9.50

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, betraut mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung und der Fortführung der Verwaltung im Bundeskanzleramt Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Erlauben Sie mir, eingangs Ihnen, sehr geehrte Frau Präsidentin, alles Gute und viel Erfolg für Ihre wichtige Aufgabe in den kommenden Monaten zu wünschen! Wir waren ja gerade alle Zeugen, dass es auch im Bundesrat durchaus lustig zugehen kann. Das ist Demokratie. (Allgemeine Heiterkeit.) Das kann durchaus auch disruptiv sein, aber das ist gut so, das gehört zu unserer Gesellschaft dazu. Sie hatten ja, wie Sie selber gesagt haben, das Amt auch schon einmal inne, nämlich im Jahr 2020, insofern haben Sie also nicht nur Erfahrung, sondern wissen auch, worauf Sie sich einlassen. Wenn man so will, haben wir diesbezüglich gewissermaßen etwas gemeinsam, der Unterschied ist aber: Ich habe mir nie gedacht, dass ich ein zweites Mal als Regierungschef vor Ihnen stehen werde. 

Wie ich aber schon im Nationalrat betont habe: Die Menschen in Österreich haben das Recht auf eine handlungsfähige Regierung mit einem Bundeskanzler an der Spitze. Das ist in der Bundesverfassung so vorgesehen, und das ist gut und recht so. Ich versichere Ihnen, dass ich dieses Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben werde und dass ich auch einen geordneten Übergang sicherstellen werde, sobald eine neue Bundesregierung angelobt ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle wissen: Wir befinden uns gerade in einer innen- wie außenpolitisch durchaus turbulenten Zeit. In dieser Zeit ist es wichtig, dass unser Land zügig eine stabile und handlungsfähige Bundesregierung bekommt. Diese nächste Bundesregierung wird aber nicht – genauso wenig wie alle Bundesregierungen davor – im luftleeren Raum agieren können; sie wird in ein ganzes Netzwerk an Verpflichtungen und Regeln nationaler und internationaler Natur eingebettet sein. Dazu gehören die völkerrechtlichen Verträge, die die Republik Österreich eingegangen ist, die Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Organisationen, genauso wie natürlich die österreichische Bundesverfassung. 

Daher sind die Grundvoraussetzungen für eine handlungsfähige und tragfähige Bundesregierung glasklar. Sie wurden auch bereits vom Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und vom geschäftsführenden Bundesparteiobmann der ÖVP Christian Stocker dargelegt: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschenrechte, Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien und das klare Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind schlicht und ergreifend nicht verhandelbar. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Ebenso wenig verhandelbar ist natürlich – das sage ich als Außenminister dazu – das Respektieren des Völkerrechts und der Grundprinzipien der UN-Charta, die, wie wir wissen, sogar auf unserem eigenen Kontinent gerade mit Füßen getreten werden. In einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, in einer Zeit, in der unser Lebensmodell, das auf Pluralismus und Demokratie beruht, unter Druck gerät, in so einer Zeit darf und kann es keinen Zweifel geben, wo die Republik Österreich steht. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Wir sind uns alle bewusst, dass wir durchaus schwierigen Zeiten entgegengehen. Wir stehen nicht nur vor globalen wirtschaftspolitischen Herausforderungen, die unseren Standort unmittelbar betreffen, wir befinden uns auch, ob wir wollen oder nicht, in einer systemischen Auseinandersetzung. Autoritäre Systeme fordern unser Lebensmodell und die internationale Ordnung, so wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben, heraus. Und wir wissen auch, dass in unserem Land, so wie in allen anderen westeuropäischen Staaten, Kräfte im Inneren am Werk sind, die via Social Media, Bots, Trolle versuchen, die Gesellschaft zu unterminieren, die Demokratie zu diskreditieren, die jede Geschichte verstärken, die uns spaltet und uns ungeeint oder schwach wirken lässt.

Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen, denn das ist für ein Land wie Österreich, einen mittelgroßen, exportorientierten Staat im Herzen Europas, brandgefährlich. Wir sind darauf angewiesen, dass es eine regelbasierte internationale Ordnung gibt, dass das Völkerrecht eingehalten wird, dass Verträge nach dem Prinzip Pacta sunt servanda respektiert werden, dass es keinen Unterschied macht, ob ich Atomwaffen habe oder keine, ob ich eine große Armee habe oder keine, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts. Das muss immer die Maxime unseres Handelns sein. (Beifall bei der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren, die letzten Jahre haben uns allen ja allzu deutlich gezeigt: Weder Europa noch Österreich sind Inseln der Seligen. Wir sind nicht unantastbar. Wir sind nicht vor Krisen, Konflikten und Kriegen gefeit. – Im Gegenteil: Viele dieser Kriege und Konflikte betreffen uns sogar viel unmittelbarer als andere Kontinente. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, können wir aber nur gemeinsam lösen, gemeinsam in Österreich, in Europa und auf der internationalen Bühne.

Ich habe es daher ganz bewusst zum Akt gesetzt, dass ich meine Amtszeit als Bundeskanzler in dieser geschäftsführenden Bundesregierung mit einer Reise nach Brüssel mit einer ganz klaren Botschaft begonnen habe: Selbstverständlich ist und bleibt Österreich ein verlässlicher und starker Partner in Europa und in der Welt (Beifall bei der ÖVP), und zwar nicht aus Altruismus, nicht aus Selbstlosigkeit, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Eine proeuropäische, eine multilaterale Orientierung Österreichs ist in dieser anspruchsvollen, volatilen Zeit geopolitischer Umbrüche einfach lebensnotwendig für uns und für unsere Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen, denn eine Schotten-dicht-, eine Zugbrücken-hoch-Mentalität würde nicht nur unseren Wohlstand und unsere Exportwirtschaft gefährden, sondern auch unsere Sicherheit massiv unterminieren. 

Der zweite Teil meiner Botschaft war genauso deutlich, nämlich dass Österreich eine lebendige funktionierende Demokratie ist (Beifall der Bundesrätin Herunter [ÖVP/Stmk.]), eine Demokratie mit starken Institutionen und einer starken Verfassung, ein Land mit den höchsten Standards in Bezug auf Grund- und Freiheitsrechte. Es gibt ganz wenige Orte auf dieser Welt, die seinen Bürgern dieses Maß an Freiheit und Sicherheit liefern und bieten können wie Österreich. Das ist die Grundlage der Lebensqualität in unserem Land. Vor diesem Hintergrund erwarten wir uns als Österreicherinnen und Österreicher auch Respekt und Achtung für die demokratischen Prozesse in unserem Land. Das habe ich in Brüssel genauso klar eingefordert. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte, so wie wir zu Recht Achtung und Respekt von außen erwarten, so müssen wir aber auch Achtung und Respekt nach innen zeigen. Österreich ist nämlich keine Konfliktdemokratie. Österreich ist eine Kompromiss- und Konsensdemokratie. 

Nach den blutigen Lehrjahren der Ersten Republik und der Nazizeit haben wir es geschafft, in diesem Land das Gemeinsame nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden – mit Mut zum zivilisierten Dialog über alle politischen und gesellschaftlichen Grenzen und Differenzen hinweg, mit Mut zur Bürgerlichkeit, was eben Rechte und Pflichten für alle beinhaltet, mit Mut zur Kompromissfähigkeit; das ist manchmal vielleicht sogar der größte Mut, den man finden muss. Im Geist der Dachauer Lagerstraße sind die Grundlagen für unsere Zweite Republik gewachsen. Damals hat nur der Glaube an Österreich das Überleben unseres Landes ermöglicht. Das dürfen wir nie vergessen, auch nicht in diesem Haus. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Es ist eigentlich erst dieser Zugang, dieses Aufeinanderzugehen, dieses Gräben-Überwinden, der unser Österreich über die Jahrzehnte zu dem hat werden lassen, was es heute ist: eines der reichsten und sichersten Länder dieser Erde, eine stabile, widerstandsfähige Demokratie mit einer engagierten Zivilgesellschaft, mit einer tragfähigen Sozialpartnerschaft und einer vielfältigen Kunst-, Kultur- und Medienlandschaft. Respektieren wir also bitte selber die demokratischen Prozesse in unserem Land und haben wir Vertrauen in unsere gewachsenen demokratischen Institutionen in Österreich und international! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich will die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht kleinreden; und ja, die nächste Bundesregierung wird alle Hände voll zu tun haben. Aber dennoch – alle, die mich in diesem Saal über die letzten fünfeinhalb Jahre kennen, wissen das – bin ich zuversichtlich und optimistisch, weil ich von der Qualität unseres Lebensmodells, von unserer Demokratie, von der Stärke unserer Verfassung – ja, ich bin ein Verfassungspatriot – einfach zutiefst überzeugt bin; weil ich davon überzeugt bin, dass wir für die Probleme der Zukunft in Wirklichkeit gut gerüstet sind, wenn wir nur wollen, wenn wir nur zusammenstehen in diesem Land. Das ist das Wesentliche. 

Meine Bitte ist: Haben wir Vertrauen in unser eigenes Potenzial, in unsere Stärken, haben wir ein bisschen mehr Glauben an das, wofür wir stehen und was wir sind! Denn dieses Land, dieses Österreich, ist nicht nur ein wunderschönes, lebenswertes Land, es ist auch ein starkes Land, es ist ein weltoffenes Land, und es liegt an uns allen, ausnahmslos, auch hier in diesem Saal, in der ganzen Gesellschaft, dass es so bleibt. Meine Damen und Herren, ich werde auch in Zukunft das Meinige gerne dazu beitragen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

10.01

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen und gebe bekannt, dass wir nun in die Debatte eingehen. 

Zu Wort gemeldet ist als Erster Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.