RN/31
11.12
Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Bevor mir der Präsident einen Ruf zur Sache erteilt, möchte ich zu diesem Thema ein klein wenig ausholen, und zwar: Wir haben vor einiger Zeit auf Initiative unseres Präsidenten hier eine Enquete abgehalten. Im Rahmen derer haben wir eine Umfrage gesehen, die besagt, dass im Jahr 2018, also während der Regierung Kurz–Strache, noch etwa zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher mit dem politischen System in Österreich und damit, wie es funktioniert, zufrieden waren. Diese Zahl ist dramatisch gesunken: Jetzt glauben nur mehr ungefähr 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, dass das politische System in Ordnung ist.
Das hat natürlich auch einiges damit zu tun, wie im justiziellen Bereich agiert wird. Ich habe hier schon einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt, dass mir ja sehr wichtig war, dass wir den Schritt gesetzt haben, dass Verfahrenskosten für Beschuldigte, deren Verfahren eingestellt werden, die einen Freispruch erhalten, zum Teil ersetzt werden. Der Topf ist ja mit 60 Millionen Euro dotiert worden. Damals habe ich im Ausschuss den dafür zuständigen Beamten gefragt, wie viel es sein müsste, wenn man das gänzlich ersetzen will, und er hat gemeint, so ungefähr das Vier-, Fünffache. Das heißt also, 250 Millionen – 250 Millionen Euro! – zahlen Österreicherinnen und Österreicher Jahr für Jahr aus ihrer eigenen Kassa für Verfahren, die eingestellt werden oder in denen sie vor Gericht einen Freispruch erhalten. Das ist ein unfassbarer Schaden, der der Zivilgesellschaft zugefügt wird. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)
In den letzten Jahren gibt es nicht nur diesen unfassbaren Schaden, der Einzelpersonen der Zivilbevölkerung zugefügt wird, diese genannten 250 Millionen Euro, zu beobachten – es sind ja nicht nur die Menschen und die Betroffenen, die das zahlen, es sind dann natürlich auch deren Familien, deren Kinder, deren Verwandte mit betroffen –, sondern es gab auch in politischen Fällen spektakulären Aufwand. So wissen wir, dass bei vielen Verfahren gegen ehemalige Kanzler, Vizekanzler, Finanzminister, Nationalratspräsidenten et cetera immer sehr, sehr viel Aufwand betrieben worden ist, also sehr, sehr viel Geld ausgegeben worden ist, dass es sehr, sehr viel Personalaufwand gegeben hat und am Ende des Tages relativ wenig herausgekommen ist.
Nun hat der Verfassungsgerichtshof da eine Regelung aufgehoben, und er hat sie aufgehoben, weil sie verfassungswidrig ist. Warum ist sie verfassungswidrig? - Sie ist verfassungswidrig, weil sie menschenrechtswidrig ist. Diese Menschenrechtswidrigkeit resultiert eben daraus, dass der Schutz der Privatsphäre ein sehr elementares Anliegen ist. Natürlich ist es so, wie auch bereits angesprochen worden ist, dass Mobilgeräte nicht mehr klassische Telefone sind, also in dem Sinne, dass man dann, wenn man ein Telefon sicherstellt, einfach sieht, mit wem in welchem Zeitraum telefoniert wurde, sondern sie sind eben viel, viel mehr als das.
Die gesetzlichen Grundlagen, auf der die Behörden agiert haben – wobei der Verfassungsgerichtshof jetzt eben gesagt hat, so kann es nicht sein –, stammen aus dem Jahr, wenn ich da jetzt richtig liege, 2004. Ich weiß nicht, ob es 2004 die ersten Blackberrys gegeben hat, es hat auf jeden Fall noch nicht Smartphones in der jetzigen Dimension gegeben. Natürlich hätten die Behörden, also die Strafverfolgungsbehörden, sprich die Staatsanwaltschaft, dabei, wie sie die Gesetzeslage anwenden, auch mitdenken können, dass diese Gesetzeslage auf der Grundlage beruht hat, dass diese Geräte – nämlich zu dem Zeitpunkt, wo diese Gesetze gemacht worden sind – eine viel, viel geringere Funktionsmöglichkeit hatten.
Ich halte das wirklich für einen sehr essenziellen Bereich, weil man letztendlich bedenken muss, wie diese vermeintlichen Skandale stattfinden. Es ist ja bekannt, dass sehr, sehr vieles in Österreich folgendermaßen abläuft: Es gibt irgendwo eine anonyme Anzeige, dann gibt es eine Berichterstattung in den Medien und dann werden Personen durch die Straßen gejagt, vorverurteilt. Es ist nahezu zynisch, dass es heißt, es gibt eine Unschuldsvermutung, wenn in den Medien, in den öffentlichen Medien, im ORF x-mal, in den sozialen Medien vorverurteilt werden, obwohl jeder weiß, dass es dann jahrelange Verfahren gibt. Die Menschen sind, egal ob sie Politiker oder in der Wirtschaft tätig sind, über Jahre aus dem Verkehr gezogen, und die Attacke, die gegen diese Personen stattfindet, ist dann ja eigentlich erfolgreich, denn die Bestrafung dieser Personen erfolgt eigentlich durch das Verfahren, durch das man für zehn Jahre aus dem Verkehr gezogen wird, unfassbare Anwaltskosten hat und so weiter. Es erfolgt also eine Bestrafung – und das heißt dann Unschuldsvermutung. Diese Dinge hängen alle zusammen.
Der Grund dafür, warum das als verfassungswidrig erkannt worden ist, ist, dass man eben nicht all diese unfassbaren Datenmengen verwenden darf. Es macht eben einen konkreten Unterschied, ob man einen Sachverhalt aufklären möchte, weil man weiß, es gibt einen konkreten Verdacht, oder ob man sagt, man will eigentlich ganz gerne über Person X etwas erfahren, und weil man etwas über diese Person X erfahren möchte, hat man einmal einen Verdacht gegen Person Y – irgendeinen Verdacht –, holt sich einmal das Handy von Person Y und schaut, was Y mit X besprochen hat, und so sammelt und sammelt man – und so werden Ermittlungsverfahren gemacht. Ich halte das für einer Demokratie wirklich unwürdig, weil das einfach Überwachungsstaatmethoden sind, und die sind einer entwickelten Demokratie einfach unwürdig.
Daher bin ich sehr, sehr froh – sehr, sehr froh! –, dass der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmungen aufgehoben hat. Ich möchte auf diese Dimension aufmerksam machen: Viele vermeintliche Skandale – sage ich einmal, weil es ein Skandal vielleicht doch erst ist, wenn etwas bewiesen ist – basieren genau auf solchen Sicherstellungen, die vom Verfassungsgerichtshof entsprechend aufgehoben worden sind.
Weil heute so viele neue Kolleginnen und Kollegen da sind, möchte ich bei der Gelegenheit noch einmal all jenen Danke sagen, die leider sozusagen unsere Mitte verlassen haben und sich hoffentlich neuen Aufgaben widmen – und ein herzliches Willkommen an alle, die heute angelobt worden sind. Sie sind jetzt Bestandteil der Gesetzgebung und tragen ab sofort Mitverantwortung für die Gesetze.
Das ist nämlich auch eine spannende Frage: Wer übernimmt in einer Demokratie die Verantwortung, wenn etwas falsch läuft? Neben den Schäden, von denen ich gesprochen habe, den 250 Millionen Euro, die die Zivilgesellschaft Jahr für Jahr trägt, gibt es natürlich auch etliche enorme Schäden, die Politiker, Manager und sonstige Personen gehabt haben, und eigentlich ist das auf Grundlage von im Nachhinein als verfassungswidrig erkannten Beschlagnahmungsmethoden passiert. Wer übernimmt dafür die Verantwortung? Wer? Die Justizministerin? – Nein. Die Vertretung der Justizministerin? – Auch nicht. Wir als Gesetzgeber? – Ja, wir tragen wohl auch einen Teil der Verantwortung, weil die Gesetze von uns kommen. Wir können wiederum sagen, die Staatsanwaltschaft darf die Gesetze auf der Höhe der Zeit interpretieren, insofern trägt natürlich auch die Staatsanwaltschaft eine Verantwortung.
Daher glaube ich, dass wir so ein Erkenntnis, wie es das ja dazu gegeben hat, zum Anlass nehmen sollten – wir als Gesetzgeber sind dazu aufgerufen –, wirklich präzise zu sein und unsere Verantwortung auch wahrzunehmen, weil es dabei um nicht weniger als um Menschenrechte geht, um essenzielle Menschenrechte.
Ich hoffe sehr, dass der hier erarbeitete Kompromiss, die neue gesetzliche Regelung zu einer faireren Vorgangsweise führt – zu keiner Vorgangsweise, bei der die Unschuldsvermutung eine bloße Aussage, eine bloße Floskel, Hohn für die Betroffenen ist, sondern zu einer Vorgangsweise, im Zuge derer wirklich sensibel mit den Daten der Menschen umgegangen wird. Das ist nämlich essenziell in einer liberalen Demokratie. (Beifall bei der ÖVP.)
11.23
Vizepräsident Dominik Reisinger: Als nächster Redner wurde mir Herr Bundesrat Stefan Schennach gemeldet. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte schön.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.