RN/29
13.42
Bundesrat Sebastian Forstner (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte jetzt ganz kurz aus der Reihe tanzen, nämlich auch die Dame zuerst begrüßen: Sehr geehrte Frau Bundesministerin, liebe Korinna! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Liebe Staatssekretäre! Liebe Bundesregierung! Noch dazu: Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Bundesrat und liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Ich bin noch ein bisschen das neue Mitglied im Bundesrat, und wie gesagt darf man dann, glaube ich, auch einmal relativ leicht und schön aus der Reihe tanzen. Wenn es keine Umstände macht, würde ich mich gerne etwas näher vorstellen, wir haben das in der Vergangenheit schon ein bisschen besprochen. Ich möchte nur ganz kurz sagen: Ich habe viele Leidenschaften, unter anderem die Familie – als zweifacher Familienvater von zwei kleinen Kindern, die jetzt wahrscheinlich gerade zuschauen –, die Politik, den Sport und, ich muss es zugeben, auch die Leidenschaft für Film und Fernsehen. Das ist nicht ganz freiwillig passiert, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das erkläre ich dann noch etwas später, am Ende meiner Rede.
Zum letzten Punkt möchte ich einen kurzen Schwenk auf ein biografisches Filmdrama aus dem Jahr 2010 mit dem Titel „127 Hours“ machen, ein biografisches Filmdrama, in dem es darum geht, dass ein junger Mann in den USA bei einer ganz normalen Wanderung in eine Situation gerät: Er ist nämlich in eine Felsspalte gestürzt, und dabei hat es ihm den rechten Arm eingeklemmt. Nach mehr als fünf Tagen ohne Hilfe, der Kälte ausgesetzt, mit Hunger, mit Durst war es an ihm, dass er eine Entscheidung trifft, nämlich die Entscheidung, entweder aufzugeben oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu kämpfen. Und jetzt kommt der Turnaround: Dieser Mann hat sich für das Kämpfen entschieden und die letzten verbliebenen Energiereserven gesammelt, um sich zu befreien. Um zu überleben, musste er nämlich ein Taschenmesser nehmen und – bitte hört weg, wenn es jetzt ein bisschen zu arg wird – er hat sich dann nach fünf Tagen diesen Arm gebrochen und den Rest mit dem Taschenmesser abgeschnitten; er hat dann noch 13 Kilometer mit diesem abgetrennten Arm laufen müssen, bis er endlich gerettet war. Es war eine Entscheidung, die zu einem Happy End geführt hat.
Wenn ich jetzt schon so in die Runde schauen darf: Es schneidet sich keiner einen Arm ab (Heiterkeit bei Bundesrät:innen von SPÖ und ÖVP), aber es waren 155 Days, es waren 155 Tage, in denen Österreich in einer Notsituation war (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Der Hergovich hat auch gesagt, er schneidet sich lieber den Arm ab, bevor er in eine Koalition geht! – Bundesrat Himmer [ÖVP/W]: Jetzt habe ich die Metapher!), in denen viele Menschen, viele Verhandlerinnen und Verhandler über sich hinausgewachsen sind, denn Neuwahlen hätten einen Stillstand bedeutet, den wir alle nicht gewollt hätten, und viele dieser Verhandlerinnen und Verhandler haben es geschafft, das Richtige zu tun, für Österreich. – Ihr seid alle über eure Schatten gesprungen, und dafür ein ganz großes Danke, für dieses Happy End. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Tiefnig [ÖVP/OÖ].)
Das Happy End ist für mich nämlich das Regierungsprogramm, und da möchte ich auf ein paar Punkte etwas näher eingehen, muss aber kurz ausholen: 17,7 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind armutsgefährdet. Sie können im Winter die essenziellen Dinge nicht tun, nämlich die Wohnung heizen, sie haben am Ende vom Monat nicht genug Geld, um sich ein gescheites Essen zu kaufen – da rede ich noch gar nicht von biologischen Lebensmitteln oder sonst irgendetwas –, und, was das Schlimmste ist, sie können dann eventuell ihre Miete nicht zahlen. Das sind nur einige Lebenssituationen von insgesamt 1,5 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Österreich. Und jetzt kommt es: Besonders gefährdet sind Kinder, Frauen im Alter, Alleinerzieherinnen, langzeitarbeitslose Menschen mit chronischer Erkrankung.
Wir alle stehen heute an einem entscheidenden Punkt für ein soziales Österreich, für soziale Gerechtigkeit. Unsere neue Regierung aus SPÖ, ÖVP und NEOS hat sich darauf verständigt, ein richtig starkes soziales Netz zu schaffen, insbesondere – das ist mir ganz wichtig – für Frauen und Kinder. Dieses soziale Netz schützt Frauen und Kinder vor Armut. Es ist jetzt die Zeit, niemanden zurückzulassen und allen Menschen eine echte Zukunftsperspektive zu geben.
Ein zentrales Vorhaben ist die Einführung eines Unterhaltsgarantiefonds, der ganz unbürokratisch und direkt, gezielt mit 35 Millionen Euro die Frauen oder auch die Kinder unterstützt, bei denen die Unsicherheit einer fehlenden Unterhaltszahlung genau das bewirkt, was ich vorhin angesprochen habe: dass es nicht mehr möglich ist, die Miete zu zahlen, dass es nicht mehr möglich ist, dass die Wohnung im Winter warm ist, und dass man seinen Kindern kein gescheites Essen kaufen kann – und das tut mir persönlich richtig weh! (Beifall bei der SPÖ.)
So etwas gilt es zu vermeiden, dafür ist dieser Fonds essenziell und dafür möchte ich mich ganz, ganz herzlich bedanken. Es kann nämlich nicht sein, dass die Kinder dafür herhalten müssen, wenn Unterhaltszahlungen ausbleiben. Da muss unbürokratisch und verlässlich geholfen werden.
Darüber hinaus kommt die umfassende Reform der Sozialhilfe mit besonderem Fokus auf die Einführung einer Kindergrundsicherung. Einige Kolleginnen und Kollegen haben es schon angesprochen, ich möchte das aber jetzt trotzdem noch einmal herauskehren: Jedes Kind in Österreich hat das Recht auf eine faire Chance im Leben, und das unabhängig vom Einkommen der Eltern. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesrät:innen von ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Wir wollen ein System etablieren, das eine Grundsicherung für jedes Kind gewährleistet, gestaffelt nach dem tatsächlichen Bedarf. Das bedeutet, Familien mit niedrigen Einkommen werden gezielt unterstützt, während bürokratische Hürden endlich abgebaut werden.
Kinderarmut, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur ein individuelles Schicksal – und wir reden mittlerweile von 365 000 Kindern, die armutsgefährdet sind –, sondern es ist ein gesellschaftliches Problem. Diese Kinderarmut nimmt Kindern ihre Zukunftsperspektiven und führt langfristig zu sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten. Mit der Kindergrundsicherung setzen wir ein starkes Zeichen gegen diese Entwicklung, denn diese Investitionen in unsere Kinder sind Investitionen in die Zukunft unseres Landes. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrät:innen Himmer [ÖVP/W] und Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
An dieser Stelle: Ich bin heilfroh, dass du heute da bist, lieber Andi Babler! Du bist derjenige, der in der Vergangenheit die Boxhandschuhe angezogen hat. Du hast die Boxhandschuhe gegen die Kinderarmut immer noch an, und ich weiß, du und dein Team, ihr werdet diese Boxhandschuhe auch in Zukunft nicht ausziehen, und dafür vielen herzlichen Dank – danke schön! (Beifall bei der SPÖ.)
Zur Erreichung dieses Ziels, die Kinderarmut bis 2030 zu halbieren, soll ein Zweisäulenkindergrundsicherungsprogramm umgesetzt werden. Die Säule eins ist der Ausbau von Sachleistungen und kindgerechter sozialer Infrastruktur. Darunter fallen eine Kinderbetreuungsoffensive, kostenlose gesunde Mahlzeiten – ganz, ganz wichtig – und die Schaffung einer verbesserten Gesundheitsversorgung in Bildungseinrichtungen für unsere Kinder und Jugendlichen. Außerdem sollen die bereits bestehenden Sachleistungen auf den verschiedenen Ebenen – Bund, Land, Gemeinden – erhoben werden, und dann soll eine Landkarte erstellt werden, auf der alle diese Leistungen genau aufgelistet werden, damit das alles einmal transparent wird.
Jetzt komme ich zum Schluss noch einmal zu dieser anfangs erwähnten Leidenschaft für das Fernsehen oder dieser Leidenschaft für den Film. Der Fernseher war in meiner Kindheit nicht nur Unterhaltung für mich, er war auch mein Aufpasser. Warum war er mein Aufpasser? – Weil er für mich immer da war, wenn meine Mutter, die leider mit 55 Jahren den Kampf gegen die harte Arbeit mit dem Tod bezahlt hat, von 7 Uhr in der Früh bis 9 Uhr am Abend im Supermarkt gearbeitet hat. Sie hat mir einen Zettel geschrieben: Das und das sind deine Aufgaben und der Fernseher ist eh da!
Ich weiß, es gibt viel, viel schlimmere Fälle als diesen, aber ich wünsche es keinem Kind in Österreich, eine ähnliche Situation zu erfahren. Ich hätte es auch meiner Mutter gegönnt, älter zu werden, ihre Enkel aufwachsen zu sehen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir alle haben die Verantwortung, jene zu schützen, die es jetzt am dringendsten brauchen. Die Einführung der Unterhaltsgarantie und der Kindergrundsicherung sind Meilensteine auf dem Weg zu einem gerechten, solidarischen Österreich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst uns gemeinsam dafür streiten, dass kein Kind in Österreich in Armut aufwachsen muss! Lasst uns jetzt gemeinsam das Richtige für unser Österreich tun! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
13.52
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Sandra Jäckel. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.