RN/88

16.02

Bundesrätin Margit Göll (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Besucher hier im Saal! Ja, wir haben jetzt schon viel zum Thema ukrainische Kinder gehört und darüber, wie wir ihnen helfen können, und wir müssen zugeben, wir leben in einer Zeit, in der Frieden in Europa nicht mehr selbstverständlich ist. Der Krieg in der Ukraine hat Millionen von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, Städte zerstört, Familien auseinandergerissen, und ganz besonders hat er die Schwächsten getroffen: die Kinder.

Ukrainische Kinder erleben seit über drei Jahren, was kein Kind erleben sollte: Angst, Flucht, Verlust und Unsicherheit. Viele von ihnen haben ihr Zuhause verloren, ihre Schulen, ihre Freundinnen und Freunde, und einige von ihnen haben auch das Engste verloren, nämlich ihre Familie und ihre Eltern. Der Krieg raubt ihnen nicht nur ihre Kindheit, sondern er bedroht auch ihre Zukunft. Tausende wurden aus ihrer Heimat entführt, gewaltsam russifiziert und ihrer Kindheit beraubt. Noch immer gelten zahlreiche Kinder als vermisst, verschleppt, isoliert und gezwungen, in Russland fernab von ihren geliebten Familien zu leben.

Sehr geehrte Damen und Herren! Deshalb ist es unsere gemeinsame Verantwortung, diese Kinder zu schützen, aber sie auch gleichzeitig zu unterstützen. Schutz bedeutet mehr als nur ein Dach über dem Kopf – Schutz bedeutet Sicherheit, emotionale Stabilität, Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, und er bedeutet, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie willkommen sind, dass sie gehört werden und dass sie das Wertvollste für unsere Zukunft sind.

Jetzt erzähle ich Ihnen eine Geschichte aus meiner Gemeinde: Schon vor vielen Jahrzehnten pflegte meine Gemeinde Moorbad Harbach engen Kontakt mit ukrainischen Kindern und ermöglichte ihnen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 jedes Jahr für einige Wochen Erholungsurlaube. Viele Menschen in unserer Gemeinde halfen mit, diesen Kindern für einige Wochen eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen, ihnen Erholung zu bieten. Bis heute stehen wir mit einigen von ihnen in engem Kontakt, mit damals Mädchen und Burschen.

Als der Krieg ausbrach, bat uns beziehungsweise mich einer davon, damals ein Bub, jetzt ein Mann beim Militär, Sascha, um Hilfe für seine Familie in der Ukraine – seine Frau, seine Schwiegermutter und zwei Kinder, fünf Jahre und ein Jahr –, ihnen zu helfen und sie aus dem Kriegsgebiet nach Österreich zu bringen. Das möchte ich auch erwähnen: Gemeinsam mit einer engagierten Wiener Familie, einem Ehepaar aus Wien, das bis heute unterstützend tätig ist, haben wir diese Familie zu uns geholt und in der Gemeinde wieder zusammengeholfen, sie für ein Jahr gut zu betreuen.

Warwara, das fünfjährige Mädchen, lernte im Kindergarten rasch Deutsch, konnte nach einigen Monaten durch gute Integration mithilfe unserer Pädagog:innen die deutsche Sprache erlernen, und natürlich schauten wir auch, dass es dem einjährigen Buben gut ging und auch er soziale Kontakte hatte.

Nach knapp einem Jahr Aufenthalt flogen sie wieder zurück nach Kiew, bedingt durch einen Todesfall in der Familie. Als sie nach einigen Monaten im Sommer wieder zu uns kamen – ich bereitete für Warwara für die Schule eine Schultasche vor und freute mich, dass sie jetzt ein großes Schulmädchen war; ich freute mich auch, dass sie Deutsch gelernt hatte –, bemerkte ich: Bei Warwara hatte eine fürchterliche Veränderung stattgefunden. Warwara, ein freundliches, aufgeschlossenes, lustiges Mädchen, war plötzlich still, ruhig, in sich gekehrt und sehr ängstlich. Sie war komplett anders. Die Mutter erzählte mir, Warwara musste bewusst jetzt schon jeden Tag aufs Neue erleben, was es heißt, in einem Land zu leben, in dem Krieg ist, in dem Angst tagtäglich ist.

Als Präsidentin des Bundesrates pflegte ich den regen Austausch mit Botschafter Wassyl Chymynez, aber auch mit dem Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk. Wir tauschten uns in vielen Gesprächen aus, sie schilderten mir, wie es in diesem Land zugeht, und die Berichte und Schilderungen waren für mich wirklich besorgniserregend und dramatisch und machten mich sehr betroffen.

Sie schilderten auch, dass zum Wiederaufbau ganz einfach alles gebraucht wird, was es in Kommunen eben braucht, sei es zum Aufbau der Kindergärten, sei es zum Aufbau der Schulen, aber natürlich auch der Feuerwehren, der Rettung in den Gemeinden. So entschloss sich auch der Österreichische Gemeindebund, tätig zu werden. Das möchte ich nur am Rande auch erwähnen: Da gibt es eine Liste für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, in die man sich eintragen kann und wo man Hilfestellung geben kann. Wenn man zum Beispiel eine Schuleinrichtung oder eine Kindergarteneinrichtung nicht mehr braucht, kann man sich dort eintragen; sie wird in der Ukraine gut gebraucht. – Das nur so am Rande.

Wir fordern daher, dass sich Österreich und die EU weiterhin mit Nachdruck auf internationaler Ebene einsetzen: erstens für die Rückführung aller verschleppten Kinder – jeder Tag, an dem ein Kind nicht bei seiner Familie sein kann, ist ein Tag zu viel –, zweitens für die konsequente Ahndung dieser Verbrechen durch internationale Gerichte und drittens für den Schutz und die Unterstützung ukrainischer Kinder. Wir müssen sicherstellen, dass sie Zugang zu Bildung und psychologischer Hilfe und ein geschütztes Umfeld erhalten.

Weil heute der 8. Mai ist, dieser besondere, denkwürdige Tag: Ja, vor 80 Jahren war auch unser Land zerstört, waren Familien ausgelöscht, Väter und Söhne im Krieg gestorben, Hunger und Zerstörung waren geblieben. Auch damals half man uns, auch unseren Kindern gab man diese Hilfe. Der 8. Mai ist, wie gesagt, für uns ein besonderer Tag, und daher ist es unsere moralische Verpflichtung, zu handeln. Das verlangt auch die UN-Kinderrechtskonvention, und dieser Antrag ist für uns alle ein Signal.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie daher um Zustimmung im Namen der Menschlichkeit, im Namen des Rechts und im Namen der Kinder, denen wir eine sichere und würdige Zukunft schulden. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

Einen kleinen Zusatz habe ich noch, und diese Worte möchte ich an meine Kollegin Sandra Böhmwalder richten: Liebe Sandra, vielen herzlichen Dank, du hast den Bundesrat für unsere Fraktion zwei Jahre lang bereichert. Danke für deine Freundschaft! Ich wünsche dir alles erdenklich Gute für deinen weiteren Lebensweg, wir werden sicher auch weiterhin in Freundschaft verbunden sein. – Alles Gute! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

16.10

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Sebastian Forstner. Ich erteile es ihm.