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9.06
Bundesrätin Bernadette Geieregger, BA (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute machen wir einen Rückblick auf 30 Jahre Erfolgsgeschichte. 30 Jahre ist Österreich schon Teil der Europäischen Union, drei Jahrzehnte, in denen das Land, die Regionen, die Gemeinden von dieser guten Zusammenarbeit profitiert haben. Ich bin extrem froh, dass ich heute als EU-Ausschuss-Obfrau hier eine positive Bilanz ziehen darf.
Ich war damals zwei Jahre alt, als Österreich der Europäischen Union beigetreten ist. Ich kenne kein Leben ohne die EU, und ich möchte auch kein Leben ohne die Europäische Union. Meine Generation sieht die Europäische Union nicht als politisches Projekt, sie ist eher eine Selbstverständlichkeit des Alltags, gelebte Realität mit vielen Möglichkeiten. Das ist auch mein Antrieb. Ich möchte mich für ein geeintes und ein zukunftsorientiertes Europa einsetzen.
Alles begann am 5. Juli 1961. Damals war Bundeskanzler Alfons Gorbach im Amt und stellte ein Beitrittsansuchen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es war kein Ansuchen für einen Vollbeitritt – man erinnert sich, es waren damals auch schwierige Zeiten –, sondern es war der Antrag auf Verhandlungen über einen assoziierten Vertrag. Das Interesse Österreichs waren damals engere Handelsbeziehungen. 1972 ist dieses Freihandelsabkommen dann auch in Kraft getreten.
1989, unter Bundeskanzler Franz Vranitzky, kam dann aber auch das Ansuchen für den Vollbeitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Die Gründe waren ganz klar: Wir lebten damals schon in einer globalisierten Welt, es gab großen wirtschaftlichen Druck und auch Reformen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sowie den Fall des Eisernen Vorhangs.
1993 begannen also die Beitrittsverhandlungen. Nach dem Abschluss des Vertrags von Maastricht wurde die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union. Am 12. Juni 1994 gab es dann in Österreich die Volksabstimmung. Bei dieser entschieden sich 66,6 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, der Europäischen Union beizutreten. – Gut so! Eine gute Entscheidung war das 1994. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Bundesrät:innen von SPÖ und Grünen.)
Am 1.1.1995 sind wir dann offiziell beigetreten. – Auch gut so, eine gute Entscheidung! Seither sind 30 Jahre vergangen. Und was ist seither passiert? – Es gab in Österreich vor allem eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung. Der EU-Beitritt hat entscheidend zur Stärkung der österreichischen Wirtschaft beigetragen. Seit 1995 konnten österreichische Unternehmen ihre Exporte von 33 Milliarden auf 88 Milliarden Euro steigern, was zur Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichem Wachstum führte.
Dasselbe gilt für die Handelsbeziehungen – dieses Thema ist gerade sehr aktuell, auch in den Medien, und für uns alle, die wir politische Verantwortungsträger sind, ganz, ganz prekär. Insbesondere Österreich hat seit 1995 und von der EU-Erweiterung 2004 profitiert. Die Exporte in die damals neuen Mitgliedstaaten Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei und Polen haben sich seit 2003 auf rund 30 Milliarden Euro verdreifacht. Österreich ist zudem ein führender Investor in dieser Region.
Die politische Stabilität und der Friede zumindest innerhalb der Europäischen Union – für ganz Europa können wir das leider nicht mehr sagen, aber zumindest innerhalb der Europäischen Union gibt es Frieden – sind weitere wichtige Punkte. Die EU-Mitgliedschaft hat Österreich in ein stabiles Umfeld eingebettet und die Europäische Union hat zur Festigung von Frieden und Demokratie in Europa beigetragen. Österreich hat sich stets für die Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa eingesetzt, um die Teilung des Kontinents zu überwinden.
Die Einführung des Euro: Seit 1999 ist der Euro offizielles Buchgeld in Österreich – und damals in zehn weiteren EU-Ländern, mittlerweile sind es schon 20. Diese gemeinsame Währung symbolisiert wirtschaftliche Stabilität und die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Und auch, wenn es in diesem Haus Fraktionen gibt, die sich noch den Schilling wünschen, bin ich der Meinung, dass es gut ist, dass wir den Euro haben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesrät:innen der Grünen.)
Zum Thema Freizügigkeit: Die EU-Mitgliedschaft ermöglicht es den Österreicherinnen und Österreichern, von der Personenfreizügigkeit zu profitieren, was reisen, arbeiten und studieren in anderen EU-Ländern erleichtert.
Ich weiß nicht, wie es euch geht: Ich bin jemand, der sehr gerne reist, vor allem auch innerhalb der Europäischen Union. Ich bin selbst Bürgermeisterin und auch hier im Bundesrat, deswegen ist es für mich kein Thema, in ein anderes Land zu ziehen, aber wenn man auf Urlaub ist, dann schwenkt man manchmal schon ein bisschen ab und denkt sich: Wäre doch schon nett, hier zu wohnen, oder? Und das wäre grundsätzlich möglich – und das ist großartig.
Gerade für junge Menschen hat der Beitritt einige Errungenschaften gebracht. Das Programm Erasmus plus zum Beispiel ermöglicht Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Auszubildenden, Lehrlingen, jungen Arbeitnehmer:innen und Lehrkräften Auslandsaufenthalte in ganz Europa. Seit dem EU-Beitritt konnten über 300 000 junge Österreicherinnen und Österreicher durch Erasmus plus ins Ausland gehen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrät:innen Schreuder [Grüne/W] und Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Nicht nur die großen Würfe sind wichtig, sondern manchmal auch die kleineren, die uns gar nicht mehr so im Alltag auffallen, zum Beispiel günstige Roaming-Gebühren. Wenn wir in der Europäischen Union unterwegs sind, dann können wir ganz einfach normal telefonieren, ohne zusätzliche Kosten, ganz nach dem Motto: Roam like at Home – und das ist schon seit 2017 möglich.
EU-Fördermittel haben unsere Regionen maßgeblich unterstützt; als Niederösterreicherin ist es mir ganz besonders wichtig, das heute hervorzuheben. Mehrere Milliarden Euro an EU-Geldern sind in den letzten Jahren nach Österreich geflossen, Gelder, die in Forschung, Infrastruktur, Bildung und Regionalentwicklung investiert wurden. Der Breitbandausbau im ländlichen Raum ist da zum Beispiel ganz essenziell, die Förderung von Start-ups in Innovationszentren, der Ausbau von nachhaltiger Mobilität ebenso – all das sind konkrete europäische Erfolge.
Auch unsere Grenzregionen haben profitiert. Die enge wirtschaftliche, kulturelle und soziale Verflechtung mit unseren Nachbarstaaten ist heute sichtbarer denn je, nicht zuletzt durch offene Grenzen und den Schengenraum haben wir einen immensen Standortvorteil für unsere Wirtschaft, unseren Tourismus und unseren Alltag.
Gerade in den letzten Tagen poppen ja im Minutentakt Zollankündigungen auf, der Aktienmarkt spielt verrückt, die Welt spielt verrückt. In diesen Zeiten heißt es für uns: Zusammenhalt. In einer Welt, in der Ankündigungen von ehemaligen Weltmächten über Chat-GPT ausgearbeitet werden, Zölle für Inseln verhängt werden, auf denen nur Pinguine leben, heißt es für uns umso mehr: Zusammenhalt. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesrät:innen von SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Und natürlich: einen kühlen Kopf bewahren. – Ich hoffe auf eine starke Europäische Union, die Selbstständigkeit statt Abhängigkeit will, die Wirtschaftswachstum statt Gnadenhandel will, die Handlungsfreiheit statt Protektionismus schätzt.
Tagtäglich überqueren Tausende Menschen die europäischen Grenzen, um zu arbeiten, einzukaufen, Freunde zu besuchen oder Urlaub zu machen – ohne Kontrollen, meistens auch ohne Wartezeiten. Das ist europäische Freiheit.
Natürlich stehen wir aktuell vor schwierigen Zeiten: geopolitisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Gerade für ein exportorientiertes Land wie Österreich sind Stabilität und Verlässlichkeit im europäischen Raum essenziell. Umso wichtiger ist jetzt ein starkes, geeintes Europa, denn Abschottung, Nationalismus, Rückzug lösen keine Probleme, sie schaffen nur neue. Aber – und das möchte ich klar betonen – nur weil man Kritik übt, heißt das nicht, dass man gegen die Europäische Union ist, ganz im Gegenteil, die EU ist ein lebendiges Projekt, es ist nie fertig. Sie muss sich weiterentwickeln, verbessern, an die neuen Gegebenheiten anpassen, dazu braucht es auch Kritik, und nur so kann Veränderung gelingen.
Was wir jedoch nicht brauchen, ist das ständige Schlechtreden der europäischen Institutionen, wie es die FPÖ immer wieder betreibt. Diese Partei lebt davon, dass Menschen unzufrieden sind. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring [FPÖ/NÖ].) Daher hören wir im Bundesrat ja gefühlt immer dieselben fünf Reden, ganz gleich, welche Tagesordnung wir haben. Es geht nicht um Lösungen, es geht darum, Unzufriedenheit zu schüren. Wir hingegen sind die Europapartei (Heiterkeit bei der FPÖ), wir sind diejenigen, die Europa besser machen wollen, wir glauben an die Idee der Europäischen Union. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der SPÖ.)
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Schlusssatz, bitte.
Bundesrätin Bernadette Geieregger, BA (fortsetzend): All das ist nicht Selbstzweck, sondern es ist der Garant dafür, dass alle Menschen in Wohlstand, Sicherheit und Frieden leben können. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Bitte zum Schluss kommen.
Bundesrätin Bernadette Geieregger, BA (fortsetzend): Die Europäische Union ist kein fertiges Projekt – lasst sie uns auch in den kommenden 30 Jahren gestalten. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der SPÖ.)
9.17
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Gabriele Kolar. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.