RN/60

13.57

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen, herzlich willkommen im Bundesrat! Wir besprechen heute eine sehr ernsthafte Sache, deswegen sind jetzt auch manche Zwischenrufe, finde ich, nicht ganz passend gewesen.

Wir, die grünen Bundesrätinnen und ich als einziger grüner Bundesrat, waren vor zwei Wochen auf einer Reise. Das war eine Reise, die nicht Entspannung, die nicht Kultur bedeutete, nicht im Sinne dessen, dass man eine Reise genießt. Auch das Wort sehenswürdig ist irgendwo richtig und gleichzeitig so unfassbar falsch. Wir waren in Auschwitz, nur 4 Stunden mit dem Zug von Wien, einem Direktzug, der mehrmals am Tag fährt. Ich kann es wirklich jedem nur empfehlen – man muss schon etwas aushalten können, es ist nicht einfach –, sich einmal in diesen Zug hineinzusetzen: 4 Stunden wie gesagt, ein Direktzug ohne Umsteigen, und dann ist man in Oświęcim. Wenn man in Oświęcim ist, dann kann man 20 Minuten runtergehen, und dann ist man in Auschwitz, das so heißt, weil das verbrecherische Naziregime nach dem Angriff auf Polen 1939 diesen Ort germanisiert und so benannt hat, ihm also sogar seine polnische Identität genommen hat und ihn Auschwitz und einen Vorort von Auschwitz Birkenau genannt hat.

Wir waren dort, um 80 Jahre nach der Befreiung nicht nur darüber zu reden. Man redet viel darüber – wir waren auch alle schon einmal in Mauthausen, wir kennen die Geschichten –, aber es macht einen Unterschied, ob man davon gehört hat oder ob man das auch physisch gesehen und erfahren hat. Alle, die schon einmal in Auschwitz waren, werden bestätigen können, dass das ein ganz anderer Zugang und dadurch auch ein anderes Wissen ist. Vielleicht möchte der freiheitliche Klub auch einmal so eine Reise machen. (Zwischenruf der Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.].)

Es sind dort unvorstellbare Gräuel passiert. Es sind 1,2 Millionen Menschen umgebracht worden, das kann man nur schätzen. Man ist in diesem kleinen Birkenau, das eigentlich eine Flur ist, und dann steht man dort und weiß: Hier sind 1,2 Millionen Menschen umgebracht worden!

Das Beklemmende für mich ist oft nicht nur, dass ich weiß, dass dort die Menschen umgebracht worden sind, sondern zeitgleich, dass wir als Menschheit in der Lage sind, ein System aufzubauen, ein staatliches System mit Ministerien, mit Beamt:innen, mit Organisationen, die helfen, das zu tun, die das ermöglichen, die so einen Massenmord, die Schoah, ermöglicht haben. Das ist das, was uns auch beängstigen soll, denn wir müssen uns immer vergegenwärtigen, dass wir Menschen dazu in der Lage sind – und das ist das Drama und das ist das Schlimme daran. 

Es sind dort in drei Lagern – Birkenau war ja wirklich das Vernichtungslager, Auschwitz war das Konzentrationslager, und es gab noch ein drittes Lager, das ein privatisiertes Firmenlager war, da hat sich I. G. Farben einfach billige Arbeitskräfte organisiert – vorwiegend natürlich, im weitaus größten Ausmaß, Juden und Jüdinnen in der Schoah getötet worden, aber es sind dort auch – das zu erwähnen ist mir, kurz nach dem Roma-Gedenktag, auch wichtig – Roma und Sinti umgebracht worden, es sind dort Zeugen Jehovas umgebracht worden, es sind politische Gegner des Nazi-Regimes umgebracht worden, es sind Homosexuelle umgebracht worden, es sind Priester umgebracht worden und viele andere, oder einfach nur polnische Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Wir in Österreich haben natürlich eine Verantwortung. Wir haben in unserem Land Täter und Opfer. Sehr viele hier in Österreich waren natürlich auch zu einem erheblichen Teil an diesem Täterregime, diesem unfassbaren System, das das ermöglicht hat – was uns heute noch immer so erschreckt, dass das überhaupt möglich war –, beteiligt, aber es gab auch Opfer – das hat meine Kollegin gerade zuvor recht gut gesagt –, und um diese geht es. 

Weil diese NS-Verbrechen stattgefunden haben, haben wir im Hinblick auf die Fragen von Restitution, auf Fragen, welches Unrecht geschehen ist und was man heute tun kann – man kann es eh nicht gutmachen, das Wort Wiedergutmachung hat man früher oft verwendet, aber es ist natürlich das falscheste Wort, das es nur gibt; man kann nur schauen, was wir jetzt für rechtliche Möglichkeiten haben, um zumindest ein Unrecht heute noch beseitigen zu können, und das sind dann oft die Kunstwerke, die gestohlen worden sind, das ist dann das Palais, das plötzlich der Republik oder den ÖBB oder irgendwem gehört und das früher einmal einer Familie gehört hat, das sind Bibliotheken, Sammlungen und dergleichen –, im Jahr 1995 etwas sehr Kluges gemacht. 1995 sind super Sachen passiert. Was viele zum Beispiel nicht wissen, ist, dass homosexuelle NS-Opfer bis 1995 nicht einmal für die Zeit, die sie im KZ gesessen sind, ein Recht auf Pension hatten; die Wärter schon, homosexuelle Opfer nicht. Da war der Sager: Na ja, wieso? Das war ja danach und davor auch strafbar, das war ja kein Naziverbrechen! – Das waren damals die Sager.

Zum Glück haben wir 1995 die Lehren gezogen. Da gab es in der Republik sehr wichtige Ereignisse, mit denen wir uns auch unserer Geschichte gestellt haben, und so ist auch der Nationalfonds entstanden, der ja dem Parlament angeschlossen ist. Deswegen sitzt ja jetzt auch kein Minister oder keine Ministerin hier, weil es unser Nationalfonds ist; der gehört uns im Parlament.

Jetzt ist das mit der parlamentarischen Anbindung eben aktuell eine Sache geworden und ein Thema geworden, weil der Nationalrat seit der Nationalratswahl eben den Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz hat, der somit natürlich in dieser Logik auch den Vorsitz über den Nationalfonds hat, der genau diese Dinge, wie Restitution, behandelt; übrigens aber nicht nur die, sondern auch edukative Veranstaltungen zum Thema Schoah und Holocaust oder zum Beispiel – wie ihr alle wisst, bin ich da in Währing sehr engagiert – die jüdischen Friedhöfe und deren Pflege und Restaurierung.

Wir haben von Anfang an vor einem Nationalratspräsidenten Rosenkranz gewarnt – er ist trotzdem gewählt worden. Man hätte natürlich auch damals schon rechtzeitig agieren können, das möchte ich schon auch sagen. Wir haben also gewarnt, und das Erste, was er gemacht hat, war dann, dass er hier im Haus Europafahnen abmontiert hat. (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Wo hat er das gemacht?) Und das Nächste, was er gemacht hat, ist (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Wo hat er das gemacht? – Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Wo hat er das gemacht?), dass er fragwürdige Kunst eines Künstlers mit einer nationalsozialistischen Vergangenheit (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Wo hat er das gemacht?), die zu Recht abgedeckt war und nicht sichtbar war (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Das ist ja eine Lüge!), wieder sichtbar gemacht hat und wieder zu einem Fotomotiv installiert hat und dass er Freundschaftsverträge mit Orbán inszeniert hat – das waren ja eigentlich keine Freundschaftsverträge mit rechtlicher Bindung für die Republik; man hat halt so getan, als ob –, mit einem Regime – ich sage in Sachen Orbán: Regime –, das genau jetzt wieder da anfängt, wo Faschismus anfängt.

Orbán hat gerade alle Demonstrationen von Lesben, Schwulen und anderen Queers verboten. Transgenderpersonen, Lesben, Schwule, Queers dürfen in Ungarn nicht mehr auf die Straße gehen, um für ihre Rechte einzutreten. – Das sind eure (in Richtung FPÖ) Freunde! Und dann sagt ihr zu uns Grünen Verbotspartei?! (Ruf bei der FPÖ: Ja, seid ihr eh! – Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Seid ihr eh! – Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Ihr seid eine grüne Verbotspartei!) – Also das ist, wo Faschismus beginnt (Zwischenrufe bei der FPÖ – Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Das ist ja bei euch! Bei euch! Ihr seid die ...!), und das sind eure Freunde!

Walter Rosenkranz ist schlagender deutschnationaler Burschenschafter (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Ja, und weiter?), bei der Libertas (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Und weiter? – Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Wo ist das Problem?), und das ist, wie schon von meiner Vorrednerin gesagt wurde (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Wo ist das Problem?), die erste Burschenschaft in der Monarchie gewesen, die einen Arierparagrafen eingeführt hat. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Ja, vor 150 Jahren bitte!) Wenn Rosenkranz als Nationalratspräsident dem Nationalfonds vorstehen würde und somit für Entschädigungszahlungen (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Die Grünen waren immer für Pädophilie ...!) für NS-Opfer oder für den Gedenkdienst zuständig wäre, wäre das eine Verhöhnung der NS-Opfer. Es waren nicht nur die Grünen, die das gesagt haben, es war auch die Israelitische Kultusgemeinde. Diese würde nicht mehr zu einer Sitzung gehen, wenn Walter Rosenkranz dort den Vorsitz hat. Das hat die Israelitische Kultusgemeinde ganz klar und deutlich gesagt, und das sagt auch das Mauthausen-Komitee. (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Das ist aber Ausgrenzung! Das ist Ausgrenzung!)

Das ist keine Ausgrenzung, Frau Kollegin (Bundesrätin Doppler [FPÖ/Sbg.]: Das ist Ausgrenzung!), das entspricht einer historischen Verantwortung, die wir wahrnehmen, nur ihr nicht. Es wäre für Walter Rosenkranz ein Leichtes gewesen, zu sagen: Ich verzichte auf den Vorsitz im Nationalfonds. – Diese Chance hätte er gehabt. Er hat nie Anzeichen erkennen lassen, dass er das tut, aus Respekt, zumindest der Israelitischen Kultusgemeinde gegenüber. Ich verlange ja nicht einmal - - Uns Grünen gegenüber wird er nie Respekt äußern, das ist mir schon klar. (Bundesrat Samt [FPÖ/Stmk.]: Ihr habt ja auch keinen Respekt vor uns, also ...!) – Ah, wir haben keinen verdient? Vielen Dank für die Worte, Herr Kollege Samt. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Das hat keiner gesagt!) Ich freue mich auf Ihre Präsidentschaft (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Da musst du zuhören! Das hat keiner gesagt!), wenn Sie hier oben sitzen. – Also das ist ja nun wirklich das Höchste: Der Herr zukünftige Präsident sagt, den Grünen gegenüber braucht man keinen Respekt zu haben. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Das hat er nicht gesagt! Was redest du denn für einen Blödsinn? Er hat gesagt, ihr zeigt keinen Respekt!) – Aha, na gut. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Hör zu! – Bundesrat Samt [FPÖ/Stmk.]: Aufpassen, was du sagst, weil schön langsam wird es nämlich nicht lustig! – Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Unfassbar!)

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Bitte um Ruhe, und dann schauen wir, dass wir die Debatte (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Eine Unterstellung nach der anderen!) wieder auf ein Niveau, das der Würde des Hauses gerecht wird, bringen, Kolleginnen und Kollegen. Bei aller Emotion und bei aller Kritik: Wir sind hier im Bundesrat und im Parlament. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

Bundesrat Marco Schreuder (fortsetzend): Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen als Vorsitzenden des Nationalfonds eine untadelige Person, und diese untadelige Person ermöglichen wir heute mit diesem Schritt. Das war eine Initiative der Grünen, und ich möchte mich ganz ausdrücklich bei den Regierungsparteien bedanken, die mit uns diesen Schritt gehen möchten.

Eines möchte ich schon sagen: Wenn jemand von den Freiheitlichen beweisen will, dass man sich von der Ideologie des Nationalsozialismus verabschiedet hat, dann finde ich das gut und dann freue ich mich; und das kann man durch Politik zeigen: indem man keinen Hass mehr predigt, indem man nicht ganze Gruppen als Sündenböcke definiert, auf denen herumgetrampelt werden kann, sondern indem man Respekt zeigt vor allen Menschen in diesem Land, egal welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Hautfarbe und welcher sexuellen Orientierung. Das wäre der beste Schritt, um zu zeigen, dass man gegen Rechtsextremismus ist. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ, bei Bundesrät:innen der ÖVP sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

14.08

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.