, denn nur, wer seine Erstsprache gut beherrscht, kann eine Zweit- und Drittsprache erwerben.

Worin wir uns nicht einig sind, das ist die Methodik, nämlich zum Beispiel hinsichtlich Sinnhaftigkeit der Deutschförderklassen. Integration kann unserer Meinung nach und auch der Meinung zahlreicher Expertinnen und Experten zufolge nur dann gelingen (Zwischenrufe bei der FPÖ), wenn es nicht zur Trennung kommt. Das ist wiederum nur dann möglich, wenn zum Beispiel durch Schülerstromlenkung einzelne Standorte nicht über die Maßen belastet sind.

Kindergärten und Schulen müssen außerdem sozial und ökonomisch durch­mischt sein (Bundesrat Steiner: Ja!), damit Kinder und Jugendliche voneinander lernen können und auch die sozialen Herausforderungen an einzelnen Standorten (Bundesrat Steiner: Wir haben eine super Durchmischung! 70 Prozent ... sind eine gute Durchmischung!) nicht zu groß werden. Da ist wieder die Schüler­stromlenkung gefragt.

Ja, wir sind nach wie vor der Meinung, dass für eine gute Integration und für eine Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine gemeinsame, verschränkte ganztägige Schulform am geeignetsten ist (Zwischenrufe bei der FPÖ), mit ausreichend Personal und multiprofessionellen Teams am Standort. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Im internationalen Vergleich sind Systeme mit einer späteren Trennung sehr erfolgreich. Länder wie Estland, Kanada und Finnland machen es vor.

Ein Systemwandel braucht Zeit. Es braucht neue Methoden. Es braucht in der Schule Differenzierung und Individualisierung wie etwa Begabtenförderung, Nachhilfestunden und Wahlpflichtfächer, um die Talente der Kinder zu entfalten und Defizite auszugleichen – mehr stärkenorientiert und weniger schwächen­orientiert. Am Ende profitieren alle von der Vielfalt.

Was wir auch ganz dringend brauchen – ich habe die multiprofessionellen Teams schon angesprochen –, ist tatsächlich noch mehr Unterstützung durch Sozial­pädagog:innen und Psycholog:innen an jedem Standort, und das jeden Tag. Dass Schulstandorte mit größeren Herausforderungen mehr Mittel und Personal brauchen, um Nachteile auszugleichen, steht außer Frage.

Ein wichtiger Faktor - -

Präsident Mag. Franz Ebner: Frau Bundesrätin, auch Ihre Redezeit ist aufge­braucht. Bitte kommen Sie zum Schlusssatz!

Bundesrätin Simone Jagl (fortsetzend): Ein wichtiger Faktor ist auch die Elternarbeit: Eltern müssen durch gezielte Elternarbeit wieder stärker eingebunden werden. Das ist mühsam, das ist zeitaufwendig, ressourcen­aufwendig – also auch da mehr Ressourcen.

Wie gesagt: Schule muss ein Ort sein, an dem sich Kinder und Jugendliche sicher fühlen können, an dem sie sicher sind. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)

9.44

Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Für eine erste Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundes­minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten.