RN/87
15.56
Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik (NEOS, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte in meinem Leben bisher das große Privileg, unterschiedlichste bereichernde Erfahrungen zu machen – persönlich, privat, beruflich, auch politisch –, aber nichts hat mein Leben so einschneidend geprägt wie die Geburt meiner drei Kinder. Jeder, der Kinder hat, weiß, wie quälend das Gefühl einer längeren Trennung ist. Zu wissen, dass einen die eigenen Kinder schmerzlich vermissen, ist für Eltern schwer zu ertragen, so wie für Kinder die Sehnsucht nach den Eltern.
Beate Meinl-Reisinger hat im Februar des heurigen Jahres anlässlich des dritten Jahrestages des Angriffskrieges gegen die Ukraine hier im Haus eine Veranstaltung zum Thema „3 Jahre Kampf für Freiheit & Demokratie“ ausgerichtet. Bei dieser Veranstaltung hat auch Inna Sowsun, Mitglied des ukrainischen Parlaments, gesprochen. Sie hat geschildert, wie die Tage und Stunden rund um den Beginn des Angriffskrieges ausgesehen haben.
Sie hat gefragt: Wie bereitet man sich auf einen Krieg vor? Was würden Sie tun, wenn Sie wüssten, dass in Österreich vielleicht bald Krieg ist? – Man weiß es eigentlich nicht. Das Einzige, was Inna Sowsun gemacht hat, war, den Reisepass und alle Dokumente ihres einzigen Sohnes dem Kindesvater zu übergeben und ihm das Versprechen abzuringen, dass er das Kind in Sicherheit bringt, sobald Krieg ausbricht, weil sie als Mitglied des ukrainischen Parlaments in Kiew bleiben musste. Als dann mitten in der Nacht der Krieg angefangen hat, hat der Vater das Kind Gott sei Dank in Sicherheit bringen können, während in Kiew Bomben vom Himmel fielen.
Inna Sowsun erzählte auch, wie der Alltag in der Ukraine jetzt ausschaut. Ihr Sohn lebt bei seiner Großmutter, sie sieht ihn kaum. Sie erzählte, wie es ist, wenn sie an manchen Tagen in der Früh eine Whatsapp-Nachricht mit Matheaufgaben, die er nicht lösen kann, mit der Bitte, ob sie da vielleicht weiterhelfen kann, bekommt. Wenn sie am Abend zurückruft, um die Lösungen anzusagen, dann hebt manchmal die Großmutter ab und sagt: Es geht jetzt nicht, wir haben Bombenalarm, wir müssen in den Luftschutzkeller.
Meine Kollegin Henrike Brandstötter war in der Karwoche gemeinsam mit Andreas Minnich von der ÖVP, Petra Bayr von der SPÖ und David Stögmüller von den Grünen in Kiew und Charkiw und hat dort unter anderem gesehen, wie Kinder zwei Stockwerke tief, 10 Meter unter der Erde, in unterirdischen Bunkerschulen unterrichtet werden müssen, damit sie überhaupt weiter unterrichtet werden können, weil Wladimir Putin ja vorzugsweise zivile Infrastruktur bombardiert. Das ist jetzt Alltag in der Ukraine.
Am 17. März 2023 hat der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Er beruht auf dem begründeten Verdacht, dass Putin höchstpersönlich für die Deportation ukrainischer Kinder verantwortlich ist. Erstmals in der Geschichte wird damit ein Staatsoberhaupt eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen per Haftbefehl gesucht.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges wurden nachweislich fast 20 000 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich bei 700 000. Diese Kinder bekommen russische Geburtsurkunden und Reisepässe, bevor sie dann zur Adoption freigegeben werden. Zuvor müssen sie aber in Umerziehungslagern in der Früh nach dem Aufstehen zum Appell antreten und die russische Hymne singen. Ukrainisch zu sprechen, ist verboten. Der berüchtigte Militärunterricht, eine Mischung aus Grundausbildung und ideologischer Gehirnwäsche, findet ab der 5. Klasse statt. Die russischen Lehrer sagen den Kindern dann, dass die Ukraine sowieso bald nicht mehr existiere und ein faschistisches Land sei.
Deine Mutter braucht dich nicht mehr, wurde einem Kind gesagt. – Ich wollte durch den Hof fliehen, aber ich hatte Angst, dass sie mich erschießen, also stieg ich in den Lkw, sagte ein anderes Kind.
Die Kinder müssen Maschinengewehre auseinander- und wieder zusammenbauen und in Gleichschritt und Formation marschieren. Wer nicht mitmacht, wird bestraft, kommt tagelang in einen sogenannten Isolator, eine Einzelgefängniszelle, ausgestattet nur mit einer Pritsche und einer Toilette.
Ich frage mich: Wo ist Ihre Empörung, werte Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ, wenn es um die Kriegsverbrechen von Wladimir Putin geht? Wenn man sich vorstellt, welche Empörung bei Ihnen immer noch über die Coronamaßnahmen herrscht, Jahre nach der Pandemie – gestern im EU-Ausschuss haben wir es wieder gehört, jetzt noch! Wo ist Ihre Empörung, wenn es um die ständigen Kriegsverbrechen Russlands geht? Sie stellen sich im Gegenteil hierher und halten Brandreden gegen die Sanktionen, und Kollegin Jäckel schafft es in ihrer Rede sogar, eine Täterumkehr herzustellen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Dieser grausame Krieg, der vor Kriegsverbrechen nur so strotzt, wird Generationen an Ukrainerinnen und Ukrainern traumatisiert zurücklassen. Zu den wohl grausamsten Kriegsverbrechen, die Wladimir Putin zu verantworten hat, zählt zweifellos die Verschleppung von ukrainischen Kindern. Wie soll Friede so je wieder gelingen? Erst rund 630 Kinder konnten wieder nach Hause gebracht werden.
Die Coalition for the Return of Ukrainian Children koordiniert gemeinsame Anstrengungen bezüglich Information, Kapazitäten und anwaltlicher Vertretung, um die entführten Kinder wieder nach Hause zu bringen. „Bring Kids Back“ Home (den Aufdruck auf der Rückseite ihres Pullovers zeigend) ist daher auch für uns Aufruf und Pflicht. Kämpfen wir weiter gemeinsam für eine friedliche Welt, für ein friedliches Europa ohne Krieg! – Vielen Dank. (Beifall bei Bundesrät:innen von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
16.02
Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Margit Göll. Ich erteile es ihr.