RN/45
12.25
Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Hari, ich kann mich auch noch gut daran erinnern. Ich hatte das Glück, dass im alten Bundesratssitzungssaal mein Stuhl direkt hinter der ORF-Kamera war, und daher habe ich unten eine Steckdose gehabt. Ich war der Einzige – ich glaube, gemeinsam mit Efgani Dönmez –, der sein Handy während der Sitzung laden konnte, während ihr alle keine Steckdosen gehabt habt. (Heiterkeit bei Bundesrät:innen von ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Schennach [SPÖ/W] – erheitert –: Ah, deshalb waren wir nicht im ORF, wegen seinem Handy! – Ruf bei der ÖVP: Er hat denen den Strom weggenommen!) Ich kann mich wirklich noch gut daran erinnern. Damals hat man sozusagen Handys gerade neu gehabt. – Oje, jetzt habe ich mich geoutet, dass ich schon ein alter Mann bin. (Heiterkeit des Redners.)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eines finde ich ganz wichtig, dass wir das hier jetzt sagen: Ich finde es wichtig und richtig, dass wir heute hier den ORF so behandeln, wie wir ihn behandeln. Auch wenn man unterschiedlicher Meinung sein kann, aber ich glaube, eines – und das unterscheidet uns eben ganz stark von den Freiheitlichen – eint: nämlich das Wissen, wie wichtig ein öffentlich-rechtliches Medium in einer Res publica ist. (Zwischenruf der Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.].) Res publica bedeutet öffentliche Sache. (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Wir wollen aber Objektivität! Objektiv soll er sein!) – Frau Doppler, Sie können sich gerne zu Wort melden, aber hören Sie jetzt einfach einmal zu!
Wenn Sie eine Republik mit einer Res publica haben wollen, in einer Zeit, in der die Digitalisierung - - (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Was ... publica?) – Res publica, öffentliche Sache, ich habe es gerade gesagt. Hätten Sie zugehört, hätten Sie es gewusst! (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Ich habe in Latein das große Latinum! – Zwischenrufe der Bundesräte Spanring [FPÖ/NÖ] und Himmer [ÖVP/W].)
Das Wichtige aber ist, zu erkennen, dass wir in einer Zeit der Algorithmen leben, in einer Zeit, in der nicht mehr die Debatte, das Meinungsfinden, das Abbilden mehrerer Meinungen eine Rolle spielen, sondern tatsächlich nur noch Algorithmen – was Elon Musk oder die chinesische Regierung betrifft –, denn das ist nämlich in Wahrheit das Geschäft und die Herausforderung für die Medien; übrigens nicht nur von öffentlich-rechtlichen, sondern auch von den privaten Medien. Diese digitalen Giganten sind unsere Herausforderungen für die Medienlandschaft und für die Res publica. Und da spielt ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine ganz, ganz entscheidende Rolle.
Ich finde das wichtig, denn es hätte auch anders ausgehen können, sage ich nur, nämlich dass wir hier eine andere Art von ORF-Gesetz hätten diskutieren können. Somit bin ich froh, dass wir über dieses reden, auch wenn wir dagegenstimmen, und ich möchte erläutern, warum.
Der Verfassungsgerichtshof hat am 5. Oktober 2023 Bestimmungen des ORF-Gesetzes über die Bestellung des Stiftungsrates und des Publikumsrates für verfassungswidrig erklärt. Laut diesem Erkenntnis widersprechen Teile des Gesetzes dem Gebot der Unabhängigkeit – das hat der Verfassungsgerichtshof so gesagt – und der pluralistischen Zusammensetzung der beiden Organe. Diese beiden Organe heißen eben Stiftungsrat und Publikumsrat. Das ist das Thema dieser heutigen Novelle.
Dass dieses Thema nicht trivial und auch nicht immer einfach zu lösen ist, wissen wir, seit es öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Seitdem wird immer wieder – in ganz Europa, eigentlich auf der ganzen Welt, überall dort, wo es öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt – darüber diskutiert, wie man öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer demokratischen Gesellschaft politisch organisiert, sodass dieser trotzdem unpolitisch und unabhängig agieren kann. Das ist ja keine triviale Angelegenheit. Da muss man sich durchaus den Kopf zermartern, darüber, wie man da vorgehen kann – da war die BBC zum Beispiel immer ein Vorbild – und so weiter.
Was passiert jetzt mit dieser Novelle? – Konkret wird die Bundesregierung nur noch sechs statt neun Stiftungsräte entsenden, während die Zahl der Räte, die vom Publikumsrat nominiert werden, von sechs auf neun steigt. Der Publikumsrat wird auf 28 Mitglieder verkleinert, ein bisschen verkleinert: 14 Mitglieder – bisher waren das 17 – sollen von der Regierung, bisher vom Bundeskanzler beziehungsweise Medienminister oder -ministerin, und weitere 14 – bisher waren das 13 – direkt von im Gesetz festgelegten Stellen bestimmt werden; das sind dann meist Kammern, wir sind ja in Österreich (Heiterkeit des Redners), das sind auch Kirchen, das sind Parteiakademien.
Jetzt kann man, wenn die Regierung weniger Stiftungsräte entsendet, sagen: He, super, die Bundesregierung macht den ORF unabhängiger und unpolitischer! – Das könnte man so meinen. Es ist aber leider genau das Gegenteil der Fall, und das ist der Punkt, den wir einfach kritisieren: Es wird durch die Hintertür genau diese politische Kontrolle wiederum gesichert, indem man nämlich die Wahlen zum Publikumsrat so gestaltet, dass die politische Kontrolle bleibt. Somit ist das Wort Publikumsrat auch ein bisschen ad absurdum geführt, weil das ein bisschen ein Etikettenschwindel ist, sorry to say.
In Zukunft ist es nämlich so: Die Regierung nominiert statt neun dann sechs Personen direkt über den Stiftungsrat, und über den Publikumsrat nominiert sie dann erst recht neun Personen. Damit kann man über die Hintertüre besetzen, der Publikumsrat wird jetzt auch eine Art Regierungsrat, wenn man so möchte, und das, was der Verfassungsgerichtshof eigentlich gesagt hat, wird leider nicht erfüllt – und das bedauern wir. Das hätte man aus unserer Sicht auch anders machen können, um das, was man gemeinhin gerne Postenschacher nennt, nicht zu ermöglichen.
Wir wissen ja schon, wie es ausgehen wird: Die Regierung wird im Verhältnis vier : vier : eins über den Publikumsrat in den Stiftungsrat hineinentsenden. Da gehe ich jede Wette ein, dass das so ist. Wahrscheinlich waren es auch genau diese Mechanismen, die bei der allerersten Runde der Dreierkoalition Beate Meinl-Reisinger dazu veranlasst haben, aufzustehen und zu sagen: Bei dem Postenschacher nach der alten Manier machen wir nimmer mit! (Bundesrat Schennach [SPÖ/W]: Warst du dabei?) – Ja, das haben wir auch kritisiert.
Es gab dann eine zweite Runde. Ich bin auch froh, dass es diese Regierung gibt – also nicht falsch verstehen –, sie ist besser als die Alternativen, denn sonst hätten wir jetzt auch ein anderes ORF-Gesetz; das ist mir alles klar. Ich bedaure aber schon, dass da nicht seitens der NEOS, aber auch nicht seitens der SPÖ noch mehr in die Unabhängigkeit und in die Gremienreform investiert worden ist. Das möchte ich hier einfach sagen.
Ich möchte hier drei Anträge der SPÖ und der NEOS aus den Jahren 2022 und 2023 zitieren, wenn ich darf. SPÖ-Antrag, 2022: „Die Bestellung des Stiftungsrates und die Wahl des/der Generaldirektors/Generaldirektorin müssen daher auf neue Beine gestellt werden. Es braucht eine Gremienreform, die stärker auf Unabhängigkeit ausgerichtet ist. [...] Möglich wäre das durch die stärkere Einbeziehung repräsentativer Organisationen und Repräsentant*innen der Zivilgesellschaft, wie NGOs, Sozialorganisationen oder Vertreter*innen der Filmschaffenden- und Produzent*innen und der Wissenschaft. [...] Außerdem müsste die Wahl des/der Generaldirektors/Generaldirektorin geheim erfolgen und der Bestellungsprozess insgesamt transparent sein. Jedenfalls braucht es Ausschreibungen und öffentliche Hearings.“ – Das war ein Antrag der SPÖ.
NEOS, 2023: „Der Stiftungsrat und die Freundeskreise gehören endlich abgeschafft. Unabhängigkeit darf nicht nur ein Schlagwort sein. An deren Stelle soll ein unabhängiger Aufsichtsrat treten, der wiederum einen dreiköpfigen Vorstand mit klarer Kompetenzverteilung bestellt und überwacht – so wie das auch in anderen Milliarden-Unternehmen der Fall ist.“
Anderer Antrag der NEOS: Die NEOS fordern hinsichtlich der Gremienreform „einen breit aufgestellten Prozess, in den die österreichische Zivilgesellschaft aktiv eingebunden wird“. – Super Idee! Wo ist der Prozess, liebe NEOS, wo ist er?
Wir sagen: Das ist eine vergeudete Chance, das hätte man jetzt sehr, sehr gut machen können.
Ich möchte noch eines sagen, weil auch erwähnt wurde, dass der ORF-Beitrag bis 2029 eingefroren wird: Eingefroren klingt natürlich so, als bleibe eh alles, wie es ist. Das ist natürlich auch eine Augenauswischerei, weil eingefroren tatsächlich einen realen Verlust an Geld bedeutet – je nachdem, wie hoch die Inflation sein wird. Das kann ein dramatischer Verlust sein, das kann ein kleiner Verlust sein.
Das, was die Kollegin von der FPÖ, Frau Theuermann, gesagt hat, klingt ein bisschen wie Trump. Der wollte den Deep State vernichten und glaubte, er bekämpft da irgendwelche dubiosen Organisationen und, und, und. Was man beim ORF finden wird, sind Korrespondent:innen, die uns aus dem Ausland berichten, was dort passiert; das sind Ö1-Journalist:innen, die ganz super Features aufbauen. Ich bin ein begeisterter Ö1-Hörer, und es ist unglaublich, was die den ganzen Tag über leisten. Es würde kein privates Unternehmen jemals leisten, dass man ein einstündiges Feature über die aktuelle soziale Situation in Moldawien bekommt. Das macht kein privater Sender, das macht nur der ORF. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
Wenn ich keine Möglichkeit habe oder wenn ich es mir nicht leisten kann, in die Staatsoper zu gehen und mir die wunderbare Tschaikowski-Neuinszenierung anzuschauen, „Iolanta“ – großartig –, dann kann ich es mir im Fernsehen anschauen, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Opernaufführung auch im Fernsehen zeigen wird – und das macht nur dieser und kein privater. Das heißt, wenn man den ORF nicht haben will, dann gibt es genau all das nicht mehr. Deswegen ist es so wichtig, dass es den ORF gibt.
Zu diesen Einsparungen sei auch einmal gesagt: Es ist möglich, liebe Leute – ihr kennt meine große Leidenschaft für den Eurovision Song Contest (Bundesrat Schennach [SPÖ/W]: Ja, die kennen wir! – Heiterkeit bei Bundesrät:innen von Grünen, ÖVP und SPÖ) –, dass Österreich dieses Jahr gewinnen wird und dass wir nächstes Jahr Gastgeber für eine weltoffene Veranstaltung sein werden, zu der wir ganz Europa begrüßen. Da wäre es auch ganz gut, wenn der ORF dazu in der Lage wäre, ganz Europa herzlich zu begrüßen. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)
12.36
Vizepräsident Markus Stotter, BA: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile ihm dieses.