13.08
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Vizekanzler, lieber Werner! Bei meiner letzten Rede, zu meinem Abschied jetzt gibt es trotzdem zwei persönliche Premieren: Erstens spreche ich erstmals nicht zum Thema, jedenfalls nicht direkt, und zweitens werde ich – was ich auch noch nie getan habe – erstmals etwas Persönliches erzählen. Und ich merke, dass ich nervös bin – das war ich hier herinnen schon lange nicht mehr. Ich werde dann am Schluss sagen, wieso ich das erzählt habe.
Mein Vater wurde mit seiner Familie im Alter von zwölf Jahren, als Sohn einer Kleinstbauernfamilie, unter Verlust des gesamten Hab und Gutes von italienischen Faschisten aus Südtirol vertrieben. Jahre dauerte es dann, bis wir in Vorarlberg eine alte Bruchbude auf dem Land – damals gab es nicht einmal eine befahrbare Zufahrt – erstehen konnten. Ich bin dann dort aufgewachsen. In dieser Zeit war es für ihn unmöglich, eine Schule zu besuchen, sodass er nicht einmal die Grundschule abschließen konnte. Dann, im Alter von 16 Jahren – mit 16 Jahren!, es ist so unglaublich –, wurde er von den deutschen Faschisten gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Mit diesem Trauma ist er nie ganz fertig geworden. Er hätte dort unter anderem die in die Geschichte als Todesmarsch eingegangenen Evakuierungen von KZ-Insassen in der Kriegsschlussphase überwachen sollen. Allerdings hat er zuvor mitbekommen, was darunter zu verstehen war: Er musste mitansehen, wie wehrlose, ausgehungerte Menschen, die nicht mehr weiterkonnten, einfach abgeknallt wurden.
Für ihn war klar, dass er da nicht mitmachen würde, und er desertierte. Alleine schlug er sich über Wochen nach Hause durch. Dort galt es dann, der Familie zu helfen. Ohne Schulausbildung, die ihm ja gestohlen wurde, verdiente er anfangs jahrelang in einem Steinbruch sein karges Geld.
Meine Mutter wuchs im Bregenzer Wald in ärmsten Verhältnissen auf. Die Familie war teils nicht in der Lage, die Kinder zu versorgen, bis sie erwachsen waren. Für meine Mutter hieß das, dass sie mit 15 ihr Zuhause verlassen musste, um sich auf Bauernhöfen für sogenannte Kost und Logis, also ohne Gehalt, zu verdingen. Zu verdingen muss man leider sehr wörtlich nehmen.
Die Einfachheit und Sparsamkeit ist ihr geblieben. Sie hat sich nie mit unnötigem Zeugs umgeben und niemals hat sie Lebensmittel weggeworfen. Das konnte sie nie verstehen, wie man so etwas tun kann. Ende der Sechzigerjahre – ich war in der Volksschule – entschlossen sich meine Eltern, das alte Haus mit einfachen Bretterwänden, ohne Bad und mit Plumpsklo in der Scheune zumindest teils abzureißen und neu aufzubauen – das war auch dringend notwendig –, aus Geldmangel von den Ausbauarbeiten bis zum Tapezieren alles in Eigenregie. Mein Bruder und ich schleppten Mörtelkübel und Ziegel herum.
Vor allem ab Anfang der Siebzigerjahre ging es aber aufwärts. Die Sozialisten unter Kreisky führten zahlreiche Sozialleistungen ein. Unser Lebensstandard verbesserte sich deutlich, wiewohl er immer noch sehr einfach war. Das waren dann zum Beispiel so mutmaßlich kleine Leistungen wie das Gratisschulbuch – ohne das hätten meine Eltern die größte Mühe gehabt, die Schulbücher zu bezahlen – oder der offene Zugang zu Universitäten; ohne diesen hätte ich wohl nie studieren können. So war ich der erste Student aus meinem kleinen Bergdorf. Es ist nur logisch, dass mein Vater ein glühender Sozialist war, und ein konsequenter Antifaschist. Er wusste nur zu gut, warum. Mein Bekenntnis hier: Selbstverständlich bin auch ich Sozialist – allerdings ein grüner. (Heiterkeit bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)
Er liebte die Natur, kannte fast jede Blume beim Namen, und er liebte die Menschen. Niemals wäre es meinem Vater eingefallen, Unterschiede zu machen; egal welche Bildung, welche Hautfarbe, welche Religion – egal. Später, als er in einem stahlverarbeitenden Betrieb arbeitete, war er der Einzige, der Hilfsarbeiter aus der Türkei, die man schickte, um in den Kesseln den Dreck zusammenzuschaufeln, zu uns mit nach Hause brachte.
Ja, warum erzähle ich das? – Natürlich hat mich das geprägt und es ist, übertragen auf heute, topaktuell. Es geht um die großen Zukunftsthemen: Es geht um den Schutz unserer Lebensgrundlagen respektive um konsequenten Klimaschutz, um den Erhalt der Biodiversität, die auch mein Vater so liebte. Es geht um eine solidarische Gesellschaft, die keine Unterschiede macht, es geht um ein tragfähiges Sozialsystem, das niemanden zurücklässt, und es geht um einen konsequenten Kampf gegen jedwede faschistoide Tendenzen, ein konsequentes Eintreten gegen Rechtsradikalismus und Demokratiefeindlichkeit.
Das sind auch die Themen, die mich mein bisheriges Leben lang umgetrieben haben, jedenfalls seit der Studienzeit, zuletzt zehn Jahre in der Politik: fünf Jahre als Klubobmann im Landtag und fünf Jahre hier im Bundesrat. Es sind jedenfalls Jahre, die ich nicht missen möchte, auch wenn es extrem fordernd war, wenn auch vieles nicht gelungen ist, vieles aber sehr wohl.
Mein größter Erfolg war sicher, dass wir in Vorarlberg in meiner Zeit als Klubobmann die zweitstärkste Partei geworden sind. Mein Highlight waren sicher die Regierungsverhandlungen mit der großartigen Leonore Gewessler, und mein Lieblingsprojekt der ganzen Jahre war die Initiierung von Sauber Heizen für Alle, neue Heizungen kostenlos für Leute, die es sich nicht leisten können.
So möchte ich meine politische Karriere mit einem nochmaligen Blick auf die genannten Themen mit einem Appell beenden: Lassen wir nicht zu, dass man unseren schönen Planeten und damit die Zukunft der Kinder dieser Welt zerstört! Lassen wir nicht zu, dass man auf Menschen anderer Herkunft herabschaut! Lassen wir nicht zu, dass sich die Feinde der offenen Gesellschaft bis hin zu ihren parlamentarischen Armen weiter ausbreiten!
Einen besten Dank möchte ich allen Mitarbeiter:innen in diesem Haus aussprechen, einen Dank allen Kolleginnen und Kollegen hier, die sich konstruktiv an demokratischen Vorgängen beteiligen, einen Dank natürlich an meine Fraktion – die Jahre gemeinsam waren sehr schön, sehr freundschaftlich –, einen Dank an meine Frau, das möchte ich auch hier sagen, ich glaube, sie schaut zu – die letzten zehn Jahre war ich ja nicht sehr viel zu Hause.
Ich wünsche allen Demokratinnen und Demokraten alles Gute. (Stehend dargebrachter Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ. – Bundesminister Kogler verabschiedet sich von Bundesrat Gross mit Handschlag und Umarmung.)
13.15
Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Lieber Adi, auch dir alles, alles Gute für alles, was jetzt kommt. Du wirst sicher nicht im Ruhestand sein, so wie ich dich kenne, sondern eher mehr im Unruhezustand.
Weitere Wortmeldungen liegen mir jetzt nicht vor. (Bundesrat Steiner hebt die Hand.) – Oh, Kollege Steiner. – Bitte.